Schweinebraten Louisiana für 2,80 Euro in der Kantine. Auf den sterilen Gängen: Schlipsträger, die mit verchromten Rollkoffern vorbeihasten. Schlipsträger, die sich im besten Oberbayerisch über Hagelschäden unterhalten. Am Rand: dunkle Ledersofas, die so wirken, als hätte nie jemand darauf Platz genommen. Sieht so die Zukunft des Magazinjournalismus aus? Echt jetzt?
Eine unfaire Frage. Das Allianz Gebäude in München Unterföhring ist nun mal so, wie Maria Mustermann sich den Sitz eines Versicherungsunternehmens vorstellt: paragrafengetreu nüchtern, hochglanzpoliert, aber irgendwie auch ein bisschen bodenständig (siehe Schweinebraten). Hinter Glas und Stahl, zwischen Büros mit Hagelschaden- und Haftpflichtexperten, versteckt sich trotzdem eine Magazinredaktion, die als eine der besten Deutschlands gilt. Und das, obwohl sie eine Kundenzeitschrift produziert.
Kundenmagazine von Unternehmen waren lange Zeit die Stiefkinder des Printjournalismus. Die Redakteure, die für sie arbeiteten, verdienten zwar immer ordentliches Geld, ihre Kollegen bei den unabhängigen Medien rümpften über sie aber gern die Nase. Gründe gab es genug: Viele Magazine waren – und sind heute noch – blutleer gemacht. Viele beweihräuchern ihr Unternehmen distanzlos als das Beste, Tollste, Segensreichste. Viele buckeln redaktionell vor Vorständen und Aktionären; viele krallen sich inhaltlich verzweifelt an ihr oft dröges Fachgebiet. Viele sind schlicht unlesbar.
“Die große Allianz-Enthüllungsstory wird bei uns natürlich nie stehen”
Und dann gibt es noch “1890”. Also das Magazin, das die Allianz viermal im Jahr ihren treuesten Kunden in die Briefkästen legt. Das sind die, die im Optimalfall gleich mehrere Policen beim blauen Riesen abgeschlossen haben. Ein Euro pro Magazin und Empfänger lässt sich die Versicherung das kosten, das macht vier Euro jährlich pro Stammkunde. Die Empfänger danken es mit einer Lesequote von geradezu sagenhaften 81 Prozent – das hat eine interne Studie ergeben. Ist bei “1890” also alles besser als bei den anderen? Wilder? Dürfen die da vielleicht tatsächlich den Journalismus machen, den sie wollen?
“Die große Allianz-Enthüllungsstory wird bei uns natürlich nie stehen”, sagt Mario Vigl, Chefredakteur von “1890”. Das wäre dann doch zu viel des Guten. Sonst genießen er und sein Team aber durchaus viele Freiheiten. Einem, der mal beim “Playboy” gearbeitet hat, muss man die vielleicht auch geben. Der Krawattenzwang innerhalb der Allianz-Mauern hat Vigl anfangs recht zugesetzt; mittlerweile hat er sich samt einiger Kollegen davon entbunden. Ums italienische Sakko kommt er zwar nicht herum, aber immerhin schnürt ihm kein Seidenschlips mehr die Kreativität ab. Auch sein Büro wirkt unorthodox – darin könnte kein Berater seine Kunden empfangen. Stattdessen stapelt sich dort die Konkurrenz: andere Kunden-, aber vor allem Kaufmagazine. Mindmaps, die auf den ersten Blick ziemlich wirr wirken, hängen an der Wand.
Es ist natürlich auch nicht so, dass “1890” völlig im luftleeren Raum schweben würde. Letztlich, das weiß auch Vigl, muss das Magazin vor allem einem Leser gefallen: dem Vorstand. Es gab deshalb den Deal, dass sich zwei Ausgaben pro Jahr eindeutig mit Themenfeldern beschäftigen mussten, in denen die Allianz mitmischt. Die beiden anderen Ausgaben waren Vigls Spielwiese. Doch diese Regelung wurde gekippt. Einerseits, weil ein paar Chefsessel ihre Besitzer wechselten. Andererseits, weil Vigls Team es auch ohne Doktrin von oben schafft, Allianz-Themen so zu verpacken, dass es dem Leser gar nicht auffällt. Ausgabe 1/2016, das “Verzicht”-Heft, war so ein Beispiel. “Eigentlich ist das ein Heft zur Lebensversicherung”, sagt Vigl. Nur: Was ist das eigentlich – eine Lebensversicherung? “Letztlich geht es doch darum, dass man das ganze Leben dafür spart und einzahlt.” Sparen griff dem “1890”-Team aber zu kurz – “da kommst du über Sparschweine optisch nicht raus”. Es hat ein bisschen gedauert, bis das Stichwort “Verzicht” fiel. In der Unterzeile steht immer noch “Ein Heft über das Sparen”. Aber dass der große Gedanke dahinter auf die Lebensversicherungen der Allianz zielt – darauf kommen wohl die wenigsten Leser. Sie freuen sich auf Seite 13 stattdessen über Ilse, 89, die ihr Geld in einer Packung Fischstäbchen versteckt. …weiterlesen in der turi2 edition3