Zeitungslandschaft im Wandel: Über die Situation des Lokaljournalismus.
10. Februar 2025
Die Studie “Wüstenradar” der Hamburg Media School hat im vergangenen November gezeigt, dass die Medienvielfalt auf Landkreisebene auf dem Rückzug ist: Gab es in den 1990ern Jahre noch 134 Landkreise, in denen nur eine lokale Tageszeitung erschien, sind es heute bereits 187 von 400. Die gute Nachricht: Anders als etwa in den USA gibt es hierzulande noch keine Nachrichten-Wüsten. In ihrem Gastbeitrag für epd Medien machen die Studien-Autoren Christian-Mathias Wellbrock und Sabrina Maaß konkrete Vorschläge, wie der Lokaljournalismus gestärkt werden kann – auch abseits einer staatlichen Zustellförderung.
von Christian-Mathias Wellbrock und Sabrina Maaß / epd medien
In einer Zeit, in der überregionale und internationale Nachrichten so einfach verfügbar sind wie noch nie zuvor, und sich die Mediennutzung entsprechend weg von lokalen Inhalten verschiebt, gewinnt die lokale Berichterstattung paradoxerweise an Bedeutung. Denn nicht nur die Theorie, auch empirische internationale Studien zeigen vielfach, dass ein Rückgang des Lokaljournalismus negative Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie haben kann. Hier zeigt sich auch in Deutschland eine besorgniserregende Entwicklung: Die Lokaljournalismus-Landschaft durchläuft einen tiefgreifenden Wandel, den man als “Versteppung” bezeichnen kann.
Unsere im November 2024 veröffentlichte Studie “Wüstenradar” zeichnet die Entwicklung der Anzahl der wirtschaftlich unabhängigen Lokalzeitungen auf Landkreisebene über die letzten drei Jahrzehnte nach. Die Entwicklung ist eindeutig und wenig überraschend. Im Jahr 1992 gab es in 134 deutschen Landkreisen nur eine unabhängige lokale Tageszeitung. Bis 2023 ist diese Zahl auf 187 gestiegen. Bezogen auf die insgesamt 400 Landkreise und kreisfreien Städte, die es in Deutschland 2023 gab, bedeutet das, dass heute in fast jedem zweiten Landkreis (46,75 Prozent) nur noch eine unabhängige Lokalzeitung existiert.
Die durchschnittliche Anzahl eigenständiger Zeitungen pro Landkreis sank im gleichen Zeitraum von 2,26 auf 1,83. Das mag auf den ersten Blick nach einer geringen Veränderung klingen, doch in der Realität bedeutet es einen erheblichen Verlust an Medienvielfalt und potenziell auch an journalistischer Qualität auf lokaler Ebene.
Interessanterweise zeigt die Studie deutliche regionale Unterschiede in der Entwicklung der Presselandschaft. Besonders betroffen von der “Versteppung” sind der Osten Deutschlands sowie Teile des äußersten Westens wie das Saarland und Rheinland-Pfalz. Hier finden sich großflächige Gebiete, in denen nur noch eine unabhängige Lokalzeitung existiert.
Angleichung der Medienlandschaften
Auf den ersten Blick überraschend mag die Erkenntnis sein, dass der Rückgang der Zeitungsvielfalt in den alten Bundesländern stärker ausfällt als in den neuen. Dieses scheinbare Paradoxon lässt sich durch einen Blick in die Geschichte erklären: Die Presselandschaft in den neuen Bundesländern war bereits zu Zeiten der DDR stark zentralisiert und von Parteimedien dominiert. Diese meist regionalen Monopole wurden mit der Wende häufig von Verlagen aus der Bundesrepublik übernommen. Neugründungen gab es kaum. Nach der Wiedervereinigung gab es hier also von vornherein weniger Spielraum für Konsolidierung und Rückgang.
In den alten Bundesländern hingegen existierte eine vielfältigere Presselandschaft, die nun unter dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck und wegen des veränderten Mediennutzungsverhaltens weniger vielfältig geworden ist. Diese Entwicklung führt zu einer gewissen Angleichung der Medienlandschaften in Ost und West – auf einem niedrigen und weiter sinkenden Niveau der Vielfalt.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich unweigerlich die Frage nach den Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie und des Gemeinwesens in den betroffenen Regionen. Schließlich wird dem Journalismus allgemein eine hohe Relevanz für die Demokratie zugeschrieben. Setzt man verschiedene Demokratie-Indikatoren ins Verhältnis zu den Verbreitungsdaten des Lokaljournalismus, dann können wir bislang keine robusten negativen Effekte auf Indikatoren wie Wahlbeteiligung, politische Polarisierung oder kommunale Haushaltsführung in Deutschland finden.
Dies steht scheinbar im Widerspruch zu internationalen Studien, die in Ländern mit ausgeprägten Nachrichtenwüsten (vor allem in den USA) negative Folgen für diverse demokratiebezogene Indikatoren gemessen haben. Ein entscheidender Unterschied zu diesen Studien liegt im Falle des “Wüstenradars” darin, dass in Deutschland bisher keine vollständigen Nachrichtenwüsten entstanden sind – zumindest nicht auf Landkreisebene. Denn auch in der internationalen Forschung gibt es Anzeichen, dass der entscheidende Nutzen des Lokaljournalismus von der ersten (beziehungsweise der letzten verbliebenen) Zeitung vor Ort ausgeht und der Nutzenzuwachs durch weitere Publikationen deutlich geringer bis nicht messbar ausfällt.
Insofern scheint der jetzige Zeitpunkt der richtige zu sein, um gegenzusteuern und eine weitere Versteppung der lokaljournalistischen Landschaft bis hin zur Entstehung tatsächlicher Wüsten zu verhindern.
Zeit zu handeln
Diskutiert wurde in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Maßnahmen, die den Lokaljournalismus stärken könnten, ohne dabei die wichtige Staatsferne der Medien zu gefährden. Diese Maßnahmen lassen sich grob in drei Kategorien einteilen.
Unter Maßnahmen auf der Anbieterseite fallen:
• Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Journalismus, was steuerliche Vorteile und eine leichtere Unterstützung durch Stiftungen ermöglichen würde.
• Eine Subventionierung journalistischer Stellen, um die Personaldecke im Lokaljournalismus zu erhalten und perspektivisch zu verbessern.
• Eine Innovationsförderung zur Unterstützung bei der Entwicklung neuer Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle.
Maßnahmen auf der Nachfrageseite könnten sein:
• Einführung von Konsumgutscheinen für Medienprodukte.
• Steuerliche Anreize für den Kauf von Zeitungsabonnements.
• Förderung der Medienkompetenz, um Konsument:innen in die Lage zu versetzen, qualitativ hochwertigen Journalismus zu erkennen und wertzuschätzen.
Für die Distribution könnte die Förderung einer digitalen Distributionsinfrastruktur zielführend sein, beispielsweise in Form einer anbieterübergreifenden Plattform für journalistische Inhalte mit diskriminierungsfreiem Zugang für Anbieter und gemeinwohlorientiertem Empfehlungssystem.
Es ist aber nicht Aufgabe der Politik allein, den Lokaljournalismus in eine stabile Zukunft zu führen. Trotz der herausfordernden Gesamtsituation gibt es auch ermutigende Beispiele dafür, wie Lokaljournalismus neu gedacht und erfolgreich umgesetzt werden kann. Darunter sind zum einen genossenschaftliche Modelle. Hier schließen sich Bürger:innen zusammen, um eine lokale Publikation in Form einer Genossenschaft zu übernehmen und weiterzuführen oder zu gründen.
Auch gemeinnützige Organisationen, häufig in Teilen stiftungsfinanziert, können die Medienvielfalt in unterversorgten Gebieten fördern. Einige Lokalmedien kombinieren erfolgreich traditionelle Einnahmequellen wie Abonnements und Werbung mit neuen Ansätzen wie Crowdfunding, Events und Beratungsdienstleistungen und explorieren damit hybride Geschäfts- und Erlösmodelle.
Auch kollaborative Netzwerke, in denen sich lokale Medien zusammenschließen, um Ressourcen und Infrastruktur zu teilen und gemeinsam größere Rechercheprojekte zu stemmen, sind ein möglicher Weg in die digitale Zukunft. Nicht zuletzt investieren auch etablierte journalistische Organisationen zunehmend in digitale Innovationen. Daraus entstehende Technologien, Anwendungen und Plattformen ermöglichen es, Lokaljournalismus kostengünstiger zu produzieren und effizienter zu verbreiten.
Alternative Messgrößen
Konkrete Beispiele wie “Rums” in Münster, “Relevanzreporter” in Nürnberg, “Viernull” in Düsseldorf, “Karla” in Konstanz, “Kolumna” in Lindau und die “Riffreporter” im Wissenschaftsjournalismus zeigen, dass es durchaus Wege gibt, den Herausforderungen aus der Branche selbst heraus zu begegnen. Sie verdeutlichen aber auch, dass es kreativer Lösungen und oft eines Zusammenspiels verschiedener Akteur:innen bedarf.
Für den “Wüstenradar” hat sich das Zählen der wirtschaftlich unabhängigen Lokalzeitungen auf Landkreisebene als einzige praktikable Möglichkeit dargestellt, die Verbreitung des Lokaljournalismus über einen längeren Zeitraum in Deutschland zu erheben. Aber natürlich ist das nicht die einzige Möglichkeit. Es gibt eine ganze Reihe alternativer Messgrößen für die Verbreitung des Lokaljournalismus, die insbesondere im Rahmen weiterführender Querschnittsanalysen und kleinteiligerer Analysen Anwendung finden könnten.
Dazu gehören Auflagen- und Nutzungszahlen lokaljournalistischer Medien. Schließlich entstehen wesentliche Teile der gesellschaftlichen Wirkung des Journalismus durch die Verbreitung der entsprechenden Publikationen und nicht nur durch deren reine Existenz. Auch die Qualität und Quantität der eingesetzten Ressourcen, etwa gemessen in Vollzeitäquivalenten journalistischer Stellen, kann als Indikator herangezogen werden. Ähnlich verhält es sich mit der Quantität und Qualität der lokaljournalistischen Berichterstattung.
All diese Erhebungen kommen dem Konstrukt der Lokaljournalismusverbreitung sicherlich noch näher als dies im “Wüstenradar” der Fall war, sind jedoch deutlich aufwendiger in der Erhebung.
Interessant wären auch Untersuchungen auf Grundlage kleinerer Gebietskörperschaften, also etwa auf Gemeindeebene. Die tatsächliche lokale Abdeckung könnte so geografisch feiner erfasst werden. Praktikabel wäre in diesem Fall eine Fokussierung auf ein deutlich kleineres Gebiet als das der Bundesrepublik.
Betrachtung der Großstädte
Im “Wüstenradar” haben wir 400 Landkreise und kreisfreie Städte betrachtet, auf Gemeindeebene wären es über 10.000 Gebietskörperschaften. Ungelöst bliebe dabei weitestgehend das Problem der Großstädte, deren Einwohnerzahlen teilweise in die Millionen gehen, aber als kreisfreie Stadt auf einer Ebene mit Landkreisen mit Einwohnerzahlen unter 100.000 oder als Stadt auf einer Ebene mit Gemeinden, die teilweise weniger als 100 Einwohner haben, betrachtet werden.
Insofern könnte sich auch eine nähere Betrachtung der Großstädte lohnen. Denn obwohl es beispielsweise in Berlin sechs wirtschaftlich unabhängige Tageszeitungen gibt, heißt dies noch lange nicht, dass die einzelnen Stadtteile und Bezirke lokaljournalistisch gleichermaßen abgedeckt sind.
Eine zentrale Limitation des “Wüstenradars” stellt zudem die Fokussierung auf gedruckte Tageszeitungen dar. Auch wenn es aus unserer Sicht plausibel erscheint, dass die wesentliche journalistische Leistung im Lokalen auch heute noch primär von klassischen Tageszeitungsverlagen ausgeht, gilt es in zukünftigen Studien auch andere Medienformen, wie Lokal-TV, Lokalradio und vor allen Dingen rein digitale Angebote zu integrieren.
All diese weiterreichenden Messungen lassen sich bedauerlicherweise nicht über das gesamte Bundesgebiet und mehrere Jahrzehnte verlässlich erheben. Setzt man den Fokus aber auf kürzere Zeiträume oder kleinere Gebiete, ließen sich vermutlich erkenntnisreiche Untersuchungen mit vertretbarem Aufwand anschließen.
Die “Wüstenradar”-Studie macht deutlich, dass Deutschland sich an einem kritischen Punkt befindet, was die Zukunft des Lokaljournalismus betrifft. Die fortschreitende “Versteppung” ist ein Warnsignal, das ernst genommen werden muss. Gleichzeitig bietet die aktuelle Situation noch die Chance, einer weiteren Ausdünnung der lokaljournalistischen Landschaft entgegenzuwirken.
Verbreitung lokaler Nachrichten
Es wird deutlich, dass es sich hierbei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Eine Lösung wird nur durch das konzertierte Vorgehen verschiedener Akteur:innen möglich sein: Die Politik ist gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Lokaljournalismus fördern, ohne dessen Unabhängigkeit zu gefährden. Medienunternehmen müssen innovative Wege finden, um ihre Produkte und Geschäftsmodelle an die digitale Ära anzupassen und gleichzeitig ihre journalistische Qualität zu bewahren.
Technologieunternehmen können durch die Entwicklung demokratiefreundlicher und gemeinwohlorientierter Tools und Plattformen zur Effizienzsteigerung und besseren Verbreitung lokaler Nachrichten beitragen.
Die Zivilgesellschaft kann durch aktive Unterstützung und Engagement einen wichtigen Beitrag leisten. Bildungseinrichtungen spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung von Medienkompetenz und der Ausbildung der nächsten Generation von Journalist:innen.
Die Herausforderung ist groß, aber die Bedeutung des Lokaljournalismus für eine funktionierende Demokratie macht es unerlässlich, diese anzunehmen und schlussendlich auch zu bewältigen.
Über die Autoren: Christian-Mathias Wellbrock ist seit April 2021 Leiter Innovation und Studium im Bereich Digital- und Medienmanagement der Hamburg Media School. Zuvor war er unter anderem Universitätsprofessor für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln, Juniorprofessor für Medienmanagement an der Universität Hamburg und Visiting Assistant Professor an der Michigan State University.
Nachdem Sabrina Maaß ihr Bachelorstudium der Politikwissenschaft an der Universität Mannheim abgeschlossen hatte, studierte sie das Masterprogramm Staatswissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am GIGA German Institute of Global and Area Studies und an der Universität Hamburg. Seit November 2015 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hamburg Media School im Bereich Medienmanagement.