Der Club der Meinungsmacherinnen.

Lina Timm bei turi2:

  • Wegen Antisemitismus in Deutschland: Deborah Middelhoff verlässt Jahreszeiten Verlag.

    Unsichere Zeiten: Die Chef­redakteurin der Kulinarik-Magazine des Jahreszeiten Verlags, Deborah Middelhoff, gibt ihren Posten ab um ihren “Lebens­mittel­punkt ins Ausland zu verlegen”. Als Grund nennt die Jüdin die “aktuellen Entwicklungen in Deutschland” und bezieht sich damit offenbar auf antisemitische Vorfälle. Middelhoff hat u.a. “Der Feinschmecker” und “Foodie” geleitet.
    dwdl.de

  • “Wir sind zeitgemäßer denn je” – Das Kleine Fernsehspiel und die Bedeutung von TV für junge Filmschaffende.


    Jung geblieben: Seit 60 Jahren zeigt das Kleine Fernseh­spiel im ZDF Filme von auf­strebenden Regisseurinnen. Zum Jubiläum sprechen Redaktions­leiter Burkhard Althoff und Redakteurin Melvina Kotios mit Thomas Gehringer bei
    epd Medien darüber, welche Bedeutung das Fernsehen für junge Film­schaffende noch hat und wie die Redaktion junge Talente fördert. Außerdem geht es um Transparenz beim Auswahl­verfahren, die Bedeutung von Sende­plätzen und das Interesse des jüngeren Publikums.

    Interview von Thomas Gehringer / epd Medien

    Herr Althoff, zum 60-jährigen Bestehen des Kleinen Fernsehspiels haben Sie 15 Filme für eine Retro-Reihe ausgewählt – Filme von Jutta Brückner, Burhan Qurbani und anderen, die zurzeit auch in der ZDF-Mediathek zu finden sind. Was waren die Kriterien?
     
    Burkhard Althoff: Man könnte von etwa 1700 Filmen, die im Kleinen Fernsehspiel entstanden sind, natürlich viel mehr zeigen. Aber die Rechte noch einmal zu erwerben, bedeutet einen großen finanziellen Aufwand. Deshalb mussten wir uns beschränken. Bei der Auswahl haben wir uns an “To Show or not to Show” orientiert. Das ist ein Film, den wir uns zum Jubiläum geleistet haben und für den die Filmemacherinnen Jana Keuchel und Katharina Knust Filmschaffende noch einmal zu ihren Erfahrungen mit dem Kleinen Fernsehspiel befragt haben. Außerdem wollten wir zeigen, welche bedeutenden Regisseurinnen und Regisseure im Kleinen Fernsehspiel angefangen haben. Deswegen haben wir zum Beispiel Filme von Emily Atef und Fatih Akin, Norah Fingscheidt und Anne Zohra Berrached ins Programm genommen.

    Es fehlen die frühen Filme aus den 1960er Jahren oder auch Filme von Rainer Werner Fassbinder, Jim Jarmusch und Rosa von Praunheim. Sind diese Filme alle erhalten?
     
    Althoff: Die Filme sind alle digitalisiert im Archiv des ZDF, aber nicht alle können wir streamen. Diese Rechte müssten erst erworben werden.

    Das ist ein Archivschatz zur Kultur- und Zeitgeschichte, der aus Gebührengeldern finanziert wurde. Diesen komplett zugänglich zu machen, ist nicht möglich?
     
    Althoff: Ich glaube, das scheitert weniger an der Bereitschaft der öffentlich-rechtlichen Sender, ihre Archive zu öffnen, sondern tatsächlich an einer ungeklärten Rechtesituation. Hinzu kommt, dass Filme des Kleinen Fernsehspiels vor allem ab den 1990er Jahren zum überwiegenden Teil in Mischfinanzierungen entstanden. Es wäre gegenüber den Urhebern schwierig zu argumentieren: Wir veröffentlichen jetzt Filme, an denen ihr Rechte haltet, ohne generelle Absprachen zu finden. Bei uns besteht im Grunde eine große Offenheit, aber es ist kompliziert.

    Frau Kotios, schaffen Sie es, ein jüngeres Publikum auch für eine solche Retro-Reihe zu interessieren?
     
    Melvina Kotios: Auf jeden Fall. Gerade ein Film wie “24 Wochen” erzielt viele Abrufe in der Mediathek. In diesem und anderen Filmen geht es um Themen, die auch im Alltag junger Menschen und bei Social Media verfangen. Generell – nicht nur beim Kleinen Fernsehspiel – stellen wir fest, dass fiktionale Filme häufiger abgerufen werden als Dokumentarfilme.

    Laut der jüngsten ARD/ZDF-Studie zur Massenkommunikation schauen nur noch 36 Prozent der 14- bis 29-Jährigen täglich lineares Fernsehen. Ist es überhaupt noch wichtig, jüngere Menschen davon zu überzeugen, das ZDF-Programm einzuschalten, oder ist der Zug längst abgefahren?
     
    Kotios: Nein, der Zug ist gar nicht abgefahren. Wir merken, dass wir junge Menschen über die Mediathek und über Social Media erreichen. Man muss sie eben anders erreichen.

    Althoff: Die zeitunabhängige Nutzung der Mediathek ist für uns eine große Chance. Am Anfang war das Kleine Fernsehspiel ein Vorabendprogramm, eine Plattform für experimentelle literarische und Bühnen-Adaptionen. Das hat sich in den 1970er Jahren geändert – mit dem Neuen Deutschen Film, den ersten Regisseurinnen, die ihre Stimme erhoben haben, dem Queer Cinema, den Filmen aus dem globalen Süden. Der Sendeplatz rückte immer mehr an den Programmrand, auch weil es keine Formatierung gibt. Die Filme, die bei uns entstehen, sind so lang, wie sie sein müssen. Das ist in einem engen Programmschema nicht machbar, wohl aber in der Mediathek oder einem Streaming-Angebot. Wir machen auch viele Filme, die von den Rändern kommen. “Die Bettwurst” von Rosa von Praunheim ist ein Kultfilm in der queeren Szene. Den bei uns finden zu können, ist für die Zielgruppe ein wertvolles Gut.

    Wäre eine einzige Plattform für alle öffentlich-rechtlichen Angebote wünschenswert?
     
    Althoff: Ich glaube nicht, dass dies die Lösung wäre, weil Konkurrenz das Geschäft belebt. Von zentraler Bedeutung wird es sein, geschickt zu distribuieren.

    Kotios: Wir versuchen natürlich vor allem, die Leute über die sozialen Medien auf die Mediatheken aufmerksam zu machen. Also über Instagram, Twitter beziehungsweise X, Youtube oder auch über Facebook, eine immer noch sehr aktive Plattform. Bei Instagram funktioniert Fiction ganz gut, bei Youtube laufen bisher nonfiktionale Angebote besser.

    Ist X, also ehemals Twitter, tatsächlich eine Plattform, über die Sie Kontakte erzielen?
     
    Kotios: Für das ZDF ist X generell eine wichtige Plattform, beim Kleinen Fernsehspiel eher bei ausgewählten Inhalten. Wir hatten zum Beispiel bei der Serie “Doppelhaushälfte”, die wir gemeinsam mit ZDFneo redaktionell betreuen, eine Metaverse-Folge, und die Metaversum-Community tauscht sich vorwiegend auf X aus. Das hat in dem Fall sehr gut funktioniert.

    Herr Althoff, ist jungen Autorinnen und Regisseuren ein Ausstrahlungstermin im Fernsehen überhaupt wichtig? Oder haben nicht immer schon alle davon geträumt, “großes Kino” zu machen?
     
    Althoff: Für die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher ist das Kino insofern spannend, weil es den direkten Kontakt mit dem Publikum bringt. Diese Rückkopplung ist am Anfang einer Karriere besonders wichtig. Wir produzieren mit acht Redakteurinnen und Redakteuren pro Jahr 25 neue Filme, davon sind zehn dokumentarisch, zehn in Deutschland angesiedelte Fiktion, plus fünf, sechs Filme, die wir in Zusammenarbeit mit Arte als internationale Kinoproduktionen mit neuen Talenten aus dem Ausland ermöglichen. Allen diesen Filmen geben wir die Chance, auf Festivals zu laufen – um Karrieren zu starten, die dann idealerweise mal im ZDF weitergehen. Damals wie heute ist es so, dass die Filme im linearen Fernsehen und selbst in der Mediathek in absoluten Zahlen ein weit größeres Publikum erreichen als im Kino.

    Kotios: Vielen ist bewusst, dass sie auf Festivals auf ein Branchenpublikum stoßen. Und erst nach einer Ausstrahlung bei uns kommt man auch mit Leuten ins Gespräch, die fernab von der Medienbranche tätig sind. Diese beiden Welten in unterschiedlichen Phasen zu erreichen, macht es aus.

    Wie viele Abschlussfilme produzieren Sie?
     
    Althoff: Etwa ein Drittel der 25 Filme sind Diplom- oder Abschlussfilme. Wir fragen immer nach den Vorstellungen der Autorinnen und Regisseure. Es läuft nicht so, dass wir sagen: Ja, Du bist ein spannendes Talent und Du hast diese Idee, aber wir wollen etwas ganz anderes von Dir. So arbeiten wir nicht. In der Regel führt das zu einer sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit, bei der Talente vielleicht auch den ein oder anderen Vorbehalt gegenüber dem Fernsehen als Partner ablegen.

    In der Dokumentation “To Show or not to Show” spricht die Regisseurin Angelika Levi auch die “strukturellen Machtverhältnisse” an und sagt: “Red doch mal drüber, warum ihr welche Entscheidungen trefft.” Mangelt es also an Transparenz bei der Auswahl?
     
    Althoff: Wir treffen uns zu drei, vier Sitzungen im Jahr, bei denen jede Kollegin und jeder Kollege maximal drei Vorschläge einbringen kann. Alle schreiben ein Kurzlektorat zu allen eingebrachten Projekten und lesen dieses dann auch vor. So ergibt sich ein erstes Bild: Was sind die dramaturgischen Aspekte? Wie groß ist das Potenzial? Haben wir das Thema schon mehrfach gehabt oder bietet es eine neue Sichtweise? Dadurch entsteht eine interessante Diskussion, und es wird am Ende auch nicht *ex cathedra* von einem Einzelnen entschieden, was realisiert wird. Oft müssen wir aber schweren Herzens sagen: Das ist gut, aber wir können es nicht machen, weil wir die finanziellen Möglichkeiten nicht haben. Aber natürlich hat Angelika Levi recht: Es ist in gewisser Weise intransparent, weil dabei so viele Faktoren eine Rolle spielen. Für Filmemacherinnen und Filmemacher, die ein Projekt einbringen, ist das immer schwierig nachzuvollziehen.

    Sie realisieren 25 Filme. Wie viele sind in der engeren Auswahl?
     
    Althoff: Wir diskutieren in dieser Weise intensiv über 80 bis 100 Projekte pro Jahr. Das Kleine Fernsehspiel hat aber auch noch andere Spielflächen, etwa durch die Zusammenarbeit mit Arte und ZDFneo oder durch Quantum.

    Wie sind Sie auf den etwas rätselhaften Namen Quantum gekommen?
     
    Althoff: Für mich ist er auch rätselhaft, aber er hat sich gehalten. Es ist eine Formatwerkstatt.

    Kotios: Ein – neudeutsch – Lab. Es läuft vom Prinzip her recht ähnlich wie bei den normalen Stoffsitzungen, allerdings ein bisschen niedrigschwelliger. Wir haben keine Einreichfristen, sondern setzen uns zusammen, wenn wir spannende Vorschläge haben. Auch um schnell auf Themen zu reagieren, die neu oder innovativ sind. Es entstehen da ganz unterschiedliche Dinge, serielle Filme, aber auch Einzelformate, das kann ein Podcast sein oder eine Webserie.

    Althoff: Die Idee ist, dass wir bei Quantum Dinge ausprobieren können, die im Regelbetrieb oftmals gar nicht zu testen sind.

    Die Kritik lautete immer, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu sehr auf die Quoten achtet. Sind nun die Abrufzahlen in der Mediathek eine neue Maßeinheit, die ebenfalls Erfolgsdruck aufbaut?
     
    Kotios: Das ist keine Einheit, nach der wir unsere Filme bewerten. Wir müssen am Ende keine Abrufzahlen vorweisen können. Uns ist wichtiger, dass die Filme von spannenden Talenten geschaffen werden, die dann zum Beispiel auch auf Festivals reüssieren und damit Aufmerksamkeit generieren. Aber es ist natürlich in der Rückschau schon interessant zu sehen, welche Themen bei der jüngeren Zielgruppe verfangen.

    Vor 20 Jahren lag der Etat bei rund fünf Millionen Euro für 23 Neuproduktionen. Wie hoch ist der Etat gegenwärtig?
     
    Althoff: Unsere Möglichkeiten haben sich im homöopathischen Bereich erhöht.

    Was heißt das konkret?
     
    Althoff: Wir haben ein größeres Budget als fünf Millionen. Aber wir realisieren die 25 Projekte mit einem Budget, das etwa auch für vier Primetime-Fernsehfilme aufgewendet wird. Deshalb ist es für uns so wichtig, Partner zu finden. Wir haben zum Beispiel mit vier Regionalförderungen sogenannte “Fifty-Fifty-Abkommen”, so dass wir die eine Hälfte eines Films finanzieren und die Förderinstitution die andere Hälfte. Wir suchen nach solchen Wegen, um lange Finanzierungswege zu verkürzen. Das Interessante an den “Fifty-Fifty-Abkommen” ist, dass sie keine Kinoverpflichtung haben. Die Hälfte der Filme beim Kleinen Fernsehspiel sind jedoch klassische Kinokoproduktionen. Für uns ist daran ein bisschen schwierig, dass wir bei diesen sehr lange Fernsehsperrzeiten haben.

    Gibt es eine Art Jahresplanung, welche Themen, welche Genres unter den 25 Neuproduktionen vertreten sein sollen?
     
    Althoff: Wir haben schon mit Ausschreibungen nach bestimmten Formaten initiativ gesucht. Aber Eckart Stein, der 2021 verstorbene langjährige Redaktionsleiter, hätte gesagt: “Es ist eine seismographische Art des Vorgehens.” Wir achten genau darauf, was für Vorschläge uns erreichen. Dadurch sind auch die ersten Filme von Filmemacherinnen und Filmemachern mit Migrationsgeschichten beim Kleinen Fernsehspiel entstanden. Zuletzt hatten wir sehr viele Filme, die sich mit Machtfragen und Missbrauch beschäftigten.

    Ich vermute mal, dass sehr lange Zeit vor allem männliche Autoren und Regisseure zum Zuge kamen. Wie hat sich das Verhältnis entwickelt und wie ist es heute?
     
    Althoff: In den 1960er Jahren war das mit Sicherheit so. Was das für ein Kampf war, überhaupt als Frau Filme machen zu dürfen, erzählt auch Jutta Brückner in “To Show or not to Show” eindrucksvoll. Schon seit vielen Jahren ist das Verhältnis bei uns im Kleinen Fernsehspiel paritätisch.

    Kotios: Aber wir achten nicht nur darauf. Wir arbeiten auch mit nonbinären Filmemacher:innen und Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammen. Ich erlebe uns in den Diskussionen über Stoffe und Themen als durchaus divers.

    Die Berlinale streicht die Sektion “Perspektive Deutsches Kino”. Was bedeutet das für das Kleine Fernsehspiel?
     
    Althoff: Das ist ein Alarmzeichen. Diese Reihe hat eine lange Tradition, da wird eine Fläche im wichtigsten deutschen Festival gestrichen, die Sichtbarkeit erzeugt. Wir hoffen natürlich, dass diese Filme an anderen Stellen in der Berlinale Platz finden, aber wenn bei der Berlinale auch an anderen Stellen insgesamt 80 Filme weniger gezeigt werden sollen, entsteht natürlich Druck.

    Mir ist aufgefallen, dass die Redaktionen auf der Website des Deutschen Filmpreises in den Credits zu den ausgezeichneten Filmen gar nicht erwähnt werden. Wie erklären Sie sich das?
     
    Althoff: Ich will da gar nichts unterstellen, es werden auch viele andere Leute in den Credits nicht aufgeführt. Aber wir stellen schon fest, dass es einen gewissen Fernsehvorbehalt gibt, auch im Feuilleton, den ich persönlich seltsam finde. Wenn man mal schaut, wie viele Projekte von Filmdramaturginnen und -dramaturgen im Fernsehen unterstützt wurden, kommt man auf eine ganze Menge. Und das sind oftmals Filme, die vom Feuilleton hoch gelobt werden. Dann wird aber gerne mal nicht erwähnt, dass es auch Fernsehkoproduktionen sind. Wenn mal ein Film nicht gefällt, dann ist es eigentlich ziemlich klar, woran es lag. Diese Kombination finde ich bemerkenswert.

    Vielleicht ist das formatierte Fernsehen auch selbst schuld. Ich habe mich oft darüber geärgert, dass Kleine Fernsehspiele fast immer nachts versendet wurden.
     
    Althoff: Ja, aber schauen Sie doch mal, was das ZDF mit Kinokoproduktionen unterstützt. “Fabian oder der Gang vor die Hunde” von Dominik Graf, “Roter Himmel” von Christian Petzold, “Das Lehrerzimmer” von Ilker Çatak – alles ZDF-Koproduktionen. Viele Filme der Berliner Schule sind im Kleinen Fernsehspiel entstanden. Ich will bloß sagen: Es gibt einen gewissen Vorbehalt, der der Realität nicht entspricht. Wenn wir eine Kinokoproduktion fördern, sind wir die Letzten, die sagen: Mach das zu einem Fernsehfilm. Im Nachwuchsbereich ist es sogar so, dass wir manchmal die Filmemacherinnen und Filmemacher ermuntern müssen, mutiger zu sein. Es gibt in der Arbeit mit jungen Talenten oftmals den Punkt, wo das Vertrauen in das eigene Schaffen verloren geht.

    Gibt es in der jüngeren Generation keine Vorbehalte gegen das Fernsehen?
     
    Kotios: Ich glaube, in diesen Kategorien wird überhaupt nicht mehr gedacht. Kino oder TV ist vielleicht eine Etatbezeichnung für uns, aber es ist ja klar, dass die Filme in der Mediathek erscheinen.

    Ab und zu werden Kleine Fernsehspiele auch in der Primetime ausgestrahlt wie einst “Systemsprenger” oder wie Ende August die Komödie “Toubab” von Florian Dietrich aus der aktuellen “Shooting Stars”-Reihe. Ist es angesichts der Mediatheken überhaupt noch wichtig, über Primetime-Termine und die Ausstrahlung im linearen Programm zu reden?
     
    Althoff: Das Lineare wird noch eine ganze Weile wichtig bleiben, weil viele Leute das noch nutzen wollen. Wenn wir ein oder zwei Mal solche Filme wie “Toubab” ab 20.15 Uhr zeigen können, können wir ein Publikum, das an einer solchen Stelle vielleicht nicht mit einem solchen Film rechnet, überraschen und verführen, sich auf so etwas einzulassen. Ja, ich würde mir wünschen, dass unser planerischer Mut da oftmals größer wäre.

    Woran scheitert es?
     
    Althoff: Es scheitert daran, dass natürlich eine ganze Reihe von Filmen für diesen Sendeplatz auch produziert werden. Es scheitert vielleicht manchmal auch an der Sperrigkeit, die unsere Filme dann doch haben. Ich glaube, man sollte nicht mit der Brechstange etwas auf 20.15 Uhr hieven, was da gar nicht sein Publikum finden kann.

    Kotios: Viele Filme haben auch eine FSK-Beschränkung. In der ZDF-Mediathek sind unsere Filme aber sehr präsent. Wir sind sehr oft auf der Startseite oben in der Bühne zu finden. Da sind wir kein Nischenangebot mehr.

    FSK-Beschränkung heißt, sie dürfen aus Gründen des Jugendmedienschutzes erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Der Reformdruck auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten ist groß, gleichzeitig wird über eine Reform der Kinoförderung debattiert. Steht damit auch die Existenz des Kleinen Fernsehspiels auf dem Spiel?
     
    Althoff: Claudia Roth hat in ihrer Rede zur Reform der Filmförderung bei der Berlinale erfreulich oft das Wort “Nachwuchs” verwendet. Das finden wir gut. Wir nehmen auch an der Initiative Forum Talentfilm Deutschland teil, die fordert, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einen größeren Topf für die Förderung von Nachwuchsfilmen bereitstellt. Was den Reformprozess bei ARD und ZDF angeht, muss allen klar sein: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine ausreichende Ausstattung erhält, wird er seinen Auftrag nicht mehr in gleicher Weise leisten können. Das wird Auswirkungen auf die Branche haben. Hans Janke, der ehemalige ZDF-Programmdirektor, hatte mal über die Finanzierung des Kleinen Fernsehspiels gesagt: “Einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen.” Wir sind nicht ganz nackt, aber wir hoffen, dass uns nichts weggenommen wird, und perspektivisch durchaus auch auf mehr Mittel und Möglichkeiten.

    Bei Ihnen kann man nicht mehr sparen?
     
    Althoff: Ich glaube, der Wert des Kleinen Fernsehspiels ist allen sehr bewusst. So wie wir heute arbeiten, sind wir zeitgemäßer denn je.

    Unter den acht Filmen der “Shooting Stars”-Reihe ist kein einziger Dokumentarfilm. Auch unter den 15 Filmen, die in der Mediathek zum Jubiläum abrufbar sind, finden sich nur zwei Dokumentarfilme. Muss man daraus schließen, dass das Interesse am dokumentarischen Film beim Kleinen Fernsehspiel schwindet?
     
    Althoff: Nein, nach wie vor sind die Hälfte der von uns beauftragten Programme Dokumentarfilme. Wir machen auch dokumentarische Reihen wie zurzeit die Trilogie “Einzeltäter” über die Anschläge in München, Halle und Hanau. Wir werden im Herbst noch eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen ins Programm bringen. Aber die Sommerreihe ist dezidiert eine fiktionale Reihe, und mit dem Titel “Shooting Stars” sind auch die Schauspieltalente gemeint.

    Gibt es auch etwas, das Sie besser machen können? Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
     
    Althoff: Es gibt natürlich auch Filme, die scheitern. Das gehört dazu. Eckart Stein hätte gesagt: “Ja, aber wir stellen das Scheitern auch zur Diskussion.” Ihm war sehr wichtig, dass er die Zuschauerinnen und Zuschauer als mündige Bürger und nicht als Konsumenten sah. Das ist eine sehr gute Haltung. Mit dem Publikum ins Gespräch kommen – darin müssen wir besser werden. Vielleicht haben wir die Zuschauerinnen und Zuschauer eine Zeit lang zu stark nur als Konsumenten gedacht.

    Kotios: Und wir sollten nicht mehr in diesen Schubladen denken: Mediathek oder TV, Kino oder nicht Kino. Wir sollten viel mehr aus der Sicht denken, wie wir auch selbst Filme, Serien und Dokumentarfilme schauen oder Inhalte nutzen, eben fokussiert auf die Filme, nicht auf Ausspielwege oder Sendeplätze.

    (Foto: Jana Kay, Jason Seller / ZDF)

    Alle Beiträge aus der Reihe “Das Beste aus epd Medien bei turi2” >>>

  • Lese-Tipp: Chefkoch von Burger King hält Fast-Food-Kundschaft für “ganz bestimmt nicht anspruchslos”.

    Lese-Tipp: Koch Tim Lenke hat in der gehobenen Gastronomie gelernt, aber wollte kulinarisch “immer der stadion­füllende Rockstar sein, nie der Avantgardist”. Heute ist er Chefkoch bei Burger King Deutschland und zeichnet für die Entwicklung neuer Produkte verantwortlich. Im “Falstaff”-Interview erzählt Lenke, dass die Herausforderung ist, ein Produkt in 750 Küchen gleich zuzubereiten und die Fast-Food-Kundschaft “ganz bestimmt nicht anspruchslos” ist.
    falstaff.com

  • “Ich werde kein PR-Feuerwerk zünden” – Ein epd-Interview mit dem ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke.


     
    Gnifflix: SWR-Intendant
    Kai Gniffke hat es sich in seinem Amt als ARD-Vorsitzender zum Ziel gesetzt, ARD und ZDF noch in diesem Jahrzehnt zum “wichtigsten Streaming-Anbieter in Deutschland” zu machen. Inhaltlich sollen beide Marken auch weiterhin im “publizistischen Wettbewerb” stehen, sagt er im Interview von Diemut Roether und Michael Ridder bei epd Medien und erteilt einer gemeinsamen Mediathek eine Absage. Aber: “Die Frage, wie gut und klug die Suchfunktion ist, ist keine journalistische Frage. Da sollten wir uns die Arbeit mit dem ZDF teilen.” Auch innerhalb der ARD wünscht sich Gniffke mehr Kooperation: Er hat u.a. ein gemeinsames Mantel­programm für die Dritten TV-Programme vorgeschlagen und sieht bei der Bündelung von Kompetenzen auch die kleinen Sender in der Pflicht: “Es kann nicht sein, dass die großen Häuser alles machen und die kleinen warten, bis die Weisheit der großen über sie hereinbricht.” Der RBB-Skandal habe “alle ARD-Häuser noch enger zusammenrücken lassen” und die Aufsichtsgremien gestärkt. Gniffke hofft, “dass die Brandschutzmauern hoch und dick genug sind, dass so was nicht noch mal passiert”. turi2 veröffentlicht das Interview in der wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
     
    Von Diemut Roether und Michael Ridder / epd Medien
     
    epd: Herr Gniffke, Sie sind nicht nur SWR-Intendant und aktuell auch ARD-Vorsitzender. Sie unterrichten auch an der Hochschule Mittweida zum Thema “Journalismus in der digitalen Transformation”. Wir haben uns gefragt: Was sagen Ihre Studenten eigentlich über die ARD?

    Kai Gniffke: Die Studierenden sind ein bisschen befangen, weil sie am Ende von mir ihren Schein für ein bestandenes Seminar haben wollen. (lacht) Deren Feedback zur ARD ist verglichen mit dem, was ich sonst so höre, mir fast schon zu positiv. (lacht) Möglicherweise kommen in meine Lehrveranstaltungen diejenigen, die eh einen Draht zu ARD-Angeboten haben. Was mich da wirklich beeindruckt, ist, wie sehr es einer Marke wie der “Tagesschau” gelungen ist, junge Menschen für relevante Inhalte zu begeistern oder zumindest zu interessieren. Das macht mir sehr viel Mut.

    Welche ARD-Inhalte nehmen die Studierenden außer der “Tagesschau” noch wahr?

    Querbeet. Weil ich SWR-Intendant im Hauptberuf bin, bin ich stolz, dass zum Beispiel der SWR2-Wissenspodcast immer noch in den Top 10 der Podcast-Charts ist. Ich habe mich im vergangenen Jahr unglaublich gefreut, dass ein Instagram-Angebot wie Ich bin Sophie Scholl – das wirklich ein Experiment war – so erfolgreich wurde. Rund 800.000 Menschen haben sich für das Schicksal dieser beeindruckenden Persönlichkeit Sophie Scholl interessiert. Und das waren sehr junge Menschen.

    Was sagen die Studierenden über die ARD-Mediathek? Nutzen sie diese?

    Sie nutzen sie. Aber sie nutzen selbstverständlich auch andere Anbieter. Und wenn es um fiktionale Inhalte geht, nutzen sie stärker Anbieter, die nicht zur ARD gehören.

    Sie haben das Ziel vorgegeben, dass die ARD bis 2027 Streaming-Marktführer werden soll. Wie wollen Sie das erreichen?

    Noch in diesem Jahrzehnt wollen wir der wichtigste Streaming-Anbieter in Deutschland werden. Dazu treiben wir das Streaming-Netzwerk in unserer Zusammenarbeit mit dem ZDF weiter voran. Wenn wir mal für einen Moment die Abrufe der ZDF-Mediathek und der ARD-Mediathek zusammenzählen – dann sind wir heute schon auf Augenhöhe mit Netflix oder Amazon Prime. Warum machen wir das? Nicht, weil wir die Größten sein wollen, sondern weil unsere Heimat in der Mitte der Gesellschaft ist. Wir wollen in allen Milieus, in allen Bevölkerungsgruppen für die Menschen da sein. Das schaffen wir aber nur, wenn wir große Teile der Bevölkerung mit unseren linearen Angeboten versorgen und gleichzeitig auch da präsent sind, wo sich Mediennutzung in Zukunft immer mehr abspielen wird.

    Könnten Sie das mit dem Streaming-Netzwerk etwas genauer erklären? Was macht dieses Netzwerk aus? Es kann ja nicht nur das gemeinsame Login sein oder dass man, wenn man den “Tatort” sucht beim ZDF, weitergeleitet wird zur ARD.

    Das Streaming-Netzwerk macht eine ganze Menge mehr aus. Der gemeinsame Login ist der Einstieg. Zukünftig werden wir uns die Daten dahinter teilen.

    Läuft das letzten Endes nicht auf eine gemeinsame Mediathek hinaus?

    Das muss man terminologisch gut auseinanderhalten. Wir wollen einen gemeinsamen Login. Wir wollen eine gemeinsame technische Basis, einen gemeinsamen Player, eine gemeinsame Empfehlungslogik, eine gemeinsame Suchfunktion. Unabhängig davon, welche Inhalte zugänglich sind. Wir sollten auf jeden Fall bei zwei klaren Marken bleiben, die im publizistischen Wettbewerb stehen. Es gibt sozusagen weiterhin die “orangenen” Inhalte – in der Farbe des ZDF gesprochen – und es gibt die “blauen” Inhalte der ARD. Aber die Frage, wie gut und klug die Suchfunktion ist, ist keine journalistische Frage. Da sollten wir uns die Arbeit mit dem ZDF teilen.

    Es ist eine technische Frage. Uns fällt auf, dass ARD-Angebote beispielsweise über die App auf der Magenta-Oberfläche schlecht zu finden sind. Sucht man einen bestimmten Film in der ARD-Mediathek, geht das über eine simple Google-Suche viel leichter.

    Das nehme ich als Ansporn, dass wir in dieser Hinsicht besser werden müssen. Wir haben in den letzten drei Jahren extreme Fortschritte gemacht, haben viel Energie und Zeit in die Mediathek gesteckt, was zum Glück nicht ohne Erfolg geblieben ist. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen nutzen täglich die ARD-Mediathek. Aber wir sind noch längst nicht am Ende der Strecke, das haben wir bei der Sitzung der Intendantinnen und Intendanten in Hannover noch mal festgehalten. Wir müssen jetzt Gas geben.

    Die Politik hat jetzt die Vorgabe gemacht, dass Sie zusammen mit dem ZDF und mit dem Deutschlandradio eine gemeinsame Plattform aufbauen sollen. Werden die einzelnen Mediatheken nicht überflüssig mit der Zeit, wenn Sie alles auf eine gemeinsame Plattform stellen?

    Wir müssen auch hier wieder sauber trennen: Was ist eine Plattform, was ist ein Streaming-Netzwerk, und was ist eine technische Basis? Wenn ich über unsere Kooperation mit dem ZDF spreche, spreche ich über ein Netzwerk, das eine gemeinsame technische Basis hat. Es ist keine gemeinsame Mediathek, es sind zwei getrennte Marken. Es geht nicht darum, die Superplattform zu bauen, sondern das Existierende so zu verbessern, dass wir auf Augenhöhe kommen mit den großen Anbietern, die im Moment den Streaming-Markt in Deutschland beherrschen.

    Das machen Sie aus eigenem Antrieb heraus. Aber die Rundfunkkommission, also die Medienstaatssekretärin Heike Raab und andere, haben sicher schon mit Ihnen gesprochen über weitere Erwartungen. Wenn jetzt die große gemeinsame Plattform als Aufgabe hingestellt wird – und Frau Raab hat ausdrücklich gesagt, damit ist keine Mediathek gemeint – was soll das sein? Die Superplattform, die der frühere BR-Intendant Ulrich Wilhelm wollte? Welchen Auftrag hat die Politik an Sie?

    Wir wissen um unseren Auftrag. Dieser Auftrag heißt: Alle Menschen mit exzellentem Programm versorgen, vom Säugling bis zum Greis. Und wenn selbst Menschen meiner Generation einen Anbieter nutzen, der ihnen nichtlineare Inhalte zur Verfügung stellt, und abends auf dem Sofa gelegentlich auch mal in Mediatheken stöbern, dann weiß ich doch, was die Stunde geschlagen hat.

    Aber wie verstehen Sie diesen Auftrag der Politik, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, in der das Deutschlandradio auch noch mit drin sein soll?

    Wir haben ja auch eine Audiothek, also Inhalte zum Hören. Jetzt müssen wir erst mal schauen, ob wir die Audiothek über die ARD-Grenzen hinaus erweitern wollen. Auch das ZDF ist mittlerweile in die Podcast-Produktion eingestiegen, da wäre die Frage: Wollen wir da gemeinsam vorangehen und das Deutschlandradio mit an Bord holen? Sie können bereits heute über die ARD-Audiothek Inhalte des Deutschlandradios nutzen. Und für mich stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, Mediathek und Audiothek zusammenzuführen. Was wir aber jetzt schon machen können, ist, dafür zu sorgen, dass die Mediathek weiter steil geht. Das macht mir gerade sehr viel Freude. Offenbar machen wir vieles richtig.

    Zu den Funktionen, die so eine Plattform im Sinne der Staatskanzleichefs haben soll, gehört auch der Dialog. Wie wollen Sie diesen Dialog einbauen in das Netzwerk?

    Der dritte Medienänderungsstaatsvertrag ist jetzt im Ratifizierungsverfahren. Der Vertrag sagt, dass wir den Auftrag an die Aufsichtsgremien geben, Richtlinien für die Qualitätsstandards zu entwickeln. Er sagt auch, dass öffentlich-rechtliche Anbieter den Dialog mit den Menschen intensivieren müssen. Wir haben uns in Hannover bei der Sitzung der Intendantinnen und Intendanten intensiv mit dem Tool MDR fragt befasst, das der MDR sehr erfolgreich betreibt. Auch der NDR nutzt es als NDR fragt. Bei diesem Tool geht es darum, Stimmungen und Meinungen aus der Bevölkerung abzuholen. Das könnte eine Möglichkeit für mehr Dialog sein. Es gibt aber noch weitere Lösungen bei anderen Landessendern, sich mit dem Publikum auszutauschen. In der Intendantenrunde befassen wir uns eher mit den strategischen Fragen und nicht mit operativen Dingen wie dem Vergleich, welche Tools welche Vorteile und welche Einschränkungen haben. Darum haben wir gesagt, dass das besser ein paar kluge Köpfe für uns aufbereiten, so dass wir im April beschließen können. Wichtig ist mir, dass wir mit unseren Entscheidungen vor der Welle sind. Der neue Staatsvertrag ist noch nicht in Kraft – aber wir werden vorher schon sagen können, dass wir ein entsprechendes Dialogtool einführen.

    Mit dem ARD-Zukunftsdialog hatten Sie schon ein Projekt aufgelegt, das in diese Richtung ging. Was ist davon geblieben? Was hat sich seitdem geändert?

    Die Menschen haben uns eine ganze Menge mit auf den Weg gegeben. Das Thema Meinungsvielfalt. Das Thema Gendern ebenfalls. Wir haben aber auch wahnsinnig viel Zuspruch bekommen. Wir hatten jetzt mit dem WDR einen Interims-ARD-Vorsitz, der alle Hände voll zu tun hatte – und einen Super-Job gemacht hat. Da knüpfen wir an und sagen: Was ist liegengeblieben? Ich habe gerade die Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz gebeten, uns die 2.600 Rückmeldungen aus der Online-Konsultation zur Reform von ARD, ZDF und Deutschlandradio zu schicken. Ich möchte Konsequenzen aus diesen Kommentaren ziehen.

    Liegen geblieben ist wohl einiges in den vorherigen sieben Monaten des RBB-Vorsitzes in der ARD. Der Skandal beim RBB war ja auch wieder Thema in der Intendantenrunde in Hannover. Es wird nun überlegt, wie man dem RBB helfen kann, diese Aufgabe zu bewältigen. Bei der Aufbereitung des Vorgangs kamen ja erstaunliche Dinge heraus, zum Beispiel, dass 41 Millionen Euro an Mehreinnahmen, die nach den Vorgaben der Finanzkommission KEF zurückgelegt werden mussten, von der damaligen Intendantin Patricia Schlesinger nicht zurückgelegt wurden. Haben Sie darüber gesprochen, wie die ARD sicherstellen kann, dass so etwas nicht wieder passiert? Dass sich die Senderchefs gegenseitig versichern, dass sie die Rücklagen gebildet haben? Es war ja nicht zu sehen, dass beim RBB was nicht stimmt.

    Das RBB-Thema eint uns mittlerweile, es hat alle ARD-Häuser noch enger zusammenrücken lassen. Es gibt eine große Solidarität mit dem RBB, mit den Menschen, die dort arbeiten – und eine große Solidarität mit der neuen Intendantin Katrin Vernau, die einen Job hat, um den sie niemand beneidet. Mittlerweile ist sie ja Direktorin für alles, weil es keine Geschäftsleitung mehr gibt. Natürlich hat so eine Situation, dass ein Sender die Beitragsmehrerträge nicht zurücklegt, das Potenzial, eine Gemeinschaft in Unruhe zu bringen. Aber bei unserem Treffen in Hannover gab es stattdessen ein gemeinsames Unterhaken: Wir werden der KEF die Beitragsmehrerträge ausweisen in der geforderten Höhe. Wir tun das gemeinsam, auf der Berechnungsgrundlage der Beitragserträge in den jeweiligen Verbreitungsgebieten. Auch die Mehrerträge des RBB sind in dieser Summe enthalten.

    Also greifen die anderen ARD-Anstalten dem RBB damit finanziell unter die Arme?

    So würde ich das nicht verstehen. Wir sind solidarisch. Und der RBB ist kein Bittsteller, er ist ein vollwertiges Mitglied der ARD-Familie und ein Leistungsträger, den wir brauchen. Die Region Brandenburg und Berlin ist viel zu wichtig, um da auf etwas zu verzichten. Es geht jetzt darum: Zeigt die ARD, dass die Mehrerträge nicht verfrühstückt worden sind? Das zeigen wir. Wir werden sie gesondert ausweisen, wie von der KEF gefordert.

    Nochmals nachgefragt: Wir gehen davon aus, dass keiner von Ihnen möchte, dass so etwas wieder passiert…

    Das trifft es.

    …gibt es da vielleicht ein Commitment, dass man das in regelmäßigen Abständen abgleicht, dass man nicht irgendwann im Nachhinein feststellt, dass da wieder Geld versickert ist, das die anderen dann nachschießen müssen?

    Zunächst mal ist das Aufgabe der Aufsichtsgremien, die das nachhalten werden…

    …die beim RBB offensichtlich versagt haben.

    Ja, und der angekündigte vierte Medienänderungsstaatsvertrag reagiert darauf. Aber auch da sind wir als ARD vor die Welle gekommen. Wir haben die Transparenz gestärkt und die Compliance-Regeln geschärft. Wir haben jetzt die Vorstellungsgespräche für unseren externen SWR-Compliance-Beauftragten geführt. Alle Häuser schaffen eine externe Anlaufstelle. Auf unserer Intranetseite sind an prominenter Stelle die Compliance-Regeln veröffentlicht. Wir haben mitgewirkt an der Stärkung der Aufsichtsgremien, weil wir die Ressourcen dafür zur Verfügung stellen. Ich setze darauf, dass die Brandschutzmauern hoch und dick genug sind, dass so was nicht noch mal passiert.

    Sie sagen, die ARD ist vor die Welle gekommen. Trotzdem ist der Imageschaden, der durch die RBB-Krise der ARD insgesamt entstanden ist, sehr groß. Er wird wahrscheinlich dazu führen, dass es jetzt sehr harte Verhandlungen geben wird beim nächsten Rundfunkbeitrag. Was kann die ARD tun, um das Image wieder zu reparieren?

    Gute Arbeit, nah bei den Menschen sein.

    Reicht das?

    Das muss reichen. Eine Alternative gibt es nicht. Ich werde kein PR-Feuerwerk zünden. Wir werden gute Arbeit machen müssen. In den drei Jahren Pandemie, die ich als SWR-Intendant erlebt habe, hat sich gezeigt, dass die Vertrauenswerte so hoch waren wie noch nie. Menschen vertrauen uns in schwerer Zeit. Für den SWR kann ich sagen, dass wir uns bewusst sind, dass wir eine besondere Situation haben. Wir müssen das Geld nicht selbst erwirtschaften, die Menschen hier haben eine sichere Arbeit, während draußen Betriebe schließen müssen. Es ist unsere Pflicht, deutlich zu machen, dass wir effizient mit den uns anvertrauten Mitteln umgehen. Aber wir gehen auch mit der Zeit. Wir haben kapiert, wie sich Mediennutzung ändert. Und wir werden auch in zehn Jahren bestmögliche journalistische Produkte anbieten.

    Haben Sie in der Intendantenrunde auch über Priorisierungen gesprochen? Zurzeit zahlt die ARD 240 Millionen Euro im Jahr für Sportrechte. Können Sie sich die teuren Sportrechte weiterhin leisten? Gibt es Überlegungen, sich da zurückzuziehen?

    Es gibt keine Tabus.

    Das sagen Sie immer. Was bedeutet das konkret?

    Immer heißt es: Reformiert euch, werdet schlanker, aber bitte nicht da oder dort. Jetzt sind wir beim Thema Sport. Sie reden hier gerade mit einem ausgewiesenen Sportfan, und ich glaube, dass wir auf den Sport nicht verzichten sollten, auch nicht auf Spitzensport. Menschen nutzen Medien nicht nur zum Zweck der Information, sondern auch, wenn sie sich unterhalten lassen wollen, auch für kulturelle Inhalte und für sportliche Ereignisse. Wenn wir für Zusammenhalt werben müssen, ist es wichtig, dass wir auch gemeinsam mit einem ganzen Land mitfiebern, wenn Gina Lückenkemper die Goldmedaille holt oder wenn eine deutsche Fußballmannschaft der Herren genauso erfolgreich ist wie die der Frauen. Das wollen Menschen zusammen feiern, das sind gemeinschaftsstiftende Erlebnisse, auch das ist ein journalistisches Gebot. Außerdem mag ich mir Olympische Spiele in China, in Russland oder eine Fußball-WM in Katar nicht vorstellen ohne eine öffentlich-rechtliche Begleitung. Damit wir sehen, was in anderen Ländern schiefläuft. Wir müssen allerdings abwarten, wie viele Ressourcen uns ab übernächstem Jahr zur Verfügung stehen.

    Die ARD unterstützt damit ein hochgradig kommerzielles System. Saudi-Arabien will sich für die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft 2030 bewerben…

    Noch ein Argument mehr, dass wir dabei sind.

    Die ARD könnte sich doch auf die kritische Berichterstattung darüber beschränken.

    Nur würde das keiner gucken. Ich möchte, dass die Menschen, die in großer Zahl jubeln, auch wissen, dass in diesem Land Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Ich will mich nicht zu einem Nischenanbieter degradieren lassen. Wir wollen das volle Bild der Gesellschaften zeigen, in denen solche Ereignisse stattfinden.

    Sie betonen zu Recht die demokratiepolitische Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn Sie jetzt zur BBC gingen und zu France Télévisions und sagen würden: Leute, wir kaufen die Rechte nicht für eine Veranstaltung in Saudi-Arabien. Dann würden sich die Verbände vielleicht überlegen, ob sie wirklich in diese Länder gehen. Das wäre eine Steuerungsmöglichkeit für Sie.

    Wer hat die ganzen unfassbaren Zustände bei der Fifa offengelegt? Und beim IOC? Das war das Rechercheteam der ARD.

    Die “Süddeutsche Zeitung” und Schweizer Medien waren auch beteiligt.

    Wir machen investigativ exzellente Arbeit beim Thema IOC. Davon lassen wir uns nicht abbringen, auch wenn wir um die Rechte mitbieten. Wenn solche Großveranstaltungen stattfinden, möchte ich sagen können: Wisst ihr, was das für ein Haufen ist, der da über die Rechte entscheidet? Meine große Sorge wäre: Wenn wir es anderen überließen, ich will da keine Namen nennen, dann wird das ein anderes Bild der Berichterstattung sein. Dann wäre wahrscheinlich alles super, was IOC und Fifa machen. Ich würde die Deutschen gern wissen lassen, wie es wirklich ist, mit journalistischer Kraft die Hintergründe beleuchten und Missstände aufdecken.

    Das heißt, bei den Sportrechten können Sie nicht sparen?

    Moment. Ich bin einer von neun Senderchefinnen und -chefs, und meine Haltung kennen Sie. Wir werden am Ende solidarisch und gemeinsam entscheiden, wo wir Prioritäten setzen.

    Das Sportrechte-Argument kommt auch stark aus den Landtagen, aus der Politik…

    Das kommt von den Menschen, die keine Sportübertragungen anschauen. Genauso wie Leute immer wieder an Unterhaltungsangeboten Anstoß nehmen, die ihren Geschmack nicht treffen. Damit muss ich leben.

    Das Thema Sparen bleibt. Die ARD muss sparen. Sie und WDR-Intendant Tom Buhrow haben bereits angekündigt, dass ein digitaler Fernsehkanal eingestellt werden soll, es wird wahrscheinlich auf den Sender One hinauslaufen…

    Wir sind darüber im Gespräch und wir sind uns sicher: In diesem Jahr wird das erste lineare Video-Angebot flexibilisiert.

    Wie viel sparen Sie ein durch die Einstellung von One? Acht Millionen Euro pro Jahr? Zehn Millionen?

    Die Signalwirkung ist wichtig. Das fordern gerade alle von uns. Wir wissen, dass die Summen, die in Rede stehen, natürlich viel größer sein werden. Daher sagen wir nicht: Wir flexibilisieren einen Kanal – welcher das sein wird, muss noch entschieden werden – und dann legen wir wieder die Hände in den Schoß. Viel mehr Wirkmacht steckt in all den anderen Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben. Jetzt sind die Umsetzungsteams am Start. Wir haben uns auf die erste Wegmarke im April verständigt, die nächste ist im Juni, dann muss das umgesetzt werden. Wir sind aus dem Stadium des Planens und Beschließens raus und sind in der Umsetzung.

    Sie selbst haben ein gemeinsames Mantelprogramm für die Dritten Programme ins Gespräch gebracht. Sind Sie da mit den Planungen auch weitergekommen?

    Sind wir. Wir werden das in der Videoprogrammkonferenz beraten und im Juni beschließen. Regional haben wir sehr unterschiedliche Priorisierungen. Es gibt Medienhäuser, die stärker auf regional geprägte Strecken setzen, andere weniger. Deswegen muss es nicht “one size fits all” sein, es kann auch sein, dass wir fünf Häuser haben, die sagen, wir machen ein gemeinsames Drittes Programm und schalten uns von 18 bis 22 Uhr auseinander oder von 16 bis 20 Uhr. Wie das letztendlich aussehen könnte, das sollten wir in der Einschätzung Fachleuten überlassen. In der Videoprogrammkonferenz ist das sehr gut aufgehoben.

    Sie wollen ja auch Fachleute in die neue ARD-Steuerungsgruppe berufen, die das Konzept der Kompetenzzentren näher ausarbeiten soll. Das haben Sie kürzlich bei der ARD-Pressekonferenz vorgestellt. Wer wird in der Steuerungsgruppe sein?

    Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass die Besetzung dieser Gruppe so schnell funktioniert. Wir haben eine Gruppe zusammengestellt, die interdisziplinär ist. Da sitzen Leute mit Produktionssachverstand, mit Programmsachverstand…

    Können Sie Namen nennen?

    Ich kann Ihnen sagen, wer die Gruppe leitet: Thomas Dauser, der beim SWR Direktor für Innovationsmanagement und digitale Transformation ist. Wir haben gesagt, es muss eine Gruppe sein, die über den Tellerrand hinausguckt. Aus jeder Landesrundfunkanstalt kommt ein Vertreter bzw. eine Vertreterin. Aber entscheidend ist, dass sich diese Person nicht als Vertreterin ihrer Landesrundfunkanstalt versteht und auch nicht als Sachwalterin der Produktion oder des Programms oder der Medienforschung. Diese Gruppe hat die schwierigste Aufgabe, die es in den letzten 20 Jahren in der ARD gegeben hat: Sie muss Mechanismen finden, wie die Reformen organisiert und verrechnet werden. Wenn ich zum Beispiel ein “Mantelprogramm” für fünf Häuser mache, ergibt sich daraus ja eine Synergie der fünf. Wem kommt das zugute? Allen in der ARD? Schieben wir das Geld in die Mitte des Tisches? Wie teilen wir es dann auf? Oder bei den Kompetenzzentren: Wenn ein Sender zum Beispiel sagt, er sei künftig der Klimasender in der ARD. Beliefert dieser Sender dann in der ARD alle anderen zum Thema Klima? Sparen sich die einzelnen Häuser dann den Aufbau einer Klimaredaktion oder wird eine vorhandene dann kleiner? Was hat der künftige “ARD-Klimasender” konkret davon, außer vielleicht Ruhm und Ehre?

    Sollen nur die großen ARD-Anstalten entsprechende Federführungen übernehmen?

    Es kann nicht sein, dass die großen Häuser alles machen und die kleinen warten, bis die Weisheit der großen über sie hereinbricht. Wir wollen, dass von Mecklenburg-Vorpommern bis zum Saarland die Häuser vertreten sind. Auch das zu steuern, ist Aufgabe dieser Steuerungsgruppe. Wir trauen dieser Gruppe, so wie sie besetzt ist, ganz viel zu.

    Wir können uns diese Synergien bei News-Formaten oder Magazinen gut vorstellen, Sie haben in der ARD-Pressekonferenz das Beispiel Medizinsendungen genannt, da braucht die ARD nicht sieben oder fünf unterschiedliche. Bedenken haben wir zum Beispiel beim Thema Hörspiel. Auch dafür soll ein Kompetenzzentrum gebildet werden. Da sind wir in einem kreativen Bereich, der stark zu Vielfalt beiträgt. Wie will man sich da einigen, wer was macht?

    Hörspiel ist ein Genre, das gerade in Podcast-Zeiten eine Renaissance erlebt. Trotzdem ist es ein sehr spezialisiertes Genre, das davon lebt, dass es aufwendig ist und hochwertig produziert wird. Aber noch einmal: Es gibt keine Tabus. Wir müssen uns bei allem fragen: Wie oft wollen wir was haben? Wie viel Regionalität ist beim Hörspiel notwendig? Wenn es nach mir ginge, würde ich bei allen Angeboten, die wir im Moment haben, sagen, die sind toll, wir behalten sie. Aber das werden wir nicht schaffen.

    Die ARD-Sender haben beim Hörspiel sehr unterschiedliche Ansätze. Der eine Sender macht sehr viele Adaptionen von Literaturvorlagen, der andere setzt mehr auf Originalhörspiele. Das macht den Reichtum des Hörspiels aus. Wie wollen Sie gewährleisten, dass dieser Reichtum bleibt?

    Der Reichtum muss bleiben, aber möglicherweise wird nicht die Vielzahl bleiben. Wir wollen die Vielzahl reduzieren, aber die Vielfalt erhalten. Das klingt nach der Quadratur des Kreises.

    Heißt das, Sie wollen die Zahl der Hörspiele reduzieren?

    Wir stehen vor der Herausforderung, mit deutlich weniger Ressourcen – auch inflationsbedingt – eine Bevölkerung von 84 Millionen Menschen zu erreichen. Deshalb gibt es keine Tabus. Weder beim Sport noch beim Hörspiel noch in der Unterhaltung.

    Nun lässt sich beim Hörspiel nicht so viel einsparen wie beim Sport oder in der Fernsehfiktion.

    Das ist klar. Wir haben uns bewusst für vier erste Themenfelder entschieden: Klima, Verbraucher, Gesundheit, Hörspiel. Da wird sich entscheiden, ob wir das überhaupt schaffen. Deshalb ist es gut, sich ein klar abgrenzbares und vom Volumen her überschaubares Genre vorzunehmen. Auch hier werden wir uns fragen, wie wir enger zusammenarbeiten können. Im Sommer werden wir weitersehen. Wir arbeiten jedenfalls weiter an unserem Update.

    WDR-Intendant Tom Buhrow hat in seiner Rede als Privatmann in Hamburg gesagt, ein Konzert klingt in Bayreuth genauso wie in Berlin. Er hat damit angedeutet, dass man Kulturprogramme vereinheitlichen könnte. Gibt es Pläne in dieser Richtung?

    Wir haben uns bei allen Genres im Hörfunk vorgenommen, enger zusammenzuarbeiten, bei Popwellen, den Infowellen, den Kulturwellen. Wenn ich anfange, rote Linien zu ziehen, kommen wir nicht weit. Wir nehmen alles unter die Lupe. In der Audioprogrammkonferenz sitzen Fachleute, die viel besser wissen als ich, wie viel Gemeinsamkeit machbar ist. Auch juristisch, denn wir dürfen keinen nationalen Hörfunk machen. Wie viele Stunden Programm muss jedes Haus originär machen? 20 Stunden? 16 Stunden? 8 Stunden? Was ist verantwortbar? Wenn ich im SWR-Sendegebiet am Tag sechs Sendestunden regionale, vom SWR produzierte Kultur hätte und in den anderen 18 Stunden bediente ich mich aus dem Besten der anderen Wellen, vom MDR, vom WDR, dann hätte ich nach wie vor ein unglaublich gutes Kulturprogramm.

    Das passiert doch schon längst. Wir hören sehr viel Radio und hören dieselben Beiträge bei SWR2, bei WDR5 und beim Deutschlandfunk.

    Ich stelle mal die ketzerische Frage: Wie oft muss ein Buch besprochen werden in der ARD? Es gibt natürlich Leute, die sagen: Wir brauchen eine Vielfalt der Perspektiven, ein Buch muss mindestens drei Mal besprochen werden. Da hätte ich persönlich eine andere Haltung. Aber ich will den Arbeitsgruppen nicht vorgreifen. Sonst mache ich die Leute ja kirre.

    Wir wollten damit nur sagen: Es wird bereits sehr viel zusammengearbeitet, wahrscheinlich mehr, als viele wissen.

    Aber wir können noch viel mehr. Irgendwo muss die Kraft herkommen, die wir brauchen. Ich kann den Mitarbeitenden nicht ständig noch zusätzliche Arbeit aufbürden. Es ist Schluss damit. Die Leute hier sind nach drei Jahren Pandemie und der Unsicherheit, wie sie künftig arbeiten werden, echt belastungsmäßig am Poller. Wir müssen auch für Entlastung sorgen, indem wir uns mehr Arbeit teilen.

    Die ARD-Finanzen werden auch sehr belastet durch die Rückstellungen für die Altersvorsorge. Da haben Sie neue Tarifabschlüsse erwirkt. Wirkt sich das bereits aus auf die Bedarfsanmeldungen für die Finanzkommission KEF?

    Wir hatten vor einigen Jahren einen Tarifabschluss, der geradezu bahnbrechend war, weil es uns gelungen ist, die Steigerungen der Altersversorgung von den Tarifsteigerungen zu entkoppeln. Wäre uns das nicht gelungen, wären wir heute in einer höchst problematischen Situation. Dafür bin ich allen, die daran beteiligt waren, außerordentlich dankbar.

    Die Regelungen für die Altersversorgung waren in den ARD-Anstalten sehr unterschiedlich. Ist das vereinheitlicht worden?

    Es gab unterschiedliche Regelungen, am Ende sind es Tarifverträge, die in den Häusern autonom abgeschlossen werden. Wir haben aber gesehen, was möglich ist, wenn wir solidarisch sind. Vor wenigen Wochen haben wir beim SWR einen Tarifabschluss geschafft, bei dem beide Seiten gezeigt haben, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt haben. Wir haben mit einer linearen Tarifsteigerung von 2,8 Prozent abgeschlossen. In diesen Zeiten! Das war auch ein großer Schritt für die Gewerkschaften. Wir werden sehen, wie das bei den nächsten Tarifverhandlungen ist, in der Hoffnung, dass die Inflationsrate dann nicht mehr ganz so dramatisch ist wie jetzt. Das auszuhandeln, ist aber Sache der Tarifparteien.

    Beim RBB wurde bekannt, dass es großzügige Ruhegelder für Führungskräfte gab, die jetzt immer noch bezahlt werden müssen und den Haushalt belasten. Gibt es in der ARD Bestrebungen, solche Regelungen zu vereinheitlichen, damit so etwas nicht wieder passiert?

    Da haben wir Dinge gesehen, die auch ich mir nicht hätte vorstellen können. Das sensibilisiert alle, noch einmal ihre Versorgungsleistungen anzuschauen. Die Versorgungsleistungen beim RBB sind am Gesamthaushalt gemessen nicht die Riesensumme, die über Sein oder Nichtsein entscheidet. Aber sie haben eine große Symbolwirkung. Auch das werden wir uns in Abstimmung mit unseren Aufsichtsgremien noch einmal genau anschauen müssen. Ich bin für den SWR sehr zuversichtlich, dass wir das Vertrauen unseres Verwaltungsrats haben.

    Auch die Beratungsdienstleistungen für ARD-Vorsitzende kosten Geld. WDR-Intendant Buhrow ließ sich in seiner Zeit als ARD-Vorsitzender extern beraten, Sie lassen sich von der Agentur Fischer-Appelt beraten. Man fragt sich: Warum ist das erforderlich? WDR und SWR sind ja große Sender mit großen Kommunikationsabteilungen.

    Wir haben den Vorsitz deutlich vor der Zeit übernommen, genau gesagt zwölf Monate früher als geplant. Eine Kernaufgabe des ARD-Vorsitzes ist Kommunikation. Und Kommunikation ist nicht mehr wie zu den Zeiten, als der SWR das letzte Mal den Vorsitz hatte, 2009/2010. Da kamen wir mit einem sehr schlanken Kommunikationsteam aus, weil Social Media noch kein Thema war. Wir standen jetzt vor der Herausforderung, ein ARD-Kommunikationsteam für die Jahre 2023/24 aus dem Stand aufzustellen, dafür haben wir uns für ein paar Monate Rat geholt. Alles andere hielte ich für höchst unprofessionell. Und dass Fischer-Appelt noch einen Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin hat, die die ARD und den Vorsitz aus eigener Erfahrung kennen, war eine glückliche Fügung.

    Die beiden, von denen die Rede ist, Svenja Siegert und Birand Bingül, haben früher beide in der WDR-Kommunikationsabteilung gearbeitet, als der WDR den ARD-Vorsitz hatte. Damals waren sie aber offensichtlich nicht in der Lage, Herrn Buhrow zu beraten, da er externe Berater beauftragt hat.

    Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich Ihnen zu sagen habe. Es geht um den Aufbau einer Kommunikationsstruktur, eines Kommunikationsapparats für ein großes Unternehmen mit mehreren Tausend Mitarbeitenden. Das mache ich nicht aus dem Stand und das mache ich nicht, ohne mir professionellen Rat zu holen. Wir üben nicht Vorsitz, sondern wir machen vom ersten Tag an Vorsitz, das ist jedenfalls mein Anspruch. Deshalb ist es ein Gebot der Professionalität.

    Ist nicht auch der ständige wechselnde Vorsitz der ARD ein Problem? Dass das nicht mehr so einfach zu bewältigen ist neben allem anderen, was man als Intendant zu tun hat?

    Es ist Problem und Tugend zugleich. Das Föderale ist auch ein Segen. Ich habe 16 Jahre lang eine Gemeinschaftseinrichtung der ARD geleitet und erlebt, wie unabhängig ich Journalismus in diesem föderalen Medienverbund betreiben konnte. Bei ARD-Aktuell gibt es keinen, der sagt: Macht das oder jenes. Diese “checks and balances” funktionieren toll. Es gibt keine dominierende Macht, wie die Amerikaner in der Nato, die immer sagen, wo es langgeht, sondern es kommt jeder mal an die Reihe. Es gibt Reibungsverluste bei dem ständigen Wechsel, aber es ist auch ein Stück Vertrauensbildung. Und wegen dieser Vorteile bin ich bereit, manche Belastung, die dadurch entsteht, in Kauf zu nehmen.

    Kann das langfristig funktionieren? Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren hat kürzlich gesagt, die ARD ist von der Größe her mit einem Etat von insgesamt rund sieben Milliarden Euro ein Konzern, aber sie wird nicht geführt wie ein Konzern, auch die Aufsicht funktioniert nicht wie bei einem Konzern.

    Das ist doch genau die Tugend, die ich beschrieben habe. Wir sind kein Konzern. Wir wollen auch kein Konzern sein. Ich möchte nicht, dass jemand aus Leipzig den Menschen in Saarbrücken sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Wir sind ein regionaler Medienverbund. Unsere Stärke besteht darin, dass wir regional überall vertreten sind und deshalb wissen, wie die Menschen hier ticken und warum sie so ticken. Das ist die große Stärke, die würden wir einbüßen, wenn wir sagen würden, wir sind ein Konzern und unsere Konzernzentrale ist auch noch in Berlin.

    Aber wäre es nicht eine Idee, eine zentrale Kommunikationsstruktur für die ARD einzurichten, auf die der wechselnde Vorsitz zugreift? Das wäre auch für Journalisten einfacher.

    Wir sind ja nicht auf der Welt, um es Journalisten einfach zu machen. Über eine zentrale Kommunikationsstruktur denken wir immer wieder nach und verwerfen sie dann jedes Mal. Wenn ich mir überlege, dass mein Kommunikationsteam für den ARD-Vorsitz in Berlin säße und der Generalsekretärin unterstehen würde oder der RBB-Intendantin – ich kann es mir nicht vorstellen. Wir würden eine Kakophonie erzeugen, die auch Medienjournalisten nicht hilft. Das würde zur Belustigung beitragen, aber nicht im Sinne unseres Medienverbunds.

    Foto: Andreas Langen / epd

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  • Claudia Roth will Filmförderung modernisieren.


    Großes Kino: Kulturstaatsministerin Claudia Roth regt zum Beginn der Berlinale an diesem Donnerstag eine grundlegende Reform der staatlichen Filmförderung an. Streaming­dienste und globale Internet-Anbieter haben “aus dem Kinofilm als der Form filmischen Erzählens eine von vielen Formen gemacht”, schreibt Roth in einem Gast­beitrag in der “Süddeutschen Zeitung”. Das gegen­wärtige System der Film­förderung passe “immer weniger zu den sich grund­legend verändernden Rahmen­bedingungen” und sei “mit all seinen Richt­linien und Stell­schräubchen zu komplex und damit zu langsam”. Roth schlägt u.a. vor, Förder­programme von Bund und Länder enger miteinander zu verzahnen sowie für Dokus, Kurz-, Nachwuchs- Experimental-Filme eigene Förder-Regeln zu schaffen. Die Entwicklungs­förderung müsse modernisiert werden, um “Innovations­geist und Risiko­bereit­schaft” zu stärken und zugleich wenig erfolg­versprechenden Projekten auch eine Chance zum Scheitern zu geben. Roth sieht auch internationale Streaming-Anbieter in der Verantwortung und will prüfen, ob die Politik Netflix, Amazon und Co verpflichten kann, einen bestimmten Teil ihres Umsatzes mit audio­visuellen Inhalten in Deutschland hier­zulande zu reinvestieren. (Foto: Picture Alliance)
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