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Rainer Esser bei turi2:

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  • Zurück zu den Wurzeln – Zur Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.


    Auf Los: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte sich auf die Ideen zurückbesinnen, die ihn in den 50er-Jahren stark gemacht haben, schreibt Publizist Norbert Schneider bei
    epd Medien. Inhalte aus Kultur und Bildung, frei von Quotendruck, seien damals wesentliche Programmsäulen gewesen, die es wieder zu stärken gilt. Je stärker der ÖRR durch die Rückbesinnung an seine Wurzeln gemacht wird, desto besser gelingt die Überführung in die digitale Welt, glaubt der langjährige Direktor der Landesanstalt für Medien NRW. turi2 veröffentlicht seinen Text in der Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
     
    Von Norbert Schneider / epd Medien
     
    Es ist Nachrufzeit. Unter Medienexperten begegnet man derzeit häufig der Auffassung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland keine Zukunft mehr habe. Inzwischen hat ein “Zukunftsrat” eine Expertise für einen zukünftig lebensfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk publiziert. Der folgende Text ist ein “Vergangenheitsrat”. Er folgt der Einsicht, dass es gut ist zu wissen, woher man kommt, wenn man wissen will, wohin man gehen sollte. Vielleicht gilt ja auch für den Rundfunk, worin Alexander Kluge den Sinn seiner Arbeit sieht, wie er kürzlich der “Süddeutschen Zeitung” sagte: “Wieder anzuknüpfen an den guten Willen des Neuanfangs, den ich von 1945 kenne.”

    Das deutsche Radio war gerade zur Welt gekommen, als Hans Bredow in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts die Zuständigkeit für die Reichspost reklamierte, deren Staatssekretär er war. Sie war die Herrin der Frequenzen. Doch die Länder sahen das anders. Denn wurde nicht von ihren Territorien aus gesendet? Am Ende setzte sich das föderale Regime des Rundfunks durch.

    Norbert Schneider
    war von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Von 1976 bis 1981 war er Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main.

    Föderalismus und Zentralismus

    1932 wurde aus den regionalen Sendern eine einzige Rundfunkgesellschaft, ein Wechsel des Regimes, der den Nazis in die Karten spielte. Schon am 31.März 1933 lösten sie die Landtage auf. Der Rundfunk gehörte nun zum Reich, das nur noch ein Volk und einen Führer kannte. Und ein Radio. Zuständig war nun die Reichsrundfunkkammer, später die Reichsrundfunkgesellschaft. Schon wenige Wochen nach dem 30. Januar 1933 hatte Goebbels den Rundfunk personell “gesäubert”.

    Als der Großdeutsche Rundfunk seinen Sendebetrieb mit der Kapitulation vom 8.Mai 1945 einstellen musste, gab es, anders als 1918, “keine deutsche Staatsgewalt”. Was den Aufbau eines neuen Staatsganzen betraf, so fiel die “Entscheidung für einen westdeutschen Bundesstaat” auf einer Konferenz der drei Westmächte (und der Benelux-Staaten) im Juni 1948 in London. Es war vor allem Frankreich, das auf einem “konsequent föderalistischen Staatsaufbau” (Heinrich August Winkler) bestand. Dem zentralistischen “Führerstaat” musste ein Föderalstaat mit Bundesstaaten folgen, mit einem dezentralisierten Rundfunk.

    Die Macht der Länder im Bundesstaat wurde im Artikel 20 der Verfassung von 1949 festgeschrieben: “Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.” Diese Macht war bald auch Realität.

    Trotz der Zuordnung des Rundfunks zum Regime der Länder galt das Prinzip der Staatsferne. Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte die Rundfunkfreiheit. Anstelle einer Zensurbehörde – “Eine Zensur findet nicht statt” – wurde die Kontrolle der Inhalte auf Rundfunkräte übertragen. Ihre Mitglieder repräsentierten die “gesellschaftlich relevanten Gruppen und Kräfte”.

    Anders als die völlig unregulierte Presse war der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht “marktorientiert”. Er lebte von den Gebühren seines Publikums. Was seine Inhalte betraf, so war der Programmauftrag ebenso umfassend wie ambitioniert: Der Rundfunk sollte informieren, unterhalten und bilden.

    Nach ersten Gründungen im Jahr 1945 (Radio Bremen und NWDR, der auch West-Berlin versorgte) folgten vier weitere bis 1949: Südwestfunk und Süddeutscher Rundfunk (bis 1998), Bayerischer Rundfunk, Hessischer Rundfunk, die freilich nicht durchweg nur auf ein Bundesland beschränkt waren. 1956 teilte sich der NWDR in NDR und WDR. 1957 kamen der Saarländische Rundfunk und der Sender Freies Berlin dazu.

    Es hat kaum eine Dekade gedauert, bis dieser Rundfunk (neben der Presse) zu einem Basismedium der gesellschaftlichen Kommunikation gewachsen ist. Er deckte – zunächst nur mit einem Programm pro Sender (und später einem TV-Programm) – die zivilgesellschaftlichen Kernbereiche Politik, Wirtschaft und Kultur ab. Also ungefähr alles, was es zu hören, zu sehen und zu verstehen gab. Klassische publizistische Formate wurden medienspezifisch adaptiert, erst im Radio, dann auch im Fernsehen: die Reportage, das Feature, die Dokumentation, das Magazin, das Hörspiel, das Fernsehspiel und die TV-Serie.

    Kulturvermittler und Kulturproduzent

    Während das Radio eher die Region bediente, wurde das Fernsehen schon bald zum “elektronischen Lagerfeuer” (McLuhan), speziell auch ein Ort der Großereignisse, für großen Sport, für den Karneval, für Wahlen, für Krönungen. Fernsehkrimis wurden Straßenfeger. Für eine stets subventionsbedürftige Kultur wurden die Sender zu wichtigen Mäzenen. Viele Schriftsteller lebten im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg, manche ein Leben lang von den Honoraren, die Radio und Fernsehen bezahlten. “Fast alle haben vom Rundfunk gelebt,” sagte Hans Werner Richter auf einer Tagung der Gruppe 47.

    Der Rundfunk vermittelte nicht nur Kultur. Er wurde selbst ihr Produzent. Er leistete sich eigene Orchester. Das Programm wurde “divers”. Es gab den “Musikantenstadl”. Es gab aber auch zum 300. Geburtstag von Johann Sebastian Bach, moderiert von August Everding, an einem Samstagabend sieben Stunden “Bach nach acht”. Das Fernsehen errang, was Antonio Gramsci eine “kulturelle Hegemonie” genannt hat.

    Mit der Zunahme der Einnahmen leistete sich das Fernsehen Dritte Programme. Ab Mitte der 1970er Jahre benutzte man die Fernbedienung, auch “Zepter der Neuzeit” genannt. Farbfernsehen gibt es seit der Funkausstellung 1967. Diese Messe, auf der Jahr für Jahr auch die meisten anderen Innovationen technischer Art gezeigt wurden, faszinierte Experten und Laien.

    Ende des öffentlich-rechtlichen Monopols

    Als Ende der 1980er Jahre der Kalte Krieg zu Ende ging, flachte die Kurve dieser Erfolgsgeschichte ab. Der Fall der Mauer als Fernsehereignis hat das elektronische Lagerfeuer noch einmal zum Glühen gebracht, doch insgesamt verlor das Fernsehen an Relevanz für die Gesellschaft: Weniger “Sommergäste”, dafür mehr “Frühlingsfeste der Volksmusik”.

    Man kann darüber spekulieren, ob dieser Verlust auch damit zusammenhing, dass nach und nach eine neue Generation der “Macher” in die Leitungspositionen einrückte. Weniger spekulativ ist die Annahme, dass der Machtverlust auch dem Aufkommen des marktorientierten Privatfunks geschuldet war. Denn das war das Ende des öffentlich-rechtlichen Monopols.

    Die beiden Sender mit der größten Verbreitung, RTL plus und Sat 1, begannen mit dem Sendebetrieb am 1. Januar 1984. ProSieben folgte am 1. Januar 1989, Vox am 25. Januar 1993. Bis auf Vox entwickelten sie sich rasch, nicht zuletzt durch schrille Formate, die zeigten, was Fernsehen zur Not – und die war zunächst groß – auch noch kann, wie “Der heiße Stuhl” oder “Tutti Frutti”. Je mehr Sender aufkamen, desto kleiner wurde das Publikum von ARD und ZDF.

    Obwohl die Kabelkapazitäten durch die Vielzahl neuer (überwiegend privater) Sender immer knapper wurden, erwies sich – nicht zu vergleichen mit früheren Innovationen – die Umstellung auf digitale Technologien als mühsam. Die Einführung des Digitalradios für den Hörfunk wurde ebenso oft beschlossen wie wieder abgeblasen. Ohne den Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Hans Hege, gäbe es das Digitalfernsehen DVB-T vermutlich heute noch nicht.

    Zwei Arten von Rundfunk

    Am Anfang hat man in der ARD und beim ZDF über die neuen Wettbewerber gelacht. Etwas später hat man begonnen, sie zu fürchten. Doch schließlich hat man von ihnen auch gelernt, vor allem was man immer schon geahnt hat: dass eine hohe Quote nicht unbedingt das Resultat einer hohen Qualität sein muss.

    Von einem “dualen System” konnte freilich allenfalls deshalb die Rede sein, weil zwei sonst fundamental verschiedene Arten von Rundfunk – der eine für die Gesellschaft, der andere für seine Gesellschafter – sich im Bemühen um dasselbe Publikum in ihren Programmen in manchen Punkten ein Stück weit angenähert haben. Freilich nur in eine Richtung.

    Die Frage, wozu dieser Rundfunk gut sein könnte, wurde zwar immer noch gestellt, aber anders als in den Jahrzehnten zuvor beantwortet. Jetzt lag die Betonung der Verantwortlichen für dieses Massenmedium eindeutig und einseitig auf “Masse”. Nun gab es, was früher undenkbar gewesen wäre, “Abendsieger”. Gezählt haben im Zweifel Zahlen. Entscheidend wurde der Tabellenplatz, nicht die Frage, ob es ein schönes Spiel war. Im Radio ging es darum – ausgerechnet im Radio! -, wortlastige Programme zu vermeiden. ARD und ZDF wurden dagegen mordlastig. Zwei Dutzend Krimis in einer Woche waren keine Seltenheit mehr. Inzwischen gibt es im Fernsehen eine “SOKO”-Republik: Mord im Föderalismus.

    Nur noch auf dem Papier

    Als mit dem Privatfunk neue Veranstalter auf den Plan traten, stand das föderale Prinzip schon aufgrund der verfügbaren Frequenzen (für Fernsehen) nur noch auf dem Papier. Die Eigentümer der neuen Sender interessierten sich für die knappen Kabelkapazitäten, aber nicht für Ländergrenzen. Die von den Ländern zur Regulierung des Privatfunks eingerichteten Landesanstalten für Rundfunk (bis auf zwei Ausnahmen immer je eine Anstalt für ein Bundesland) hatten sich früh darauf verständigt, Entscheidungen im Fernsehbereich überregional zu treffen. Ob ein Sender wie Vox seine Lizenz behalten durfte, wurde nicht von den Ländern des Westschienenstaatsvertrags entschieden, sondern alle Medienanstalten entschieden mit.

    Nach dem Ende der Lizenzierungen des privaten Rundfunks in den 1990er Jahren war die eigentliche Aufgabe der Landesmedienanstalten getan. Dass es sie immer noch gibt, liegt auch daran, dass die Bundesländer sie für allerlei Aktivitäten nutzen, die diese Anstalten dann finanzieren müssen. Ob sie mit dem Thema “Netzregulierung” eine neue Aufgabe bekommen haben, ob sie das überhaupt dürfen, ist so unklar wie ihre Zukunft.

    Sucht man nach den Gründen für die Erfolgsgeschichte des Fernsehens, die bis in die Mitte der 1980er Jahre reichte, stößt man auch auf die enge Verbindung des Rundfunks mit den Ländern. Sie zeigte sich früh und exemplarisch, als Adenauer ein Bundesfernsehen einführen wollte. Die SPD-Länder Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Hessen klagten bekanntlich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen dieses “Adenauer-Fernsehen”. Das Urteil vom 28. Februar 1961 gab den Klägern recht. Eine rasche Reaktion auf dieses in mancherlei Hinsicht grundlegende Urteil war noch im Jahr 1961 die Gründung des ZDF auf der Basis eines Staatsvertrags aller Länder: produktiver Föderalismus.

    Agentur der Integration

    In den Jahrzehnten danach gab es ein knappes Dutzend weiterer “Fernsehurteile”, in denen das höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland Klagen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu behandeln hatte. Fast immer wurden sie abgewiesen. Die Urteile standen für existenzsichernde Grundsätze wie “Medium und Faktor”, “Grundversorgung” oder “Bestands- und Entwicklungsgarantie”.

    Gehegt vom höchsten Gericht und eingebettet in eine föderale Struktur, entstand ein Rundfunk für alle, für ein diverses Publikum. Er entwickelte sich, gestützt auf sein Monopol und seine programmliche Breite, zu einer Agentur der gesellschaftlichen Integration.

    Für manche schwierigen Themen setzte er, vor allem durch seine politischen Magazine (in den Anfängen geleitet von Joachim Fest, Peter Merseburger, Hans Heigert, Hans Werner Schwarze) den richtigen Ton. Angetrieben von Fernsehspielchefs wie Günter Rohrbach, Heinz Ungureit und zuletzt Hans Janke wurde das Fernsehen der große Geschichtenerzähler. Ein Medium der Erinnerung.

    Exemplarisch zeigt sich diese Stärke in der Behandlung des deutschen Faschismus im Fernsehspiel. In den 1960er und 1970er Jahren zählten dazu etwa “Schlaf der Gerechten” (Rolf Hädrich, Albrecht Goes und Oliver Storz, 1962), “Ein Tag” (Gunther R. Lys, Egon Monk, 1965), “Prüfung eines Lehrers” (Eberhard Itzenplitz, 1968), “Berliner Antigone” (Rainer Wolffhardt, 1968), “Aus einem deutschen Leben” (Theodor Kotulla, 1977) oder auch die Übernahme der US-Serie “Holocaust” (Marvin J. Chomsky, 1978). Die Wirkung dieser Programme – das vorerst letzte in diesem nie abreißenden, aber sichtbar schmaler werdenden Bemühen war die Reprise von “Die Wannseekonferenz” durch Matti Geschonneck (2022) – kann nur schwer überschätzt werden, wird aber leicht vergessen.

    Kleinster gemeinsamer Nenner

    Mit seinen Programmen – und einem profilierten Personal – wurde der Rundfunk selbst eine Macht im Staat. Er spielte in der Liga der gesellschaftlichen Stützen zusammen mit den Volksparteien, den großen Kirchen, den Gewerkschaften und Bildungseinrichtungen Schule und Universität.

    Doch die Geborgenheit im Föderalismus (und die hohe Wertschätzung in Karlsruhe) brachte dem Rundfunk zwar eine Sicherheit, die selbstbewusst machte, sie machte aber auch träge. Sie dämpfte den Willen zu Reformen. Die Länder machten keinen Druck, sie bezogen lieber gegeneinander Stellung, sie sortierten sich wie Rotfunk und Schwarzfunk in A-Länder und B-Länder. Den vielen hochfliegenden Visionen vieler Reformvorschläge wohnte kein Zauber mehr inne, sondern nur das kleine Karo des kleinsten gemeinsamen Nenners, Umständlichkeit und Intransparenz. Man konnte darin auch Eifersucht erkennen, die an der Frage aufbrach, wer der Mächtigste im ganzen Land ist.

    Die Vorstellung von 1948, die Medien nicht einer alles plattmachenden Zentralmacht auszuliefern, eine Vorstellung, die unmittelbar nach der Nazizeit keiner weiteren Begründung bedurfte, verlor an Bedeutung. Nach dem Fehlversuch des “Adenauer-Fernsehens” hat sich der Bund nie mehr in die Medienpolitik der Länder eingemischt.

    Man übersah aufseiten der Länder dabei nicht nur, dass Föderalismus, wie man aus seiner tausendjährigen Geschichte lernen kann, nicht bedeutet, dass jeder nur das macht, was ihm nützt. Wichtiger war, dass es – anders als etwa in Polen oder Ungarn, die insofern eine ständige Warnung sind – niemanden gab, der den Ländern das Rundfunkregime streitig machen wollte. Der fehlende Gegner, der, falls es ihn gegeben hätte, die Länder vermutlich vereint hätte, führte offenbar dazu, ihn unter seinesgleichen zu suchen.

    Staatsferne und Parteiennähe

    Wenn es denn eine Zentralmacht gab, die sich für den Rundfunk und seine Entwicklung interessierte, dann war das die Europäische Union. Sie hat nach jahrelanger Inaktivität, mit anderen Problemen beschäftigt, inzwischen die Bedeutung der Medien erkannt, wenn auch weniger die gesellschaftliche als die wirtschaftliche, und reklamiert nun eine Art von Allzuständigkeit. Sie hat, wie sich etwa in den Auseinandersetzungen über den public value gezeigt hat, die Spielräume für föderales Handeln enger gemacht.

    Das Postulat der Staatsferne gehört von Anfang an zu jenen hehren Prinzipien, die in der Praxis kaum umzusetzen sind. Das Wort “Ferne” ist nicht scharf genug. Zwar ist diesem Ziel nie widersprochen worden, schon gar nicht unmittelbar nach dem Krieg mit dem Elend des Dritten Reiches vor Augen. Doch seine Bedeutung erschöpfte sich in einem Ehrenplatz in der Sonntagsrede.

    Dabei ist das Problem nicht etwa das übliche, also der Zensor, dessen Geschäft auf ein ähnliches Alter wie der deutsche Föderalismus zurückblicken kann. Es ist die seit den frühen 1970er Jahren einsetzende parteipolitische Landnahme über die Kontrollgremien der Sender. Sie hatte nicht nur eine parteipolitisch gefärbte Personalpolitik zur Folge. Sie hat auch die Vorstellung eines staatsfernen Rundfunks im Lauf der Jahre ausgehöhlt. Denn Staatsferne ist nicht nur dann schon erreicht, wenn es keinen Zensor gibt.

    Es waren die politischen Parteien, die eine Brücke zwischen Staat und Gesellschaft gebildet haben, weil sie weder das eine noch das andere sind. Auf dem geduldigen Verfassungspapier sind sie zwar bis heute eine Kraft, die an der politischen Willensbildung nur mitwirkt, tatsächlich aber fand der Parteienstaat je länger desto unverblümter seine Entsprechung in einem Parteienrundfunk.

    Wirtschaftliche Erfolgskriterien

    Allerdings dominieren die Parteien die Gremien auch deshalb, weil ihnen dies niemand streitig macht. Ein schwarzer und ein roter Freundeskreis im ZDF-Fernsehrat (die der ZDF-Staatsvertrag nicht vorsieht) steht nicht nur für zwei parteipolitische Steuerungsgruppen. Sie erleichtern auch Entscheidungen eines Gremiums, das mit 60 Mitgliedern unangemessen groß geraten ist. Und natürlich kann man den Parteien nicht vorwerfen, dass sie in Machtfragen über eine große Routine verfügen. Das ändert freilich nichts daran, dass es eine gesellschaftliche Kontrolle des Rundfunks nur auf dem Papier gibt.

    Ebenso problematisch wie die erodierende Staatsferne ist, wie bereits erwähnt, die wachsende Ökonomisierung, die Abhängigkeit des Programmerfolgs von wirtschaftlichen Erfolgskriterien. Diese neue Herrschaft der großen Zahl ist inzwischen, was Macht und Einfluss in den Medien betrifft, an der Macht der Parteien vorbeigezogen.

    Die Idee, die Kontrolle über den Rundfunk einem Kreis von Personen zu übergeben, der repräsentativ für die Gruppen und Kräfte der Gesellschaft handelt, erweist sich im Rückblick als eine der größten Schwachstellen des Systems. Nicht nur dass es nie gelungen ist, öffentlich deutlich zu machen, dass der Rundfunk durch die Wahl seiner Kontrolleure eine Veranstaltung der Gesellschaft ist; nicht nur dass er faktisch schon früh in eine Abhängigkeit des Organs geraten ist, das er eigentlich kontrollieren sollte.

    Die ehrenamtlich tätigen Personen sind schon seit Jahren mit der Kontrolle des Rundfunks überfordert. Sie verfügen, von Ausnahmen abgesehen, nicht über die nötigen Kenntnisse, die für eine Bewertung juristischer, wirtschaftlicher und technischer Fragen notwendig sind. Sie mussten sich aus Kompetenzgründen auf die Programmkontrolle – für die es nur selten klare Anlässe gibt – und die Wahl des Spitzenpersonals beschränken.

    Egoismen eindämmen

    Seit der Digitalisierung der Kommunikation hat sich das Kompetenzproblem noch vergrößert. Einrichtungen wie der Rundfunk können mittlerweile nur noch von unabhängigen Experten angemessen kontrolliert werden. Der Umgang mit Milliardensummen, mit Medienrecht, mit Europarecht, Kenntnisse über das Funktionieren von Algorithmen, von Plattformen, die Einschätzung von Nutzen und Risiken von Künstlicher Intelligenz erfordern spezielle Kenntnisse, die zu erlangen selbst für hauptamtlich Tätige nicht leicht ist.

    Macht es nach dem Rückblick auf die Grundprinzipien und ihr Schicksal angesichts substanzieller Schwächen Sinn, Prinzipien neu zu beleben, die vor 70 Jahren den Nachkriegsrundfunk in einer Situation, die der heutigen nicht vergleichbar ist, bestimmt haben? Man kann einen solchen Ansatz als Rückschritt, als Rückständigkeit, als Naivität diskreditieren. Tatsächlich jedoch macht eine Rückbesinnung ebenso viel Sinn wie die Erinnerung an die Grundlagen einer Demokratie, die nicht jeden Tag neu erfunden, sondern nur neu “angewandt” werden müssen. Geschichtsvergessenheit ist ein törichter Verzicht auf bessere Einsichten.

    Was die Verbindung des Rundfunks mit dem Föderalismus betrifft, so wäre sie wieder produktiv zu gestalten, wenn es den Ländern gelingen würde, ihre Egoismen im Wettbewerb untereinander wenigstens einzudämmen. Das Verfahren, auf Entwicklungen des Rundfunks produktiv mit echten Reformen zu reagieren, sollte neu aufgesetzt werden. Abstimmungsverfahren der “Ländergemeinschaft” müssten so verändert werden, dass es nicht mehr zu Blockaden kommen kann, dass nicht mehr der Langsamste das Tempo für alle vorgibt. Ein “Länderrat Medien” könnte ein Anfang sein, um die inzwischen offensichtlichen Schwächen des Länder-Regimes zu beseitigen. Die Frage ist allein, ob die Länder das wollen. Und zwar alle.

    Verzichten sollten die Länder auf eine Einmischung oder gar Entscheidungskompetenz, was die Höhe der Haushaltsabgabe betrifft. Die gegenwärtige Praxis ist die verdeckte Aufkündigung der Staatsferne. Denn es kann nicht bezweifelt werden, dass der Einfluss auf die Höhe der Mittel zugleich auch ein Einfluss auf die Qualität des Programms ist. Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, müsste der Vorschlag der KEF verbindlich sein.

    Zentrale Einrichtungen

    Bevor Teile des Rundfunks (auf staatsvertraglicher Basis) in eine überregionale Einrichtung eingebracht werden, in der allein das Überregionale eine Rolle spielt, sollte untersucht werden, wie viel konkrete Zeit und wie viel Geld dann eingespart werden könnten. Auch zentrale publizistische Einrichtungen sind, wie man an dem Aufwand für die Bundespolitik ablesen kann, nicht von Natur aus billiger als föderale.

    Ein zentraler Rundfunk ist inzwischen keine Horrorvorstellung mehr. Nur: Das eine nicht zu tun, aber das andere auch zu lassen, ist keine Option. Organisatorisch gesehen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, eine Verbindung mit dem Föderalismus zu halten und gleichzeitig “zentrale” Einrichtungen zu schaffen. Ein Beispiel für diesen Weg war schon immer das ZDF.

    Das weiche Postulat der Staatsferne ließe sich durch einen Machtverzicht der politischen Parteien leicht realisieren. Doch ob eine solche Anstrengung Sinn machen würde, kann man bezweifeln. Denn die bis heute gewählte Art der Kontrolle des Rundfunks, der ehrenamtliche Rundfunkrat, hat aus den erwähnten Gründen keine Zukunft. Er sollte komplett ausgetauscht werden durch ein Gremium von externen Experten.

    Um Schwächen im Programm heilen zu können, braucht es zunächst das Eingeständnis, dass es diese Schwächen, sichtbar und beschreibbar, tatsächlich gibt. Erst dann können sich die Programmverantwortlichen von der populistischen Annahme verabschieden, man könne ja gar nicht wissen, was Qualität sei. Was man ganz sicher wissen kann: Qualität fällt nicht vom Himmel, sie wächst langsam.

    Die Interviews von Günter Gaus

    Man kann sie auch definieren und zwar als Oxymoron, als objektive Meinung. Man muss dazu nur preisgekrönte Produktionen genauer ansehen. Man kann zu einer solchen Fortbildung die Archive der Sender benutzen wie eine Bibliothek. Man kann sich vor Augen führen, warum und wie Günther Gaus Interviews geführt und Peter Merseburger “Panorama” moderiert hat. Worin bestand die Kunst von Georg Stefan Troller, der 70 “Personenbeschreibungen” produziert hat? Warum hat Roman Brodmann vier Grimme-Preise bekommen? Weshalb vergibt die Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen auf Betreiben von Michael Schmid-Ospach seit 2002 ein Gerd-Ruge-Stipendium? Wie wichtig war für Wolfgang Menge die Genauigkeit von Dialogen? Und dann durch Schauen lernen.

    Es gibt Genres, die das Programm überziehen wie Moos einen ungepflegten Rasen. Hier sollte man entschlossen vertikutieren. Für manche lang laufenden Serien gilt die Beobachtung von Stanislav Lec: “Es gibt Stücke, die so schwach sind, dass sie aus eigener Kraft nicht vom Spielplan herunterkönnen.” Und es gibt die Midnight-Doku, die nie erlebt hat, was Primetime heißt. Entscheidend aber ist das Argument, dass Qualität und Relevanz immer auch mit den eingesetzten Mitteln zu tun haben.

    Gutes Programm kostet Geld. Ein Fernsehspiel in 21 Tagen zu produzieren mit einem Ton, für den man ein Hörgerät braucht, ist ein Bekenntnis zum unteren Durchschnitt. Fernsehen hat, was leicht überhört wird, immer auch mit Sprache zu tun, die nichts zu tun hat mit Slang. Sprache braucht Pflege. Es gibt “Tagesschau”-Sprecher, die Charisma auf der zweiten und Konsens dafür auf der ersten Silbe betonen. Aber es gibt auch Sportreporter, die Redensarten erfunden haben wie Marcel Reif: “Er hat alles richtig gemacht.”

    Regelmäßige TV-Kritik

    Es gibt Kleinigkeiten wie den Verzicht auf das Bildgeschnetzelte, das man Trailer nennt, auf Beiträge in Nachrichtensendungen, die nichts anderes sind als ein verdeckter Programmhinweis. Man kann sich Referenzproduktionen ausleihen und besichtigen, hineingreifen in das Arsenal der Merkmale von Qualität und Relevanz.

    Vieles wäre leichter, wenn es eine regelmäßige TV-Kritik gäbe, die mehr zustande bringt als Noten für “Hart, aber fair” und Nacherzählungen von “Markus Lanz“. Doch auf der Metaebene gibt es zunehmend Leerstellen. Nahezu lautlos verabschiedeten sich die “Mainzer Tage der Fernsehkritik” (1968 bis 2011) und das “Medienforum Köln” (1987 bis 2018, zuletzt als Taschenausgabe einer etwas größeren Idee, epd 48/18). Die “Funkkorrespondenz”, später “Medienkorrespondenz”, wurde durch den digital erscheinenden “KNA-Mediendienst” ersetzt. Die Präsenz des Rundfunks als Thema in den Zeitungen nahm ab. Medienseiten wurden abgeschafft, zuletzt beim “Tagesspiegel” (epd 48/22). Und dem Grimme-Institut droht wieder einmal die Insolvenz (epd 47/23). Der Mediendiskurs hat sich komplett auf die Digitalisierung geworfen.

    Eine Rückbesinnung auf die Vorstellungen, die den Rundfunk stark gemacht haben, ist freilich nur ein Schritt in die Zukunft und vermutlich der einfachste. Denn es hat sich ja nicht nur der Rundfunk verändert. Neben den immer wieder analysierten Problemen und den immer wieder versäumten Lösungen ist die Welt, als ganze und in ihren Einzelteilen, heute eine völlig andere als nach dem Zweiten Weltkrieg. Derzeit befinden wir uns mitten in einer globalen Zeitenwende, die die meisten gesellschaftlichen und privaten Einrichtungen und Lebensformen unter Druck setzt oder auf den Kopf stellt.

    Begonnen hatte die öffentliche Wahrnehmung eines Wandels mit der Studie “Grenzen des Wachstums”, die der Club of Rome 1972 vorgelegt hat. Begleitet wurde diese Anzeige von einer schwindenden Bindekraft der gesellschaftlichen Institutionen. Immer stärker verlangte eine globale Klimakrise die Aufmerksamkeit der politischen Akteure. Regionale Kriege, asymmetrisch und voller Verachtung für das Völkerrecht, haben aus dem Kalten Krieg eine Wunschvorstellung gemacht. Dass eine Handlung “regelbasiert” erfolgt, ist nicht mehr das Übliche.

    Neue Plattformen
    Zur selben Zeit begann die Digitalisierung der privaten und öffentlichen Kommunikation. Nicht zuletzt durch sie verursacht, gibt es neue Orte und vor allem neue Verfahren für die Ausübung politischer Macht. Es gibt neue Plattformen, für die es aber weder eine alte noch eine neue Regulierung gibt, dafür umso mehr rechtsfreie Räume, in denen neue Anbieter unbehelligt von staatlichen Vorgaben Tag und Nacht Fakten schaffen.

    Informationen müssen nicht mehr belegbar sein. Jede könnte, um das Wort “Lüge” zu vermeiden, Fake News sein. Es gibt neue Quellen für Informationen aller Art, aber erst wenige Einrichtungen, die das Wasser prüfen. Dabei gibt es jede Menge Schmutzwasser. Es gibt neue Möglichkeiten, neue Orte, neue Geräte und auch neue Tageszeiten, um sich zu unterhalten. Linear war gestern. Es gibt neue Foren der Kommunikation, die das Private und das Öffentliche bedenkenlos mischen. Cancel culture und Leitkultur treffen sich im Bekenntnisbad. Endlich ist jeder Empfänger auch Sender. Meistens anonym, selten transparent. Aber ist das wirklich so gut, wie Brecht geglaubt hat?

    Dieser für seine Auslöser profitable Wildwuchs wird kaum gestört von demokratisch gewählten Regierungen. Von einer Öffentlichkeit, die sich für kritisch hielt, wurde er – wer wollte denn ein Feind des Neuen sein? – lange übersehen. Seine Apologeten galten als “Gurus”, die in schnell geschriebenen Büchern von einer schönen, neuen Welt erzählten und inzwischen von diesem Glauben abgefallen sind. Die Akteure, angeführt von den Big Five, warten ungeduldig darauf, dass Kommunikation und Ökonomie endlich ihren Bund fürs Leben schließen. Sie machen ihre Geschäfte im unkontrollierbar Unsichtbaren.

    Politische Macht hat sich im großen Stil in riesige Konzerne verlagert, ohne dass es im Zuge der Machtverschiebungen zu einer entsprechenden Regulierungspraxis gekommen wäre. Nur in ihren öffentlichen Anhörungen werden die CEOs kurzfristig analog, kostümieren sich als weltweit tätige Glücksbringer, und wenn sie reden, fühlt mancher sich an den “Stechlin” erinnert: “Sie sagen ‘Christus’ und meinen Kattun.”

    Neue Einbettung
    Die Frage ist, wie sich ein gewinnresistenter öffentlich-rechtlicher Rundfunk in dieser veränderten Welt behaupten kann, finanziell, inhaltlich, organisatorisch und politisch. In einer Medienwelt, in der alles überall für jeden gleichzeitig und scheinbar gratis verfügbar, in der nichts mehr linear ist. Er braucht, bei aller Unabhängigkeit, was seine Programme betrifft, eine neue “Einbettung”, die ihn ähnlich schützt, wie einst die Bundesländer und das Bundesverfassungsgericht.

    Es wäre zu früh, wieder einmal die wohlfeile Metapher von der Quadratur des Zirkels zu bemühen. Die Einstellung, etwas nicht tun zu wollen, nur weil man es für unmöglich hält, hat die Menschheit ein paar Millionen Jahre zu lange auf den Bäumen gehalten. Trotz aller Unsicherheiten: Je stärker der heute existierende Rundfunk gemacht werden kann, wenn er sich an seine Wurzeln erinnert, desto eher wird es möglich sein, ihn in die digitale Welt zu überführen. Dann freilich nicht in jenem traurigen Sinn, den das Wort “Überführung” auch haben kann.

    (Foto: Picture Alliance / Panama Pictures, Christoph Hardt)

    Alle Beiträge aus der Reihe “Das Beste aus epd Medien bei turi2” >>>

  • “Werden es wieder tun”: CDU Sachsen-Anhalt droht mit erneuter Blockade der Beitragserhöhung.

    Blockade: Die CDU in Sachsen-Anhalt will eine Erhöhung des Rundfunk­beitrags um 58 Cent ab 2025 wie 2020 blockieren, sollte es keine Reformen geben, kündigt Markus Kurze im Landtag in Magdeburg an. Zwei Jahre lang soll der Beitrag sich nicht verändern. Die FDP schlägt derweil vor, Werbung in den Online-Angeboten des ÖRR zu erlauben, um die Einnahmen­seite zu verbessern. Die Linken plädieren für eine Finanzierung aus Steuer­geldern. Derweil spricht sich Medienminister Rainer Robra, ebenfalls von der CDU, für eine Schließung des Deutschlandradio-Funkhauses in Köln aus: Auf die teure Sanierung “dieser Bruchbude in Köln” solle verzichtet werden.
    mdr.de, sueddeutsche.de, mz.de

  • Zitat: Julian Nagelsmann kritisiert Wortwahl in den Medien.

    “Ich lese wenig, auch weil ich die Wortwahl in manchen Medien grenz­überschreitend finde. Begriffe wie ‘Versager’, ‘Schwächling’ oder andere den Charakter beschreibende Beurteilungen.”

    Bundestrainer Julian Nagelsmann spricht im “Spiegel”-Interview über das “teilweise grausame Bewerten” in der Bericht­erstattung. Er ist überzeugt, die Gesellschaft wäre besser, “wenn wir nicht ununterbrochen über alles meckern würden”.
    spiegel.de (€)

  • Polizei findet Alexandra Föderl-Schmid lebend.


    Entwarnung: Die “Süddeutsche”-Vize Alexandra Föderl-Schmid ist am Leben. Ein Polizist fand die vermisste Journalistin heute gegen 11 Uhr unter einer Brücke in Braunau am Inn in Österreich. Sie wurde stark unterkühlt ins Kranken­haus gebracht und befinde sich außer Lebens­gefahr. Die Meldung löst große Erleichterung bei der “SZ” aus. “Redaktion und Verlag sind überaus erleichtert und froh”, heißt es in einem Statement. Der Verlag bitte um Verständnis, dass man “nach bangen Stunden der Ungewissheit und Momenten der Erschütterung” sich aktuell nicht weiter äußern werde. Man stünde im engen Kontakt zu ihrer Familie.

    Auch in der Medien­branche ist das Aufatmen groß. ORF-Journalist Yilmaz Gülüm ruft bei X dazu auf, ihr unter dem Hashtag #flowerrain positive Nachrichten zu schicken. “SZ”-Autor Werner Reisinger ist froh, dass seine Chefin lebt: “Ich habe Alexandra so viel zu verdanken.” “Standard”-Korrespondentin Maria Sterkl könne kaum beschreiben, wie erleichtert sie ist: “Ich wünsche Alexandra, dass man ihr jetzt Ruhe gönnt und sie den Rückhalt erfährt, den sie verdient.” Rainer Esser, Geschäfts­­führer des Zeit Verlags, mahnt bei Linked-in: “Könnte dies nicht ein dringender Weck­ruf sein, uns an die Bedeutung von Mit­gefühl und Vergebung auch bei kleinsten Fehl­­tritten zu erinnern?”

    Föderl-Schmid galt seit Donners­tag als vermisst. Die Polizei hatte zunächst einen Suizid befürchtet. Voraus­­gegangen waren dem Fall Plagiats­­vorwürfe gegen die Journalistin.
    zeit.de, sueddeutsche.de, krone.at (Gülüm), twitter.com (Reisinger), twitter.com (Sterkl), linkedin.com (Esser), turi2.de (Background)

    Haben Sie düstere Gedanken oder fühlen sich in einer vermeintlich ausweglosen Situation? Hier finden Sie Hilfe.

  • Zitat: Rainer Esser ermahnt im Fall Föderl-Schmid zu “Mitgefühl und Vergebung”.

    “Könnte dies nicht ein dringender Weck­ruf sein, uns an die Bedeutung von Mit­gefühl und Vergebung auch bei kleinsten Fehl­tritten zu erinnern? Eine ein­dringliche Mahnung, uns von Hass und Schaden­freude abzuwenden, um stattdessen einen Pfad der Mensch­lichkeit und des Verständ­nisses zu beschreiten?”

    Rainer Esser, Geschäfts­führer des Zeit Verlags, zeigt sich auf Linked-in “zutiefst erschüttert über das mut­maßliche Schick­sal” der “wunder­baren Kollegin” Alexandra Föderl-Schmid. Die Vize-Chef­redakteurin der “Süd­deutschen Zeitung” gilt seit gestern als vermisst, die Polizei befürchtet einen Suizid.
    linkedin.com via meedia.de

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  • Wir graturilieren: Rainer Esser, Thomas Kaspar, Adrian Pickshaus, Oliver Adrian.

    Wir graturilieren den Geburts­tags­kindern des Tages: Rainer Esser, Geschäfts­führer der Zeit Verlags­gruppe, zelebriert seinen 67. Geburts­tag. Thomas Kaspar, Chef­redakteur der “Frankfurter Rund­schau”, ab Februar wieder bei seinem vorherigen Arbeit­geber Ippen Digital, wird 56. Adrian Pickshaus, Direktor Kreation bei Studio ZX, feiert seinen 46. Geburts­tag. Oliver Adrian, Sales Director beim nationalen Vermarktungs­team von IQ Media, begeht seinen 57. Ehren­tag.

  • turi2 am Abend: ZDF, Franz Beckenbauer, RBB.


    Gericht spricht Bewährungs­strafen nach Angriff auf ZDF-Team bei Corona-Demo aus.
    Gewaltige Verwechslung? Rund vier Jahre nach einem Angriff auf ein TV-Team des ZDF am Rande einer Corona-Demo sind drei Männer und eine Frau zu Bewährungs­strafen von zwei Jahren verurteilt worden. Das Amts­gericht Tier­garten setzt zudem ein Schmerzens­geld von je 5.000 Euro fest. Die Ange­klagten hatten am 1. Mai 2020 in Berlin ein Team der “heute-show” mit Eisen­stangen geschlagen und getreten. Kabarettist Abdelkarim hatte bei der Demo Interviews geführt, ein Kamera­team sowie Security-Leute beglei­teten ihn. In einer Dreh­pause seien plötzlich 15 bis 20 Vermummte auf die Gruppe zuge­rannt, berichtet Regisseur und Autor Claudio L. vor Gericht. Sechs Personen wurden verletzt. Vor Gericht sagen die Angeklagten, sie hätten das TV-Team mit “Personen aus dem rechten Spektrum” verwechselt. Die Richterin sagt, sie “wüsste wirklich gern, warum das passiert ist”, aller­dings schweigen die Angeklagten dazu.
    weiterlesen auf turi2.de, rbb24.de, sueddeutsche.de (€), turi2.de (Background)

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    Nach der Harenberg-Pleite geht´s weiter.
    Media Control, das Fachmagazin „Buchmarkt“ und der SPIEGEL haben sich zusammengetan und eine Vereinbarung geschlossen. Interessante Details hier.

    – NEWS –

    Franz Beckenbauer, 78, ist tot. Die Fußball­legende starb am Sonntag, teilt seine Familie der dpa mit. 1974 wurde er als Spieler Welt­meister, 1990 als Trainer. Als Funktionär holte er die WM 2006 nach Deutsch­land. Wegen gesund­heitlicher Probleme hatte er sich zuletzt aus der Öffentlich­keit zurück­gezogen. Die ARD-Doku “Beckenbauer” blickt auf das Lebens­werk des “Kaisers” und läuft heute – zufälliger­weise im regulären Programm – um 20.30 Uhr im Ersten. Zuvor strahlt der Sender einen “Brennpunkt” zu den Bauern-Protesten aus.
    focus.de, ardmediathek.de (89-Min-Video, Doku), presseportal.de


    Ruhegeld-Revival: Der frühere RBB-Betriebs­direktor Christoph Augenstein klagt vor dem Arbeits­gericht Berlin erfolgreich gegen seine außer­ordentliche Kündigung. Der Sender muss ihm bis zur Rente 2030 monatlich 8.900 Euro Ruhe­geld zahlen. Der RBB hatte die Trennung von Augenstein u.a. damit begründet, dass er in der Schlesinger-Zeit eine Zulage für den ARD-Vorsitz in Anspruch nahm.
    medien.epd.de (€), turi2.de (Background)


    Springer-Stress? Ein Bericht von “Business Insider” über Plagiate in der Disser­­tation von Ex-MIT-Professorin Neri Oxman führt zu “ernst­­haften Spaltungen” zwischen der Führungs­riege von “BI” und Springer, berichtet “Semafor”. Demnach werde debattiert, ob der Artikel als anti­­semitisch gesehen werden könne. Laut Springer-Sprecher Adib Sisani gebe es “Fragen zur Motivation und zum Prozess hinter dem Bericht”.
    semafor.com, businessinsider.com (Oxman-Bericht)


    KI-Kopf: Der “Spiegel” macht den bisherigen Audio-Chef Ole Reißmann zum haus­eigenen KI-Experten. In der neu geschaffenen Position verant­wortet er die strate­gische Planung, Entwicklung sowie Steuerung von KI-Projekten und soll Leit­­linien zum Umgang mit KI in der Redaktion verfassen. Das Audio-Ressort leitet künftig Yasemin Yüksel.
    gruppe.spiegel.de


    Sport vom Discounter: Aldi trommelt für die App Aldi Sports mit einer Digital-Kampagne. Der Spot von Regisseur Saman Kesh zeigt träge Couch-Kartoffeln, die sich zum Jahres­wechsel mit der App zu mehr Bewegung motivieren. Die Kampagne läuft Out of home, Online, Social und bei Spotify.
    aldi-sued.de, youtube.com (48-Sek-Video)


    Wagen­knechte: Namens­geberin Sahra Wagenknecht führt ihre Partei mit der früheren Linken-Politikerin Amira Mohamed Ali. General­­sekretär ist Christian Leye, eben­falls Ex-Linke. In den Europa­­wahl­­kampf zieht die Partei mit dem ehe­ma­ligen Linken EU-Abgeord­neten Fabio De Masi und Ex-SPDler Thomas Geisel, bis 2020 Ober­­bürger­­meister von Düsseldorf.
    faz.net, tagesspiegel.de


    Kein Heils­bringer: Gesund­heits-Apps helfen oft nur wenig, sagt der Spitzen­­verband der gesetz­lichen Kranken­­versicherung. Laut Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis sei die Bilanz seit dem Start im September 2020 “von Ernüchterung geprägt”. Von den 374.000 digitalen Anwendungen könne nur jede fünfte einen Nutzen nachweisen.
    tagesschau.de


    So wird ein Schuh draus: Der insol­vente E-Trans­porter-Her­steller Street­scooter geht wieder in die Hände von Gründer Günther Schuh. Bis Ende 2025 will die Firma 3.500 E-Liefer­­wagen her­stellen, die Post will im 1. Halb­jahr 700 bis 820 Fahr­­zeuge abnehmen. DHL hatte Street­­scooter Anfang 2022 verkauft.
    handelsblatt.com, turi2.de (Background)


    Pitch-black: Der Berliner Power­point-Rivale Pitch entlässt zwei Drittel seiner 120 Angestellten. Zudem nimmt Gründer und CEO Christian Reber nach sechs Jahren den Hut, schreibt er bei Linked-in. Das Hyper-Growth-Startup solle so profitabel werden. Neuer Chef wird der bisherige CTO Adam Renklint.
    businessinsider.de, linkedin.com


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    “Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktor-Kolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze über­­schritten.”

    Wirtschafts­­minister und Vize­­kanzler Robert Habeck warnt in einem Video vor “Umsturz­­fantasien”, die Extremisten im Schatten der heutigen Bauern­­proteste verbreiten. Es werde sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, “sodass nun auch zuvor Unsagbares legiti­miert erscheint”.
    twitter.com (8-Min-Video), zeit.de


    – COMMUNITY –

    “Die breite Teer­straße, auf der die große Marken-Masse marschiert, mag mit Sicherheit irgendwo hin­führen – aber es ist auch ein Weg, den du dir mit ganz vielen anderen teilen musst. Wenn du abseits der ausge­tretenen Pfade wandelst und dir deinen eigenen Weg durch das Gestrüpp schlägst, dann holst du dir Kratzer, fällst auch mal hin. Aber am Ende bist du umso glücklicher, wenn du am Ziel bist.”

    Michael Götz, Marketing-Chef bei den über­großen Pizzen von Gustavo Gusto, rät im Interview für die Agenda-Wochen 2024, in der Vermarktung unge­wöhnliche Wege einzu­schlagen.
    turi2.de, turi2.de (alle Agenda-Beiträge)


    Meistgeklickter Link heute Morgen: Unter­nehmer Sebastian teNeues, 54, ist tot. Seit 1999 war er Chef des gleich­­namigen, auf Bild­­bände und Kalender spezia­li­sierten Verlags.
    bild.de


    Hör-Tipp: Im Social-Media-Podcast “Haken dran” sprechen Host Gavin Karlmeier und Autor Dax Werner über das Gerücht, Elon Musk konsu­miere im großen Stil Drogen. Karlmeier fürchtet, dass dies als Recht­­fertigung für frag­würdiges Verhalten heran­gezogen werde. Werner glaubt nicht, dass der Tesla-Vorstand Musk zur Rechen­schaft zieht, weil er “too big to fail” sei.
    spotify.com (46-Min-Audio)


    – BASTA –

    Schreibe in Frieden: Microsoft mottet sein Schreib­programm WordPad endgültig ein. Immerhin 28 Jahre hat das Programm durch­gehalten, in der neuen Windows-Version 11 wird es nicht mehr dabei sein. Zum Glück muss WordPad nicht allein über den Jordan gehen: Auf der anderen Seite winken schon WinRAR, ICQ und Winamp.
    heise.de

    Redaktion: Nancy Riegel und Tim Gieselmann

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  • News-Ticker vom 29. November 2023.

    +++ “Besseresser” Sebastian Lege bekommt Studio-Show in der ZDF-Media­thek. presseportal.de +++ Initiative zum AfD-Verbot: Regierung lässt Fake-Video mit Olaf Scholz vom Zentrum für Politische Schönheit sperren. netzpolitik.org +++ Dyn überträgt im Januar alle Spiele der Hand­ball-EM 2024. dwdl.de +++ Kardinal Rainer Maria Woelki gewinnt mal wieder gegen die “Bild”. katholisch.de +++ Immo-Konzern Signa Holding von René Benko meldet Insolvenz an. zeit.de +++

  • Meistgeklickter Kopf gestern nach Tina Hassel war Dagmar Rosenfeld.

    Meistgeklickter Kopf gestern nach Tina Hassel war Dagmar Rosenfeld (Foto), Chefredakteurin der “Welt am Sonntag”. Ihr folgen im Ranking der frühere BMW-Markenchef Jens Thiemer, der Kunden-Vorstand beim Discounter Lidl wird, und Silvie Rundel, die neu in der Geschäfts­leitung des Zeit­verlags ist.
    turi2.de/koepfe (meistgeklickte Köpfe am 23.11.2023)

  • Zeitverlag erweitert Geschäftsführung um Rainer Esser.

    Die zeitigen Vier: Die Zeit-Verlagsgruppe erweitert die Führungsriege um Rainer Esser, der künftig CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung wird. Unterstützung bekommt er von drei neuen Mitgliedern der Geschäfts­führung: Iris Ostermaier (Foto), die erst im Oktober von RTL zur “Zeit” gekommen ist, verantwortet als Chief Financial Officer weiterhin u.a. Finanzen und IT. Christian Röpke wird Chief Product Officer, zusätzlich zu seinem Posten als Geschäfts­führer von Zeit Online. Der bisherige Marketing­chef Nils von der Kall wird Chief Commercial Officer und zeichnet künftig auch fürs B2B-Geschäft verantwortlich. Neu in der Geschäfts­leitung sind Silvie Rundel als Leiterin Unternehmens­kommunikation und Veranstaltungen, Enrique Tarragona als Geschäfts­führer von Zeit Online und Academics sowie Iliane Weiß als Geschäfts­führerin von Studio ZX.
    per Mail

  • Zeit-Online-Vize Sebastian Horn wird Director AI der Zeit Verlagsgruppe.

    Horn voran: Die Zeit Verlags­gruppe macht Sebastian Horn, 39 und seit 2018 Vize-Chef­redakteur von Zeit Online, zusätzlich zum KI-Chef. Die Position ist neu, Horn soll u.a. die KI-Strategie der Gruppe verant­worten. Er berichtet an Zeit-Verlags­chef Rainer Esser. Horn habe inner­halb der Holtzbrinck-Gruppe “bereits zahl­reiche erfolg­reiche KI-Projekte auf den Weg gebracht”, so Esser.
    zeit-verlagsgruppe.de

  • Aus der zweiten Reihe – Wie sich das neue Sport-Portal Dyn etablieren will.


    Schöne neue Sportwelt: Im August ist der vom ehemaligen DFL-Manager
    Christian Seifert gegründete Sport-Streaming­dienst Dyn gestartet, der sich auf Hand­ball, Basket­ball, Volley­ball, Tisch­tennis und Hockey konzentriert. Die Plattform ist eine “auf den ersten Blick übersichtliche Welt ohne besonderen Schnick­schnack”, schreibt Journalist Thomas Gehringer (rechts im Bild) bei epd Medien. Sympathisch sei, dass es keine Hierarchie der Ligen und Vereine gebe und “ein Spitzen­spiel im Hand­ball nicht größer angekündigt wird als ein Abstiegs­duell im Tisch­tennis”. Um ein größeres Publikum zu erreichen, bräuchte Dyn aber Länder­spiel­rechte, analysiert Gehringer. Zudem vermisst er kritische Recherchen und journalistische Distanz. turi2 veröffentlicht seinen Beitrag in der Reihe Das Beste aus epd Medien bei turi2.

    Von Thomas Gehringer / epd Medien

    Es gibt noch Welten jenseits des Fußballs. Die neue kleidet sich in die Grundfarbe Blau, ist nach einer alten physikalischen Einheit für Kraft benannt und klingt wie ein besitzanzeigendes Fürwort: Dyn (gesprochen: Dein) ist das neue Streamingportal von Axel Springer und dem früheren DFL-Geschäftsführer Christian Seifert, das Ende August seinen Betrieb aufnahm. Das kumpelhafte Duzen ist keine übertriebene Ranschmeiße, denn wenn man sich durch die Formate in den hier versammelten Sportarten Handball, Basketball, Volleyball und Tischtennis zappt, wird klar: Hier duzen sich alle, Moderatorinnen und Kommentatoren, Sportlerinnen und Sportler.

    Es dominiert eine harmlos-fröhliche Nahbarkeit, die Gemeinde versammelt sich, und man fragt sich schnell: wer soll das jemals sehen wollen – außer den jeweiligen Fans? Sympathisch jedenfalls, dass auf dem Dyn-Portal eine Hierarchie der Ligen und Vereine nicht erkennbar ist, dass ein Spitzenspiel im Handball nicht größer angekündigt wird als ein Abstiegsduell im Tischtennis und dass die Volleyballerinnen von den Ladies in Black Aachen nicht weniger wert zu sein scheinen als zugkräftige Vereine wie der THW Kiel im Handball oder Bayern München im Basketball.

    Wer sich also das Abo für 150 Euro im Jahr (14,50 Euro pro Monat kostet das monatlich kündbare Abo) leistet, wird in eine auf den ersten Blick übersichtliche Welt ohne besonderen Schnickschnack geleitet. Dyn präsentiert sich aufgeräumt, unterteilt in rechteckige Kästchen, sauber angeordnet in geraden Reihen. Man wird weder mit Werbebannern noch mit marktschreierischen Schlagzeilen belästigt. Die zweite Liga des Sports, ganz nüchtern optimiert für die mobile Nutzung.

    Der Bildschirm, der in dem kleinen Dyn-Studio im Düsseldorfer Medienhafen an der Wand hängt, hat die Form eines übergroßen Smartphones. Die Grundfarbe im Studio ebenso wie in der App oder auf der Website ist Blau, aber die bunten Vereinslogos in der “Live & Demnächst”-Übersicht oder die quadratischen Flächen in Rot (Tischtennis), Orange (Basketball), Türkis (Handball) und Blassgelb (Volleyball), die für verschiedene Talk- und Highlightformate stehen, sorgen dafür, dass das Dyn-Portal nicht allzu kalt wirkt. So bunt, wie die Farben suggerieren, ist die Formatwelt bei genauerem Hinsehen aber nicht.

    Länderspielrechte fehlen
     
    Dyn hat Großes vor, will “Home of Handball” und “Home of Basketball” werden sowie “nachhaltig die deutsche Sport- und Medienlandschaft positiv verändern”, wie Seifert im Juli sagte. Im Schatten des übermächtigen Fußballs will sich Dyn als zentrales Portal für die zweite Reihe etablieren. Der Anfang ist gemacht, aber der Weg zur “Heimat” ist noch weit, denn um wirklich über die Fanbasis der Vereine hinaus Publikum zu gewinnen, bräuchte es wohl Länderspielrechte. Und über die verfügen weiterhin andere.

    Den sensationellen Siegeszug der deutschen Männer bei der Basketball-WM im Sommer konnte man nur bei Magenta TV verfolgen, für das Endspiel hatte das ZDF eine Sublizenz von der Telekom erworben. Und wenn im Januar 2024 die Handballeuropameisterschaft der Männer in Deutschland stattfindet, sind die Spiele bei ARD und ZDF frei empfangbar. Auch Länderspiele im Volleyball und im Hockey sind über Dyn nicht zu empfangen, obwohl die Plattform die Rechte an den Bundesligaspielen hat.

    Im September konnte Dyn immerhin die Mannschaftseuropameisterschaften im Tischtennis zeigen, bei denen das deutsche Frauenteam Gold und die Männer Silber gewannen. Die Spiele, von denen einige mitreißend waren, kann man sich bei Dyn immer noch in kompletter Länge anschauen – allerdings auch kostenlos auf der Website der Europäischen Tischtennisvereinigung ETTU.

    Publizistische Macht von Springer
     
    Exklusivität ist im digitalen Zeitalter nicht mehr alles. Die Ligen erhoffen sich auf allen Ebenen mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei soll nicht nur die publizistische Macht des Springer-Konzerns genutzt werden, der neuerdings Livespiele der Handball- und Basketball-Bundesligen der Männer streamt, um das mäßig erfolgreiche “Bild TV” zu pushen. Auch “Sport Bild” berichtet plötzlich ausführlicher über die Sportarten als bisher.

    Es sollen deutlich mehr Videos, Interviews und andere Formate produziert werden, die andere Medienhäuser, aber auch die Vereine und Ligen selbst auf ihren Online-Seiten oder in den sozialen Netzwerken einsetzen können. Einzelne Livespiele sind außerdem weiterhin kostenlos auch in den Dritten Programmen der ARD oder bei Sport1 zu sehen. Gleichzeitig lockte Dyn mit dem Versprechen, zehn Prozent des eigenen Umsatzes zur Nachwuchsförderung an die jeweiligen Ligen auszuzahlen.

    Der Ruf von Dyn-Gründer Seifert, der bis 2021 mehr als 16 Jahre lang als Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) tätig war und für lukrative Fernsehverträge gesorgt hatte, ist für die Geschäftsstrategie sicher nicht hinderlich. Springer und Seifert – “in dieser Konstellation ist das schon irgendwie ein Killer”, sagte Stefan Holz, Geschäftsführer der Basketball-Bundesliga, Ende September dem Sport-Informations-Dienst. Da hatte sich die “EasyCredit BBL”, wie die Männer-Bundesliga im Sportmarketing-Deutsch heißt, gerade für einen Wechsel von Magenta TV zu Dyn entschieden.

    Zahlen zu Abonnenten und Reichweiten werden zwei Monate nach Sendestart nicht veröffentlicht, weder von Dyn selbst noch von den Ligen. Aber ein Wechsel zu einem anderen Pay-Anbieter ist immer auch mit einigem Risiko verbunden, denn ein Abonnentenstamm will erst aufgebaut sein. “Dyn hat quasi wieder bei null angefangen. Bei der alten Pay-Reichweite, die sich über neun Jahre aufgebaut hat, sind wir nach wenigen Wochen natürlich noch nicht”, sagt Holz dem epd. Alles andere, also die Reichweite vor der Paywall durch kostenlose digitale Inhalte im Netz wie Highlight-Clips oder Interviews, werde nun jedoch massiv gesteigert. “Wir wollen rauskommen aus der Blase – und das funktioniert definitiv”, erklärt Holz.

    “Schulhoftaugliche” Formate gesucht
     
    Manche Basketballfans haben ihren Unmut über den Wechsel zu Dyn bekundet, doch Holz ist nicht beunruhigt. Die Kritiken seien “weit entfernt von einem Shitstorm und völlig normal und erwartbar”. Der Geschäftsführer selbst sieht allerdings in Bezug auf die technische Qualität der mit KI-Software automatisch generierten Highlight-Videos bei Dyn “noch Reserven”. Für die Zukunft hofft er auf “Formate, die schulhoftauglich sein müssen”, also Gesprächsstoff sind bei Kindern und Jugendlichen.

    Auch “neue Gesichter” wären nicht schlecht. “Den Icke suchen doch irgendwie alle. Da braucht man aber Geduld”, sagt Holz. Er spielt an auf Christoph “Icke” Dommisch, der als Netzreporter bei der ProSiebenSat1-Sendung “ran NFL” unter jungen Football-Fans zu einer Art Kultfigur geworden ist.

    Im Basketball zeigt Dyn auch die Spiele im Pokal sowie in der Champions League. Frauenwettbewerbe sind allerdings nicht bei Dyn zu sehen, ebenso wenig wie die anderen europäischen Ligen der Männer. Die Rechte an EuroLeague und EuroCup hält weiterhin die Telekom mit ihrem Portal Magenta TV.

    Die größte Abdeckung erreicht Dyn im Handball. Das Angebot umfasst neben der “Liqui Moly HBL” der Männer auch die Frauen-Bundesliga, die 2. Liga sowie Champions und European League (jeweils Frauen und Männer). Für den Sechsjahresvertrag mit der Handball-Bundesliga (HBL) musste Dyn rund 100 Millionen Euro zahlen. Ein Handballspiel war auch die erste Liveübertragung bei Dyn. Blöd nur, dass der Supercup am 23. August zwischen dem THW Kiel und den Rhein-Neckar Löwen nicht für alle Nutzerinnen und Nutzer ein Vergnügen war, weil es zu Störungen kam, beim Login und auch während des Spiels bei der Übertragungsqualität in bestimmten Browsern.

    Technische Schwierigkeiten
     
    In den ersten Wochen musste Dyn die Übertragungen einzelner Spiele sogar abbrechen oder absagen. Auch bei den technischen Empfangsmöglichkeiten musste Dyn noch nachbessern, erst seit Ende Oktober ist das Angebot auch über den Fire-TV-Stick von Amazon empfangbar.

    Oliver Lücke, Sprecher der Handball-Bundesliga, sagt im Gespräch mit dem epd: “Bei der Sendequalität einzelner Spiele gab es das ein oder andere Defizit. Insgesamt sind wir sehr zufrieden und arbeiten mit den Kolleginnen und Kollegen intensiv an Verbesserungen. Fest steht, dass die Spiele beider Bundesligen noch nie mit mehr innovativer, moderner Technik produziert wurden. Hier setzen wir mit Dyn Maßstäbe.” Tatsächlich lassen sich zum Beispiel über interaktive Tools im Livebild statistische Werte für die Teams und einzelne Spieler abrufen.

    Dyn selbst beschäftigt nach eigenen Angaben “circa 60 Vollzeitangestellte”. Die Bilder in den Topligen in Handball und Basketball liefert ein global agierender Dienstleister, NEP, dessen Zentrale in Pittsburgh und dessen deutsche Niederlassung in München beheimatet ist. Die weniger aufwendigen Übertragungen etwa in der 2. Handball-Bundesliga oder in Volleyball, Tischtennis und Hockey produziert das Düsseldorfer Unternehmen Spontent in Zusammenarbeit mit den Vereinen vor Ort.

    Die Folge ist allerdings auch, dass es keine einheitliche Qualität, sondern eine große Spannweite gibt – auch in der journalistischen Begleitung. Eher kurios muteten zum Beispiel die semiprofessionellen Liveübertragungen im Feldhockey an, die offenkundig mit nur wenigen Kameras und Kommentatoren aus den gastgebenden Vereinen organisiert wurden.

    Kritik an nun kostenpflichtigen Livestreams
     
    Kritische Stimmen von Fans gab es auch im Tischtennis, da für bisher kostenlose Livestreams nun Abogebühren anfallen. Thomas Ohl von der Tischtennis Bundesliga (TTBL) verweist jedoch auf die verbesserte Produktionsqualität durch Spontent und eine noch umfangreichere Tischtennisberichterstattung von Dyn. Alle Spiele würden nun mit einem einheitlichen Standard, mit verschiedenen Kameraperspektiven und Slow.-Motion-Aufnahmen produziert. Außerdem werde die Berichterstattung sowohl live als auch in Form von Hintergrundberichten hochwertiger präsentiert und umfangreicher gestaltet. Die TTBL sei mit dem Start zufrieden und sieht sich “mit Dyn für die Zukunft gut aufgestellt”.

    Ähnlich ist die Situation in der Handball-Bundesliga der Frauen (HBF). Sprecher Tim Andler erklärt, auch hier seien die Produktionsstandards zu dieser Saison angehoben worden. So werde nun mit vier Kameras gestreamt. Den Fan-Ärger, dass die Liverechte nun bei einem Pay-Anbieter liegen, mildern einige weiterhin frei empfangbare Spiele bei Eurosport und Sportdeutschland.TV. Auch Andler spricht von einem “gelungenen Start der Kooperation” mit Dyn.

    Die neue Sportpattform gibt zwar keine Zahlen bekannt, doch Sprecherin Julia Päschke-Bergander sagt dem epd, dass Dyn bisher jedenfalls nicht unter den eigenen Zielvorgaben bleibe: “Wir sind mit unserem Start sehr zufrieden.” Und: “Wir wachsen täglich.” Es gebe eine stetig steigende Nutzung über alle Geräte hinweg. Die Nutzung von Formaten wie “Kretzsche & Schmiso” und die Reaktion darauf seien sehr zufriedenstellend und zeigten, “dass diese Sportarten viele Fans haben, die an einer redaktionellen Begleitung über das reine Livespiel hinaus interessiert sind”.

    Die kostenfreien YouTube-Kanäle von Dyn hatten Ende Oktober jeweils vierstellige Abonnentenzahlen: Spitzenreiter war Dyn Handball mit 8.790 Abonnenten, Dyn Tischtennis kam auf 2.490.

    Nachbesserungen angekündigt
     
    Päschke-Bergander kündigt auch Nachbesserungen an: “Die Highlights der Spiele werden wir demnächst in neuer Form präsentieren. Wir stellen auch fest, dass wir gemeinsam mit den Ligen einige technische Herausforderungen meistern müssen, zum Beispiel an kleineren Standorten oder älteren Hallen. Das ist unabdingbar, um dauerhaft eine professionelle und verlässliche Medienproduktion zu ermöglichen.” Dyn peile zudem eine Erweiterung des eigenen Angebots an: “Wenn der Erwerb der Rechte an internationalen Turnieren wirtschaftlich sinnvoll ist, dann ist Dyn definitiv auch daran interessiert.”

    Rund um Liverechte und Social-Media-taugliche Highlight-Clips baut Dyn eine Formatwelt auf, die vor allem auf Insider-Expertise und Nähe zu den Stars setzt. Vielfach werden ehemalige Sportler journalistisch tätig, man kennt das vom Fußball. Da gibt es einfache Vodcasts wie “Captain & Coach” mit dem ehemaligen Trainer Stefan Koch und Ex-Profi Basti Doreth, die sich aus der Ferne an ihren Bildschirmen über die sportliche Situation in der Basketball-Bundesliga unterhalten. Zudem gibt es wöchentliche Magazine, die aus dem Düsseldorfer Studio recht brav und weitgehend unkritisch das Geschehen am vergangenen Wochenende aufbereiten. Mit begrenztem Aufwand wird hier verwertbarer Content für die verschiedenen Ausspielwege geschaffen.

    Dyn knüpft auch an bereits in den jeweiligen Communitys bekannte Angebote an, etwa bei “Dyn Skill” mit Basketballer Paul Gudde, dessen Youtube-Channel 15.500 Abonnenten hat und der nun auch bei Dyn in kurzen Videos Spielzüge und Bewegungsabläufe erläutert und praktisch vorführt.

    Ambitioniertere Formate sind “Dyn 360” oder “Dyn Gametime”. “Dyn 360” bietet längere persönliche Interviews, für “Dyn Gametime” werden Profis jeweils am Tag vor einem Spiel mit der Kamera begleitet. Und wenn es sich dabei um den Ausnahmesportler Timo Boll handelt, der wegen seiner zahlreichen internationalen Erfolge nicht nur Tischtennisfans bekannt sein dürfte, erreicht das Dyn-Angebot auch Interessierte über die eigene Blase hinaus.

    Originelle Ideen sind rar
     
    Mit “Dyn Overtime” versucht sich die Plattform an einem 14-tägigen sportartübergreifenden Format, das gern eine Art Mini-Late-Night-Show sein möchte – mit großem Moderationsschreibtisch, einem Studiogast und dem aufgekratzten Gastgeber Kevin Gerwin, der auch als Comedian, Magenta-Sport-Kommentator und Stadionsprecher aktiv ist, aber ohne Publikum. Originelle Ideen sind allerdings rar, dafür gibt es auch hier die unvermeidlichen Top-Fünf-Listen mit eingebautem Wortspiel (“Voll Dyn Tag”, “Nicht Dyn Tag”) und den kuriosesten Spielszenen aus den fünf Dyn-Sportarten. Auch ein bisschen Promotion darf nicht fehlen: Der Studiogast, Ex-Basketballer und Ex-Bachelor Andrej Mangold darf auf seinen Show-Boxkampf am 4. November in Bonn hinweisen, der bei Bild Plus gestreamt wird.

    Die Handball-Community erfreut sich am Vodcast “Kretzsche & Schmiso”, nicht nur wegen der prominenten Besetzung, sondern weil die Chemie zwischen Florian Schmidt-Sommerfeld und Stefan Kretzschmar stimmt. Schmidt-Sommerfeld, der auch als Kommentator bei Sky und auf anderen Plattformen tätig ist, und Ex-Nationalspieler und Füchse-Berlin-Manager Kretzschmar können sich auch mal mit Selbstironie über den offenbar geforderten Anspruch, boulevardesk aufzutreten, lustig machen.

    Beim redaktionellen Personal setzt Dyn auf eine Mischung, die zumindest bei HBL-Sprecher Oliver Lücke gut ankommt. Er bezeichnet die Zusammensetzung des Redaktionsteams als “bisher einmalig” und beschreibt sie als ein “Mix aus erfahrenen Kommentatoren und Experten, bekannten Gesichtern und einer Crew aus jungen, hungrigen Journalistinnen und Journalisten”. Frauen sind allerdings auch bei Dyn notorisch unterrepräsentiert: 46 Namen stehen auf der “On air”-Liste, darunter gerade mal sieben von Frauen. Unter ihnen stechen die junge Hannah Nitsche und die erfahrene Anett Sattler (Sport1, Magenta) als Moderatorinnen heraus.

    Boulevardeske Verwertbarkeit
     
    Am Mikrofon zu hören ist auch Florian Naß, der bei der ARD weiterhin Handball, Fußball und die Tour de France kommentiert. Und Influencer Sebastian “C-Bas” Meichsner (“Bullshit TV”) gibt bei Dyn den seriösen Basketballkenner, der das Magazin “Nothing But Net” moderiert.

    Der Anfang ist gemacht, und vielleicht trägt Dyn im Verbund mit Springer dazu bei, dass manche Sportarten trotz der marktbeherrschenden Stellung des Fußballs, an der Christian Seifert nicht ganz unschuldig ist, eine größere Medienpräsenz gewinnen. Aber es kann auch nicht nur um Reichweite, Umsatz und die ehrenvolle Nachwuchsförderung gehen. Dyn wirkt noch wie eine geschlossene und mit sich selbst beschäftigte Sportwelt. Dass die enge Verbindung zu Springers “Bild” und seinen Ablegern nicht nur boulevardeske Verwertbarkeit zulassen könnte, sondern womöglich sogar umfassende Recherchen zu kritischen Themen aus journalistisch gebotener Distanz, darauf deutet eher wenig hin.

    Aus dem Rahmen fiel bisher einzig der Dokumentarfilm “Fremde Heimat” über den ukrainischen Handball-Meister Motor Saporischja, der aufgrund des Krieges mit Russland außer Konkurrenz in der deutschen 2. Bundesliga mitspielen durfte. Autor Tim Passgang begleitete Trainer und Spieler im Düsseldorfer Exil. Eine Eigenproduktion von Dyn war das allerdings nicht. Die Plattform übernahm “Fremde Heimat” von Geschäftspartner Spontent, der den Film im Auftrag von D.Sports, Düsseldorfs städtischer Sportmarketing-Gesellschaft, produziert hatte. Mal über den eigenen Horizont hinauszublicken, das täte Dyn noch häufiger gut.

    Header-Foto: Malte Ossowski/ Sven Simon / Picture Alliance; epd; Collage: turi2

    Alle Beiträge aus der Reihe “Das Beste aus epd Medien bei turi2” >>>

  • P7S1-Großaktionär MFE begrüßt “erheblich verbesserten” Dialog und kritisiert die frühere Strategie des Konzerns.

    Geht doch: ProSiebenSat.1-Großaktionär Media for Europe zeigt sich zufriedener, was die Zusammen­arbeit mit dem TV-Konzern angeht. Der Dialog habe sich “weiter und erheblich verbessert”, sagt Deutschlandchefin Katharina Behrends der “Süddeutschen”. Es gebe jetzt “zum Beispiel erste Arbeitsgruppen für verschiedene Bereiche”. Das Verhältnis zwischen MFE und ProSiebenSat.1 war unter Rainer Beaujean, dem Vorgänger von Bert Habets, angespannt. Mit der “Konzentration auf den Aufbau einer Streaming-Plattform” seien die Prioritäten inzwischen “richtig gesetzt”. Die frühere Ausrichtung von ProSiebenSat.1 kritisiert Behrends: Bisher sei der Konzern “ein Konglo­merat aus verschiedenen Geschäfts­bereichen, die nicht so recht zusammenpassen”. Das habe der Firma “in den letzten Jahren bekannter­maßen nicht gutgetan”. MFE hat die Anteile auf 28,9 % hochgestockt, was Stimmrechten in Höhe von 29,7 % entspricht.
    sueddeutsche.de (€)

  • Aus Liebe zum Radio – Stefan Müller über Musiksendungen zwischen Kuration und KI.


    Von Hand ausgewählt: Vor 40 oder 50 Jahren war Radio “das junge Medium schlechthin”, vor allem wegen der Musik­sendungen, schreibt Stefan Müller bei
    epd Medien. Der freie Radio­journalist und Moderator bedauert, dass die von Musik­redakteuren und Musik-Kennerinnen moderierten und kuratierten Radio­sendungen immer seltener werden – auch bei öffentlich-rechtlichen Wellen. Anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Radio in Deutschland blickt Müller auf legendäre Radio-DJs der 70er und 80er zurück, spürt die Perlen der Autoren­sendungen auf und fragt, welche Rolle KI künftig spielen wird. turi2 veröffentlicht seinen Beitrag in der Reihe Das Beste aus epd Medien bei turi2.

    Von Stefan Müller / epd Medien

    Elke Heidenreich denkt noch heute gern zurück an ihre Zeit beim Südwestfunk: “Diese Art von Radio gibt es heute nicht mehr. Und auch nicht mehr diese Art von Zusammenhalt.” Die Moderatorin gehörte Mitte der 70er Jahre zu den Gründungs­mitgliedern der Popwelle SWF3. Als Kind hatte sie das Radio der Nachkriegs­zeit aufgesogen: “Jeder hatte damals seine Lieblingssendung”, sagt sie in dem Buch The Last DJs von Thomas Kraft. Der erste DJ, den sie damals im Radio gehört habe, sei Chris Howland gewesen. Der habe als Mister Pumpernickel nicht nur “witzig moderiert, sondern auch die Songtexte übersetzt, was ich sehr wichtig fand”.

    “Wir müssen Musik als etwas begreifen, das uns ganz tief aus der der Seele, aus der Erfahrung und Historie erzählt”, erzählt Judith Schnaubelt vom “Zündfunk” im BR-Podcast Radio-DJs. Auch Gitti Gülden schwärmt in “The Last DJs” vom Medium Hörfunk: “Als DJ kann man hinter der Musik verschwinden, deshalb ist Radio auch so schön.” Sie saß einige Jahre in Berlin vor dem Mikrofon, die legendäre Show hieß in den 70er Jahren “S-F-Beat”. Bis 2020 war sie später bei den “Nachtclub Classics” auf NDR Blue zu hören.

    Ihre Kollegin Monika Dietl war auf SFB2 Ende der 80er Jahre eine der ersten Radio-DJs, die konsequent elektronische Musik und den frühen Technosound spielten – ihr Erkennungszeichen, vorgetragen mit dezentem fränkischem Akzent: “Shut up and dance”. Das war Kult in West- und Ostberlin.

    Auch der DDR-Jugendsender DT64 mit seiner ganz besonderen Musikauswahl wurde während der Wendezeit als sinnstiftend wahrgenommen. Das zeigten spätestens die Demonstrationen, die sich Anfang der 90er Jahre für seinen Erhalt einsetzten. DT64 brachte skurrile Radio-DJs hervor: Die “lebende Repetiermaschine” Rex Joswig von der Band Herbst in Peking durfte mehrere Jahre lang in der Sendung “Grenzpunkt Null” Dub- und Reggae­klänge mit “spoken words” kombinieren. Sphärische Musik von Adrian Sherwood und Filmsoundtracks trafen dort auf Texte von William S. Burroughs, Dylan Thomas oder Nietzsche. Auch das war Kult. Oder, wie Rex es nannte: “Musik für die geschundene Seele.”

    Der ehemalige Radio-DJ Roderich Fabian sagt von sich, er sei 1987 der Erste gewesen, “der eine ganze Stunde Hip-Hop gemacht hat”. Nach 35 Jahren im “Zündfunk” des Bayerischen Rundfunks hat sich Fabian im Juni in den Ruhestand verabschiedet. Radio sei für ihn schon im Alter von zehn Jahren das wichtigste Medium gewesen, sagte Fabian in der Abschiedssendung. Zum BR kam er über seine Plattensammlung.

    Bemerkenswert ist, dass der BR auch nach der Einführung des jungen Radiosenders Puls noch an der täglichen jugend- und popkulturellen Sendestrecke Zündfunk bei Bayern 2 festhielt. Derzeit wird dort über Änderungen im Programmschema diskutiert. Nach epd-Informationen könnte der “Nachtmix”, der vom “Zündfunk”-Team gestaltet wird, gestrichen werden. Hintergrund ist eine ARD-interne Planung, nach der ab Juli 2024 zwischen 20 und 24 Uhr jeweils vier Stunden musikjournalistisches Radio von vier Sendern gemeinsam gestaltet werden soll. Nach epd-Informationen handelt es sich um Radioeins vom RBB, MDR Kultur, Bayern 2 sowie Bremen Zwei. Die Details, welche Autoren­sendungen dadurch gestrichen werden könnten, sind noch nicht bekannt.

    München war seit den 60er und 70er Jahren ein Mekka für Radio-DJs: Blacky Fuchsberger und Ingeborg Schober moderierten beim BR, später auch Thomas Gottschalk. Im BR-Retropodcast über “70 Jahre Radio-Djs im Bayerischen Rundfunk” lassen sich die Anfänge dieser und anderer Diskjockeys nachhören, gespickt mit Anekdoten der Frauen und Männer am Mikrofon.

    Im Deutschland der Nachkriegszeit waren die Klänge der britischen und amerikanischen Soldatensender AFN (American Forces Network) und BFN – später BFBS (British Forces Broadcasting Service) – essenziell. “Die Art und Weise, wie besonders die amerikanischen Radio-DJs ihre Sendungen moderierten und dabei eine vorher nie gehörte Musik spielten, war aufregend und sensationell neu”, analysiert der Münchener Autor und Radiofan Thomas Kraft in seinem im Oktober 2022 erschienenen Buch “The Last DJs. Wie die Musik ins Radio kam”.

    Werner Reinke erinnert sich in dem Buch an die frühen Jahre des Moderatoren­radios in Deutschland. Wie er zunächst, beeinflusst vom BFBS, in einer Delmenhorster Diskothek Singles auflegte, um dann bei Radio Bremen die Frühsendung als Urlaubsvertretung zu moderieren. Reinke wurde in den 70er Jahren vom damaligen HR-Unterhaltungschef Hanns Verres nach Frankfurt geholt. Sein Markenzeichen war ab 1974 die “Hitparade International” – verewigt auf Tausenden von mitgeschnittenen Kassetten der Babyboomer. Erzählt wird diese Geschichte im Dokumentarfilm Die alte Liebe – oder warum Herr Reinke zum Radio ging von Andreas Heller von 2020.

    Über seine Radioshows im “ARD-Nachtrock” und später im “Nightflight” war der gebürtige Brite Alan Bangs viele Jahre jungen deutschen Radiohörern ein Begriff. Er moderierte mit coolem englischen Akzent. Seinen eklektischen Stil umriss er so: “Ich möchte Leute hören, die sich für bestimmte Sachen interessieren, die sich die Mühe machen, Sachen zu finden, die ich vielleicht sonst nicht hören würde. Die Stücke spielen, weil sie meinen, dass andere Menschen sie einfach hören müssen.”

    Jazz, Reggae, Rhythm and Blues, Rock, Punk, Grunge und später Elektronik: Breit angelegte populäre Musik auch jenseits der Charts zu spielen und zu übertragen, war jahrzehntelang eine unverzichtbare Angelegenheit im Hörfunk. Auf den populären Wellen erreichten Sendungen wie “Rock’n’Jazz” von Guenter Hottmann oder “Der Ball ist rund” mit Klaus Walter sowie der “Kramladen” von Volker Rebell am Abend im HR3-Popformat mehr Hörerinnen und Hörer als auf einer Kulturwelle. Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Menschen über die Jahrzehnte musikalisch von den engagierten Radio-DJs sozialisiert worden sind. Aber es gab viele bleibende Hörerlebnisse und vielleicht so etwas wie “Hörkompetenz”.

    Die Genres wurden vielfältiger, die Radiosender ebenfalls. Die 60er und 70er Jahre waren im Rückblick betrachtet die produktivsten und wichtigsten für die Autoren­sendungen von Radio-DJs. In den 80ern gingen in Deutschland die Privatradios an den Start, aber auch Dutzende nicht­kommerzielle Lokalradios. Deren Macherinnen und Macher füllten musikalische Lücken im vorhandenen Angebot.

    Ab Ende der 90er Jahre erlebten Webradios von engagierten Musikfans einen Boom, angetrieben durch das Format MP3 sowie immer schnellere Internet­übertragungen. Inzwischen gibt es unzählige Webformate, darunter auch qualitativ hochwertige Angebote wie Bandcamp Radio vom gleichnamigen Musik-Digitalshop.

    Spezialisierte Angebot lassen sich auch bei DAB+ finden, dazu zählt unter anderem der Mannheimer Anbieter Sunshine Live, der von der Medien Union Ludwigshafen betrieben wird, mit elektronischer Musik sowie das 80s80s Radio von Regiocast, dessen “80s80s Listening Session” mit Sebastian Voigt und Christian Panck in der neuen Kategorie “Bestes Musikformat” für den Deutschen Radiopreis nominiert war.

    100 Jahre nach der ersten Hörfunksendung aus dem Berliner Vox-Haus im Oktober 1923 wünscht sich eine Leipziger Initiative einen neuen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Musiksender. Motto und zugleich Fragestellung von Melanie Gollin und Martin Hommel: Wo ist hier der Krach? Ihr Wunsch: ein Musikradio nach dem Vorbild von BBC Radio 6 in Großbritannien oder auch FM4 in Österreich: “Ein Sender, dessen Aufgabe es ist, das Land mit interessanter Musik zu versorgen, Hörkompetenz zu bilden und Hörgewohnheiten herauszufordern.”

    Aber gibt es solche Sender nicht längst mit Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova, Zündfunk, WDR 3, Radioeins oder dem vor allem aus Mitgliedsbeiträgen finanzierten ByteFM? Gollin und Hommel sind skeptisch: “Die wenigsten Radiosender erlauben sich noch Autorensendungen”, sagen sie, “also Sendungen, in denen die Moderatoren selbst aussuchen, was sie spielen. Daher wird persönliche Kuration immer seltener. Und das, obwohl sie relevanter denn je sein sollte.”

    Anke Mai, Programmdirektorin Kultur, Wissen, Junge Formate beim SWR und derzeit Vorsitzende der ARD-Audio­programm­konferenz, verweist auf die zahlreichen ARD-Hörfunk­angebote. Generell sei dort “viel Musikprogramm abseits des Mainstreams zu finden”, sagte sie dem epd. Die Frage, ob die ARD einen bundesweiten Musiksender betreiben solle, stelle sich dem Senderverbund nicht, solange der Medien­staats­vertrag die ARD nur mit regionalen Radio­angeboten beauftrage.

    Als ByteFM vor 16 Jahren gegründet wurde, war der Sender zunächst ausschließlich im Internet zu hören. Inzwischen sendet das Musikradio in Hamburg auch auf UKW sowie in Hamburg und Berlin auf DAB+. Gründer Ruben Jonas Schnell, ein Musikjournalist, sagte dem epd, es gebe keinen anderen Sender, der sich ähnlich intensiv und rund um die Uhr mit Musik unterschiedlichster Genres beschäftige, neue und alte Bands in Relation stelle sowie Bekanntes neben Unbekanntem präsentiere.

    Schnell hat selbst lange für öffentlich-rechtliche Sender gearbeitet. Er sagt: “Für konventionelles, werbe­finanziertes Radio ist die persönliche Musikauswahl der Moderatoren nicht relevant.” Auch aus öffentlich-rechtlichen Sendern seien einige Radio-DJs mittlerweile zu ByteFM umgezogen. Entweder weil die öffentlich-rechtlichen Wellen Shows wie “Der Ball ist rund” von Klaus Walter trotz massiver Proteste einstellten. Oder weil sie das Projekt von Schnell brillant finden und zweigleisig fahren.

    Volker Rebell streamt seinen “Kramladen” (früher HR 3, jetzt ByteFM) inzwischen auch als Nonstop-Sendung im Internet. Sein jüngstes Thema: Die Tragödie um Sinéad O’Connor – Porträt und Nachruf. Als Podcast und im linearen Radio ist auch die Autoren­sendung Ex & Pop von Klaus Walter und Diviam Hoffmann bei WDR 3 zu hören. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Themen wie “Sex positivity” oder “Sexploitation”. Eine der jüngeren Sendungen zu Musik und Groupies war laut Walter “unmöglich im Sinne von massen­kompatiblem Radio”. Er dankt seinem Redakteur Markus Heuger für den “Riesen­glücksfall”.

    Der ehemalige Musiker und langjährige Radio-DJ Klaus Fiehe gestaltet beim Jugendsender Einslive vom WDR seit 1996 eine sonntägliche dreistündige Sendung, die inzwischen auch in der ARD-Audiothek zu finden ist: Einslive Fiehe. Er setzt bei seiner Musikauswahl und Moderation auf den “Wundertüten­effekt” und spricht auch mal “Dinge an, die ich gar nicht auf dem Plan hatte”.

    Laut Fiehe gibt es in Sachen Musik “keine Wissens­vorsprünge mehr. Wir müssen anders glänzen!” Sein musikalischer Schatz besteht aus mindestens 40.000 Vinyl­platten. Er bestückt damit aber nur einen kleinen Teil seiner Sendungen, meist stellt er Neuerscheinungen vor, viele aus Großbritannien. Die ARD-Audiothek bewirbt Fiehes Sendung mit dem Satz: “Für viele ist er der deutsche John Peel, er selbst fühlt sich als ‘der Typ, der korrektes Zeug auflegt’.”

    Leider sind solche Sendungen in der ARD selten geworden. Das führt dazu, dass popkulturell sozialisierte Menschen abwandern und ihre Heimat immer häufiger in Musik­streaming­diensten mit ihren ausgeklügelten Algorithmen finden.

    Die ARD-Audiothek ist vor fast sechs Jahren angetreten, um den kommerziellen Streaming­anbietern wie Spotify, Apple Music, Tidal und Deezer Paroli zu bieten. Die Musiksendungen sind unter der Themenkachel Musik entdecken gebündelt. Dahinter verbergen sich viele Schätze von Hip-Hop bis Klassik und Jazz, aber die Kuration und die Auffindarkeit ist mitunter gewöhnungs­bedürftig und ausbaufähig. Auch Melanie Gollin und Martin Hommel finden die ARD-Audiothek zu umständlich. Dort sei es zwar möglich, Musikthemen zu finden, leider brauche es dafür aber zu viele Klicks. Die “BBC Sounds App” funktioniere da besser: “Mit nur einem Klick findet man den aktuellen Musik-Content.”

    Es gebe ein großes Interesse an gut gemachten Musik-Podcasts, an den Geschichten hinter den Alben, den Bands, den Musikerinnen und Musikern, sagt Anke Mai vom SWR. Mit dem Projekt “Audiothek Next” solle die App weiter­entwickelt werden. Ziel sei es, die ARD-Audiothek “zu einer der wichtigsten Audio­plattformen zu machen, was angesichts unseres großartigen und vielfältigen Contents eigentlich kein Problem sein sollte”. Aber natürlich hängt der Erfolg einer solchen Plattform auch von technischen Details und der Publikums­ansprache ab. Anke Mai gibt auch zu bedenken: “Lineares Radio spricht nach wie vor die meisten Menschen an.”

    Zugleich wächst aber auch das Interesse an der Audiothek. Die Zugriffszahlen stiegen nach Angaben von Mai von 5,56 Millionen Visits im Juli 2022 auf 8,49 Millionen im Juli dieses Jahres. Wenn die ARD die Audiothek auf das nächste Level heben will, ist dem Team um den Kanalverantwortlichen Thomas Müller vom SWR zu empfehlen, bei dieser Herkulesaufgabe auch Expertise von außen einzuholen.

    Die Audiothek des Deutschlandfunks setzt derzeit eher auf inhaltliche und magazinartige Empfehlungen sowie auf kleine Herzen, über die man zum Beispiel diverse “Musikthemen” abonnieren kann. Die persönliche Liste findet sich dann unter “Meine Podcasts”.

    Der Hamburger Radiomacher Marcus Maack, der auch als Programmierer tätig ist, wünscht sich “eine Audiothek, die Autoren­sendungen sender­über­greifend anbietet und dabei gut zu bedienen und leicht zu filtern ist. Neben den Sendungen sollten auch Informationen wie Titel­listen angeboten werden. Außerdem sollte die Möglichkeit bestehen, die Sendungen offline hören zu können”, sagte Maack dem epd.

    Musiksendungen nonlinear als Podcast anzubieten, war jahrelang aus rechtlichen Gründen eine schwierige Angelegenheit. Gema und GVL haben dazu inzwischen vertragliche Regeln vorgelegt, seither gibt es mehr moderierte Musik-Podcasts. Streaming-Platzhirsche wie Spotify haben trotzdem in ihrem umfangreichen Podcast-Portfolio keine kompletten Musiksendungen von Radio-DJs im Angebot. Dort wird stattdessen jetzt zunehmend mit künstlich erzeugten, KI-generierten Stimmen experimentiert.

    Der Erfolg von Spotify beruht auf Empfehlungs­algorithmen und den so erstellten Playlists. Durch Künstliche Intelligenz wird aus der Playlist eine “moderierte” Radioshow. Ein KI-DJ moderiert den nächsten Track an und gibt “persönliche Empfehlungen”. Das Feature ist bei Spotify in Deutschland derzeit noch nicht verfügbar, aber es wird die Nutzungs­gewohnheiten insbesondere der jüngeren Musikfans noch einmal grundsätzlich verändern.

    Für die Audioproduktion ist Künstliche Intelligenz ein wichtiges Thema, obwohl die Entwicklung noch ziemlich am Anfang steht. Mit frei im Internet verfügbarer Software wie Elevenlabs lassen sich Stimmen klonen. Könnte also eine markante Radiostimme wie die von Werner Reinke in Zukunft als KI-DJ zum Einsatz kommen, falls sich der Moderator irgendwann in den Ruhestand verabschiedet? Machbar wäre es. Er würde in diesem Fall rechtlich gegen den Einsatz seiner Stimme vorgehen, sagte Reinke dem epd.

    Die Technik, mit der sich synthetische Stimmen von existierenden Menschen erzeugen lassen, hat sich in den vergangenen Monaten rasant verbessert. Häufig genügt mittlerweile eine Viertelstunde Material, um eine Stimme zu klonen. Firmen wie Aflorithmic haben sich auf solche KI-Klone spezialisiert. Das Londoner Start-up von Unternehmer Björn Ühss hat für Entwickler “Audiostack” aufgesetzt, einen eigenen Wissenskanal. “Wir sind mitten in einer technischen Revolution”, heißt es in der Selbstdarstellung der Firma. Björn Ühss schwärmt bereits von synthetischen Moderatorinnen und Moderatoren, die ähnlich wie der KI-DJ von Spotify eine persönliche Musikauswahl für die Nutzer generieren.

    Das wirft neue rechtliche und ethische Fragen auf: Wie bemisst sich das Honorar für DJs sowie für Profi­sprecherinnen und -sprecher, wenn ihre mit Hilfe von KI generierte Stimme in Moderationen, Podcasts oder auch Werbeclips als Klon verwendet wird? Was passiert, wenn für das KI-Cloning keine Erlaubnis vorlag?

    Erste Versuche, ganze Radiosender mit Künstlicher Intelligenz on air zu bringen, laufen bereits in Deutschland. Die Nase vorn hatte das kleine Radio Helgoland, als eine Art Bürgerradio und vom Programmierer Thore Laufenberg als KI-Radio ins Netz gestellt. Im Juli startete Antenne Deutschland im Internet das Programm Absolut Radio AI, der KI-Sender wird inzwischen auch über DABplus in Braunschweig verbreitet. BigGPT aus Mannheim folgte Mitte August 2023. Der Radiomacher und DJ Michael Rütten, der unter anderem Sendungen für den Frankfurter nicht­kommerziellen Lokal­sender Radio X gestaltet, warnt jedoch davor, dass Leidenschaft und persönliche Kuration durch Künstliche Intelligenz komplett verloren gehen.

    Beim Deutschlandfunk kann man die Vor- und Nachteile der Automation schon jetzt studieren: Während das für seine eklektische Musikauswahl gelobte junge Programm Deutschlandfunk Nova Sonntags ab 20 Uhr in der “Lounge” die – unmoderierte – Devise ausgibt: “Let the music do the talking”, dürfen Radio-DJs im Programm von Deutschlandfunk Kultur nachts ab 1 Uhr in der “Tonart” alles von Klassik über Jazz, Americana und Rock sowie Global und Urban in den bundesweiten Äther schicken.

    Die beiden auch für Deutschlandfunk Kultur tätigen Berliner Radio-DJs Martin Böttcher und Andreas Müller haben mit Pop nach 8 vor einem Jahr einen unabhängigen Musik-Podcast gestartet, in dem sie nicht nur über Musik reden. Ihn gibt es auf allen Podcast-Plattformen zu hören, nicht jedoch im linearen Radio oder der DLF-Audiothek.

    All diesen Entwicklungen zum Trotz plant die ARD derzeit, die Abend- und Nachtprogramme der Infowellen und Kulturwellen zu vereinheitlichen. Klaus Walter sieht den guten alten Radio-DJ daher als aussterbende Spezies. Die verantwortlichen Programmmacher sähen Musiksendungen als “irrelevant” an.

    Radio war – vor allem wegen der Musiksendungen – vor 40 oder 50 Jahren das junge Medium schlechthin. Wandern die Jungen jetzt zu den algorithmen­basierten Streaming­angeboten ab? Klaus Walter sieht das differenziert: “Ich glaube, es wird in jeder Generation immer relevante Minderheiten geben, Betonung auf relevant, die sich für auch vermeintlich archaische oder überkommene Formen medialer Praxis interessieren und die darin vielleicht das finden, was sie suchen oder von dem sie gar nicht wissen, dass sie es suchen.” Das klingt hoffnungsvoll.

    Über den Autor
    Stefan Müller ist Moderator, Hörfunkredakteur, Podcaster und Medientrainer. Er hat die Sender Radio X in Frankfurt und HR-XXL mit aufgebaut und dort mehrere Sendungen konzipiert und moderiert. Zudem wirkt er als Kurator und Moderator beim Filmfestival Lichter Frankfurt International.

    Fotos: Picture Alliance und Heike Kreutuer, Montage: turi2

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  • “Wir sind zeitgemäßer denn je” – Das Kleine Fernsehspiel und die Bedeutung von TV für junge Filmschaffende.


    Jung geblieben: Seit 60 Jahren zeigt das Kleine Fernseh­spiel im ZDF Filme von auf­strebenden Regisseurinnen. Zum Jubiläum sprechen Redaktions­leiter Burkhard Althoff und Redakteurin Melvina Kotios mit Thomas Gehringer bei
    epd Medien darüber, welche Bedeutung das Fernsehen für junge Film­schaffende noch hat und wie die Redaktion junge Talente fördert. Außerdem geht es um Transparenz beim Auswahl­verfahren, die Bedeutung von Sende­plätzen und das Interesse des jüngeren Publikums.

    Interview von Thomas Gehringer / epd Medien

    Herr Althoff, zum 60-jährigen Bestehen des Kleinen Fernsehspiels haben Sie 15 Filme für eine Retro-Reihe ausgewählt – Filme von Jutta Brückner, Burhan Qurbani und anderen, die zurzeit auch in der ZDF-Mediathek zu finden sind. Was waren die Kriterien?
     
    Burkhard Althoff: Man könnte von etwa 1700 Filmen, die im Kleinen Fernsehspiel entstanden sind, natürlich viel mehr zeigen. Aber die Rechte noch einmal zu erwerben, bedeutet einen großen finanziellen Aufwand. Deshalb mussten wir uns beschränken. Bei der Auswahl haben wir uns an “To Show or not to Show” orientiert. Das ist ein Film, den wir uns zum Jubiläum geleistet haben und für den die Filmemacherinnen Jana Keuchel und Katharina Knust Filmschaffende noch einmal zu ihren Erfahrungen mit dem Kleinen Fernsehspiel befragt haben. Außerdem wollten wir zeigen, welche bedeutenden Regisseurinnen und Regisseure im Kleinen Fernsehspiel angefangen haben. Deswegen haben wir zum Beispiel Filme von Emily Atef und Fatih Akin, Norah Fingscheidt und Anne Zohra Berrached ins Programm genommen.

    Es fehlen die frühen Filme aus den 1960er Jahren oder auch Filme von Rainer Werner Fassbinder, Jim Jarmusch und Rosa von Praunheim. Sind diese Filme alle erhalten?
     
    Althoff: Die Filme sind alle digitalisiert im Archiv des ZDF, aber nicht alle können wir streamen. Diese Rechte müssten erst erworben werden.

    Das ist ein Archivschatz zur Kultur- und Zeitgeschichte, der aus Gebührengeldern finanziert wurde. Diesen komplett zugänglich zu machen, ist nicht möglich?
     
    Althoff: Ich glaube, das scheitert weniger an der Bereitschaft der öffentlich-rechtlichen Sender, ihre Archive zu öffnen, sondern tatsächlich an einer ungeklärten Rechtesituation. Hinzu kommt, dass Filme des Kleinen Fernsehspiels vor allem ab den 1990er Jahren zum überwiegenden Teil in Mischfinanzierungen entstanden. Es wäre gegenüber den Urhebern schwierig zu argumentieren: Wir veröffentlichen jetzt Filme, an denen ihr Rechte haltet, ohne generelle Absprachen zu finden. Bei uns besteht im Grunde eine große Offenheit, aber es ist kompliziert.

    Frau Kotios, schaffen Sie es, ein jüngeres Publikum auch für eine solche Retro-Reihe zu interessieren?
     
    Melvina Kotios: Auf jeden Fall. Gerade ein Film wie “24 Wochen” erzielt viele Abrufe in der Mediathek. In diesem und anderen Filmen geht es um Themen, die auch im Alltag junger Menschen und bei Social Media verfangen. Generell – nicht nur beim Kleinen Fernsehspiel – stellen wir fest, dass fiktionale Filme häufiger abgerufen werden als Dokumentarfilme.

    Laut der jüngsten ARD/ZDF-Studie zur Massenkommunikation schauen nur noch 36 Prozent der 14- bis 29-Jährigen täglich lineares Fernsehen. Ist es überhaupt noch wichtig, jüngere Menschen davon zu überzeugen, das ZDF-Programm einzuschalten, oder ist der Zug längst abgefahren?
     
    Kotios: Nein, der Zug ist gar nicht abgefahren. Wir merken, dass wir junge Menschen über die Mediathek und über Social Media erreichen. Man muss sie eben anders erreichen.

    Althoff: Die zeitunabhängige Nutzung der Mediathek ist für uns eine große Chance. Am Anfang war das Kleine Fernsehspiel ein Vorabendprogramm, eine Plattform für experimentelle literarische und Bühnen-Adaptionen. Das hat sich in den 1970er Jahren geändert – mit dem Neuen Deutschen Film, den ersten Regisseurinnen, die ihre Stimme erhoben haben, dem Queer Cinema, den Filmen aus dem globalen Süden. Der Sendeplatz rückte immer mehr an den Programmrand, auch weil es keine Formatierung gibt. Die Filme, die bei uns entstehen, sind so lang, wie sie sein müssen. Das ist in einem engen Programmschema nicht machbar, wohl aber in der Mediathek oder einem Streaming-Angebot. Wir machen auch viele Filme, die von den Rändern kommen. “Die Bettwurst” von Rosa von Praunheim ist ein Kultfilm in der queeren Szene. Den bei uns finden zu können, ist für die Zielgruppe ein wertvolles Gut.

    Wäre eine einzige Plattform für alle öffentlich-rechtlichen Angebote wünschenswert?
     
    Althoff: Ich glaube nicht, dass dies die Lösung wäre, weil Konkurrenz das Geschäft belebt. Von zentraler Bedeutung wird es sein, geschickt zu distribuieren.

    Kotios: Wir versuchen natürlich vor allem, die Leute über die sozialen Medien auf die Mediatheken aufmerksam zu machen. Also über Instagram, Twitter beziehungsweise X, Youtube oder auch über Facebook, eine immer noch sehr aktive Plattform. Bei Instagram funktioniert Fiction ganz gut, bei Youtube laufen bisher nonfiktionale Angebote besser.

    Ist X, also ehemals Twitter, tatsächlich eine Plattform, über die Sie Kontakte erzielen?
     
    Kotios: Für das ZDF ist X generell eine wichtige Plattform, beim Kleinen Fernsehspiel eher bei ausgewählten Inhalten. Wir hatten zum Beispiel bei der Serie “Doppelhaushälfte”, die wir gemeinsam mit ZDFneo redaktionell betreuen, eine Metaverse-Folge, und die Metaversum-Community tauscht sich vorwiegend auf X aus. Das hat in dem Fall sehr gut funktioniert.

    Herr Althoff, ist jungen Autorinnen und Regisseuren ein Ausstrahlungstermin im Fernsehen überhaupt wichtig? Oder haben nicht immer schon alle davon geträumt, “großes Kino” zu machen?
     
    Althoff: Für die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher ist das Kino insofern spannend, weil es den direkten Kontakt mit dem Publikum bringt. Diese Rückkopplung ist am Anfang einer Karriere besonders wichtig. Wir produzieren mit acht Redakteurinnen und Redakteuren pro Jahr 25 neue Filme, davon sind zehn dokumentarisch, zehn in Deutschland angesiedelte Fiktion, plus fünf, sechs Filme, die wir in Zusammenarbeit mit Arte als internationale Kinoproduktionen mit neuen Talenten aus dem Ausland ermöglichen. Allen diesen Filmen geben wir die Chance, auf Festivals zu laufen – um Karrieren zu starten, die dann idealerweise mal im ZDF weitergehen. Damals wie heute ist es so, dass die Filme im linearen Fernsehen und selbst in der Mediathek in absoluten Zahlen ein weit größeres Publikum erreichen als im Kino.

    Kotios: Vielen ist bewusst, dass sie auf Festivals auf ein Branchenpublikum stoßen. Und erst nach einer Ausstrahlung bei uns kommt man auch mit Leuten ins Gespräch, die fernab von der Medienbranche tätig sind. Diese beiden Welten in unterschiedlichen Phasen zu erreichen, macht es aus.

    Wie viele Abschlussfilme produzieren Sie?
     
    Althoff: Etwa ein Drittel der 25 Filme sind Diplom- oder Abschlussfilme. Wir fragen immer nach den Vorstellungen der Autorinnen und Regisseure. Es läuft nicht so, dass wir sagen: Ja, Du bist ein spannendes Talent und Du hast diese Idee, aber wir wollen etwas ganz anderes von Dir. So arbeiten wir nicht. In der Regel führt das zu einer sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit, bei der Talente vielleicht auch den ein oder anderen Vorbehalt gegenüber dem Fernsehen als Partner ablegen.

    In der Dokumentation “To Show or not to Show” spricht die Regisseurin Angelika Levi auch die “strukturellen Machtverhältnisse” an und sagt: “Red doch mal drüber, warum ihr welche Entscheidungen trefft.” Mangelt es also an Transparenz bei der Auswahl?
     
    Althoff: Wir treffen uns zu drei, vier Sitzungen im Jahr, bei denen jede Kollegin und jeder Kollege maximal drei Vorschläge einbringen kann. Alle schreiben ein Kurzlektorat zu allen eingebrachten Projekten und lesen dieses dann auch vor. So ergibt sich ein erstes Bild: Was sind die dramaturgischen Aspekte? Wie groß ist das Potenzial? Haben wir das Thema schon mehrfach gehabt oder bietet es eine neue Sichtweise? Dadurch entsteht eine interessante Diskussion, und es wird am Ende auch nicht *ex cathedra* von einem Einzelnen entschieden, was realisiert wird. Oft müssen wir aber schweren Herzens sagen: Das ist gut, aber wir können es nicht machen, weil wir die finanziellen Möglichkeiten nicht haben. Aber natürlich hat Angelika Levi recht: Es ist in gewisser Weise intransparent, weil dabei so viele Faktoren eine Rolle spielen. Für Filmemacherinnen und Filmemacher, die ein Projekt einbringen, ist das immer schwierig nachzuvollziehen.

    Sie realisieren 25 Filme. Wie viele sind in der engeren Auswahl?
     
    Althoff: Wir diskutieren in dieser Weise intensiv über 80 bis 100 Projekte pro Jahr. Das Kleine Fernsehspiel hat aber auch noch andere Spielflächen, etwa durch die Zusammenarbeit mit Arte und ZDFneo oder durch Quantum.

    Wie sind Sie auf den etwas rätselhaften Namen Quantum gekommen?
     
    Althoff: Für mich ist er auch rätselhaft, aber er hat sich gehalten. Es ist eine Formatwerkstatt.

    Kotios: Ein – neudeutsch – Lab. Es läuft vom Prinzip her recht ähnlich wie bei den normalen Stoffsitzungen, allerdings ein bisschen niedrigschwelliger. Wir haben keine Einreichfristen, sondern setzen uns zusammen, wenn wir spannende Vorschläge haben. Auch um schnell auf Themen zu reagieren, die neu oder innovativ sind. Es entstehen da ganz unterschiedliche Dinge, serielle Filme, aber auch Einzelformate, das kann ein Podcast sein oder eine Webserie.

    Althoff: Die Idee ist, dass wir bei Quantum Dinge ausprobieren können, die im Regelbetrieb oftmals gar nicht zu testen sind.

    Die Kritik lautete immer, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu sehr auf die Quoten achtet. Sind nun die Abrufzahlen in der Mediathek eine neue Maßeinheit, die ebenfalls Erfolgsdruck aufbaut?
     
    Kotios: Das ist keine Einheit, nach der wir unsere Filme bewerten. Wir müssen am Ende keine Abrufzahlen vorweisen können. Uns ist wichtiger, dass die Filme von spannenden Talenten geschaffen werden, die dann zum Beispiel auch auf Festivals reüssieren und damit Aufmerksamkeit generieren. Aber es ist natürlich in der Rückschau schon interessant zu sehen, welche Themen bei der jüngeren Zielgruppe verfangen.

    Vor 20 Jahren lag der Etat bei rund fünf Millionen Euro für 23 Neuproduktionen. Wie hoch ist der Etat gegenwärtig?
     
    Althoff: Unsere Möglichkeiten haben sich im homöopathischen Bereich erhöht.

    Was heißt das konkret?
     
    Althoff: Wir haben ein größeres Budget als fünf Millionen. Aber wir realisieren die 25 Projekte mit einem Budget, das etwa auch für vier Primetime-Fernsehfilme aufgewendet wird. Deshalb ist es für uns so wichtig, Partner zu finden. Wir haben zum Beispiel mit vier Regionalförderungen sogenannte “Fifty-Fifty-Abkommen”, so dass wir die eine Hälfte eines Films finanzieren und die Förderinstitution die andere Hälfte. Wir suchen nach solchen Wegen, um lange Finanzierungswege zu verkürzen. Das Interessante an den “Fifty-Fifty-Abkommen” ist, dass sie keine Kinoverpflichtung haben. Die Hälfte der Filme beim Kleinen Fernsehspiel sind jedoch klassische Kinokoproduktionen. Für uns ist daran ein bisschen schwierig, dass wir bei diesen sehr lange Fernsehsperrzeiten haben.

    Gibt es eine Art Jahresplanung, welche Themen, welche Genres unter den 25 Neuproduktionen vertreten sein sollen?
     
    Althoff: Wir haben schon mit Ausschreibungen nach bestimmten Formaten initiativ gesucht. Aber Eckart Stein, der 2021 verstorbene langjährige Redaktionsleiter, hätte gesagt: “Es ist eine seismographische Art des Vorgehens.” Wir achten genau darauf, was für Vorschläge uns erreichen. Dadurch sind auch die ersten Filme von Filmemacherinnen und Filmemachern mit Migrationsgeschichten beim Kleinen Fernsehspiel entstanden. Zuletzt hatten wir sehr viele Filme, die sich mit Machtfragen und Missbrauch beschäftigten.

    Ich vermute mal, dass sehr lange Zeit vor allem männliche Autoren und Regisseure zum Zuge kamen. Wie hat sich das Verhältnis entwickelt und wie ist es heute?
     
    Althoff: In den 1960er Jahren war das mit Sicherheit so. Was das für ein Kampf war, überhaupt als Frau Filme machen zu dürfen, erzählt auch Jutta Brückner in “To Show or not to Show” eindrucksvoll. Schon seit vielen Jahren ist das Verhältnis bei uns im Kleinen Fernsehspiel paritätisch.

    Kotios: Aber wir achten nicht nur darauf. Wir arbeiten auch mit nonbinären Filmemacher:innen und Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammen. Ich erlebe uns in den Diskussionen über Stoffe und Themen als durchaus divers.

    Die Berlinale streicht die Sektion “Perspektive Deutsches Kino”. Was bedeutet das für das Kleine Fernsehspiel?
     
    Althoff: Das ist ein Alarmzeichen. Diese Reihe hat eine lange Tradition, da wird eine Fläche im wichtigsten deutschen Festival gestrichen, die Sichtbarkeit erzeugt. Wir hoffen natürlich, dass diese Filme an anderen Stellen in der Berlinale Platz finden, aber wenn bei der Berlinale auch an anderen Stellen insgesamt 80 Filme weniger gezeigt werden sollen, entsteht natürlich Druck.

    Mir ist aufgefallen, dass die Redaktionen auf der Website des Deutschen Filmpreises in den Credits zu den ausgezeichneten Filmen gar nicht erwähnt werden. Wie erklären Sie sich das?
     
    Althoff: Ich will da gar nichts unterstellen, es werden auch viele andere Leute in den Credits nicht aufgeführt. Aber wir stellen schon fest, dass es einen gewissen Fernsehvorbehalt gibt, auch im Feuilleton, den ich persönlich seltsam finde. Wenn man mal schaut, wie viele Projekte von Filmdramaturginnen und -dramaturgen im Fernsehen unterstützt wurden, kommt man auf eine ganze Menge. Und das sind oftmals Filme, die vom Feuilleton hoch gelobt werden. Dann wird aber gerne mal nicht erwähnt, dass es auch Fernsehkoproduktionen sind. Wenn mal ein Film nicht gefällt, dann ist es eigentlich ziemlich klar, woran es lag. Diese Kombination finde ich bemerkenswert.

    Vielleicht ist das formatierte Fernsehen auch selbst schuld. Ich habe mich oft darüber geärgert, dass Kleine Fernsehspiele fast immer nachts versendet wurden.
     
    Althoff: Ja, aber schauen Sie doch mal, was das ZDF mit Kinokoproduktionen unterstützt. “Fabian oder der Gang vor die Hunde” von Dominik Graf, “Roter Himmel” von Christian Petzold, “Das Lehrerzimmer” von Ilker Çatak – alles ZDF-Koproduktionen. Viele Filme der Berliner Schule sind im Kleinen Fernsehspiel entstanden. Ich will bloß sagen: Es gibt einen gewissen Vorbehalt, der der Realität nicht entspricht. Wenn wir eine Kinokoproduktion fördern, sind wir die Letzten, die sagen: Mach das zu einem Fernsehfilm. Im Nachwuchsbereich ist es sogar so, dass wir manchmal die Filmemacherinnen und Filmemacher ermuntern müssen, mutiger zu sein. Es gibt in der Arbeit mit jungen Talenten oftmals den Punkt, wo das Vertrauen in das eigene Schaffen verloren geht.

    Gibt es in der jüngeren Generation keine Vorbehalte gegen das Fernsehen?
     
    Kotios: Ich glaube, in diesen Kategorien wird überhaupt nicht mehr gedacht. Kino oder TV ist vielleicht eine Etatbezeichnung für uns, aber es ist ja klar, dass die Filme in der Mediathek erscheinen.

    Ab und zu werden Kleine Fernsehspiele auch in der Primetime ausgestrahlt wie einst “Systemsprenger” oder wie Ende August die Komödie “Toubab” von Florian Dietrich aus der aktuellen “Shooting Stars”-Reihe. Ist es angesichts der Mediatheken überhaupt noch wichtig, über Primetime-Termine und die Ausstrahlung im linearen Programm zu reden?
     
    Althoff: Das Lineare wird noch eine ganze Weile wichtig bleiben, weil viele Leute das noch nutzen wollen. Wenn wir ein oder zwei Mal solche Filme wie “Toubab” ab 20.15 Uhr zeigen können, können wir ein Publikum, das an einer solchen Stelle vielleicht nicht mit einem solchen Film rechnet, überraschen und verführen, sich auf so etwas einzulassen. Ja, ich würde mir wünschen, dass unser planerischer Mut da oftmals größer wäre.

    Woran scheitert es?
     
    Althoff: Es scheitert daran, dass natürlich eine ganze Reihe von Filmen für diesen Sendeplatz auch produziert werden. Es scheitert vielleicht manchmal auch an der Sperrigkeit, die unsere Filme dann doch haben. Ich glaube, man sollte nicht mit der Brechstange etwas auf 20.15 Uhr hieven, was da gar nicht sein Publikum finden kann.

    Kotios: Viele Filme haben auch eine FSK-Beschränkung. In der ZDF-Mediathek sind unsere Filme aber sehr präsent. Wir sind sehr oft auf der Startseite oben in der Bühne zu finden. Da sind wir kein Nischenangebot mehr.

    FSK-Beschränkung heißt, sie dürfen aus Gründen des Jugendmedienschutzes erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Der Reformdruck auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten ist groß, gleichzeitig wird über eine Reform der Kinoförderung debattiert. Steht damit auch die Existenz des Kleinen Fernsehspiels auf dem Spiel?
     
    Althoff: Claudia Roth hat in ihrer Rede zur Reform der Filmförderung bei der Berlinale erfreulich oft das Wort “Nachwuchs” verwendet. Das finden wir gut. Wir nehmen auch an der Initiative Forum Talentfilm Deutschland teil, die fordert, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einen größeren Topf für die Förderung von Nachwuchsfilmen bereitstellt. Was den Reformprozess bei ARD und ZDF angeht, muss allen klar sein: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine ausreichende Ausstattung erhält, wird er seinen Auftrag nicht mehr in gleicher Weise leisten können. Das wird Auswirkungen auf die Branche haben. Hans Janke, der ehemalige ZDF-Programmdirektor, hatte mal über die Finanzierung des Kleinen Fernsehspiels gesagt: “Einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen.” Wir sind nicht ganz nackt, aber wir hoffen, dass uns nichts weggenommen wird, und perspektivisch durchaus auch auf mehr Mittel und Möglichkeiten.

    Bei Ihnen kann man nicht mehr sparen?
     
    Althoff: Ich glaube, der Wert des Kleinen Fernsehspiels ist allen sehr bewusst. So wie wir heute arbeiten, sind wir zeitgemäßer denn je.

    Unter den acht Filmen der “Shooting Stars”-Reihe ist kein einziger Dokumentarfilm. Auch unter den 15 Filmen, die in der Mediathek zum Jubiläum abrufbar sind, finden sich nur zwei Dokumentarfilme. Muss man daraus schließen, dass das Interesse am dokumentarischen Film beim Kleinen Fernsehspiel schwindet?
     
    Althoff: Nein, nach wie vor sind die Hälfte der von uns beauftragten Programme Dokumentarfilme. Wir machen auch dokumentarische Reihen wie zurzeit die Trilogie “Einzeltäter” über die Anschläge in München, Halle und Hanau. Wir werden im Herbst noch eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen ins Programm bringen. Aber die Sommerreihe ist dezidiert eine fiktionale Reihe, und mit dem Titel “Shooting Stars” sind auch die Schauspieltalente gemeint.

    Gibt es auch etwas, das Sie besser machen können? Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
     
    Althoff: Es gibt natürlich auch Filme, die scheitern. Das gehört dazu. Eckart Stein hätte gesagt: “Ja, aber wir stellen das Scheitern auch zur Diskussion.” Ihm war sehr wichtig, dass er die Zuschauerinnen und Zuschauer als mündige Bürger und nicht als Konsumenten sah. Das ist eine sehr gute Haltung. Mit dem Publikum ins Gespräch kommen – darin müssen wir besser werden. Vielleicht haben wir die Zuschauerinnen und Zuschauer eine Zeit lang zu stark nur als Konsumenten gedacht.

    Kotios: Und wir sollten nicht mehr in diesen Schubladen denken: Mediathek oder TV, Kino oder nicht Kino. Wir sollten viel mehr aus der Sicht denken, wie wir auch selbst Filme, Serien und Dokumentarfilme schauen oder Inhalte nutzen, eben fokussiert auf die Filme, nicht auf Ausspielwege oder Sendeplätze.

    (Foto: Jana Kay, Jason Seller / ZDF)

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  • Ex-RTL-Managerin Iliane Weiß wird Co-Geschäftsführerin von Studio ZX.


    Alte Bekannte: Nach 17 Jahren bei Gruner + Jahr wechselt Iliane Weiß zu Studio ZX, der “Zeit”-Agentur für Content-Marketing, Podcasts und Events. Ab September wird sie dort Co-Geschäfts­führerin neben Mark Schiffhauer und übernimmt damit die Position von Uta Schwaner, die sich nach zwei Jahren in eine Auszeit verabschiedet. RTL hatte den Abgang der Vice President Publishing für den Bereich Leben & Leute im April bereits intern verkündet. Als Geschäfts­führerin war Weiß u.a. für die Marken “Brigitte”, “Gala” und “Barbara” zuständig. Vor ihrer Zeit bei Gruner + Jahr war sie bereits Leiterin Unter­nehmens­kommunikation und Veranstaltungen bei der “Zeit”. Zeitverlag-Geschäfts­führer Rainer Esser lobt sie als “hervor­ragende Marken­strategin”.
    zeit-verlagsgruppe.de, turi2.de (Background)

    (Foto: Daniela Möllenhoff)

  • Zitat: Zeitverlag-Boss Rainer Esser kritisiert das “Einprügeln” anderer Medien auf ARD und ZDF.

    “Die Berichte der “Zeit” zeigen gesellschaftliche Relevanz und Pro und Contra. Anders erlebe ich das in der Art und Weise, wie manche Medien aus durch­sichtigen Wettbewerbs­gründen auf den öffentlich-rechtlichen Rund­funk ein­prügeln.”

    Zeitverlag-Chef Rainer Esser sieht ARD und ZDF im “Horizont”-Interview “als eine der Säulen unserer Demokratie”, die “daher weder abgeschafft noch klein­gedampft werden darf”. Sie müssten aber “ordentlich reformiert werden”.
    horizont.net (€)

  • “Spiegel” nennt Details zum Wulff-Telefonat beim “Zeit”-Gespräch zwischen Wallraff und Diekmann.


    History repeats itself: Im “Spiegel” lüften Isabell Hülsen, Alexander Kühn und Anton Rainer das Geheimnis um das mysteriöse Telefonat zwischen Ex-Bundes­präsident Christian Wulff und Günter Wallraff während eines “Zeit”-Gesprächs mit Kai Diekmann. Rainer erfährt “aus mehreren Quellen”, dass Wulff darin u.a. gegen Springer und Konzern-Boss Mathias Döpfner gewettert haben soll. Wulff soll den Vor­wurf bekräftigt haben, dass Döpfner einst bei dem damaligen FDP-Chef Philipp Rösler um Joachim Gauck als neuen Bundes­präsidenten warb. Zudem soll Wulff Diekmann telefonisch damit konfrontiert haben, dass sich seine Halb­schwester Bettina Mertschat-Wulff 2014 nach einem Bericht über sie in der “Welt am Sonntag” offenbar das Leben nahm. Wallraff hatte Wulff während eines Inter­views mit der “Zeit” angerufen – im Bei­sein von Gesprächs­partner Diekmann. Die “Zeit” stimmte zu, das Gesagte nicht zu ver­öffentlichen.
    spiegel.de (€), turi2.de (Background), turi2.de (Wulff/Diekmann)

  • DvH Medien erweitert Geschäftsführung um Dominic Gaspary und Jochen Maurer.

    DvH Medien holt Dominic Gaspary und Jochen Maurer in die Geschäfts­führung. Gaspary hat in den vergangenen Jahren als CCO die strategische Entwicklung der Handelsblatt Media Group verantwortet. Maurer ist seit 2015 bei der Medien­holding und ist als CFO für die Finanzen zuständig. Zudem wird Oliver Finsterwalder zum Sprecher der Geschäfts­führung ernannt, der außerdem Rainer Esser angehört.
    kress.de

  • Lars Niemann wechselt von der Ad Alliance als CSO zum Zeitverlag.

    Lars legt los: Der Zeitverlag holt Lars Niemann als Chief Sales Officer und Mitglied der Geschäftsleitung, wo er am 1. Oktober startet. Der Manager kommt von der Ad Alliance von Bertelsmann und folgt in seinem neuen Job auf Corinna Hohenleitner, die das Haus 2022 nach drei Monaten wieder verlassen hatte. Seitdem war der Posten immer nur vorübergehend besetzt, u.a. von Verlagschef Rainer Esser.
    zeit-verlagsgruppe.de, horizont.net (€), turi2.de (Background)