Mitgliederwerbung: Sebastian Esser ist Mitgründer des Magazins “Krautreporter” und der Online-Bezahlplattform Steady. Anfang des Jahres hat er sich dort aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, um sich einem eigenen Projekt zu widmen: Mit seinem Newsletter Blaupause will er Journalistinnen und Creators dabei helfen, Medien aufzubauen, die sich über Mitgliedschaften finanzieren. Während Blaupause selbst kostenlos ist, bietet Esser zahlenden Mitgliedern exklusive Video-Konferenzen an. “Jedes Mal treffen sich sehr verschiedene Mitglieder mit unterschiedlichen Kompetenzen, die aber alle am Aufbau eines Inhalte-Geschäfts arbeiten. Ich bin bei diesen Treffen nicht derjenige, der ihnen etwas erzählten könnte, sondern strukturiere nur”, berichtet er im Interview: “Die Community ist wirklich das Produkt.” Sein Rat: Wer einen Newsletter starten will, sollte das möglichst schnell tun – am besten noch in dieser Woche. Das Interview mit Esser erscheint im Rahmen der Newsletter-Wochen zum 15. Geburtstag des turi2-Morgen-Newsletters.
Sebastian, leidest du unter dem Hochstapler-Syndrom? Sebastian Esser: Ja, aber damit bin ich unter Journalisten nicht alleine. Viele glauben, dass sie nur wegen eines schrecklichen Missverständnisses erfolgreich sind, dass sie eines Tages auffliegen werden und dann blamiert dastehen. Das hält sie davon ab, sich mit einem eigenen Medium selbstständig zu machen und dafür von Mitgliedern Geld zu nehmen.
Ist Mitglied einfach nur ein anderes Wort für Abonnent?
Nein. Bei einer Mitgliedschaft geht es um einen Austausch oder ein Gespräch, das auf gegenseitigem Interesse beruht. Bei einem Abo verschaffe ich jemandem gegen Geld Zugang zu einem Pool von Inhalten. Das ist ein Unterschied. Niemand würde sagen, ich habe ein Abo im Gesangsverein. Eine Mitgliedschaft ist aber auch keine Spende. Es muss schon etwas geben, was nur diejenigen bekommen, die bezahlen. Ansonsten würden sie sich ausgenutzt fühlen.
Du hat die Crowdfunding-Plattform “Krautreporter” und das Online-Bezahlsystem Steady mitgegründet. Lassen sich nach deiner Erfahrung journalistische Produkte wirklich durch Mitgliedschaften finanzieren?
Für Mitgliedschafts- wie für klassische Medien gilt die 1:9:90-Regel: Nur 1 Prozent beteiligen sich aktiv, 9 Prozent hören zu und der Rest nicht einmal das. Es gibt aber viele Leute, die allein für das Gefühl zahlen, zu einer Gemeinschaft zu gehören, ohne dass sie mitmachen wollen. Sie finden vielleicht den Stil einer Publikation oder die Person, die sie macht, gut. Oder sie wollen politisch Flagge zeigen.
Für wen schreibst du deinen Newsletter Blaupause?
Es ist ein Ratgeber für unabhängiges Publizieren, der sich an Journalisten und Creators richtet. Ich selbst bin Journalist und habe früher von Creators eher unwillig gesprochen, weil das so ein blödes Wort ist. Gerade bin ich dabei, mit dem Wort Frieden zu schließen. Viele meiner Leserinnen und Leser sehen sich gar nicht als Journalisten und wollen mit der Medienbranche nichts zu tun haben. Sie wollen einfach nur einen Podcast oder einen Newsletter starten und damit erfolgreich sein.
Mit Blaupause willst du auch beweisen, dass du selbst ein Mitgliedschafts-Medium auf die Beine stellen kannst. Wie sieht es nach zwölf Ausgaben aus?
Ich liege im Plan. Bisher habe ich 767 Abonnenten. Wenn es so weitergeht, schaffe ich bis zum Sommer 1.000. Das ist die Zahl, die ich mir vorgenommen habe.
Wie viele davon sind zahlende Mitglieder?
Bisher sind es 23. Pro Monat mache ich einen Umsatz von rund 100 Euro.
Ziemlich wenig.
Ich stehe ja noch am Anfang. Außerdem habe ich ein gemischtes Geschäftsmodell: Durch den Newsletter konnte ich auch Aufträge für Workshops und Beratung an Land ziehen.
Dein Newsletter kostet nichts, es gibt aber ein dreistufiges Mitgliedschafts-Modell. Wer fünf Euro pro Monat zahlt, kann an wöchentlichen Video-Treffen teilnehmen. Für 50 Euro bietest du eine individuelle einstündige Beratung pro Monat an. Was ist die Idee hinter dem Modell?
Ich habe mit dem Fünf-Euro-Paket angefangen, nach und nach die beiden weiteren Pakete hinzugefügt und experimentiere immer noch. Das dreistufige Modell ist in der Branche zum Standard geworden. Die meisten Mitglieder wählen den Preis in der Mitte. Dann gibt es einen Profi-Preis, den nur wenige wählen, der aber den mittleren Preis legitimiert und dafür sorgt, dass mehr Leute überhaupt zahlen. Und der niedrigste Preis gibt den Leuten das Gefühl, sie machten ein Schnäppchen. Welchen Preis die Leserinnen und Leser gerade noch akzeptabel finden, muss jeder für sich herausfinden. Und natürlich muss man festlegen, welche Leistung man mit einem Preis versieht. Ein häufiger Fehler von Medien ist die Annahme, dass die Leute für mehr Content auch mehr Geld zahlen. Oft ist aber das Gegenteil der Fall: Sie wollen gar nicht mehr Inhalte.
Du bietest Video-Calls als Leistung an. Was passiert bei diesen Treffen?
Meine Ursprungsidee war, sich zu treffen und über das Thema des aktuellen Newsletters zu reden. Es ist anders gekommen: Jedes Mal treffen sich sehr verschiedene Mitglieder mit unterschiedlichen Kompetenzen, die aber alle am Aufbau eines Inhalte-Geschäfts arbeiten. Ich bin bei diesen Treffen nicht derjenige, der ihnen etwas erzählten könnte, sondern strukturiere nur. Die Teilnehmer helfen sich gegenseitig. Die Community ist wirklich das Produkt.
Willst du einmal ganz oder überwiegend von der Blaupause leben?
Das weiß ich noch nicht. Als ich Anfang des Jahres bei Steady rausgegangen bin, wollte ich vor allem aufschreiben, was ich in den vergangenen zehn Jahren gelernt habe. Ich sehe mich aber auch als Unternehmer und will beweisen, dass ein Mitgliedschafts-Modell funktioniert.
Was hast du nach zwölf Blaupause-Ausgaben übers Newsletter-Machen gelernt?
Früher habe ich Leuten, die ich beraten habe, immer gesagt, dass ein Newsletter nicht zu lang sein darf. Als Newsletter-Schreiber nehme ich mir jetzt aber die Freiheit, sehr lang zu schreiben, wenn mir danach ist. Meinen Leserinnen und Lesern ist das anscheinend völlig egal, die Öffnungsraten sind stetig gestiegen, auf über 70 Prozent. Lange Newsletter sind völlig in Ordnung, wenn man sich, so wie ich, mit einem Nischenthema beschäftigt, an dem eine kleine Gruppe ein großes Interesse hat. In anderen Fällen kann hingegen ein kompakt-unterhaltsamer Überblick der richtige Weg sein. Ich habe mir daher vorgenommen, keine ehernen Regeln mehr aufzustellen. Ich habe auch gelernt, dass die E-Mail ein total kommunikatives Medium ist. Noch nie habe ich so viele direkte Zuschriften bekommen. Daraus haben sich sehr interessante Gespräche mit Leuten ergeben, von denen ich nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt.
Wie viele Leute reagieren in etwa auf eine Ausgabe deines Newsletters?
In jeder Woche ergeben sich daraus bestimmt drei Termine für Video-Calls. Gerade in Nischen-Communitys ist die Bindung besonders hoch, weil sich alle mit den gleichen Problemen beschäftigen. Oft werde ich gar nicht um Rat gefragt, sondern bekomme selbst Tipps. Es ist daher wichtig, transparent mit seinem Nichtwissen umzugehen. Uns Journalisten fällt das oft schwer, weil wir glauben, wir wüssten grundsätzlich am besten Bescheid.
Welchen guten Tipp hast du schon bekommen?
Jemand hat mir geraten, ein Buch über mein Thema im Selbstverlag herauszugeben, und noch jemand anderes hat vorgeschlagen, es auf Englisch zu machen. Ich erwäge jetzt, das tatsächlich zu tun, wenn ich 50 Ausgaben der “Blaupause” verschickt habe.
Durch deine Arbeit für die “Krautreporter” und für Steady hast du in der journalistischen Szene eine gewisse Bekanntheit. Ist das Voraussetzung für einen erfolgreichen Mitgliedschafts-Newsletter oder kann man auch als Nobody erfolgreich sein?
Ganz ohne Reichweite wird es schwierig, aber es kann auch eine spezielle Reichweite sein. Wenn man sich für einen lokalen Fußballverein als Thema entscheidet, muss man nicht unbedingt bekannt sein. Ich selbst habe vorher aber auch keine sehr starke persönliche Marke aufgebaut: Weder habe ich viele Twitter-Follower noch bin ich mit steilen Thesen aufgefallen. Es ist daher auch für mich eine große Herausforderung, meine Zielgruppe zu erreichen.
Welche Ideen dafür hast du?
Idealerweise verbreiten die Leserinnen und Leser einen Newsletter. Während Social-Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook von vorne bis hinten darauf getrimmt sind, dass wir Inhalte teilen, ist es nicht üblich, Newsletter an andere weiterzuleiten. Deswegen muss man die Leute relativ penetrant daran erinnern, einem diesen Riesengefallen zu tun. Auch Partnerschaften mit Newsletter-Schreibern, die eine ähnliche Zielgruppe bedienen, sind wichtig.
Dein Newsletter erscheint immer montags. Ist die wöchentliche Erscheinungsweise die optimale Frequenz für einen Mitgliedschafts-Newsletter?
Die Leute müssen merken, dass ein Newsletter regelmäßig kommt, damit sie ihn in ihren Alltag integrieren. Daher sollte er mindestens einmal pro Woche erscheinen. Gelegentlich kann man sich ruhig häufiger mit kurzen Newslettern melden. Das mache ich bei meinen zahlenden Mitgliedern, um ihnen ein Extra zu geben. Es ist allerdings besser, im Zwei-Wochen- oder Monatsrhythmus zu starten, als gar nicht anzufangen.
Gerade starten viele Journalistinnen Solo-Newsletter, auch Steady ist in dieses Geschäft eingestiegen. Entsteht da etwas Großes? Ein Newsletter ist ein billiges, persönliches und niedrigschwelliges Format. Wer heute ein Medienunternehmen gründen will, startet üblicherweise damit und stellt im zweiten Schritt einen Podcast und eine Internet-Seite daneben. Das Tolle daran ist, dass man seine eigene Plattform hat und nicht von Social Media abhängig ist. In der Creator-Economy sitzen die Leute, die die Inhalte erstellen, am längeren Hebel.
Welche Newsletter liest du selbst am liebsten?
Dazu gehören “TextHacks” von Anne-Kathrin Gerstlauer, der “Social Media Best Practice”- Newsletter von Andreas Rickmann und der “Creator”-Newsletter von Ghost.
Was sind deine drei wichtigsten Tipps für jemanden, der einen Newsletter machen will?
Man sollte vor allem damit anfangen, am besten noch in dieser Woche – selbst wenn das Produkt nicht perfekt ist. Durchhalten ist auch wichtig. Der amerikanische Youtuber Noah Kagan hat ein “Law of 100” formuliert, das ich sehr nützlich finde. Er empfiehlt, bei allem, was man tut, bis zur Nummer 100 durchzuhalten, bevor man groß auf Zahlen achtet. Man braucht einfach eine gewisse Menge Content, bis man über Google oder Verlinkungen gefunden wird, und es dauert, bis die Leute einen Newsletter in ihr Leben einbauen. Und drittens sollte man keine Angst davor haben, sich zu blamieren. Niemandem ist es peinlich, eine E-Mail zu lesen, egal wie gut oder schlecht sie ist. Und am Anfang lesen ja ohnehin nur wenige mit.