Wencke Tzanakakis: “Hör auf jede Regung deiner Community.”
12. Mai 2022
Community-Baumeisterin: Newsletter sind ein hervorragendes Instrument für den Community-Aufbau, meint Wencke Tzanakakis. Sie leitet das Programm Freunde der Zeit, mit dem die Wochenzeitung erfolgreich Abonnentinnen hält und neue gewinnt. Dafür sei es wichtig, den Menschen ein “verlässliches, ehrliches und geselliges Gegenüber” zu sein: wie in einer guten Beziehung, “in der es auch wichtiger ist, Tag für Tag aufmerksam zu sein, und nicht bloß am Muttertag mit einem Strauß um die Ecke zu biegen”. Das Interview erscheint im Rahmen der Newsletter-Wochen zum 15. Geburtstag des turi2-Morgen-Newsletters.
Du hast für Medienhäuser wie Gruner + Jahr und “NZZ” gearbeitet, bevor du zur “Zeit” gekommen bist. Wo hast du das Potenzial von Newslettern für Medien entdeckt?
Erst bei der “Zeit”, vor vier bis fünf Jahren. Davor waren Newsletter für mich eher unbeseelte Artikelschleudern.
Jetzt leitest du das Kundenbindungsprogramm “Freunde der Zeit”. Welchen Stellenwert haben Newsletter in diesem Programm und welche macht Ihr?
Seit Beginn der “Freunde der Zeit” wächst die Bedeutung unseres Newsletters ständig. Ich kann aber leider nicht sagen, dass ich das visionär vorausgesehen habe. Vielmehr haben uns das die Leser unmissverständlich gezeigt, indem das Engagement in unserem Newsletter immer weiter stieg, vor allem während der Corona-Pandemie. Deshalb haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren sogar drei neue Newsletter-Communities gegründet, die ähnlich funktionieren wie die “Freunde der Zeit”. Mit dem Unterschied, dass sie sich an den weitesten Leserkreis richten. In diesen neuen Communities versammeln sich Menschen, die ähnliche Interessen haben und bei der “Zeit” mehr zu ihren Interessen erfahren möchten: “Was wir lesen” verbindet Buchbegeisterte. “Kommst Du mit?” versammelt Menschen, die Ausflugstipps fürs Wochenende ebenso wie Überraschendes für längere Reisen bekommen möchten. “Zeit für Dich” bündelt alles rund ums Abitur und den Übergang von der Schule in die nächste Ausbildungsphase.
Wie viele Menschen haben Eure Newsletter abonniert?
Über den Newsletter der “Freunde der Zeit” erreichen wir inzwischen rund 300.000 Abonnentinnen und Abonnenten unserer Zeitung. Bei den Themen- und Interessenscommunities ist “Was wir lesen” unsere größte mit über 120.000 Mitgliedern. “Kommst Du mit?” und “Zeit für Dich” sind unsere jüngsten Communities, die wir erst vor wenigen Monaten gegründet haben, sie wachsen wöchentlich.
Wie kommt dieses schnelle Wachstum zustande?
Community-Arbeit hat keine Quick Wins oder Geheimrezepte, wie ich von einem Tag auf den anderen hunderttausend Mitglieder gewinne. Vielmehr geht es unserer Erfahrung nach darum, einen langen Atem zu beweisen und den Menschen ein verlässliches, ehrliches und geselliges Gegenüber zu sein. Eben wie in einer guten Beziehung, in der es auch wichtiger ist, Tag für Tag aufmerksam zu sein, und nicht bloß am Muttertag mit einem Strauß um die Ecke zu biegen.
Wer sind Eure Abonnentinnen?
Bei den “Freunden der Zeit” sind das die Abonnentinnen und Abonnenten der “Zeit” – print wie online. Wir wissen, dass wir etwas mehr Frauen als Männer erreichen, mit einem eher höheren Bildungsabschluss, die größtenteils in der Mitte ihres Lebens stehen: Bei unseren Community-Befragungen ist die Alterskohorte zwischen 45 und 60 Jahren die aktivste. Mit den Themen-Newslettern erreichen wir zu 70 Prozent Menschen, die kein “Zeit”-Abonnement besitzen. Wir haben die Hoffnungen, diese große Gruppe mit unseren Themencommunities vom Journalismus der “Zeit” zu überzeugen.
Was sind die wichtigsten Wege, um weitere zu gewinnen?
Unsere Homepage von “Zeit Online”.
Welche Öffnungs- und Klickraten erzielt Ihr im Durchschnitt?
Seit dem iOS-Update sind unsere Öffnungsraten leider kein verlässlicher Richtwert mehr für unsere Arbeit. Vorher hatten wir bei den “Freunden der Zeit” Öffnungsraten, die um 40 Prozent variierten. Bei den Klickraten bewegen wir uns je nach Community zwischen 4 und 10.
Auf welche Inhalte reagieren Eure Leserinnen besonders gut?
Bei den “Freunden der Zeit” sehen wir deutliche Peaks bei politischen Themen und bei Themen, die zwischen Philosophie, Psychologie und Lebensführung changieren. Wir haben den Eindruck, dass Corona und jetzt auch der Krieg inmitten Europas die Glaubenssätze vieler Menschen durchgeschüttelt haben. Viele unserer Leser sind dankbar dafür, wenn wir ihnen Anregungen wie auf einem klugen Ideen-Marktplatz präsentieren. Und wir sind dankbar dafür, dass Sie der “Zeit” so sehr vertrauen, dass sie sich nicht nur für Hintergründe zu Politik und Wirtschaft an uns wenden, sondern immer häufiger sehr persönliche Themen mit uns erörtern.
Einzelne Programmelemente bietet Ihr gezielt per E-Mail bestimmten Gruppen an, zum Beispiel “Zeit”-Abonnentinnen, die wahrscheinlich kündigen werden. Wie gut funktioniert das?
Wir testen immer wieder, wann welche Inhalte unseres Programms unter Abonnentinnen und Abonnenten als Gewinn empfunden werden. Dabei arbeiten wir auch eng mit dem Datenteam der “Zeit” zusammen. Jedoch sind diese Tests immer noch in der Auswertung. Wir haben kündigungsgefährdeten Abonnentinnen und Abonnenten gezielt Einladungen der “Freunde der Zeit” angeboten und beobachten nun, ob diese Abonnentengruppe kurz vor dem Absprung durch unsere Einladungen eher dazu bewegt wird, ihr “Zeit”-Abonnement weiterhin als Gewinn zu empfinden.
Hat das Programm “Freunde der Zeit” insgesamt einen messbaren Effekt auf die Dauer von Abos?
Den nackten Effekt der “Freunde der Zeit” zu bemessen ist unmöglich, da wir auf zahlreichen Wegen – auch jenseits der “Freunde der Zeit” – immer weiter mit den Abonnentinnen und Abonnenten kommunizieren. Was sich jedoch sehr gut bemessen lässt, dass eine intensive Beziehungsarbeit mit den Leserinnen und Lesern einen positiven Effekt auf Engagement und Abo-Haltbarkeit hat.
Haben Euch Newsletter in der Corona-Zeit dabei geholfen, den Ausfall von Veranstaltungen zu kompensieren?
Unsere Community-Newsletter sind während Corona zu sehr viel mehr als einer “Kompensation” geworden. Schließlich haben wir die Besucherzahlen bei unseren regelmäßigen Zoom-Treffen aus der “Zeit”-Redaktion im Vergleich zu den vorherigen Theaterveranstaltungen nahezu verzehnfacht. Die Bewertungen der Gäste im Nachgang der Events sind aber gleich hoch geblieben wie vor Corona. Nun sind wir gespannt, wie genau der Mix aus Online und Vor-Ort-Treffen weiter geht.
Den Samstags-Newsletter schreibst du auch selbst. Worauf achtest du bei der Themenauswahl?
Ich wechsle mich in der Anmoderation mit meiner Kollegin Marion Oberhellman ab, die bei uns einen Großteil der Leserkommunikation übernimmt, somit ihr Ohr noch näher an der Leserschaft hat. Wir versuchen inzwischen mehr als noch vor einem Jahr die Newsletter-Ausgaben unter ein bestimmtes Motto zu stellen: Start der Gartensaison, Hilfe für die Ukraine oder Austausch zwischen Lesern und Journalisten beim Leserparlament. Im wöchentlichen Programm-Mix unseres Letters achten wir darauf, dass wir zu ungefähr gleichen Teilen Inhalte zum sofortigen Nutzen, Inhalte zum später Genießen sowie Interaktionselemente anbieten.
Was ist dir beim Texten und Gestalten wichtig?
Die “Zeit”-Leserschaft ist sehr divers, deshalb versuche ich für jeden etwas in unserem Letter dabei zu haben. Und ich glaube daran, dass man in einer Beziehung, wie sie mir zwischen Lesern und Zeitung vorschwebt, auch etwas von sich preisgeben sollte, wenn man möchte, dass das Gegenüber einem offen und zugewandt begegnet. Ich tue alles, damit wir bei den “Freunden der Zeit” unsere Leser als echte Menschen mit ihren Fragen, Wünschen und Hoffnungen besser kennenlernen.
Welche anderen Newsletter liest du gerne und kannst du empfehlen?
Ich lese die besten Anmoderationen im deutschsprachigen Raum im Checkpoint des “Tagesspiegels” aus Berlin und in der Elbvertiefung meiner “Zeit”-Kollegen aus Hamburg. Und alle, die für Gesellschaftsthemen und Trends brennen oder in einem zweiten Leben gerne in New York zur Welt gekommen wären (wie ich), denen seien die Newsletter des “New York Magazine” empfohlen – das Magazin, das der Metropole seit vielen Jahrzehnten den Puls fühlt und dadurch viel zu erzählen hat über die Dinge, die zehn Jahre später bei uns angesagt sind.
Was sind deine drei Tipps für Unternehmen, die auch mit Hilfe von Newslettern Communitys aufbauen wollen?
Hör auf jede Regung Deiner Community! Betreibe nicht nur Upselling! Sei großzügig, wie ein guter Gastgeber!