“Ein Podcast ist ein magisches Medium“ – Sebastian Esser über Anarchie und Anfängerinnen.
8. September 2022
Lebens-Mittel:Sebastian Esser begleitet Medienmenschen auf ihrem Weg in eine unabhängige Existenz. Er glaubt: Mit einem Podcast kann man sich direkt in die Köpfe und Herzen des Publikums quatschen. Dabei könne eine journalistische Ausbildung sogar hinderlich sein. Statt an harte Paywalls glaubt er für Podcasts vor allem an Extra-Inhalte für zahlende Mitglieder.
Sebastian, du hilfst Medienschaffenden, sich selbst zu Medienmarken zu machen. Wie gut taugt dafür das Medium Podcast?
Was ein Podcast super kann: Menschen aus dem Publikum zu Mitgliedern einer Community machen. Weil Leute mit meiner Stimme in ihrem Kopf schnell eine persönliche Beziehung aufbauen. Mit Podcasts Reichweite aufzubauen ist allerdings schwierig, weil es bisher kaum effektive virale Loops gibt, wenn man von Spotify absieht. Podcasts sind kein rundgelutschtes Vervielfältigungs-System. Das ist ja auch das Schöne an ihnen, das Anarchische: Es kontrolliert noch niemand.
Ist das Anarchische wirklich noch da beim Podcast? Die großen Verlagshäuser sind längst dabei – und das mit ganz anderen Ressourcen als jemand, der in seiner Wohnküche ins Mikro spricht.
Was ich mit „anarchisch“ meine: dass die Eintrittsbarrieren niedrig sind. Da sitzt niemand an der Tür, der den Zugang kontrolliert, anders als bei großen Social-Media-Plattformen oder Verlagen. Es stimmt, dass dieser Markt inzwischen sehr reif ist. Das sieht man an den Preisen, die für Werbung bezahlt werden. Da weiß ich gar nicht, ob das wirklich nachhaltig so bleiben kann.
Wem rätst du zu einem eigenen Podcast?
Podcasts kann man nebenher mitmachen, ohne krasses Wachstumskonzept. Wenn man es nicht als Misserfolg sieht, wenn man nicht ganz oben landet, kann man mit einem Podcast wunderbar die Leute mitnehmen. Warum nicht Interviews, die man ohnehin führt, auch als Podcast veröffentlichen? Warum nicht Community-Mitglieder einladen, für dieses Podcast-Interview Fragen zu stellen? Die Top Ten der deutschen Podcast-Charts werden von Leuten beherrscht, die seit vielen Jahren dabei sind oder ganz viel Geld und Reichweite im Rücken haben, da mitzumischen ist wahrscheinlich unrealistisch. Wenn man aber ein bisschen Druck rausnimmt und nicht erwartet, ein Riesen-Geschäft zu machen, kann man damit einen zusätzlichen Kanal erschließen, der die Leute enger bindet.
Du selbst bist ja verhältnismäßig neu im Podcast-Game. Wieso hast du dich dafür entschieden, am Mikro mitzumischen?
Ich veröffentliche ein Audio, wenn es sich ergibt, als Teil meines Gesamtangebots. Ein modernes, unabhängiges Medium besteht für mich aus drei verschiedenen Kanälen: Social Media für die Reichweite, Newsletter als Push-Kanal, um die Interessierten direkt zu informieren. Und dann drittens der Podcast für eine besondere Bindung. Bei Newsletter und Podcast habe ich noch eine Push-Souveränität – anders als bei Social Media. Ich verschicke auch meinen Podcast per E-Mail an Newsletter-Abonnent*innen. So passt alles zusammen.
Wenn ich als One-Woman-Show jetzt einen Podcast starten möchte – wer finanziert mir den?
Am Anfang niemand, fürchte ich. Zum Glück ist Podcasten billig. Aber natürlich geht man ins Risiko: Man steckt seine Arbeit rein. Wenn man dann entweder eine spitze Zielgruppe oder eine große Menge an Leuten erreicht, kann man über Werbung nachdenken. Eine Finanzierung über Mitgliedschaften macht erst Sinn, wenn eine starke Bindung da ist.
Wie hoch schätzt du die Zahlungsbereitschaft ein – ist es das Publikum nicht längst gewohnt, ein breites Angebot gratis streamen zu können?
Das Modell Paid Content, also Zugang zum Podcast nur gegen Geld, ist schwierig. Ich kenne keine Beispiele, wo das gut funktioniert. Die zweite Möglichkeit wäre, reguläre Inhalte kostenlos zu veröffentlichen, aber zusätzlichen Content für Mitglieder anzubieten. Das muss gar nicht viel Arbeit machen, zum Beispiel kann man ungeschnittene Episoden bieten, ein zusätzliches Interview oder eine werbefreie Folge. Und das funktioniert gut.
Gilt beim Podcast: Verhältnismäßig wenig Aufwand schafft verhältnismäßig viel Mehrwert für die eigene Marke?
Ja, genau. Die Voraussetzung: Was man zu sagen hat, ist interessant. Da muss man auch selbstkritisch sein. Das Klischee vom Laber-Podcast stimmt leider oft. Aber wenn es ein klares Versprechen und eine originelle, authentische Stimme gibt, wenn der Podcast sich intensiv und nicht nach Zeitverschwendung anfühlt, dann ist es ein magisches Medium.
Gibt es da also auch das Risiko, dass man sich mit einem Podcast selbst entzaubert?
Schon. Manchmal sind die Ambitionen nicht hoch genug, was zum Beispiel den Ton angeht. Wenn eine Aufnahme sich nach Badezimmer anhört, entwertet das gute Inhalte auch großer Medienmarken. Wenn jemand vom „Economist“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ schlecht klingt, obwohl jedes iPhone heute ein super Mikro hat, wird das Handwerkliche in einer Weise vernachlässigt, wie man es bei Texten nie durchgehen lassen würde. Es muss nicht immer Deutschlandfunk-Niveau haben, aber so ein bisschen Mühe sollte man sich geben.
Hast du Beispiele, wo es gut gelungen ist, mit Audio eine Community aufzubauen, ohne dass ein Verlag oder ein Produktionsstudio dahintersteckt?
Andreas Sator mit seinem Podcast und Newsletter namens „Sonne & Stahl“ ist ein gutes Beispiel. Da geht es um Klimawandel und Energiefragen in thematischen Staffeln organisiert. Lennart Schneider, der früher bei der “Zeit” für die Community verantwortlich war, hat einen Podcast zum Thema Abos gestartet: “Subscribe now”. Er sucht sich eine Nische von Menschen, die bei Unternehmen oder Medien zuständig sind für den Verkauf von Subscriptions und veröffentlicht seine sehr gut vorbereiteten Interviews als Podcast. Natürlich wird er da nicht Tausende Leute erreichen. Aber für eine sehr enge Community ist das sehr relevant. Die werden das auf jeden Fall hören, sobald sie es entdecken.
Kann jeder podcasten, der seinen Content ans Publikum bringen will – auch ohne journalistischen Hintergrund?
Unbedingt. Ich behaupte, dass die Ausgangsbedingungen ohne diesen Hintergrund sogar besser sind. Als Journalist*in wird man sein Handwerk gar nicht so leicht los. Es ist für uns Journalist*innen schwierig, nicht Radio abzuliefern. Im Zweifel ist aber das authentische Gespräch und gutes Zuhören viel wichtiger.
Kann ein Podcast das journalistische Handwerk auch erweitern?
Da gibt es viele junge Journalist*innen, die mit einem Podcast ganz tief reingehen in ein Thema und super Sachen abliefern. Ich denke zum Beispiel an Sham Jaff und ihr Team, die „190220 – ein Jahr nach Hanau“ gemacht haben. Dann gab es ja „Cui Bono“, den erfolgreichen Ken Jebsen Podcast von Khesrau Behroz. Oder „The Real Bierkönig“ von Marcus Engert und Phil Jahner.
Was ist deren Erfolgsrezept?
Das sind oft keine traditionellen Journalist*innen, die mal eben einen Podcast machen. Die fangen mit dem Podcast an. Der Podcast gibt ihnen die Möglichkeit, ihre eigenen Themen zu erzählen, in ihrer eigenen Stimme. Ich glaube, dass beim Podcasten eine besonders gewählte Sprache und dieser besondere Sprachstil, den man im Journalismus seit jeher pflegt, gar nicht unbedingt hilft, sondern eher hindert.
Die Krautreporter sind trotzdem relativ zurückhaltend beim Thema Podcasts. Warum?
Der Grund ist, dass wir uns das in der Qualität, in der wir das machen wollen, nicht auf Dauer leisten konnten. Wir glauben schon super stark an das Thema Audio, setzen aber auf die Vertonung von Texten. Das wissen auch unsere Mitglieder zu schätzen. Es gibt eine Audio-App, wo man sich Artikel zum Hören auf eine Merkliste setzen kann, falls mal eine Bahnfahrt oder ein Marathon ansteht. Die kommt sehr gut an bei Mitgliedern, die im Alltag nicht zwanzig Minuten Zeit zum Lesen eines langen Artikels finden, zum nebenbei hören aber schon.
Die Zukunft langer journalistischer Texte liegt also im Audio?
Wenn man sich – wie wahrscheinlich alle, die so etwas sagen – die „New York Times“ anhört, kann man zu diesem Schluss kommen. Das ist zum Teil spektakulär. Aber wie man so etwas ohne die Mittel der New York Times produzieren will, ist noch unklar. Wir würden gern vom Hörbuch-Charakter wegkommen und unsere Aufnahmen eher wie ein Hörspiel mit Musik, Geräuschen und so weiter ausstatten.
Sebastian Esser ist studierter Soziologe und Politikwissenschaftler. Nach seiner Ausbildung an der Berliner Journalistenschule arbeitet er unter anderem für die „Vanity Fair“. 2012 gründet Esser die journalistische Crowdfunding-Plattform Krautreporter mit, heute ist er Herausgeber des gleichnamigen Online-Magazins. 2016 startet er mit Steady ein Finanzierungs-Portal für unabhängige Medien. Seit 2022 verschickt er den Newsletter “Blaupause” mit zugehörigem Podcast, in dem er Finanzierungs-Tipps für Content Creators gibt.
Zum Thema Audio erscheint ein ganzes Buch: die turi2 edition #19 Audio – Erscheinungstermin: 12. Oktober 2022. Du kannst die Buchreihe turi2 edition kostenfrei lesen und als E-Paper hier kostenlos abonnieren.
https://www.turi2.de/wissen/podcast/interview-sebastian-esser-wenn-es-sich-nicht-nach-zeitverschwendung-anfuehlt-ist-es-ein-magisches-medium/ Nutze die turi2 Podcast-Wochen auch als Bühne für dich, deine Marke oder Dienstleistung. Du erreichst die 20.000 wichtigsten Entscheiderinnen in Deutschland aus Medien, Wirtschaft und Politik auf turi2.de und im turi2-Newsletter. Das turi2-Media-Team berät Dich gerne zu unseren Werbemöglichkeiten. Melde Dich einfach unter media@turi2.de.