“Wenn wir am Mikrofon sitzen, ändert sich alles.” – Norbert Linke über Sprache in Podcasts und im Radio.
4. Oktober 2022
Sprachunterricht: Ein ausformuliertes Manuskript ist das größte Hindernis für freies Sprechen, sagt Nachrichtencoach Norbert Linke. Im Interview für die turi2 Podcast-Wochen erklärt er, wie man Texte für Radio und Podcasts konzipiert. Im Radio sei die Sprache oft zu formalisiert, bei Podcasts werde “mitunter wild drauflos schwadroniert”. Linke rät zu kurzen Sätzen und regelmäßigen Sprechpausen, um den Zuhörenden Luft zu geben. “Definiere einen markanten Einstieg, dann sprich frei an Stichworten entlang.” Podcast-Hosts legt er ans Herz: “Kommt schneller zum Thema!”
Norbert Linke, als Nachrichtencoach bringen Sie Medienschaffenden bei, Texte so zu formulieren, dass sie vorgelesen – oder besser: erzählt – beim Publikum ankommen, dort verstanden werden und hängen bleiben. Warum ist das überhaupt nötig? Wissen wir nicht alle ganz instinktiv und von Kindesbeinen an, wie Sprache funktioniert und ankommt?
Weit gefehlt! Wir sprechen von Kindesbeinen an und machen das auch sehr gut. Aber wenn wir am Mikrofon sitzen und in einem Studio, ändert sich alles: Die Natürlichkeit ist dahin, die Leichtigkeit auch, wir fühlen uns nicht mehr recht wohl und spüren den hausgemachten Leistungsdruck. Und dann ist da noch das Manuskript, die größte Hypothek für lebendig gesprochene Sprache überhaupt…
Sollte ich das nicht in der Schule, im Studium oder spätestens Volontariat gelernt haben?
Schreiben, wie es uns beigebracht wird von jungen Jahren an, ist aufs Lesen ausgerichtet, nicht aufs Erzählen. Schreiben fürs Sprechen wird nirgendwo vermittelt. Schon gar nicht an der Uni. Um zu lernen, wie man für´s Sprechen schreibt, ist die Universität der falsche Ort. Wissenschaft verlangt wasserdichte Texte ohne Luft und Spielraum, da sind Bandwurmsätze und Substantiv-Kaskaden oft nicht zu vermeiden. In der Wissenschaft geht es um die hieb- und stichfeste schriftliche Darstellung eines Sachverhalts. Mit Kommunikation hat das Schreiben dort nichts zu tun.
Wenn Sie heute Sprache im Radio oder in Podcasts hören: Welche Fehler fallen Ihnen häufig auf?
Ich komme ja von den Nachrichten im Radio. Hier ist die Sprache stark formalisiert. Gerade junge Kolleg*innen halten an der überkommenen Stilistik oft eisern fest. Sie sagen dann: Man muss so schreiben, sonst klingt es ja nicht nach Nachrichten! Hier ist also viel Überzeugungsarbeit zu leisten, dass es nicht darum geht, die Textsorte “Nachrichten” immer wieder neu zu reproduzieren, sondern zu sprechen als säße der Hörer mit am Tisch. In Podcasts wiederum stört mich häufig das Gegenteil, dass mitunter wild drauflos schwadroniert wird und es überhaupt keine Textdisziplin gibt. Für viele Ohren eine regelrechte Beleidigung!
Wie unterscheidet sich geschriebene und gesprochene Sprache grundsätzlich? Und warum ist das so?
Gesprochene Sprache ist kleinräumig, die Sätze folgen einer einfachen Struktur, eins folgt auf das andere. Denn das Gehirn, unser “Arbeitsspeicher”, ist einfach nicht in der Lage, komplexe Satzkonstruktionen ohne weiteres zu balancieren. Und der Faktor Zeit spielt eine Rolle: Der Sprechfluss darf nicht stoppen (weil mir sonst das Gegenüber dazwischengrätscht), daher ist einfache Struktur das A & O. Eine ganz andere Situation haben wir bei geschriebener Sprache. Hier sitzen wir vor dem Papier (oder Bildschirm) und feilen endlos. Warum? Weil wir die Zeit haben! Und der Lesende (oft) auch.
Welche Regeln gelten für gesprochene Sprache, wenn sie ihr Ziel, dass die Botschaft ankommt, erreichen will?
Weg vom Manuskript! Ein ausformuliertes Manuskript ist das größte Hindernis, wenn es klingen soll wie im Moment formuliert. Denn das ist die Benchmark: Nie darf ich als Zuhörende*r spüren, dass ein Manuskript im Spiel ist. Immer muss es klingen, als spräche jemand direkt zu mir persönlich und aus dem Moment heraus! Und das gelingt so: Definiere einen markanten Einstieg, dann sprich frei an Stichworten entlang (damit Du weißt, wo Du hinwillst), zuletzt platziere einen wohlüberlegten Ausstiegssatz, der nachklingt. Am besten sprich direkt zu Deinem Gesprächspartner. Dann merkst Du auch gleich, sollte etwas daran nicht stimmen, wie Du sprichst.
Gibt es Tricks oder Faustregeln, mit denen ich meinen geschriebenen Text auf die Schnelle besser vortragbar machen kann?
Mach´ Punkte! Mach´ die Sätze kürzer! Jeder Satz transportiert eine neue Information (und nur eine). Halte an, mach Pausen, gib den Zuhörenden Luft, zu verarbeiten, fertig zu werden mit dem, was sie gerade gehört haben. Nimm dazu gerne einen fetten Stift und zeichne Stopps ein. Und: Atme öfter (und weniger tief)! Fühl Dich wohl beim Sprechen, erst dann kann sich auch der Hörer wohlfühlen.
Welche Unterschiede gibt es beim Schreiben fürs Radio (einmal gehört, dann weg) und für Podcasts (man kann zurückspulen)?
Dass Hörer*innen beim Podcast zurückspulen müssen, um eine Passage zu verstehen, ist grob unhöflich. Dann hast Du als Produzent Deinen Job nicht richtig gemacht. Hören ist etwas so Natürliches. Daß es vermittelt ist durch ein technisches Medium, darf dem Hörer nicht bewusst werden. Es gelten also die Gesetze der freien Rede im Dialog face-to-face. Hörer sind freiwillig bei uns, sie schenken uns Zeit und Aufmerksamkeit, dessen müssen wir uns würdig erweisen.
Sollten sich Podcaster vorher aufschreiben, was sie sagen? Ausformuliert oder in Stichworten?
Es ist fast schon ein Ritual: Zu Beginn vieler Podcasts begrüßen sich Gastgeber*in und Gäste ausgiebig, lachen, albern herum, lassen sich alle Zeit der Welt – und denken dabei erkennbar nur an sich selbst, nicht aber an die Hörer*innen. Dabei läuft die Uhr unaufhaltsam: Geduld und Aufmerksamkeit sind knapp. Wenn ich mich als Hörer*in für einen Podcast entscheide, dann in der Regel wegen des Themas. Lässt das auf sich warten, bin ich weg. Mein Plädoyer: Kommt schneller zum Thema, denn (nur) dafür bin ich bei Euch!
Die Medienwelt ist in den vergangenen Jahrzehnten immer vielfältiger geworden. Im Gegenzug sagen viele, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen sinkt. Wie verändert das die Anforderungen ans gesprochene Wort?
“Du kannst über Alles sprechen, nur nicht über zwei Minuten”, war früher ein geflügeltes Wort in der Radio-Branche. Das wird mittlerweile differenzierter gesehen – auch im kommerziellen Radio. Sprich, solange die Geschichte trägt, ist jetzt die Benchmark. Zwei Minuten können eine Ewigkeit sein, aber auch nur ein Wimpernschlag. Ja, die Geduld der Menschen sinkt mehr und mehr; funktioniert etwas nicht, wird geskippt. Das gesprochene Wort aber, wenn es authentisch ist und lebendig, kann das Wunder möglich machen, mit einer Geschichte Zeit und Raum außer Kraft zu setzen…
Wie nehmen Sie als Experte fürs gesprochene Wort und für Verständlichkeit die jüngsten Veränderungen im Sprechen wahr, etwa den Glottisschlag? Die jüngere Generation spricht die Gender-Lücke mit einer beneidenswerten Selbstverständlichkeit…
Ein Dilemma. Nimmt man Gender-Gap oder Glottis-Schlag als solchen wahr, lenkt er von der Geschichte ab. Hört man ihn nicht, war es vergeblich, ihn einzusetzen. Lässt man ihn weg, fühlen sich viele Menschen nicht sichtbar. Setzt man ihn ein, fühlen sich wieder andere herausgefordert. Mein Plädoyer: Der Glottis-Schlag (wenn man ihn beherrscht) tut niemandem weh, ist aber ein Zeichen, das wahrgenommen wird – und ein kleiner Schritt hin zu einer besseren Welt.
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