Worin liegt der Reiz des Podcasts für einen Textverliebten, Nils Minkmar?
22. August 2022
Zurück zum Ursprung: “Podcasten ist die Rückkehr des Mediums zu seiner Wurzel: der menschlichen Kommunikation”, schreibt Journalist Nils Minkmar in einem Gastbeitrag im Rahmen der turi2 Podcast-Wochen. War Radio für ihn immer “eine ernste Angelegenheit”, die mit den Jahren “in immer mehr Formate gebannt wurde”, sei Podcasten eine “Ausübung unserer Freiheit”. Seit April 2022 lebt Minkmar diese Freiheit im Podcast Quoted der “Süddeutschen Zeitung” aus. Zusammen mit Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura analysiert er darin aktuelle, medienpolitische Debatten.
Die schalldichten Türen, das holzgetäfelte Studio mit diskreter Beleuchtung und neben dem imposanten Mikrofon eine besonders geheimnisvolle Vorrichtung: die Räuspertaste.
Das Radio, das ich zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn kennenlernte, war eine ernste Angelegenheit, der manches Menschliche fremd war, beispielsweise das Räuspern, das laute Lachen und natürlich das natürliche Sprechen. Hier wehte ein eigener Geist, der mit den Jahren in immer mehr Formate gebannt wurde, während sich das Feuilleton in Zeitungen gerade davon entfesselte.
Schreibend waren Experimente möglich: Frank Schirrmacher druckte in einer historischen Ausgabe der “FAZ” das entschlüsselte und übersetzte menschliche Genom ab. Neue Formen mischten Porträt, Interview und Rezension, es gab Debatten, es war etwas los in der Medienrepublik.
Das geschriebene Wort wurde mein Metier. Nur ausnahmsweise setzte ich mich mal in ein Radiostudio und fühlte mich dort immer beklommen. Unvorstellbar, dass das gesprochene Wort noch einmal und ganz anders ein freies Medium beleben würde.
Die Veränderung kam ganz langsam. Die Digitalisierung wurde zunächst als Instrument verstanden, um Zeitungen und Magazine zu produzieren, nur eben ohne Papier und in kürzerer Zeit.
Später kam das eine oder andere Video hinzu, in dem AutorInnen erzählten, wie sie ihren Artikel geschrieben hatten. Dass in der digitalen Datentransportmöglichkeit noch viel mehr steckt, noch andere Experimente möglich sind, stellte sich erst im Laufe der Jahre heraus. Denn die Digitalisierung veränderte die Gesellschaft, das Arbeitsleben und die gesamte Kommunikation.
Ewige Rituale wie das Zeitunglesen im Bus oder im Zug vor einem Tag im Büro kamen spätestens in den Lockdowns der Corona-Pandemie an ihr Ende. Die Arbeitsgesellschaft flexibilisierte sich in jeder Hinsicht und zeitigte so eine völlig unerwartete gesellschaftliche Folge: Die Einsamkeit nahm zu und veränderte die mediale Nachfrage.
Eines Tages erzählte eine allein lebende Kollegin, die unter schweren Schlafstörungen litt, von einem neuen Wundermittel: Sie hörte nun beim Einschlafen einen Podcast über Leben und Werk des Alexander von Humboldt. So bekam sie einerseits einiges an Informationen mit, fühlte sich andererseits geborgen und in guter Gesellschaft. In Entsprechung des alten Filmkritikerspruchs “Im Kino schlafen heißt dem Film vertrauen” glitt sie in Gegenwart der akustischen Produktion in einen schönen Tiefschlaf.
Podcasten ist die Rückkehr des Mediums zu seiner Wurzel: der menschlichen Kommunikation. Eine Räuspertaste ist hier völlig unnötig, denn es ist ja gerade der Witz, so menschlich, also unvollkommen, wie möglich zu sein.
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Weit wichtiger als die Reduktion von Argumenten auf eine klare Botschaft ist das Umkreisen des Themas von einer immer anderen Seite. Noch ein Aspekt, noch eine Erfahrung, noch eine Stimme.
Der Podcast ist ein großzügiges und einladendes Medium, dass HörerInnen nebenbei im Alltag begleitet, während sie bügeln, basteln oder spazieren gehen.
Podcasten macht nur Spaß, wenn man es in guter Gesellschaft tut, mit der man auch mal anderer Meinung sein kann. Und ohne allzu enge Vorgaben, jede Vorsicht oder Vorgabe verdirbt die Sache. Denn Podcasten ist eine Ausübung unserer Freiheit. Und die gibt es nicht ohne Risiko. (Foto: Rodion)
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