Andrij Melnyk wirft Angela Merkel eine Mitschuld am Ukraine-Krieg vor.


Schuldfrage: Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk glaubt, dass Deutschland eine Mitschuld an dem Ukraine-Krieg trägt und Angela Merkel ihn hätte verhindern können. "Wir haben Angela Merkel fast blind vertraut", sagt Melnyk im "Süddeutsche"-Interview. Niemand als sie habe besser gewusst, "dass Putin keine Einigung, sondern die Vernichtung meiner Heimat will". Dennoch habe Berlin damals die umstrittene Gas-Pipeline Nordstream 2 durchgewunken. Melnyk fordert Merkel dazu auf, Stellung zu ihrer Russland-Politik zu beziehen. Dabei gehe es ihm jedoch nicht um Schuldzuweisungen, sondern "darum, zu verstehen, wie das Ganze schiefgelaufen ist".

Auch zur Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußert sich Melnyk, in Zukunft sei ein Besuch denkbar: "Glauben Sie mir, es geht gar nicht darum, ob seine bisherige Distanzierung zu den gravierendsten Fehlern der Russlandpolitik als ausreichend empfunden wurde." Im Moment sei es aber vorrangig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz die Ukraine besucht, weil "nur er und die Ampel notwendige Entscheidungen über neue Waffen und weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau treffen können". Es brauche jetzt "nicht nur Worte, sondern vor allem mutige Taten, um diese verhängnisvollen Fehlentscheidungen zu korrigieren".

Melnyk selbst sieht sich als "Soldat an der diplomatischen Front" und glaubt nicht, dass sein bisweilen provokantes Vorgehen die Ukraine Sympathien kostet. Er müsse manchmal provozieren, "um Entscheidungen zu erzwingen". Für ihn sei es die Hauptsache, dass "die Ukraine ganz oben auf der Tagesordnung der deutschen Politik bleibt und nicht gleich verschwindet, wie es nach der Annexion der Krim der Fall war".

Derweil herrscht Verwirrung über Steinmeiers geplatzten Ukraine-Besuch. Selenskyj behauptet inzwischen, er habe keine offizielle Anfrage von Steinmeier zu einem Besuch erhalten, auch nicht von dessem Büro. Kanzler Scholz hatte die Entwicklung zuvor "etwas irritierend" genannt und offen gelassen, ob er einer Einladung nach Kiew folgt.
sueddeutsche.de (Paid), spiegel.de, reuters.com, tagesschau.de, turi2.de (Background)
(Foto: IMAGO / Christian Spicker)