“Bild” gleicht Print-Rückgänge durch Digitales aus und schickt Führungskräfte zum Coaching.


Reichweite und Redaktions­kultur: "Bild" jubelt zu Jahresbeginn über Rekord­reichweiten und schwärmt von einer neuen Führungs­kultur. Dafür hat Springers Boulevard-Marke am Mittag zum Jahres­auftakt in den Verlags-Neubau in Berlin geladen – mit Blick auf die Flächen, auf denen Bild.de, "Bild" und "Bild am Sonntag" ab Ende Februar entstehen sollen. Noch sitzt der Großteil der Redaktion im Altbau gegenüber. Bild-CEO Claudius Senst meldet gleich zu Beginn der Veranstaltung, dass "Bild" seit Jahresbeginn mehr als 18 Mio Nutzer pro Tag auf seinem Online-Angebot zählt, bei den Bezahl-Abos hat die Marke schon im November die 700.000 Abos geknackt. Die Ziele von 20 Mio Online-Zugriffen und 1 Mio Bezahl-Abos bis 2026 rücken demnach in greifbare Nähe. Auch geschäftlich läuft es anscheinend gut: 2023 lägen die "Bild"-Erlöse im zweistelligen Mio-Bereich über dem Vorjahr, insgesamt habe die Marke einen mittleren bis hohen dreistelligen Betrag umgesetzt. Zudem hätte das digitale Wachstum in Vermarktung und Vertrieb erstmals den Print-Rückgang ausgeglichen.

Als Chefredakteurin Marion Horn und ihr Kollege Robert Schneider übernehmen, geht es vor allem um Führungskultur, die Haltung von "Bild" und einen Blick in die Zukunft von Bewegtbild. Das Medium wolle sein Publikum nicht mehr erziehen. Der alte Slogan "'Bild' dir deine Meinung" gehört laut Schneider der Vergangenheit an. Marion Horn sagt, die Zeiten, in denen der Chefredakteur bei "Bild" alles wusste und alles entschieden hat, seien vorbei. Sie setze auf Teamwork und Führungs-Coachings, die die "Bild"-Spitze nun regelmäßig besuche. Horn widerspricht auch der Aussage, dass "Bild" Feindbilder pflege. Das gelte auch für die Grünen und Robert Habeck: "Wir sollten Politiker, egal welcher Couleur, nicht verächtlich machen", sagt Horn.

Bild TV ist seit Jahresbeginn Geschichte, an Bewegtbild-Formaten hält "Bild" aber fest – allerdings nicht mehr im TV-Stil: "Wir wollen kein Fernsehen mehr nachbauen", sagt Horn. Talkshows wie noch zu Bild-TV-Zeiten wird es also nicht mehr geben. Stattdessen würden Gesprächsformate entwickelt, die u.a. den "Autorisierungswahnsinn" bei gedruckten Interviews umgehen sollen. Auch bei Reporter-Einsätzen setze "Bild" weiter auf Video. Horns Ziel ist es, dass "Bild"-Videos vom Publikum auf den ersten Blick erkannt werden.

Horn und Schneider sprechen auch über die Entlassungswelle bei "Bild" zu Beginn ihrer Amtszeit. Man habe sich von Mitarbeitenden getrennt, mit denen die "Bild" der Zukunft nicht habe wachsen können. Wer nicht bereit gewesen sei, den neuen "Bild"-Kurs mitzugehen, habe sehr großzügige Abfindungsangebote erhalten. Aktuell zähle "Bild" 650 Mitarbeitende und suche auch wieder nach Personal.
turi2 – vor Ort

(Fotos: Springer, dpa)