Mein Aha-Erlebnis findet am 21. Mai 2019 in einem Berliner Konferenzraum statt, als Dan Oshinsky, damals Newsletter-Chef bei “The New Yorker“, sagt: “Email is the new living room.“ Wie bitte? Diese merkwürdigen, anachronistischen Nerv-Mails, die ich vor zehn Jahren versehentlich abonniert hatte, sollen interessant sein?
Zurück in Hamburg prüfe ich die Newsletter der Funke Mediengruppe und anderer Tageszeitungen: Was bringt mich jeden Morgen zum Klick? Womit arbeiten wir? Überhaupt: Sind Newsletter Recycling-Kanal, Kampagnen-Träger, eigenes Produkt?
Die Antworten sind zunächst ernüchternd. Damals haben wir bei Funke rund 26.000 Newsletter-Abonnenten, denen wir teils automatisch generierte, teils handgestrickte Newsletter zuschicken. Es gibt engagierte Einzelkämpfer*innen und Kolleg*innen mit Mini-Ressourcen, die Newsletter nebenher betreuen. Wer genau sucht, findet auf unseren Websites die Anmelde-Formulare dafür. Und es gibt keinen Wunsch, das zu ändern, denn Newsletter haben keine strategische Bedeutung.
Dabei finden wir schnell gute Gründe, ihnen mehr Zeit zu widmen: Bei Condé Nast sind sie der Nr.1-Indikator für die Bereitschaft, für Inhalte zu zahlen. Newsletter-Abonnenten der “Seattle Times“ konvertieren mit 25-mal höherer Wahrscheinlichkeit ins Abo als Facebook-Referrals. Gleichzeitig warnt uns Laurie Truitt von der “USA Today“, dass bei ihrer Zeitung zwischen Newsletter-Registrierung und Abo-Konvertierung drei bis vier Monate liegen. Es wird also Geduld brauchen.
Mit diesem Wissen laden wir die Entscheider der Funke-Standorte zu einem Newsletter-Gipfel ein, den wir gut vorbereiten: Best Cases, strategische Bedeutung, Northstar (250.000 Abonnenten in einem Jahr). Dabei lerne ich zwei Dinge. Nenne nie etwas “Gipfel“. Und: Ohne personelle Ressourcen und Budget geht es nicht.
Im nächsten Schritt gründen wir eine Newsletter-Unit, prognostizieren mögliches Wachstum, stimmen uns mit den Redaktionen ab und berechnen das nötige Marketing-Budget. Bis Mitte 2020 bauen wir die Unit auf: Wir etablieren Kommunikationsstrukturen und entwickeln Reporting-Formate. Funke Digital vereinheitlicht die Tool-Landschaft. Wir analysieren Zielgruppen und Themen und entwerfen einen Redaktionsplan, der datenbasiert passende Newsletter optimiert und launcht. Im Marketing stoßen wir vieles an und prüfen, was funktioniert. Wegen Corona können wir nicht jedes Format so schnell umsetzen wie geplant. Aber wir können auf unsere Prozesse aufbauen und neue Formate starten, die erst durch die Krise relevant werden.
Mittlerweile sehen wir Erfolge: Wir haben über 200.000 Newsletter-Abonnenten, der Northstar ist in greifbarer Nähe. Das Themenspektrum reicht von Chefredakteurs- bis hin zu Sonder-Newslettern. Wir wissen jetzt, dass Newsletter-Abonnenten nach sechs Monaten mit einer Conversionrate von vier bis sechs Prozent in das bezahlpflichtige Digital-Abo wechseln.
Trotzdem bleibt viel zu tun. Newsletter werden 2021 ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierungs-Strategie von Funke bleiben. Wir werden unsere künftige Priorisierung an den nun bekannten Werten ausrichten, um das Wachstum richtig zu steuern. Das System wird komplexer, und das müssen wir erklären. Zum Glück haben wir darin inzwischen viel Übung.
Wir wollten Newsletter zu einer Funke-Erfolgsgeschichte machen und haben dafür eine Bauanleitung geschrieben: Vorbilder erkennen, Status quo ermitteln, gemeinsam Ziele festlegen, Kommunikationsstrukturen aufbauen, Tools aufräumen, datenbasiert arbeiten, Fortschritte kommunizieren, hartnäckig an den Erfolg glauben. Die Anleitung ist ein Blueprint für die digitale Transformation. Sie lässt sich auf weitere Bereiche anwenden. Diesen Weg werden wir weitergehen.