Dazwischengefunkt: Warum TV-Sender und Kulturschaffende um Funk-Frequenzen fürchten.
15. Juli 2023
Liegt was in der Luft: Um die Funkfrequenzen für TV und Veranstaltungstechnik tobt ein Verteilungskampf. Für die Zeit ab 2030 hoffen vor allem Mobilfunkanbieter, den wachsenden Bedarf nach mobilem Internet über die Frequenzen decken zu können, wo heute DVB-T2 und drahtlose Mikrofone funken. Die Kulturszene beklagt schon jetzt knappe Kapazitäten und auch ARD und ZDF wollen vom DVBT-Fernsehen nicht lassen. Auf der Weltfunkkonferenz im November und Dezember werden international die Grundsatz-Entscheidungen für die Funk-Welt nach 2030 getroffen – bis dahin ringen TV-Sender, Kultur-Lobby und Mobilfunker um einen Kompromiss, der möglichst EU-weit trägt. Medienjournalist Volker Nünning beschreibt für epd Medien die unterschiedlichen Positionen und mögliche Kompromiss-Linien. Sein Text ist Teil der Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Die Lobbyarbeit läuft bereits seit Monaten. Vor allem hinter den Kulissen, in Hinterzimmern, aber auch öffentlich werden Positionen kundgetan. Im Blick haben alle, die sich zu Wort melden, die Weltfunkkonferenz, die vom 20. November bis zum 15. Dezember 2023 in Dubai stattfindet. Juristisch betrachtet wird auf einer WRC nicht über die tatsächliche Nutzung eines Spektrums entschieden. Dafür sind die einzelnen Staaten in Absprache mit ihren Nachbarländern oder auch die Europäische Union zuständig – nur ein länderübergreifendes Vorgehen sichert, dass die Frequenzbereiche für die ausgewählten Funkdienste dann auch störungsfrei funktionieren.
Gleichwohl haben die Beschlüsse einer WRC immensen Einfluss. De facto handelt es sich um Vorentscheidungen darüber, wie künftig das jeweilige Frequenzspektrum genutzt wird. Bei der anstehenden WRC geht es um verschiedene Frequenzbereiche in den drei sogenannten ITU-Regionen.
Für die ITU-Region 1, zu der Europa, Afrika, Russland und arabische Staaten gehören, steht insbesondere das UHF-Band (Ultra High Frequency) im Fokus, konkret das Frequenzspektrum zwischen 470 und 694 Megahertz. Es wird auch als TV-UHF-Band bezeichnet. In Dubai muss entschieden werden, welchem Funkdienst oder welchen Funkdiensten dieses Spektrum ab 2031 zugewiesen wird. Bis Ende 2030 gibt es dafür noch zwei Hauptnutzer: den Rundfunk für das digital-terrestrische Fernsehen, hierzulande unter dem Namen DVB-T2 bekannt, und drahtlose Produktionsmittel wie Funkmikrofone, in der Fachsprache “Programme Making and Special Events”. Weitere Nutzer in diesem Spektrum sind noch das Militär, die Radioastronomie und der Wetterdienst.
Während die bisherigen Nutzer diesen Frequenzbereich über 2030 hinaus behalten wollen, machen die kommerziellen Mobilfunkunternehmen Druck, um zumindest einen Fuß in die Tür zu diesem Spektrum zu bekommen. Es gibt also mehr Interessenten, als Kapazitäten vorhanden sind. Die Lobbyarbeit etwa der Mobilfunkunternehmen, des Rundfunks oder der Anbieter von drahtlosen Mikrofonen läuft daher nicht nur in Deutschland, sondern auch in weiteren Ländern der ITU-Region 1 bereits auf Hochtouren.
Hinzu kommt: Es sind mehrere politische Ebenen an den Vorbereitungen einer WRC beteiligt. Nationalstaaten, die EU und andere Staatenbünde sowie diverse Aufsichtsbehörden aus dem Telekommunikationsbereich. In Deutschland kommen zusätzlich noch die Bundesländer hinzu, die für den Rundfunk zuständig sind. Es ist eine komplexe Gemengelage.
Weltfunkkonferenz, WRC
Alle vier Jahre gibt es eine Weltfunkkonferenz, die World Radiocommunication Conference. Sie wird ausgerichtet von der Internationalen Fernmeldeunion, ITU, einer in Genf ansässigen Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Die ITU hat derzeit 193 Mitgliedstaaten, die auf einer WRC stimmberechtigt sind. Bei einer WRC werden internationale Vereinbarungen darüber getroffen, welche Funkdienste – also etwa Mobilfunk, Rundfunk oder drahtlose Mikrofone – welche Frequenzspektren erhalten sollen. Die Festlegungen auf einer WRC werden in den internationalen Frequenzplan übertragen, die “Vollzugsordnung für den Funkdienst”.
Im Herbst 2021 haben sich die ARD, das ZDF, das Deutschlandradio, die Privatsender über ihren Dachverband Vaunet, die Landesmedienanstalten, der Sendenetzbetreiber Media Broadcast, der Audio-Technik-Hersteller Sennheiser, der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI und die Initiative SOS – Save Our Spectrum zur Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen zusammengeschlossen. Zentrales Ziel ist, dass der Rundfunk und PMSE auch über 2030 hinaus die derzeitigen Kapazitäten im UHF-Spektrum 470 bis 694 MHz behalten. “No Change” lautet die Position der Allianz, die aber weiß, dass ein zähes Ringen bevorstehen wird. “Für Rundfunk und Kultur geht es diesmal um alles”, heißt es in einem im März veröffentlichten Positionspapier.
Der Rundfunk und die Funkmikrofone haben in den vergangenen Jahren als Folge von früheren WRC-Entscheidungen bereits Frequenzbereiche an den kommerziellen Mobilfunk verloren – das 700-MHz- und das 800-MHz-Band. Das lief dann unter den Schlagwörtern “Digitale Dividende 1” und “Digitale Dividende 2” ab.
Beim terrestrischen Fernsehen ließ sich durch die Einführung von DVB-T2 das verbliebene Spektrum im Bereich 470 bis 694 MHz effizienter nutzen. Fast ausschließlich, zu rund 90 %, verwendet die Kultur- und Veranstaltungsbranche dieses Spektrum für Funkmikrofone und ähnliche Anwendungen, nur etwa 10 % entfallen auf andere Frequenzbereiche. Der Frequenzbereich von 470 bis 694 MHz ist für PMSE-Anwendungen nach entsprechender Harmonisierung weltweit verfügbar. Doch durch die Verluste oberhalb von 700 MHz hat die Kultur- und Veranstaltungsbranche hierzulande schon länger mit Problemen zu kämpfen. Denn für Funkmikrofone gibt es nicht genügend Frequenzen von 470 bis 694 MHz in ganz Deutschland.
“Schon heute sind Outdoor-Festivals etwa in Aachen nicht möglich oder nur mit Drahtmikrofonen”, sagt “SOS”-Sprecher Jochen Zenthöfer dem epd. Veranstalter von Festivals etwa in Köln oder in Berlin hätten schon über Frequenzmangel für Funkmikrofone geklagt. Würde den Funkmikrofonen weiteres Spektrum entzogen, dann drohten solche Situationen “auf viele Orte Deutschlands überzugreifen”, so Zenthöfer.
Dass es dazu kommt, befürchtet die “SOS”-Initiative nicht ohne Grund. Die Mobilfunkunternehmen haben es auch auf den Frequenzbereich unterhalb von 700 MHz abgesehen. Dieses Spektrum sei, so erklärt es Vodafone Deutschland auf Nachfrage, “sehr gut für das Angebot von breitbandigen Mobilfunkdiensten in der Fläche geeignet”. Das in den Mobilfunknetzen genutzte Datenvolumen steige aktuell um 30 % pro Jahr an. Um diese Nachfrage bedienen zu können und zukünftige Technologien wie etwa automatisiertes Fahren zu ermöglichen, werde “dringend zusätzliches Frequenzspektrum benötigt”.
Ähnlich sieht es Telefónica Deutschland. Die Deutsche Telekom braucht nach eigener Darstellung weitere Frequenzen, “um die stetig steigende Nachfrage nach 5G-Kapazität auch und insbesondere in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte nachhaltig und ökonomisch sinnvoll bedienen zu können”.
Da verwundert es nicht, dass die drei Mobilfunkunternehmen die “No-Change”-Position der Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen ablehnen. Die Konzerne wollen erreichen, dass auf der WRC der Mobilfunk für das Frequenzspektrum 470 bis 694 MHz eine sogenannte ko-primäre Zuweisung erhält, also gleichrangig zu den bisherigen Nutzern. Nach Auffassung von Telefónica Deutschland könnten die Frequenzen in diesem Spektrum, wenn alle Beteiligte miteinander kooperierten, “sehr viel besser” genutzt werden als heute: “Das würde einen enormen Schub für die flächendeckende Digitalisierung auslösen”, erklärte der Konzern auf Nachfrage.
Dem widerspricht “SOS”-Sprecher Zenthöfer: Das Frequenzband zwischen 470 und 694 MHz sei “bereits jetzt schon voll, sogar zu eng für alle Bedürfnisse”. Das habe auch im Frühjahr 2023 eine mehrwöchige Messfahrt durch ganz Deutschland im Auftrag von Sennheiser ergeben.
Die Mobilfunkunternehmen hinterfragen indes, ob über 2030 hinaus Frequenzen für das digital-terrestrische Fernsehen überhaupt noch bereitgestellt werden sollten. DVB-T2 habe eine sinkende Nutzungsrate, die bei den Haushalten inzwischen im einstelligen Prozentbereich liege, hatte Markus Haas, Vorstandsvorsitzender von Telefónica Deutschland, Ende 2022 erklärt. Im selben Jahr schrieb der Branchenverband Bitkom in einem Positionspapier von einer “abnehmenden Akzeptanz für terrestrisches lineares Fernsehen hin zu alternativen Verbreitungswegen und zu einer vermehrten Nutzung von nicht-linearen Angeboten insbesondere bei jüngeren Altersgruppen”.
Da passte es in die Lesart der Mobilfunker, was im Februar 2022 Christoph Vilanek – Chef der Freenet AG, zu der auch der DVB-T2-Sendenetzbetreiber Media Broadcast gehört – in einem Interview erklärte. Er sprach davon, die DVB-T2-Frequenzen seien noch bis 2030 nutzbar, und dann gebe es “nach heutigem Wissen ein natürliches Ende”. Wiederholt hat Vilanek diese Sichtweise nicht – zumal Media Broadcast der Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen angehört, die eben dafür plädiert, dass der Rundfunk das bisherige Frequenzspektrum über 2030 hinaus behält.
Von einer rückläufigen Akzeptanz von DVB-T2 will die ARD nichts wissen und hält dagegen: Im Gegensatz zu Behauptungen aus der Mobilfunkindustrie stagniere oder sinke die Nutzung keineswegs, teilt der Senderverbund dem epd mit. Es dürfe hier nicht nur die stationäre Nutzung im Wohnzimmer berücksichtigt werden, sondern zusätzlich auch die portable, also die außerhalb der eigenen vier Wände. Dann zeige sich, dass DVB-T2 insgesamt von knapp 14 % der deutschen Haushalte genutzt werde. Das sei “seit 2019 eine Steigerung von 31 %”.
Ferner sei die terrestrische Rundfunkverbreitung in Krisen- und Notzeiten die zuverlässigste, so die ARD. Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 habe deutlich gemacht, wie störanfällig das Mobilfunknetz bei Stromausfällen sei. Ein allgemeiner Stromausfall beende jegliche Mobilfunkkommunikation sofort. Bei der Rundfunkübertragung gebe es bei Stromausfall Notstromversorgungen über einen längeren Zeitraum. Eine portable Nutzung von DVB-T2 sei über batteriebetriebene Geräte möglich, so dass im Katastrophenfall die Bevölkerung übers Fernsehen auch mit visuellen Informationen informiert werden könne.
Bei den Bundesländern scheint die Lobbyarbeit der Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen gefruchtet zu haben. “Eine weitere Öffnung des TV-UHF-Bandes, insbesondere für kommerzielle Mobilfunkanbieter, lehnen die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zum Schutz der bisherigen Anwendungen im Rundfunk- und Kulturbereich ab”, heißt es in einem jüngst getroffenen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz. Dem Beschluss vom 19. Juni, der dem epd vorliegt, stimmten 13 Länder zu – Bayern, Hamburg und Thüringen nicht.
Gleichwohl plädiert die MPK dafür, das Frequenzspektrum zwischen 470 und 694 MHz für den Mobilfunk zu öffnen, über eine ko-primäre Zuweisung. Ein solches Votum sollte nach Auffassung der MPK die deutsche Position für die WRC in Dubai sein. Auf Basis einer solchen ko-primären Zuweisung für den Mobilfunk sollen dann auf nationaler Ebene ausschließlich Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) – etwa Polizei, Feuerwehr und das Technische Hilfswerk – sowie die Bundeswehr Frequenzkapazitäten erhalten, und zwar “im Umfang von bis zu 30 MHz nach 2030”. Wo diese Kapazitäten im Spektrum 470 bis 694 MHz genau angesiedelt sein sollen, sei mit europäischen Nachbarländern abzustimmen. Außerdem sollen Beeinträchtigungen der Funkübertragungen des Rundfunks und Kulturbereichs vermieden werden.
Die Bundesregierung tritt ebenfalls dafür ein, dem Mobilfunk eine ko-primäre Zuweisung zu erteilen. Im Spektrum 470 bis 694 MHz sollten “künftig Rundfunkdienst und Mobilfunkdienst ko-primär – also gleichrangig – genutzt werden”, erklärt auf epd-Nachfrage das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, das auch die deutsche WRC-Delegation in Dubai leiten wird. Allerdings will sich das Ministerium nicht festlegen, um welche Art von Mobilfunk es gehen soll – anders als die Bundesländer. Eine gemeinsame Zuweisung an den Rundfunk- und Mobilfunkdienst im TV-UHF-Band auf internationaler Ebene biete “die größtmögliche Flexibilität für eine breitere Nutzung des umfangreichen Frequenzspektrums von 224 MHz in der Zukunft”, so das Ministerium. Zu berücksichtigen seien dabei die “unterschiedlichen Interessen der bisherigen Nutzer von Rundfunk und drahtloser Produktionstechnik einerseits sowie der neuen Anforderungen” von Behörden, Militär und öffentlichem Mobilfunk andererseits.
Die Festlegungen im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP würden bei der weiteren Abstimmung beachtet, erklärte das Digitalministerium. Rundfunk und Veranstaltungstechnik hätten “eine klare Bestandsgarantie und Entwicklungsperspektive in dem Band auch nach 2030”. Im Koalitionsvertrag hatten die drei Regierungsparteien im Jahr 2021 festgelegt: “Wir wollen das UHF-Band dauerhaft für Kultur und Rundfunk sichern.”
Wird dem Mobilfunk bei einer WRC ein Spektrum zugewiesen, wird im Grundsatz nicht noch weiter unterschieden, ob es dabei um kommerziellen Mobilfunk oder Mobilfunk für Behörden geht. Die Nationalstaaten oder Staatenbünde müssen dann bei ihrer Frequenzplanung entscheiden, wer wie viel Kapazität erhält.
In Deutschland fordern die BOS-Dienste schon länger ein eigenes Mobilfunknetz, das neben Sprach- auch Datenübertragung ermöglicht. Das derzeitige BOS-Digitalfunknetz kann ausschließlich Sprache übertragen. Die BOS-Dienste benötigten für Sprach- und Datenkommunikation “ein leistungsfähiges Mobilfunknetz”, sagte im Mai 2022 Andreas Gegenfurtner, Präsident der in Berlin angesiedelten Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, kurz BDBOS. Die BOS-Dienste bräuchten für ein eigenes Netz im Spektrum von 470 bis 694 MHz einen Frequenzumfang von mindestens 60 MHz, was auch durch Studien belegt sei. Die Innenministerkonferenz der Länder plädierte zuletzt ebenfalls für diesen Kapazitätsumfang, der nun von der Ministerpräsidentenkonferenz aber auf maximal die Hälfte reduziert wurde.
Würde Deutschland für BOS-Dienste ein eigenes Mobilfunknetz aufbauen, wäre dies ein Sonderweg. Weltweit werde das Konzept eines eigenen BOS-Netzes von keinem anderen Land verfolgt, heißt es im Positionspapier der Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen. International habe sich etabliert, dass kommerzielle Mobilfunkanbieter in ihren Netzen die Kommunikation von Polizei, Feuerwehr und weiteren Rettungskräften mit übertragen. Viele Länder hätten dabei für den BOS-Bereich “eine priorisierte Mitnutzung” durchgesetzt. Das sei auch viel billiger, als ein neues deutschlandweites Netz aufzubauen, so die Allianz. Die Kosten dafür werden in der Telekommunikationsbranche auf mindestens 30 Mrd Euro taxiert – manch einer fragt sich, ob so viel Steuergeld dafür überhaupt verfügbar wäre.
Die Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen schlägt daher vor, in Deutschland die in anderen Ländern etablierte priorisierte Mitbenutzung von kommerziellen Mobilfunknetzen durch BOS zu übernehmen und dies gesetzlich zu verankern. In den kommenden Jahren müssen die Mobilfunk-Frequenzen aus dem 700-MHz- und 800-MHz-Band neu vergeben werden. Dann ließen sich solche Regelungen umsetzen. Auch die Deutsche Telekom hält es für wesentlich effizienter, wenn BOS-Dienste kommerzielle Mobilfunknetze mit nutzten.
Käme es zu einem Mitnutzungsmodell, gäbe es mit den BOS-Diensten einen Interessenten weniger für das Spektrum von 470 bis 694 MHz. Würden in diesem Spektrum aber die BOS-Dienste und auch noch der kommerzielle Mobilfunk Frequenzbereiche ab 2031 erhalten, dann wäre für den Rundfunk und die Funkmikrofone kaum noch Platz – sie würden praktisch hinausgedrängt. Für die ARD wäre ein solches Szenario “das Ende von DVB-T2 sowie der Nutzung des Spektrums durch PMSE”. Ähnlich schätzt es “SOS”-Sprecher Zenthöfer ein.
Würde am Ende umgesetzt, wie die Ministerpräsidenten das TV-UHF-Spektrum ab 2031 aufgeteilt wissen wollen, hätte dies für den Rundfunk und Funkmikrofone nicht so gravierende Auswirkungen. Gleichwohl hätten beide Bereiche dann Einschnitte hinzunehmen. Das geht aus einem dem epd vorliegenden Szenarienpapier hervor, das die Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen im März 2023 erstellt hat. Demnach würden, wenn die BOS-Dienste Mobilfunkkapazitäten im Umfang von 30 MHz im Spektrum von 470 bis 694 MHz erhielten, 10 % der Frequenzen für die Funkmikrofone wegfallen. Bei DVB-T2 müsste das Angebot mit aktuell rund 40 Programmen um bis zu sieben reduziert werden.
Die “Entwicklungsfähigkeit der Terrestrik” wäre dem Papier zufolge weiterhin gegeben, um in der Zukunft über diese Frequenzen möglicherweise 5G-Broadcast einzusetzen. Bei 5G-Broadcast können Rundfunkinhalte auf mobilen Endgeräten empfangen werden, ohne dass eine SIM-Karte benötigt und damit das Datenvolumen des Nutzers belastet wird. Außerdem kann es – anders als beim Mobilfunk – keine Netzüberlastung geben, weil es sich um eine sogenannte Point-to-Multipoint-Übertragung handelt. In der ARD gibt es zu 5G Broadcast erste Tests. Am 7. Juli haben sich mehrere europäische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, darunter aus Deutschland der SWR und der BR, auf eine Roadmap verständigt, um 5G Broadcast marktreif zu machen.
Würden in Deutschland BOS oder kommerzielle Mobilfunkunternehmen das Spektrum von 470 bis 694 MHz nutzen wollen, wären auch frequenztechnische Abstimmungen mit den Nachbarländern erforderlich. In diesen müssten dieselben Frequenzen ebenfalls dem Mobilfunk zugeordnet werden – dort dürften sie also nicht mehr für das digital-terrestrische Fernsehen oder Funkmikrofone genutzt werden. Ohne eine solche länderübergreifende Abstimmung könnte Deutschland ein neues Mobilfunknetz störungsfrei nur in einer Region betreiben, die Experten “Kasseler Banane” nennen. Dieses Gebiet mit der Stadt Kassel im Zentrum hat in etwa die Form einer Banane.
Dass alle Nachbarländer Deutschlands ein eigenes deutsches BOS-Netz unterstützen würden, darf bezweifelt werden. Drei Nachbarländer – Frankreich, Polen und Österreich – vertreten die “No Change”-Position. Sie wollen erreichen, dass es bei der WRC keine Änderungen am Frequenzspektrum von 470 bis 694 MHz gibt. Auch beispielsweise Italien, Spanien und Griechenland sehen dies so. In den genannten sechs Ländern ist gerade die Nutzung des digital-terrestrischen Fernsehens groß. Demgegenüber sind die Niederlande und Dänemark als deutsche Nachbarländer sowie Schweden, Finnland, Slowenien und Litauen dafür, das TV-UHF-Band ab 2031 ko-primär auch dem Mobilfunk zuzuweisen – wofür auf EU-Ebene auch die Bundesregierung eintritt. Das zeigt: Die Positionen innerhalb der EU sind gespalten.
Die EU hat sich nun aber erstmals das Ziel gesetzt, zur anstehenden WRC in Dubai eine einheitliche Position zur künftigen Verteilung des Frequenzspektrums von 470 bis 694 MHz zu vertreten. Bei einer WRC hat die EU kein Stimmrecht und verfügt auch nur über einen Beobachterstatus. Allerdings wären die EU-Mitgliedstaaten an ein Gemeinschaftsvotum des EU-Rats bei den WRC-Abstimmungen in Dubai gebunden.
Die EU-Kommission hat einen Beschlussvorschlag verabschiedet, “der den Standpunkt der EU zu Fragen der Frequenznutzung festlegt, die auf der Weltfunkkonferenz 2023 der Internationalen Fernmeldeunion erörtert werden sollen”, erklärte eine Kommissionssprecherin auf Nachfrage. Dieser Vorschlag liegt nun dem Rat zur Entscheidung vor, in dem die Mitgliedstaaten vertreten sind. “Der Inhalt des Kommissionsvorschlags bleibt bis nach der WRC-23 vertraulich”, betont die Sprecherin.
Nach epd-Informationen plädiert die EU-Kommission weder für “No Change” noch für ko-primär, sondern für die sogenannte sekundäre Zuweisung des Mobilfunks im Frequenzspektrum von 470 bis 694 MHz ab 2031 –ƒ eine Art Kompromissvorschlag, den auch die Radio Spectrum Policy Group unterstützt, ein Gremium, das die EU-Kommission in frequenzpolitischen Fragen berät. Auch die Europäische Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation plädiert nach dem derzeitigen Verhandlungsstand für eine sekundäre Zuweisung an den Mobilfunk. Eine solche Zuweisung würde im Grundsatz bedeuten, dass es erst bei der nächsten oder übernächsten WRC eine Neuverhandlung über die Verteilung des Spektrums gäbe.
Wann nun der Rat die endgültige Position der EU zur bevorstehenden WRC beschließen wird, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Damit die EU mit einer Stimme sprechen kann, ist im Rat eine doppelte qualifizierte Mehrheit nötig. Ein Beschlussvorschlag ist immer dann angenommen, wenn er im Rat unterstützt wird von mindestens 55 % der Mitgliedstaaten, also mindestens 15 von 27 EU-Ländern, die zugleich 65 % der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren. Die abschließende Entscheidung zur WRC-Position der EU soll geheim bleiben und nicht veröffentlicht werden. Die Lobbyarbeit für alle an der WRC Beteiligten ist noch nicht zu Ende.