“Man muss sich auch immer selbst hinterfragen” – Radio-Bremen-Intendantin Yvette Gerner über Radiokultur, Rundfunkbeitrag und Ruhegeld.
18. März 2024
Kleiner Sender, große Töne: “Wir müssen auffallen und tun es”, sagt Radio-Bremen-Intendantin Yvette Gerner. Als Chefin der chronisch klammen, kleinsten ARD-Anstalt freut sie sich im Interview mit turi2-Chefredakteur Markus Trantow darüber, dass der Zukunftsrat der Öffentlich-Rechtlichen zu dem Sender steht und Fusionsfantasien eine Absage erteilt: “Wir geben wichtige kreative Impulse in die ARD-Gemeinschaft hinein. Wir sind nicht Teil des Problems, wir sind Teil der Lösung”, sagt sie. Als Sender ohne eigenes TV-Vollprogramm steht das Radio für Gerner “im Zentrum unseres regionalen Tuns”. Warum sie wenig Angst davor hat, dass dem Medium das junge Publikum davon läuft, wie sie zur Diskussion über den Rundfunkbeitrag steht und warum sie auf eine anstehende Gehaltserhöhung verzichtet, erklärt Gerner im Auftakt-Interview zur Themenwoche Audio bei turi2.
Yvette Gerner, für unsere Themenwoche Audio möchte ich gerne wissen: Was verbindet Sie mit dem Medium Radio?
Radio begleitet mich schon mein ganzes Leben. Ich habe während des Studiums für eine kleine Radioagentur von zwei Studenten gearbeitet, die Beiträge für einen Privatsender in der Nähe von Heidelberg produziert haben. In meinem ersten Beitrag sollte es um eine Vernissage von Günter Grass gehen. Grass wollte mir aber erstmal überhaupt kein Interview geben, weil er Privatradio nicht mochte – ich musste ihn überreden. Zurück in der Agentur haben wir den Beitrag vertont, ganz stilecht mit einem Bettbezug als Schalldämmung, damit die Stimme wie im Studio klingt.
Skills, die viele Radio-Profis während der Pandemie im Homeoffice wieder hervorgekramt haben. Radio Bremen setzt voll auf Radio: Neben dem Saarländischen Rundfunk sind Sie der einzige ARD-Sender, der kein eigenes TV-Vollprogramm macht. Warum braucht Bremen kein eigenes Fernsehen?
Das Geld dafür haben wir schon vor Jahren eingespart, aber wir sind mit unserem kooperierten Dritten Programm mit dem NDR gut aufgestellt. Wir konzentrieren uns auf die Informationen und Angebote, die für die Region relevant sind, oder liefern besondere Produkte wie “3nach9”, die Mutter aller Talkshows.
Zudem: Wir tragen das Radio nicht nur im Namen, sondern auch im Herzen. Ich beobachte eine besondere Beziehung zwischen den Hörer:innen in Bremen und ihren Lieblingssendern.
Radio ist für Sie also wichtiger als für andere ARD-Anstalten?
Radio steht mehr im Zentrum unseres regionalen Tuns. Wir sind gut aufgestellt mit unseren vier Wellen Bremen Eins, Bremen Zwei, Bremen Vier und Bremen Next. Außerdem produzieren wir gemeinsam mit RBB und WDR Cosmo, ein internationales und interkulturelles Hörfunkprogramm.
Eine Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass wir mit unseren Radio-Programmen täglich jeden zweiten Menschen in unserem Sendegebiet erreichen. Innerhalb eines Monats sind es sogar 96 Prozent der Menschen im Land. Das zeigt die Power von Radio. Radio verbindet Menschen und liefert Grundinformationen. Es ist Teil unseres Alltags. Und insofern hat es für uns einen hohen Stellenwert.
Radio Bremen hat den Ruf, besonders innovativ zu sein: Loriot hatte hier sein mediales Zuhause, Rudi Carrell seine ersten Shows, genauso wie Hape Kerkeling. Auch Jan Böhmermann hat bei Ihnen seine ersten Schritte in den Medien gemacht. Wie innovativ ist Radio Bremen heute?
Wir verstehen uns als Innovationsschmiede. Das spielt in der Unternehmenskultur und -strategie eine große Rolle. Wir müssen die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, sehr klug einsetzen. Wir haben auf der einen Seite unser Standbein mit regionalen Inhalten. Auf der anderen Seite ist das Spielbein und da wollen wir mit allem, was wir machen, auffallen. Im Videobereich haben wir etwa das investigative Format “Y-Kollektiv”. Es gibt auch ein regionales Cross-Over-Format von Bremen Next und “buten und binnen”, das “What the Fact Bremen” heißt. Das ist ein Info-Format für die TikTok-Community, das jetzt vielleicht auch von der ARD aufgegriffen wird. Und dann sind da natürlich unsere Podcasts: Allein im vergangenen Jahr waren wir an 28 Produktionen mit 972 Folgen beteiligt. Unser Flaggschiff “Kein Mucks! – Der Krimipodcast mit Bastian Pastewka” kennen und hören Sie vermutlich auch.
Das ist ein Podcast, in dem Pastewka historische Hörspiele bespricht und wiederaufführt. Wie man hört, ist der sehr erfolgreich. Wann ist ein Podcast für Sie erfolgreich und wann ist eine Produktion für Sie zu nischig?
Tatsächlich führt “Kein Mucks!” regelmäßig die Liste der Podcasts mit den meisten Abrufen in der ARD Audiothek an. Auf diesen Erfolg sind wir sehr stolz. “Zu nischig” ist erstmal keine Kategorie, nach der wir entscheiden, sondern das Thema und die Erzählweise müssen zu unseren Zielgruppen passen. Wenn wir dann ein spannendes Projekt haben, bekommen auch unkonventionelle Ideen eine Chance. Sie haben ja gerade aufgezählt, wer bei uns alles die ersten Schritte gemacht hat – dazuzählen würde ich übrigens auch Maren Kroymann, die mit “Nachtschwester Kroymann” als erste Frau eine Satire-Sendung im Fernsehen hatte, – sowas gelingt nur, wenn man auch den Mut hat, Neues auszuprobieren. Wenn der Funke überspringt, ist das für mich Erfolg. Wenn ein Projekt auch quotenmäßig erfolgreich war, bemühen wir uns darum, es fortzusetzen.
Was wollte Yvette Gerner als Kind werden? Wer ist ihr Vorbild? Und was will die Radio-Bremen-Intendantin am Tag ihrer Beerdigung auf keinen Fall hören? Der legendäre Video-Fragebogen von turi2, beantwortet von Yvette Gerner.
Kommen die künftigen Stars von Radio Bremen noch aus dem Radio oder eher aus Social Media?
Es ist schon so, dass wir die Talente meist noch selbst entwickeln. Es gibt aber beides: Leute, die ganz klassisch über ein Praktikum kommen, ein Volontariat absolvieren oder frei mitarbeiten und sich dann weiterentwickeln. Und es gibt solche, die einen Social-Media-Hintergrund haben und sich eher als Content-Creators verstehen. Die Wege sind vielfältig: Bei Bremen Next erleben wir zum Beispiel auch Menschen, die aus der DJ-Szene kommen und nun bei uns moderieren. Auch im “Y-Kollektiv” sehen wir immer wieder Reporterinnen und Reporter, die eine besondere Qualität haben und dann auch in anderen ARD-Formaten auftauchen. Ende Februar hatten wir übrigens einen großen Strategie-Workshop, zu dem alle interessierten Kolleginnen und Kollegen aus allen Hierarchie-Ebenen des Senders eingeladen waren. Da ging es unter anderem um neue Talente, wie wir sie gewinnen, welche Voraussetzungen und Freiheiten sie brauchen, damit sich Typen entwickeln können.
Womit gewinnen und halten Sie Talente?
Jedenfalls nicht mit dem höchsten Gehalt (lacht). Wir punkten bei Radio Bremen unter anderem mit einer guten Unternehmenskultur und bringen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Vertrauen entgegen: Sie können Strukturen mitgestalten, haben Freiräume und können Verantwortung übernehmen. Dass diese Strategie aufgeht, hören wir zum Beispiel von unseren Volos. Sie sind begeistert, wie schnell sie bei uns in den Redaktionen mit anpacken können. Gerade bei Bremen Next achten wir darauf, immer wieder ganz neuen Leuten eine Chance zu geben und dabei auch sehr eng mit der Community zusammenzuarbeiten.
Wenn ich heute Radio höre, erkenne ich kaum mehr Unterschiede zwischen einer ARD-Popwelle und einem privaten Hörfunkprogramm. Zudem hat sich Radio vom Höreindruck in den vergangenen 30 Jahren kaum verändert. Braucht Radio mal wieder einen echten Innovationsschub?
Der These, dass wir uns vom Privatfunk kaum unterscheiden, muss ich widersprechen. Ich höre deutliche Unterschiede – vielleicht nicht bei den Musiktiteln, aber in der Ansprache und der Themensetzung. Sie werden bei uns immer sowohl regionale als auch überregionale Inhalte hören. Und relevante Themen kommen auch außerhalb der Nachrichtensendungen immer wieder vor. Zur Frage, wie viel Innovation das Radio braucht: Ich finde, es geht aktuell um eine Neuerfindung des Verhältnisses zu unserem Publikum.
Wie meinen Sie das konkret?
Die Populärwellen haben schon immer ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Publikum, sie stehen in einem engen Austausch durch Social Media und Programm-Aktionen. Dazu kommt, dass wir die Redaktionen und die Menschen immer öfter direkt – also in echter Begegnung – in den Dialog bringen. Wir haben beispielsweise eine neue Funkhaus-Tour entwickelt. Die heißt “Medientour Plus” und bringt die Teilnehmenden mit den Redaktionen ins Gespräch. Ein wichtiges Feedback für die Programmmacherinnen und -macher. Ein anderes Beispiel ist Bremen Next. Die Kolleginnen und Kollegen haben ihr Publikum zum Thema Mobbing befragt. Rund 1.000 Menschen haben bei der Befragung mitgemacht. Danach hat jeder zweite selbst schon Mobbing erlebt, ein Drittel hat Mobbing beobachtet. Die Befragten haben zum Teil sehr bedrückende Geschichten geteilt. Bremen Next hat daraufhin entschieden, das Thema in einer ganzen Themenwoche aufzuarbeiten, die gerade zu Ende gegangen ist.
Es gibt Prognosen und Studien, die besagen, dass das junge Publikum das Radio, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, immer weniger einschaltet. Wie locken Sie die jungen Leute?
Unsere Zahlen sind – wie eingangs gesagt – gut. Trotzdem diskutieren wir das immer wieder: Wie binden wir Communitys? Wie finden wir die richtige Mischung aus Musik und “News to use”? Eine Playlist bei Spotify erstellen kann jeder. Radio ist aber mehr als eine Playlist, Radio ist Teil des Lebens. Wenn wir es schaffen, der Community zu zeigen, dass wir ihre Themen kennen und ernst nehmen, dass sie sich auf uns verlassen kann, dass wir die Bewahrer von gut recherchierten Fakten und Echtem sind, dann ist das schon marktrelevant – vor allem aber ist es Gemeinwohl-relevant.
Radio Bremen wird 1945 gegründet, ist die kleinste der neun ARD-Anstalten in Deutschland und gilt als die agilste. Der Sender veranstaltet kein eigenes TV-Vollprogramm, sondern kooperiert mit dem NDR. Dennoch sind die Programm-Fenster aus Bremen sehr erfolgreich. Darunter ist mit 3nach9 die älteste noch laufende Talkshow im deutschen Fernsehen – die Sendung, die seit 1989 von Giovanni di Lorenzo moderiert wird, feiert dieses Jahr 50. Geburtstag. Bei Radio Bremen entstehen vier Radioprogramme, darunter das jüngste ARD-Radio Bremen Next, gegründet 2016. Ein fünfter Sender, Cosmo, entsteht in Zusammenarbeit mit WDR und RBB. Seit 2019 führt Yvetter Gerner den Sender als Intendantin.
Spotify ist ein gutes Stichwort: Die meisten Sender suchen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das Musikprogramm darf nicht polarisieren, die Wortinseln dürfen nicht stören – Hauptsache, es gibt keine Abschalt-Impulse. Ist dieser Fokus auf den Massengeschmack in Zeiten, in denen bei Spotify jeder sein eigener DJ ist, noch angemessen?
Unser Auftrag ist es, alle Menschen zu erreichen. Daher finde ich einen Fokus auf den Mehrheitsgeschmack nicht verkehrt. Die Frage ist, wie wir ein Massenpublikum bedienen. Und ich glaube, dass wir da gute, öffentlich-rechtliche Antworten finden und dem Publikum schon hin und wieder etwas zumuten müssen. So können wir helfen, in einer Zeit, in der viele Menschen nur noch Partikular-Interessen verfolgen, Verbindungen und Gemeinschaft zu schaffen. Die Erwartungen des Publikums sind jeweils andere. Ich denke auch, dass das Publikum mehr mitmacht, sich für mehr interessiert, als wir manchmal glauben. Als Bremen Next zum Beispiel aus dem Jugendstrafvollzug gesendet hat, war das nichts, was per se dem Massengeschmack entspricht – und trotzdem war die Resonanz beeindruckend.
Muss es in Zukunft überhaupt noch klassisches Radio geben, in dem Menschen moderieren oder sich Nächte und Feiertage um die Ohren schlagen? Schon heute gibt es Automationen, die Sendungen besser fahren als der Mensch, KI-Voice-Modelle werden immer überzeugender.
Ich kann jetzt nur für Radio Bremen sprechen, aber ich gehe davon aus, dass es klassisches lineares Radio mit echten Moderator:innen weiter geben wird, gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo es besonders um Glaubwürdigkeit geht. Das sehen wir ja auch an den Nutzungszahlen. Wir müssen, wenn es um KI geht, als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt nicht alles machen, was möglich ist. Wir müssen uns immer überlegen, was unsere Verantwortung ist und was der Einsatz von KI mit unserer Glaubwürdigkeit macht. Für mich hängt ein Großteil unserer Glaubwürdigkeit an den Menschen und ihren Stimmen, die bei uns durch den Tag führen. KI hat für mich im Moment den Charme eines Unterstützungstools. Hier bieten sich viele Möglichkeiten: automatisierte Übersetzung, Untertitelung oder in der Nacht – wenn mehrere Sender aus Effizienzgründen zusammengeschaltet sind – regionalisierte Verkehrsnachrichten. Es gibt viele Möglichkeiten, KI einzusetzen, die journalistische Arbeit aber nicht ersetzten.
Worauf legen Sie Wert? Menschliche Moderation? Ein überlegtes, kuratiertes Programm? Im Privatradio gibt es ja schon ganze Wellen, die nur aus KI-generiertem Programm bestehen.
Natürlich beobachten wir das, haben aber keine Pläne, die in diese Richtung gehen. Ich erlebe, dass unser Publikum “seine” Moderator:innen schätzt und ihrer Expertise vertraut. Diese Beziehung zum Publikum ist unheimlich wertvoll. Wichtig sind mir in Bezug auf KI und Zukunftsfähigkeit eher gute Kooperationen und kluge Innovationen mit und innerhalb der ARD-Gemeinschaft im Rahmen der Strategie Audiothek Next und der aktuellen Reformen. Wichtig ist auch: Wir sparen nicht an journalistischer Expertise und Sachverstand – und die lagern wir auch nicht an eine KI aus. Es kann schon sein, dass wir bei kleineren Formaten mal mit KI experimentieren, aber das ist kein Trend für unsere Radioprogramme.
Gibt es bei Ihnen Szenarien, was mit dem Radio passiert, wenn es irgendwann seine Rolle als Tagesbegleiter verliert? Im TV erleben wir ja eine solche grundsätzliche Verschiebung gerade.
Ich wage erstmal keine Szenarien über 2030 hinaus. Auch weil wir sehen, dass die Nutzung des Radios nur wenig abnimmt. Das ist im Fernsehen anders, da erwarten wir spätestens um 2030 herum den Kipppunkt. Insofern besteht für Radio Bremen die Kunst darin, unsere Ressourcen so einzusetzen, dass wir das Publikum, das lineares Radio hört, weiter bedienen und gleichzeitig Mittel für das digitale Publikum umschichten, das vor allem non-lineare Audio-Produkte nutzt. Dieses “sowohl als auch” wird für uns weiter wichtig bleiben, auch in der ARD Audiothek. Im nächsten Jahr werden Sie eine ganz andere ARD Audiothek als heute erleben. Sie wird dann nicht nur Heimat für Hörspiele und Podcasts sein, sondern auch für Apps von Radiowellen und vieles bündeln, was die ARD an Audio bietet.
Seit dem RBB-Skandal um Patricia Schlesinger steht der ÖRR unter massivem Druck. Wie hat sich Ihre Arbeit als Intendantin seit 2022 verändert? Müssen Sie sich öfter rechtfertigen?
Das kommt immer darauf an, vor welchem Publikum ich spreche. Da kann ich als Beispiel unseren Tag der offenen Tür im vergangenen Jahr nennen. Wir gingen davon aus, dass der ganze Tag Debatte sein wird, und haben uns auf alle möglichen kritischen Fragen vorbereitet. Am Ende kamen ganz wenige kritische Fragen. Den Menschen war es viel wichtiger zu erfahren, wie wir den “Tatort” produzieren, wo es zu Bremen Eins geht und ob ihre Lieblingsmoderatorinnen und -moderatoren auch da sind. Trotzdem gibt es die hitzige, medienpolitische Debatte in Teilen der Gesellschaft. Deswegen erkläre ich heute noch mehr, was wir eigentlich tun. Auch bei uns im Haus diskutieren wir mehr. Dafür haben wir regelmäßige Formate, bei denen sich alle zuschalten können. Auch in der ARD diskutieren und reflektieren wir viel und fragen uns, wo wir uns verändern oder Strukturen anpassen müssen, vor allem aber intensivieren wir den Dialog und Austausch mit den Menschen, für die wir arbeiten.
Sie setzen auch selbst Spar-Zeichen: Verzichten auf eine Gehaltserhöhung, haben kein Ruhegeld für Ihre zweite Amtszeit mehr vereinbart. Verdienen die Intendantinnen und Intendanten der ARD zu viel Geld?
Gehaltsdebatten sind immer schwierig, darauf gibt es auch keine abschließenden Antworten. Letztlich entscheidet der Verwaltungsrat über die Höhe des Intendantinnengehalts und die Vertragsbestandteile. Warum habe ich auf mehr Geld verzichtet? Weil ich finde, dass man sich auch immer selbst hinterfragen und entscheiden muss, was in diese Zeit passt. Ob das Ergebnis alle Kritiker befriedigt, sei mal dahingestellt.
Wäre es nicht ein noch stärkeres Zeichen, wenn Radio Bremen und der NDR fusionieren würden?
Dann würde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch viel fehlen, Herr Trantow. Auch der Zukunftsrat hat sich ja gegen Fusionen ausgesprochen – vielmehr betont er die Bedeutung der regionalen Präsenz für die ARD. Weniger Anstalten bedeuten nicht, dass das System besser oder Geld gespart wird. Ganz im Gegenteil, wir würden sehr viel öffentlich-rechtliche Substanz und Innovationskraft verlieren. Wir als Radio Bremen geben wichtige kreative Impulse in die ARD-Gemeinschaft hinein. Wir sind nicht Teil des Problems, wir sind Teil der Lösung.
Teil des öffentlichen Drucks ist die Diskussion um den Rundfunkbeitrag. Ich habe das Gefühl, seit der letzten Runde, in der erstmals ein Bundesland der Erhöhung nicht zugestimmt hatte, hört die Diskussion gar nicht mehr auf. Lässt sich diese Dauer-Diskussion irgendwie lösen, vielleicht indem man den Beitrag an die Entwicklung der Inflation koppelt?
Kurzfristig sind wir ja in einem Verfahren zur Anpassung des Beitrags, bei dem jetzt die dritte Stufe erreicht ist, und der Ball liegt bei den Ländern. Mittel- und langfristig ist die Frage, wie die Länder den Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschreiben, ob und wie das Finanzierungsverfahren dafür angepasst werden kann. Da wäre eine Art Indexverfahren eine Möglichkeit. Das aber entscheiden die Länder. Aktuell vertraue ich auf das medienpolitisch bewährte und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Verfahren.
Man sagt ja, unter Druck entstehen Diamanten. Ist die Geldknappheit bei Radio Bremen vielleicht sogar Voraussetzung für die Kreativität und die Innovationskraft, die man Ihrem Sender nachsagt?
Das klappt nur, solange es nicht mehr Druck wird – zu starken Druck hält auch ein Diamant irgendwann nicht mehr aus. Es kann sein, dass das ein Teil unseres Erfolgs ist. Ich glaube aber, dass es eher an unserer Größe liegt. Ich kann zum Beispiel alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Radio Bremen auffordern, mit mir zusammen die Strategie für die kommenden vier Jahre zu entwickeln – und die Leute wollen das auch. Das ist unsere Firmenkultur. Dazu kommt: Die ausgewählten Produktionen, die wir für den ARD-Verbund machen, müssen auffallen, sollten besonders und gerade jüngeres Publikum ansprechen. Ein gutes Beispiel dafür ist das “Y-Kollektiv” – egal ob als Bewegtbild oder Audio. Diesen Spirit haben alle verstanden. Wir wollen auffallen. Wir müssen auffallen und tun es.
Aus allen Teilen Deutschlands hört man spätestens seit der Pandemie, dass Medienschaffende bedrängt, angegriffen oder beleidigt werden. Bei Ihnen hört man davon wenig. Was ist in Bremen gesellschaftlich anders als im Rest Deutschlands?
Das stimmt, bei uns ist die Situation noch relativ entspannt, obwohl auch wir spüren, dass das Klima rauer wird und es zum Beispiel verbale Drohungen gibt. Ich denke, das hängt auch an der engagierten Bürgergesellschaft im Land und zum “Lebensgefühl Bremen” gehört unbedingt auch Radio Bremen – wir sind für viele eine Herzensangelegenheit. Wir arbeiten hart daran, diesem Vertrauen gerecht zu werden. Bei unserem Regionalmagazin “buten un binnen” machen wir das anscheinend schon ganz gut, sagen uns zumindest die Quoten. Da sind wir seit Jahren das erfolgreichste Regionalmagazin Deutschlands.
Sie starten im Sommer in Ihre zweite Amtszeit als Intendantin. Was wollen Sie in den kommenden vier Jahren anpacken?
So eine neue Amtszeit beginnt ja nicht mit dem 1. August, sie beginnt perspektivisch mit der Wahl. Ich habe mir vorgenommen, dass wir unser Programm noch viel entschiedener vom Publikum her denken – das gilt vor allem für die Themenvielfalt. Die Unterstützung dafür habe ich im ganzen Haus. In Bremen leben Menschen aus rund 140 Nationen und wir müssen ganz nah ran an deren Lebenswirklichkeit. Wir wollen relevanter Faktor sein im Leben der Menschen, indem wir ihre Themen aufgreifen. Gleichzeitig sind wir dabei, uns neu aufzustellen für den rasanten Medienwandel. Da geht es auch um Ressourcen und Strukturen und darum, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitzunehmen. Ich möchte weiter an der Radio Bremen-Kultur arbeiten, die sehr auf Augenhöhe ausgerichtet ist, damit haben wir in den vergangenen Jahren schon begonnen – aber mit Kulturentwicklung sind Sie ja nie fertig. Und last but never least: Ich will die Reformen in der ARD entscheidend unterstützen und sie als Gemeinschaft weiter stärken.
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