“Wir sind zeitgemäßer denn je” – Das Kleine Fernsehspiel und die Bedeutung von TV für junge Filmschaffende.
19. August 2023
Jung geblieben: Seit 60 Jahren zeigt das Kleine Fernsehspiel im ZDF Filme von aufstrebenden Regisseurinnen. Zum Jubiläum sprechen Redaktionsleiter Burkhard Althoff und Redakteurin Melvina Kotios mit Thomas Gehringer bei epd Medien darüber, welche Bedeutung das Fernsehen für junge Filmschaffende noch hat und wie die Redaktion junge Talente fördert. Außerdem geht es um Transparenz beim Auswahlverfahren, die Bedeutung von Sendeplätzen und das Interesse des jüngeren Publikums.
Interview von Thomas Gehringer / epd Medien
Herr Althoff, zum 60-jährigen Bestehen des Kleinen Fernsehspiels haben Sie 15 Filme für eine Retro-Reihe ausgewählt – Filme von Jutta Brückner, Burhan Qurbani und anderen, die zurzeit auch in der ZDF-Mediathek zu finden sind. Was waren die Kriterien?
Burkhard Althoff: Man könnte von etwa 1700 Filmen, die im Kleinen Fernsehspiel entstanden sind, natürlich viel mehr zeigen. Aber die Rechte noch einmal zu erwerben, bedeutet einen großen finanziellen Aufwand. Deshalb mussten wir uns beschränken. Bei der Auswahl haben wir uns an “To Show or not to Show” orientiert. Das ist ein Film, den wir uns zum Jubiläum geleistet haben und für den die Filmemacherinnen Jana Keuchel und Katharina Knust Filmschaffende noch einmal zu ihren Erfahrungen mit dem Kleinen Fernsehspiel befragt haben. Außerdem wollten wir zeigen, welche bedeutenden Regisseurinnen und Regisseure im Kleinen Fernsehspiel angefangen haben. Deswegen haben wir zum Beispiel Filme von Emily Atef und Fatih Akin, Norah Fingscheidt und Anne Zohra Berrached ins Programm genommen.
Es fehlen die frühen Filme aus den 1960er Jahren oder auch Filme von Rainer Werner Fassbinder, Jim Jarmusch und Rosa von Praunheim. Sind diese Filme alle erhalten?
Althoff: Die Filme sind alle digitalisiert im Archiv des ZDF, aber nicht alle können wir streamen. Diese Rechte müssten erst erworben werden.
Das ist ein Archivschatz zur Kultur- und Zeitgeschichte, der aus Gebührengeldern finanziert wurde. Diesen komplett zugänglich zu machen, ist nicht möglich?
Althoff: Ich glaube, das scheitert weniger an der Bereitschaft der öffentlich-rechtlichen Sender, ihre Archive zu öffnen, sondern tatsächlich an einer ungeklärten Rechtesituation. Hinzu kommt, dass Filme des Kleinen Fernsehspiels vor allem ab den 1990er Jahren zum überwiegenden Teil in Mischfinanzierungen entstanden. Es wäre gegenüber den Urhebern schwierig zu argumentieren: Wir veröffentlichen jetzt Filme, an denen ihr Rechte haltet, ohne generelle Absprachen zu finden. Bei uns besteht im Grunde eine große Offenheit, aber es ist kompliziert.
Frau Kotios, schaffen Sie es, ein jüngeres Publikum auch für eine solche Retro-Reihe zu interessieren?
Melvina Kotios: Auf jeden Fall. Gerade ein Film wie “24 Wochen” erzielt viele Abrufe in der Mediathek. In diesem und anderen Filmen geht es um Themen, die auch im Alltag junger Menschen und bei Social Media verfangen. Generell – nicht nur beim Kleinen Fernsehspiel – stellen wir fest, dass fiktionale Filme häufiger abgerufen werden als Dokumentarfilme.
Laut der jüngsten ARD/ZDF-Studie zur Massenkommunikation schauen nur noch 36 Prozent der 14- bis 29-Jährigen täglich lineares Fernsehen. Ist es überhaupt noch wichtig, jüngere Menschen davon zu überzeugen, das ZDF-Programm einzuschalten, oder ist der Zug längst abgefahren?
Kotios: Nein, der Zug ist gar nicht abgefahren. Wir merken, dass wir junge Menschen über die Mediathek und über Social Media erreichen. Man muss sie eben anders erreichen.
Althoff: Die zeitunabhängige Nutzung der Mediathek ist für uns eine große Chance. Am Anfang war das Kleine Fernsehspiel ein Vorabendprogramm, eine Plattform für experimentelle literarische und Bühnen-Adaptionen. Das hat sich in den 1970er Jahren geändert – mit dem Neuen Deutschen Film, den ersten Regisseurinnen, die ihre Stimme erhoben haben, dem Queer Cinema, den Filmen aus dem globalen Süden. Der Sendeplatz rückte immer mehr an den Programmrand, auch weil es keine Formatierung gibt. Die Filme, die bei uns entstehen, sind so lang, wie sie sein müssen. Das ist in einem engen Programmschema nicht machbar, wohl aber in der Mediathek oder einem Streaming-Angebot. Wir machen auch viele Filme, die von den Rändern kommen. “Die Bettwurst” von Rosa von Praunheim ist ein Kultfilm in der queeren Szene. Den bei uns finden zu können, ist für die Zielgruppe ein wertvolles Gut.
Wäre eine einzige Plattform für alle öffentlich-rechtlichen Angebote wünschenswert?
Althoff: Ich glaube nicht, dass dies die Lösung wäre, weil Konkurrenz das Geschäft belebt. Von zentraler Bedeutung wird es sein, geschickt zu distribuieren.
Kotios: Wir versuchen natürlich vor allem, die Leute über die sozialen Medien auf die Mediatheken aufmerksam zu machen. Also über Instagram, Twitter beziehungsweise X, Youtube oder auch über Facebook, eine immer noch sehr aktive Plattform. Bei Instagram funktioniert Fiction ganz gut, bei Youtube laufen bisher nonfiktionale Angebote besser.
Ist X, also ehemals Twitter, tatsächlich eine Plattform, über die Sie Kontakte erzielen?
Kotios: Für das ZDF ist X generell eine wichtige Plattform, beim Kleinen Fernsehspiel eher bei ausgewählten Inhalten. Wir hatten zum Beispiel bei der Serie “Doppelhaushälfte”, die wir gemeinsam mit ZDFneo redaktionell betreuen, eine Metaverse-Folge, und die Metaversum-Community tauscht sich vorwiegend auf X aus. Das hat in dem Fall sehr gut funktioniert.
Herr Althoff, ist jungen Autorinnen und Regisseuren ein Ausstrahlungstermin im Fernsehen überhaupt wichtig? Oder haben nicht immer schon alle davon geträumt, “großes Kino” zu machen?
Althoff: Für die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher ist das Kino insofern spannend, weil es den direkten Kontakt mit dem Publikum bringt. Diese Rückkopplung ist am Anfang einer Karriere besonders wichtig. Wir produzieren mit acht Redakteurinnen und Redakteuren pro Jahr 25 neue Filme, davon sind zehn dokumentarisch, zehn in Deutschland angesiedelte Fiktion, plus fünf, sechs Filme, die wir in Zusammenarbeit mit Arte als internationale Kinoproduktionen mit neuen Talenten aus dem Ausland ermöglichen. Allen diesen Filmen geben wir die Chance, auf Festivals zu laufen – um Karrieren zu starten, die dann idealerweise mal im ZDF weitergehen. Damals wie heute ist es so, dass die Filme im linearen Fernsehen und selbst in der Mediathek in absoluten Zahlen ein weit größeres Publikum erreichen als im Kino.
Kotios: Vielen ist bewusst, dass sie auf Festivals auf ein Branchenpublikum stoßen. Und erst nach einer Ausstrahlung bei uns kommt man auch mit Leuten ins Gespräch, die fernab von der Medienbranche tätig sind. Diese beiden Welten in unterschiedlichen Phasen zu erreichen, macht es aus.
Wie viele Abschlussfilme produzieren Sie?
Althoff: Etwa ein Drittel der 25 Filme sind Diplom- oder Abschlussfilme. Wir fragen immer nach den Vorstellungen der Autorinnen und Regisseure. Es läuft nicht so, dass wir sagen: Ja, Du bist ein spannendes Talent und Du hast diese Idee, aber wir wollen etwas ganz anderes von Dir. So arbeiten wir nicht. In der Regel führt das zu einer sehr vertrauensvollen Zusammenarbeit, bei der Talente vielleicht auch den ein oder anderen Vorbehalt gegenüber dem Fernsehen als Partner ablegen.
In der Dokumentation “To Show or not to Show” spricht die Regisseurin Angelika Levi auch die “strukturellen Machtverhältnisse” an und sagt: “Red doch mal drüber, warum ihr welche Entscheidungen trefft.” Mangelt es also an Transparenz bei der Auswahl?
Althoff: Wir treffen uns zu drei, vier Sitzungen im Jahr, bei denen jede Kollegin und jeder Kollege maximal drei Vorschläge einbringen kann. Alle schreiben ein Kurzlektorat zu allen eingebrachten Projekten und lesen dieses dann auch vor. So ergibt sich ein erstes Bild: Was sind die dramaturgischen Aspekte? Wie groß ist das Potenzial? Haben wir das Thema schon mehrfach gehabt oder bietet es eine neue Sichtweise? Dadurch entsteht eine interessante Diskussion, und es wird am Ende auch nicht *ex cathedra* von einem Einzelnen entschieden, was realisiert wird. Oft müssen wir aber schweren Herzens sagen: Das ist gut, aber wir können es nicht machen, weil wir die finanziellen Möglichkeiten nicht haben. Aber natürlich hat Angelika Levi recht: Es ist in gewisser Weise intransparent, weil dabei so viele Faktoren eine Rolle spielen. Für Filmemacherinnen und Filmemacher, die ein Projekt einbringen, ist das immer schwierig nachzuvollziehen.
Sie realisieren 25 Filme. Wie viele sind in der engeren Auswahl?
Althoff: Wir diskutieren in dieser Weise intensiv über 80 bis 100 Projekte pro Jahr. Das Kleine Fernsehspiel hat aber auch noch andere Spielflächen, etwa durch die Zusammenarbeit mit Arte und ZDFneo oder durch Quantum.
Wie sind Sie auf den etwas rätselhaften Namen Quantum gekommen?
Althoff: Für mich ist er auch rätselhaft, aber er hat sich gehalten. Es ist eine Formatwerkstatt.
Kotios: Ein – neudeutsch – Lab. Es läuft vom Prinzip her recht ähnlich wie bei den normalen Stoffsitzungen, allerdings ein bisschen niedrigschwelliger. Wir haben keine Einreichfristen, sondern setzen uns zusammen, wenn wir spannende Vorschläge haben. Auch um schnell auf Themen zu reagieren, die neu oder innovativ sind. Es entstehen da ganz unterschiedliche Dinge, serielle Filme, aber auch Einzelformate, das kann ein Podcast sein oder eine Webserie.
Althoff: Die Idee ist, dass wir bei Quantum Dinge ausprobieren können, die im Regelbetrieb oftmals gar nicht zu testen sind.
Die Kritik lautete immer, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu sehr auf die Quoten achtet. Sind nun die Abrufzahlen in der Mediathek eine neue Maßeinheit, die ebenfalls Erfolgsdruck aufbaut?
Kotios: Das ist keine Einheit, nach der wir unsere Filme bewerten. Wir müssen am Ende keine Abrufzahlen vorweisen können. Uns ist wichtiger, dass die Filme von spannenden Talenten geschaffen werden, die dann zum Beispiel auch auf Festivals reüssieren und damit Aufmerksamkeit generieren. Aber es ist natürlich in der Rückschau schon interessant zu sehen, welche Themen bei der jüngeren Zielgruppe verfangen.
Vor 20 Jahren lag der Etat bei rund fünf Millionen Euro für 23 Neuproduktionen. Wie hoch ist der Etat gegenwärtig?
Althoff: Unsere Möglichkeiten haben sich im homöopathischen Bereich erhöht.
Was heißt das konkret?
Althoff: Wir haben ein größeres Budget als fünf Millionen. Aber wir realisieren die 25 Projekte mit einem Budget, das etwa auch für vier Primetime-Fernsehfilme aufgewendet wird. Deshalb ist es für uns so wichtig, Partner zu finden. Wir haben zum Beispiel mit vier Regionalförderungen sogenannte “Fifty-Fifty-Abkommen”, so dass wir die eine Hälfte eines Films finanzieren und die Förderinstitution die andere Hälfte. Wir suchen nach solchen Wegen, um lange Finanzierungswege zu verkürzen. Das Interessante an den “Fifty-Fifty-Abkommen” ist, dass sie keine Kinoverpflichtung haben. Die Hälfte der Filme beim Kleinen Fernsehspiel sind jedoch klassische Kinokoproduktionen. Für uns ist daran ein bisschen schwierig, dass wir bei diesen sehr lange Fernsehsperrzeiten haben.
Gibt es eine Art Jahresplanung, welche Themen, welche Genres unter den 25 Neuproduktionen vertreten sein sollen?
Althoff: Wir haben schon mit Ausschreibungen nach bestimmten Formaten initiativ gesucht. Aber Eckart Stein, der 2021 verstorbene langjährige Redaktionsleiter, hätte gesagt: “Es ist eine seismographische Art des Vorgehens.” Wir achten genau darauf, was für Vorschläge uns erreichen. Dadurch sind auch die ersten Filme von Filmemacherinnen und Filmemachern mit Migrationsgeschichten beim Kleinen Fernsehspiel entstanden. Zuletzt hatten wir sehr viele Filme, die sich mit Machtfragen und Missbrauch beschäftigten.
Ich vermute mal, dass sehr lange Zeit vor allem männliche Autoren und Regisseure zum Zuge kamen. Wie hat sich das Verhältnis entwickelt und wie ist es heute?
Althoff: In den 1960er Jahren war das mit Sicherheit so. Was das für ein Kampf war, überhaupt als Frau Filme machen zu dürfen, erzählt auch Jutta Brückner in “To Show or not to Show” eindrucksvoll. Schon seit vielen Jahren ist das Verhältnis bei uns im Kleinen Fernsehspiel paritätisch.
Kotios: Aber wir achten nicht nur darauf. Wir arbeiten auch mit nonbinären Filmemacher:innen und Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammen. Ich erlebe uns in den Diskussionen über Stoffe und Themen als durchaus divers.
Die Berlinale streicht die Sektion “Perspektive Deutsches Kino”. Was bedeutet das für das Kleine Fernsehspiel?
Althoff: Das ist ein Alarmzeichen. Diese Reihe hat eine lange Tradition, da wird eine Fläche im wichtigsten deutschen Festival gestrichen, die Sichtbarkeit erzeugt. Wir hoffen natürlich, dass diese Filme an anderen Stellen in der Berlinale Platz finden, aber wenn bei der Berlinale auch an anderen Stellen insgesamt 80 Filme weniger gezeigt werden sollen, entsteht natürlich Druck.
Mir ist aufgefallen, dass die Redaktionen auf der Website des Deutschen Filmpreises in den Credits zu den ausgezeichneten Filmen gar nicht erwähnt werden. Wie erklären Sie sich das?
Althoff: Ich will da gar nichts unterstellen, es werden auch viele andere Leute in den Credits nicht aufgeführt. Aber wir stellen schon fest, dass es einen gewissen Fernsehvorbehalt gibt, auch im Feuilleton, den ich persönlich seltsam finde. Wenn man mal schaut, wie viele Projekte von Filmdramaturginnen und -dramaturgen im Fernsehen unterstützt wurden, kommt man auf eine ganze Menge. Und das sind oftmals Filme, die vom Feuilleton hoch gelobt werden. Dann wird aber gerne mal nicht erwähnt, dass es auch Fernsehkoproduktionen sind. Wenn mal ein Film nicht gefällt, dann ist es eigentlich ziemlich klar, woran es lag. Diese Kombination finde ich bemerkenswert.
Vielleicht ist das formatierte Fernsehen auch selbst schuld. Ich habe mich oft darüber geärgert, dass Kleine Fernsehspiele fast immer nachts versendet wurden.
Althoff: Ja, aber schauen Sie doch mal, was das ZDF mit Kinokoproduktionen unterstützt. “Fabian oder der Gang vor die Hunde” von Dominik Graf, “Roter Himmel” von Christian Petzold, “Das Lehrerzimmer” von Ilker Çatak – alles ZDF-Koproduktionen. Viele Filme der Berliner Schule sind im Kleinen Fernsehspiel entstanden. Ich will bloß sagen: Es gibt einen gewissen Vorbehalt, der der Realität nicht entspricht. Wenn wir eine Kinokoproduktion fördern, sind wir die Letzten, die sagen: Mach das zu einem Fernsehfilm. Im Nachwuchsbereich ist es sogar so, dass wir manchmal die Filmemacherinnen und Filmemacher ermuntern müssen, mutiger zu sein. Es gibt in der Arbeit mit jungen Talenten oftmals den Punkt, wo das Vertrauen in das eigene Schaffen verloren geht.
Gibt es in der jüngeren Generation keine Vorbehalte gegen das Fernsehen?
Kotios: Ich glaube, in diesen Kategorien wird überhaupt nicht mehr gedacht. Kino oder TV ist vielleicht eine Etatbezeichnung für uns, aber es ist ja klar, dass die Filme in der Mediathek erscheinen.
Ab und zu werden Kleine Fernsehspiele auch in der Primetime ausgestrahlt wie einst “Systemsprenger” oder wie Ende August die Komödie “Toubab” von Florian Dietrich aus der aktuellen “Shooting Stars”-Reihe. Ist es angesichts der Mediatheken überhaupt noch wichtig, über Primetime-Termine und die Ausstrahlung im linearen Programm zu reden?
Althoff: Das Lineare wird noch eine ganze Weile wichtig bleiben, weil viele Leute das noch nutzen wollen. Wenn wir ein oder zwei Mal solche Filme wie “Toubab” ab 20.15 Uhr zeigen können, können wir ein Publikum, das an einer solchen Stelle vielleicht nicht mit einem solchen Film rechnet, überraschen und verführen, sich auf so etwas einzulassen. Ja, ich würde mir wünschen, dass unser planerischer Mut da oftmals größer wäre.
Woran scheitert es?
Althoff: Es scheitert daran, dass natürlich eine ganze Reihe von Filmen für diesen Sendeplatz auch produziert werden. Es scheitert vielleicht manchmal auch an der Sperrigkeit, die unsere Filme dann doch haben. Ich glaube, man sollte nicht mit der Brechstange etwas auf 20.15 Uhr hieven, was da gar nicht sein Publikum finden kann.
Kotios: Viele Filme haben auch eine FSK-Beschränkung. In der ZDF-Mediathek sind unsere Filme aber sehr präsent. Wir sind sehr oft auf der Startseite oben in der Bühne zu finden. Da sind wir kein Nischenangebot mehr.
FSK-Beschränkung heißt, sie dürfen aus Gründen des Jugendmedienschutzes erst nach 22 Uhr gezeigt werden. Der Reformdruck auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten ist groß, gleichzeitig wird über eine Reform der Kinoförderung debattiert. Steht damit auch die Existenz des Kleinen Fernsehspiels auf dem Spiel?
Althoff:Claudia Roth hat in ihrer Rede zur Reform der Filmförderung bei der Berlinale erfreulich oft das Wort “Nachwuchs” verwendet. Das finden wir gut. Wir nehmen auch an der Initiative Forum Talentfilm Deutschland teil, die fordert, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einen größeren Topf für die Förderung von Nachwuchsfilmen bereitstellt. Was den Reformprozess bei ARD und ZDF angeht, muss allen klar sein: Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine ausreichende Ausstattung erhält, wird er seinen Auftrag nicht mehr in gleicher Weise leisten können. Das wird Auswirkungen auf die Branche haben. Hans Janke, der ehemalige ZDF-Programmdirektor, hatte mal über die Finanzierung des Kleinen Fernsehspiels gesagt: “Einem Nackten kann man nicht in die Tasche greifen.” Wir sind nicht ganz nackt, aber wir hoffen, dass uns nichts weggenommen wird, und perspektivisch durchaus auch auf mehr Mittel und Möglichkeiten.
Bei Ihnen kann man nicht mehr sparen?
Althoff: Ich glaube, der Wert des Kleinen Fernsehspiels ist allen sehr bewusst. So wie wir heute arbeiten, sind wir zeitgemäßer denn je.
Unter den acht Filmen der “Shooting Stars”-Reihe ist kein einziger Dokumentarfilm. Auch unter den 15 Filmen, die in der Mediathek zum Jubiläum abrufbar sind, finden sich nur zwei Dokumentarfilme. Muss man daraus schließen, dass das Interesse am dokumentarischen Film beim Kleinen Fernsehspiel schwindet?
Althoff: Nein, nach wie vor sind die Hälfte der von uns beauftragten Programme Dokumentarfilme. Wir machen auch dokumentarische Reihen wie zurzeit die Trilogie “Einzeltäter” über die Anschläge in München, Halle und Hanau. Wir werden im Herbst noch eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen ins Programm bringen. Aber die Sommerreihe ist dezidiert eine fiktionale Reihe, und mit dem Titel “Shooting Stars” sind auch die Schauspieltalente gemeint.
Gibt es auch etwas, das Sie besser machen können? Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Althoff: Es gibt natürlich auch Filme, die scheitern. Das gehört dazu. Eckart Stein hätte gesagt: “Ja, aber wir stellen das Scheitern auch zur Diskussion.” Ihm war sehr wichtig, dass er die Zuschauerinnen und Zuschauer als mündige Bürger und nicht als Konsumenten sah. Das ist eine sehr gute Haltung. Mit dem Publikum ins Gespräch kommen – darin müssen wir besser werden. Vielleicht haben wir die Zuschauerinnen und Zuschauer eine Zeit lang zu stark nur als Konsumenten gedacht.
Kotios: Und wir sollten nicht mehr in diesen Schubladen denken: Mediathek oder TV, Kino oder nicht Kino. Wir sollten viel mehr aus der Sicht denken, wie wir auch selbst Filme, Serien und Dokumentarfilme schauen oder Inhalte nutzen, eben fokussiert auf die Filme, nicht auf Ausspielwege oder Sendeplätze.