Freude am Experiment – zum 95. Geburtstag von Produzent Günter Rohrbach.
21. Oktober 2023
Großes Kino: Produzent Günter Rohrbach stand hinter TV- und Kino-Produktionen wie “Das Boot”, Serien wie “Ein Herz und eine Seele” und Filmen wie “Das Millionenspiel” – am Montag wird er 95 Jahre alt. Rudolf Worschech würdigt Rohrbach bei epd Medien als Visionär des Nachkriegsfilms und -fernsehens, der oft gegen Widerstände Produktionen durchgesetzt und damit Mediengeschichte geschrieben hat. So läutete der Ankauf der US-Serie “Holocaust” 1979 einen neuen Umgang Deutschlands mit den Verbrechen der Nazis ein. Mit der Doku “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” von Rosa von Praunheim verursachte er 1973 einen Skandal: Der BR schaltete sich damals aus dem Gemeinschaftsprogramm der ARD aus. turi2 veröffentlicht den Text in der wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Von Rudolf Worschech / epd Medien
Als die Nazis 1933 in Deutschland an die Macht kamen, war Günter Rohrbach vier Jahre alt. In Dominik Grafs Dokumentation “Jeder schreibt für sich allein” über Schriftsteller in der NS-Zeit spricht Rohrbach als Zeitzeuge über seine “kindliche Begeisterung” im sogenannten Jungvolk. Und über die gleichgeschaltete Medienlandschaft: “Ich hatte keine Lektüre, ich hatte keine Information, dass es auch ein anderes Deutschland gibt.” Er betont die “Kraft der Überzeugungsfähigkeit” des NS-Regimes bis in die letzten Kriegstage hinein. Man muss sich die Erfahrung der Vereinnahmung der Medien als Propagandainstrumente in der NS-Zeit immer als Hintergrund vor Augen halten, vor dem in den turbulenten 60er Jahren eine jüngere Generation in den Redaktionen und Sendern bewusste Irritationen, Experimente und Nonkonformität versuchte.
Nach seiner Promotion in Germanistik volontierte Rohrbach beim Bonner “General-Anzeiger” und schrieb Filmkritiken für die 1957 gegründete Zeitschrift “Filmkritik”, die sich als ein Sprachrohr in Sachen Film gegen das etablierte Feuilleton verstand und Partei nahm für den jungen deutschen Film. Auch später mischte sich Rohrbach immer wieder journalistisch in Diskussionen ein – und haute auch mal daneben wie bei seiner Philippika gegen die Filmkritik im “Spiegel” 2007.
1961 ging er zum WDR, 1965 wurde er Fernsehspielchef des Senders. Die Arbeit in den Sendern war geprägt von einer großen Aufbruchsstimmung, vieles konnte man damals durchsetzen, das später nicht mehr möglich war. Seine Generation habe versucht, das Fernsehen zu prägen, hat Rohrbach einmal gesagt – in der Hoffnung, dass die Zuschauer folgen. Rohrbachs Arbeit stand unter dem Zeichen der Innovation: Er brachte die zeit- und medienkritischen Fernsehspiele “Das Millionenspiel” (1970) und “Smog” (1973) auf den Weg, er sorgte dafür, dass experimentierfreudige Regisseure wie Peter Zadek im Studio inszenierten.
Als er 1972 auch Unterhaltungschef des Senders wurde, betrat er wieder Neuland: mit “Je später der Abend”, der ersten Talkshow des deutschen Fernsehens, und der ersten Sitcom: “Ein Herz und eine Seele” mit Heinz Schubert als reaktionärem “Ekel Alfred”. Auch Unterhaltung sollte anspruchsvoll sein. Gegen viele Widerstände setzte Rohrbach den Ankauf der amerikanischen Serie “Holocaust” durch, die – 1979 ausgestrahlt – einen neuen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen einläutete.
Rohrbach, geprägt durch die französische Nouvelle Vague und ihren realistischen Blick auf die Welt, hat den Regisseuren und Regisseurinnen des neuen deutschen Films eine Chance gegeben, er hat Filme von Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders oder Helma Sanders-Brahms produziert. Der Dokumentarfilm “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” von Rosa von Praunheim sorgte für einen veritablen Skandal: Bei der Ausstrahlung im Ersten 1973 schaltete sich der Bayerische Rundfunk aus. Aber es gab auch Misserfolge: Die geplante Fernsehserie “Soll und Haben”, inszeniert von Fassbinder, wurde von Intendant Friedrich-Wilhelm von Sell wegen der antisemitischen Untertöne des Romans gekippt. Rohrbach wechselte 1979 zur Bavaria und startete eine zweite Karriere als Kinofilmproduzent – mit dem “Boot”.
Das Boot war auch ein gelungenes Beispiel für den “amphibischen Film”, für den er 1973 in einem Artikel im Fachdienst epd Kirche und Film plädiert hatte. Gemeint waren Kinofilme, die mit Mitteln des Fernsehens entstehen – eine bis heute übliche Praxis, die Rohrbach selbst eingeläutet hatte. 2001 trug er selbst den amphibischen Film wieder zu Grabe, abermals in einem Artikel für den “Spiegel”. Dazu gehört Größe.
Zum Autor: Rudolf Worschech ist Film-Journalist. Bis zu seinem Ruhestand im Mai 2023 war er leitender Redakteur bei epd Film. Nun schreibt er als Autor für epd Medien.