“Financial Times” spricht mit 30 Betroffenen über Reichelt-Affäre.


Lug und Trug? Die "Financial Times" arbeitet in einem Artikel die Affäre um den ehemaligen "Bild"-Chef Julian Reichelt auf. Demnach hat Axel Springer schon vor der offiziellen Untersuchung von den Sexismus-Vorwürfen gewusst. Springer weist die Anschuldigungen auf Nachfrage der dpa zurück: "Der Artikel zeichnet ein irreführendes Bild der Compliance-Untersuchung, der daraus gezogenen Konsequenzen, des gesamten Unternehmens und seiner Führung." DJV-Chef Frank Überall fordert derweil von Springer, "die ganze Wahrheit über die Reichelt-Affäre offenzulegen". Die “Financial Times” gründet ihren Artikel auf Gespräche mit mehr als 30 Menschen. Darunter sind ehemalige "Bild"-Mitarbeiterinnen, von denen einige "sexuelle Beziehungen mit Reichelt hatten", Informanten und der Co-Autor des offiziellen Berichts. Mehrere Beteiligte haben der britischen Tageszeitung demnach erklärt, dass der Führungsetage des Springer Konzerns die Vorwürfe gegen Reichelt schon deutlich länger bekannt war als bislang angenommen.

Obwohl den Betroffenen Vertraulichkeit zugesichert worden sei, soll Reichelt über die Ermittlungen der Anwaltskanzlei Freshfields informiert worden sein. Der offizielle Bericht erwähnt neben unerwünschten “romantischen Textnachrichten” des Ex-Chefredakteurs an Mitarbeiterinnen auch “schwerwiegendes Fehlverhalten” im Amt, so die “FT”. Während der Verlag das später nur grob zusammenfasst, soll Mathias Döpfner derweil eine Art Gegenuntersuchung eingeleitet haben. So sollte etwa gegen Reichelts Ex-Freundin ermittelt werden, die als Zeugin aufgetreten war. Auch Vorstandsmitglied Stephanie Caspar soll laut “FT” Reichelts Affären am Arbeitsplatz geleugnet haben, obwohl sich mehrere Angestellte ihr gegenüber beschwert haben sollen.

Auch heute fühlen sich viele betroffene Frauen vom Verlag nicht ernst genommen, schreibt die “FT”. Das Unternehmen habe sich weder für die Geschehnisse noch für die eigene Rolle darin entschuldigt. Der “Süddeutschen Zeitung” sagt eine ehemalige Mitarbeiterin nach der Veröffentlichung, sie sei “schockiert”, wie sehr es für Springer um die Wirkung in der Öffentlichkeit gegangen sei, “während man für die Betroffenen kaum Verantwortung übernommen hat”.
ft.com (Paid), sueddeutsche.de, dwdl.de (Zusammenfassung), horizont.net (Reaktion Springer), djv.de, turi2.de (Background)