turi2 edition #8: Markus Dohle über Bertelsmanns Bestseller.


I’m a Bertelsman in New York: Er stammt aus dem Sauerland und hat es zur Nr. 1 beim weltgrößten Buchverlag geschafft – Markus Dohle steht auf dem Gipfel des Erfolgs. Dort hat ihn Tatjana Kerschbaumer besucht und mit ihm für die turi2 edition #8 über Erfolg und Misserfolg gesprochen. (Fotos: Johannes Arlt)

Das Interview mit Markus Dohle und viele andere Erfolgsgeschichten finden Sie auch in unserem kostenlosen Blätter-PDF zur “turi2 edition #8” auf den Seiten 30-46.

Markus Dohle, singen Sie manchmal ganz leise vor sich hin “New York, New York”?
Mein persönliches New-York-Lied ist eher “Imagine” von John Lennon. Udo Jürgens mit “Ich war noch niemals in New York” gefällt mir übrigens auch immer noch. Nur kann ich das nach elf Jahren hier nicht mehr so richtig ehrlich singen.

Ach kommen Sie, die Zeilen von Frank Sinatra sind doch wie für Sie gemacht: “If I can make it there, I‘ll make it any-where.”
Nun, es ist wohl ganz gut gelaufen. New York ist zugleich tough, exhausting and rewarding…

Sie sind jetzt jedenfalls ganz oben und stehen an der Spitze der Meute. Mehr Erfolg geht nicht. Sie haben geschafft, wovon andere träumen.
Als ich 2008 zu Random House kam, gab es natürlich Leute, die gesagt haben: “Der sitzt jetzt in New York im Tower, der hat‘s ja geschafft!” Aber: Was heißt denn schon “geschafft”? Die Herausforderungen waren riesig: Finanzkrise und digitale Transformation waren nur zwei von vielen. Geschafft habe ich es, wenn ich irgendwann einmal zurückblicke und sagen kann: Ich habe das Beste für die Geschichten, Bücher und Menschen hier getan. Bis dahin habe ich Verantwortung zu tragen und Dienst zu leisten.


New York von oben: Schwindlig wird Markus Dohle aber nie. Weder vom Ausblick über Manhattan, noch vom Erfolg

Schwindelt es Ihnen manchmal, wenn Sie hier so aus dem 14. Stock runterschauen?
Nicht wirklich, ich liebe den überblick von hier oben. Er inspiriert mich eher.

Wir sitzen in Dohles Büro in Manhattan, 1745 Broad-way, 14. Stock. Bis 2011 residierten Dohle und seine Mitarbeiter noch höher, dann hat er die obersten und teuersten Büro-Etagen des Gebäudes vermietet und ist tiefer gezogen. Der Blick geht auf Straßenschluchten, wuselnde, winzig wirkende Autos; auf dem Fensterbrett stehen gesammelte Devotionalien einer Bertelsmann-Buch-Karriere: Manager des Jahres, gerahmter Brief von George Bush senior, gewonnenes Bertelsmann-Tennisturnier. An der Wand daneben hängt der Familienkalender.

Es ist ja nicht selbstverständlich, dass man aus dem Sauerland kommt und in New York Erfolg hat.
Ich glaube, dass zwei Dinge wichtig sind: Erstens, wie man aufwächst. Ich bin in einem Dorf von zweieinhalbtausend Einwohnern groß geworden, in einer bescheidenen Familie, in der soziale Aspekte, Menschlichkeit und Interesse für Geschichte und Politik eine große Rolle spielten. Mein Vater hat immer gesagt: “Eine Gesellschaft und Gemeinschaft kann nur dann nachhaltig existieren, wenn viele etwas haben – und nicht wenige alles.” Das hat mich geprägt. Das Zweite ist: Für mich ist die Essenz von Führung, Dienst zu leisten. Service. Wenn man es gut hinbekommt für die Leute, bekommen es die Leute gut für alle hin. Das hat mich immer angetrieben.

Haben Sie schon als Junge von New York geträumt?
Amerika hat in meiner Familie immer eine große Rolle gespielt. Wir haben zu Hause viel darüber gesprochen, dass die USA im Nachkriegsdeutschland sehr wichtig waren – Stichwort Marshall-Plan. Mein Bruder und ich sind dann auch tatsächlich beide in den USA gelandet.

Was wollten Sie als Kind werden?
Ich wollte Lehrer werden. Ich bin sehr gern zur Schule gegangen – und ich habe immer unglaublich gern Talente entwickelt. Menschen besser zu machen, hat mich immer getrieben. Ich war dann Mitte der 80er sogar mal bei der Berufsberatung, die mir aber aufgrund des demographischen Wandels vom Lehrerberuf abgeraten hat. Ich bin dann immerhin Tennislehrer geworden, habe neben Schule und Studium Tennisunterricht gegeben.

Sie haben dann in Karlsruhe Wirtschaftsingenieurswesen studiert. Das ist aber weit weg von Lehramt.
Ich wollte eine möglichst generalistische Ausbildung – ich war immer ein Generalist und vielfältig interessiert. Das war der Grund, warum ich gesagt habe: Ich lege mich nicht so früh fest. Ich will nicht ein reiner Ingenieur oder BWLer sein, ich will so breit wie möglich ausgebildet werden. Deshalb habe ich dieses damals noch junge Simultanstudium gewählt, in dem man beides gleichzeitig macht.

Ihre erste Station nach dem Studium war sofort Bertelsmann – warum eigentlich?
Bertelsmann hat damals sehr aktiv nach Leuten gesucht, die an Unternehmertum interessiert waren. Und mein Studiengang hatte etwas sehr Unternehmerisches. Zu der Zeit hat Bertelsmann viele Karlsruher Wirtschaftsingenieure eingestellt – als Assistenten der Geschäftsführung, als Projektmanager. Auf eine dieser Stellen habe ich mich beworben und bin eingeladen und angenommen worden.

Mittag. Es geht ins “Milos”, ein griechischmediterranes Restaurant nur ein, zwei Ecken von Dohles Büro entfernt. Er schätzt es vor allem, weil es belebt, aber diskret genug ist, um beim Lunch auch mal ein paar Deals einzufädeln. Sarah Jessica Parker und Robert de Niro schauen auch manchmal vorbei, heute sind sie nicht da.

Was gefällt Ihnen am Besten an New York?
Dass es dieser multikulturelle Schmelztiegel ist. Jeder in New York City ist irgendwann einmal hierhin gekommen, jeder war mal Migrant, egal, wie viele Generationen das her ist. Und natürlich die Tatsache, dass ich viele interessante Menschen in New York und darüber hinaus kennenlernen darf. Das ist für mich etwas ganz Besonderes.

Und wenn Sie etwas kritisieren müssten?
Einerseits das Thema Wegwerfplastik. Ich habe morgens immer meinen wiederverwertbaren Kaffeebecher dabei, das können viele gar nicht glauben. Wenn man spät hier in der Stadt ist und dann sieht, was nachts abtransportiert werden muss – das ist Wahnsinn. Und andererseits die Energieverschwendung durch die Klimaanlagen: Es wird hochtemperiert im Winter und runtertemperiert im Sommer. Wenn die Kollegen im Sommer ins Büro kommen, ziehen sich viele erstmal dickere Sachen an. Daran kann ich mich nicht wirklich gewöhnen. Wir Europäer haben das nicht in unserer DNA, wir werden dann auch schneller krank.

Als Sie 2008 als neuer CEO von Random House nach New York kamen, war der Empfang nicht gerade herzlich. “Kein Verleger”, “sieht aus wie 27” – das waren noch die nettesten Reaktionen. Hat Ihnen das Angst gemacht?
Natürlich hat es mir großen Respekt eingeflößt. Aber ich war darauf vorbereitet. Und ich war nicht ganz so unbeleckt wie ich vielleicht ausgesehen habe: Ich hatte damals schon 14 Jahre Verlagsgeschäft auf dem Buckel. Ich kannte die amerikanische Verlagsszene, hatte hier sowohl geschäftliche als auch persönliche Beziehungen. Aber ich habe damit nicht kokettiert. Man wird ja lieber unterschätzt.

Die frostige Begrüßung und die negativen Schlagzeilen – ist das an Ihnen einfach so abgeperlt?
Klar war es hart. Gleichzeitig brach direkt nach meiner Ankunft die Finanzkrise aus. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet, um das Geschäft in den Griff zu kriegen. Aber ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass alle sagen: “Toll, da kommt ein deutscher Wirtschaftsingenieur um DAS amerikanische Kulturinstitut zu leiten.” Ich war eher darauf vorbereitet, dass die Leute sagen: “Wow, warum gerade DER?”

Man kann Mitarbeiter nicht zwingen, einen zu mögen.
Das Unverständnis wegen meiner Personalie war sehr groß. Ich habe versucht, erstmal Druck aus dem Unternehmen zu nehmen, indem ich so vielen Menschen wie möglich begegne. Damit sie einen persönlichen Eindruck bekommen.

Nach dem Lunch ein Spaziergang: Dohle läuft einem SUV vor die Haube, “sonst kommt man in dieser Stadt nicht voran”, durch eine Tiefgarage, wieder nach oben, Abkürzung. Columbus Circle, Rockefeller Plaza, dann Times Square, wo er 2009 die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten erlebt hat. Alles voller Erinnerungen, amerikanischer Momente, Bertelsmann-Momente natürlich auch: Immerhin steht am Times Square auch das “Bertelsmann Building”, 223 Meter hoch, das der Konzern 2004 verkauft hat.


Am Times Square erlebte Dohle 2009 die Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten. Grund genug für raumgreifende Emotionen

Angeblich haben Sie zu Ihren Anfangszeiten bei Random House jeden Mitarbeiter gelöchert, was schlecht läuft – und was man besser machen könnte. Stimmt das?
Natürlich habe ich gefragt, was nicht so gut läuft und was man besser machen kann. Aber ich habe nie nach hinten mit Steinen geschmissen und gesagt, was meiner Einschätzung nach falsch war. Diesen Fehler machen viele neue Führungskräfte. Was sie dabei vergessen, ist: Die Menschen, die im Unternehmen arbeiten, waren auch der vorherigen Führung loyal verbunden. Wenn du ihnen jetzt sagst, was vorher alles schlecht war, sagst du den Menschen auch, dass sie für etwas Schlechtes gearbeitet haben. Das ist ein Kardinalfehler. Du musst einfach sagen: Ich mach’ das jetzt. Auf meine Art und Weise – und wir müssen gemeinsam nach vorne schauen.

Trotzdem: Was war Ihre Analyse?
Die Stärke des Hauses war und ist die Qualität und Kreativität der Menschen, die hier arbeiten. Und
die Bücher, die wir jedes Jahr machen und gemacht haben: der Katalog, also der Schatz an Inhalten, den wir in Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgebaut haben. Was ich hier angestoßen habe, war vor allem, dass ich das Unternehmen, das aus 250 dezentralen Verlagshäusern weltweit bestand, zusammengebracht habe – kulturell und kommerziell. Und dass wir es zielgerichtet und strukturiert durch die digitale Transformation manövriert haben. Kurz bevor ich gekommen bin, wurde das Kindle gelauncht und es gab große Angst, dass das Printbuch komplett durch E-Books ersetzt würde. Wir haben versucht, die Situation ruhig zu analysieren, auf Daten und Fakten zu schauen und klare, stra-tegische Entscheidungen zu treffen. Und vor allem die Möglichkeiten der digitalen Transformation zu nutzen. Davon profitieren wir heute.

Sie haben damals Kosten eingespart, Stellen gestrichen, sechs unabhängige US-Verlagsgruppen zu vier eingedampft – Entscheidungen, die nicht gerade populär waren. Muss man sich unbeliebt machen, um Erfolg zu haben?
Ich musste auch harte Entscheidungen treffen. Das gehört dazu, man kann in Transformations- und Finanzkrisen nicht nur Cheerleader sein und geliebt werden. Ich habe damals immer gesagt: Wir können uns keine Fehler erlauben – die Entscheidungen müssen sitzen. Es gibt keinen Plan B. Im Rückblick ist es uns dann auch ganz gut gelungen.

Können Sie uns Ihre erste Begegnung mit Dan Brown schildern?
Es war mein erster Arbeitstag, ich komme in ein komplett leeres Büro, setze mich an den Tisch und denke: So, ich leite jetzt dieses Unternehmen… – und jemand klopft, macht die Tür auf, und sagt: “Guten Morgen, ich bin Dan Brown und habe gehört, heute ist dein erster Tag, Markus. Ich wollte mich nur vorstellen, ich bin zufällig im Haus.” Das war ein Moment, in dem ich dachte: Oh Gott, was passiert denn hier? Dann ist er reingekommen, wir haben einige Zeit miteinander verbracht – und über die Jahre eine Freundschaft entwickelt. Und weitere erfolgreiche Bücher von ihm verlegt.

Die Liste Ihrer prominenten Bekannten ist mittlerweile lang: die Clintons, die Obamas, Autoren wie Daniel Kehlmann. Ist es sexy, erfolgreiche Personen zu kennen?
Also ich habe jetzt nicht die Handynummer von Barack Obama. Zumindest noch nicht. Und ich würde es auch nicht als sexy bezeichnen. Es ist einfach eine wunderbare Seite meines Jobs, unsere Autoren zu kennen. Das passiert, weil ich die Verantwortung für unsere Verlage trage und damit auch die Verantwortung für ihre Bücher übernehme. Und ich versuche natürlich, von diesen Menschen und ihren Erfahrungen persönlich zu lernen.

Plötzlich tippt Dohle auf seine Armbanduhr und sprintet ohne Vorwarnung los. Links, rechts, wie ein hakenschlagender Hase in der Wolkenkratzer-Wüste. Es geht einen gekachelten Tunnel entlang, eine Treppe hinauf, Passanten hüpfen aus dem Weg. Stopp, ein Fahrkartenschalter an einem Bahngleis, “jetzt wird’s eng”, Dohle zieht Tickets, dann wieder Sprint: Hinter uns schließen die Zugtüren wie auf Kommando, die Bahn fährt los. Es geht Richtung Norden, nach Scarsdale, 17.000 Einwohner, einer davon Markus Dohle samt Familie. Die Fahrt dauert knapp 30 Minuten.

Was haben Sie über die Buchbranche gelernt, seitdem Sie in New York sind?
Ich habe aus erster Hand mitbekommen, wie stark das Buch wirklich ist. Das globale Buchgeschäft kennt nur eine Richtung – und die ist aufwärts.

In Deutschland aber nicht. Hierzulande gilt das Buch vielen als tot.
Die Leute, die das sagen, schauen nicht auf die Daten und Fakten, die sprechen nämlich eine andere Sprache. Deutschland ist der drittgrößte Buchmarkt der Welt mit stabilem Branchenumsatz. Das Buch ist das Medium, das die digitale Transformation bisher vielleicht am besten gemanagt hat. Und das globale Verlagsgeschäft erlebt meiner Meinung nach die beste Zeit seit seiner Gründung, seit Gutenberg – und das ist mehr als 500 Jahre her.


Das Lächeln der Michelle Obama: Auch im Buchladen “Bronx River Books” in Dohles Wohnort Scardsdale genießen Bertelsmann-Bücher Bestlage

Warum das?
Der globale Buchmarkt wächst. Wir haben stabile Geschäftsmodelle für physische und digitale Bücher und eine gesunde Koexistenz zwischen gedruckten und digitalen Buchformaten. Außerdem nimmt unsere adressierbare Leserschaft jedes Jahr signifikant zu. Die Weltbevölkerung wächst rasant und die Alphabetisierungs-Raten steigen – immer mehr Menschen können lesen. Und wir können immer mehr Menschen mit unseren Büchern erreichen – auch und gerade durch das Wachstum von E-Commerce. Außerdem ist es ermutigend, dass Kinder- und Jugendbücher die am stärksten wachsenden Buchkategorien der letzten 20 Jahre sind. Wir haben eine gute Chance, auch die nächste Generation zu lebenslangen Lesern zu machen.

Sie setzen auf China, Indien und Lateinamerika als Märkte der Zukunft. Wer sagt Ihnen, dass ein chinesischer Bauer auf Bücher von Penguin Random House wartet?
Zunächst mal: Auch unsere großen Kernmärkte wie die USA und Großbritannien wachsen derzeit …

… und Deutschland?
… ist zur Zeit weniger dynamisch – aber wie gesagt groß und relativ stabil. Unser Ziel ist, auch hierzulande wieder Wachstum zu generieren.

Und global?
Wir haben eine multilokale Strategie. Wir wollen unsere globalen Autoren in möglichst viele Länder bringen und setzen gleichzeitig auch auf lokales Talent, lokale Meinungen, lokalen Diskurs und lokale Geschichten. Beispiel Indien: Dort publizieren wir seit kurzem auch in lokalen Sprachen, nicht nur in Englisch. In Südafrika ist es genauso. Wir wachsen in Afrikaans und wollen so noch mehr Menschen dort erreichen. Wir sind auch Marktführer in Lateinamerika und haben gerade die Mehrheit am größten Brasilianischen Verlagshaus Companhia das Letras übernommen. Und natürlich wachsen wir in Asien.

Ankunft in Scarsdale. Auf dem Weg zu Dohles Haus liegt “Bronx River Books”, ein hübscher Buchladen, betrieben von Mark und Jessica Kaplan. Reich werden die beiden damit nicht, für sie ist der Laden eher eine Leidenschaft. Dohle tritt ein, grüßt Besitzer samt Hündin Virginia und fängt an zu schwärmen, was da alles aus seinem Sortiment auf den Tischen liegt. Prominent platziert lächelt Michelle Obama von ihrem neuen Buch “Becoming” – eine Produktion, auf die Dohle besonders stolz ist und die weltweit Sachbuch-Bestsellerlisten erobert hat.

Jetzt in Buch-Optik weiterlesen! Die Erfolgs-Geschichte von Markus Dohle finden Sie im kostenlosen Blätter-PDF zur turi2 edition #8 auf den Seiten 30 – 46.

Eine Ihrer Strategien ist es, Weltrechte an Büchern zu erwerben, um so globale Bestseller zu kreieren. Sind nur noch die großen Autorennamen wirklich erfolgversprechend?
Das Beste im Verlagsgeschäft ist, wenn ein Autor, den niemand kennt, plötzlich zum Phänomen und Bestseller wird. Danach suchen wir
alle. Denn die großen, etablierten Bestsellerautoren haben natürlich ihren Preis. Das Wichtigste ist deshalb, dass man etablierte Autoren mit neuen Stimmen kombiniert, die sich zur Marke entwickeln – und damit eine wiederkehrende Leserschaft aufbauen.

Gibt es noch die märchenhaften Geschichten von Autoren, die mit einem Buch reich und berühmt werden?
Ja, klar. Das gibt es sowohl im Sachbuch als auch
in der Belletristik. Paula Hawkins mit “Girl on the train” war so ein Fall. Solche Debütautoren werden heute noch schneller größer, weil ihre Geschichten schneller global werden – dabei hilft Social Media. Und dann stehen viele mögliche Medienformate dahinter: nicht nur Filme, sondern auch TV-Serien von Netflix und Amazon zum Beispiel. Jeder Film, jede Serie basiert auf einer guten Geschichte. Und in den allermeisten Fällen auf einem guten Buch. Wenn unsere Geschichten in Bewegtbild übersetzt werden, erzeugt das jedes Mal einen Boost im Verkauf. Viele Leute, die den Film oder die Serie schauen, wollen danach die Geschichte im Originalformat lesen. Und das ist das Buch.

Stichwort reich: Was verdient ein Autor denn so an einem Buch?
Durchschnittszahlen haben keinen Aussagewert. Nach oben ist
die Richterskala quasi offen. Aber leider können auch heute die meisten Autoren vom Schreiben alleine nicht leben.

Und wie sieht es mit Vorschüssen aus?
Es gibt auch Bücher, bei denen wir keinen oder nur einen kleinen Vorschuss bezahlen.

Wann floppt ein Buch?
Wenn der Umsatz eines Buchs die variablen Kosten nicht deckt, ist
es ein Flop. Übrigens floppen viele der 15.000 BÜcher, die wir jedes Jahr verlegen. It‘s a business of failure. Ein Portfolio-Geschäft. Wenn heute immer gesagt wird: Wir müssen Misserfolg umarmen und akzeptieren, dann sind wir in der Buchbranche schon seit Gutenberg daran gewöhnt.

Was war Ihr größter Buch-Flop in mehr als zehn Jahren New York?
Ich werde jetzt keine Autoren nennen, deren Bücher sich nicht verkauft haben. Aber sehr häufig floppt das zweite Buch eines Autors nach einem Debüt-Erfolg – weil es an diesem ersten Erfolg gemessen wird, aber der Autor noch keine große Leserschaft etabliert hat. Es gibt ja erst ein Buch von diesem Autor.

Genug von Flops. Wir verlassen den Laden und machen uns auf den Weg zu Dohles Haus. Von seinem Garten aus hat er einen guten Blick auf den Center Court des Fox Meadow Tennis Club, in dem er Mitglied ist: Im Vereinsheim belegen Plaketten an der Champions-Wand, dass er und seine Kinder Turniere gewonnen haben. Als er die Haustür öffnet, grüßt rechts an der Wand das Bild einer Dohle, des Familiennamens wegen. Und dann: Bücher. Stapelweise. In Regalen, auf Tischen: Bücher. Bücher. Bücher.

Wow. Wie viele Bücher lesen Sie pro Jahr?
Leider nie genug. Ich kenne viele, aber bei weitem nicht alle Geschichten, die wir verlegen. Dazu sind es einfach zu viele.

Was war das prägendste Buch Ihrer Kindheit?
Da gibt es zwei: “Der kleine Prinz” und “Herr der Fliegen”. Das eine ist eine hoffnungsvolle, das andere eine bedrückende Geschichte.

Hier liegen so viele bekannte Bücher von Penguin Random House. Können Sie den Erfolg eines Buchs vorhersagen?
Nein, das kann niemand. Und das ist gut so! Sonst würden wir ja nur die erfolgreichen machen. Und es würde viele gute Bücher nicht geben.
Nicht jedes gute Buch wird auch ein Erfolg. Es gibt keine Formel für Bestseller. Das garantiert die Vielfalt der Inhalte, die wir verlegen – zum Wohle unserer Leser.

Das erfolgreichste Buch, das Penguin Random House unter Ihrer Regie verlegt hat, war “50 Shades of Grey”. Sie haben über 100 Millionen Exemplare verkauft. Hatten Sie’s geahnt?
Nein. Das war absolut unvorhersehbar und auch nicht geplant. Es war sogar eine Schnellschuss-Aktion. Wir haben die Rechte im Februar 2012 gekauft, am 1. März haben wir das E-Book verlegt, am 1. April das physische Buch. Wir sind so schnell wie möglich mit einer großen Kampagne an den Markt gegangen. Aber dass es so erfolgreich werden würde, hätten wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Die Autorin EL James hat das Buch zuerst online veröffentlicht. Kommen Besteller künftig aus dem Internet?
Nein. Aber “Fifty Shades of Grey” war nicht der einzige Erfolg, den wir im Internet gefunden haben. Andy Weir mit “Der Marsianer” war ebenfalls ein großer Erfolg, der zuerst im Self-Publishing erschienen ist – und später als Bestseller verfilmt wurde.

Brauchen junge Autoren noch einen Verlag?
Nicht unbedingt. Es gibt heute Wege, Geschichten ohne Verlage an den Markt zu bringen – und das ist okay. Phänomene wie Self-Publishing machen uns als Verlage nur besser. Sie motivieren uns, unser Service-Portfolio für Autoren ständig zu erweitern und zu verbessern.

Gibt es etwas, das Sie dem Erfolg geopfert haben?
Neben meinem Job fehlt einfach die Zeit, noch viele andere Interessen und Hobbies auszuleben. Da gibt es schon Dinge, die zu kurz kommen. Aber ich kann das tun, was für mich im Mittelpunkt steht – Bücher machen. Ich liebe dieses Geschäft. Mein Job ist Mission. Des- halb vermisse ich eigentlich nichts.

Dohle schaut auf die Uhr in der Küche, bald geht unser Zug zurück in die Stadt. Wir fahren mit dem Auto zum Bahnhof. Scarsdale liegt im Dunkeln, Bronx River Books hat zugemacht.

Würde Sie eine Rückkehr nach Gütersloh reizen?
Ich würde nicht sagen “Ich gehe nie mehr nach Deutschland zurück”. Aber man muss wissen: Nach etwa fünf Jahren im Ausland kippt dieses “Nach-Hause-Thema”. Man wird sesshaft, lässt sich ganz auf die Gesellschaft ein. Meine Tochter hat eher einen Akzent im Deutschen als im Englischen, mein Sohn ist jetzt im dritten Jahr im Studium in Washington D.C., wir haben die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Wenn wir zurückgingen, würden meine Kinder vielleicht gar nicht mehr mitgehen, und da fängt es ja schon an: Man will natürlich
da leben, wo die Kinder sind. Wo meine Familie ist, ist mein Zuhause. Aber Deutschland wird immer unsere Heimat bleiben.

Wenn Sie ein Buch über Ihr Leben schreiben würden: Was wäre der Titel?
Ich habe schon einen: “Leadership is service”. Am Untertitel arbeite ich noch.

“Ein Bertelsmann in New York”?
Vielleicht.

Selbst schreiben oder Ghostwriter?
Selbst! Ich habe schon ein Outline für mein Buch. Wenn ich irgendwann mal Zeit habe, werde ich es schreiben.

Einen Verlag haben Sie vermutlich auch schon.
Noch nicht – aber schon einen Literaturagenten.

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