Überall Screens: Die einen bespielen Busse und Bahnen mit Flimmer-Content, andere Wartezimmer und Messehallen. Sie wollen Menschen informieren und unterhalten oder ihnen dabei helfen, sich nicht zu verlaufen. Alle wollen mit Werbung Geld verdienen. Diese vier Cases aus der turi2 edition #22 drehen sich um Gegenwart und Zukunft der wachsenden Digital-Out-of-Home-Branche. Von der alten Marke bis zum Startup.
Wer es schafft, sich unterwegs vom eigenen kleinen Bildschirm loszueisen, begegnet gleich dem nächsten: Digital out of Home boomt, verdrängt Plakatwände und Litfaßsäulen. Den großen Außenwerbern beschert das Mehr an Bewegtbild wachsende Umsätze, den Menschen noch mehr Screentime. Auch in Bussen und Bahnen: “Wir wachsen hier noch”, sagt Niederlassungsleiter Klaus Wieking vom Münchner Fenster, einem Ableger des Berliner Fensters, das Fahrgastfernsehen anbietet. Größter Konkurrent um die Aufmerksamkeit der Menschen außer Haus ist das Smartphone, da soll das Programm sitzen: In München laufen in Bussen, Trams und U-Bahnen Nachrichten der „Süddeutschen Zeitung“ und des BR, in der Berliner Metro “Welt” und “B.Z.”, der “Kicker” bringt Fußballnews. Die hauseigene Redaktion produziert u.a. ein Nachhaltigkeits- und ein Kinomagazin. Dazu kommen Event-Tipps, Service-Hinweise, das Wetter.
“Wir verstehen uns als Programmmacher eines Massenmediums”, so Wieking. Die meisten Werbekunden stammen aus der Region, wie der FC Bayern. Alte Tram- und U-Bahn-Wagen würden nach und nach gegen neue mit Fahrgast-TV ausgetauscht. Heute erreiche das Berliner Fenster mit 3.200 Monitoren 2,3 Millionen Kontakte pro Tag, in München sind es mit 3.000 Screens insgesamt 1,2 Millionen. (en)
Framen: “Werbung muss zum Kontext passen”
Das Startup Framen aus Frankfurt am Main, 2018 gegründet, versucht es mit Bildschirmen an Tankstellen, in Wartezimmern von Arztpraxen, über Pissoirs. Es laufen News aus “Bild” und “Welt” von Mehrheitseigner Axel Springer. Ein Fitnessstudio kann vor Ort den aktuellen Kursplan schalten. Danach sieht das Publikum auf dem Laufband etwa einen Werbespot des Lieferdienstes Flaschenpost, der starke Männer und Frauen zum Kistenschleppen sucht. Wenn es regnet, flimmert im Hotel oder im Coworking Space ein Taxi-Rabattcode über den Monitor. “Wir können die Leute nicht zwingen, zuzuschauen. Also müssen Inhalte und Werbung zum Kontext passen”, sagt Framen-Mitgründerin und CMO Magdalena Pusch. Die Screen-Betreiber legen fest, was sie nicht wollen – Rewe keine Aldi-Reklame, das Wohlfühl-Café keine politischen News. An der ausgespielten Werbung verdienen sie mit.
60.000 Screens in 22 Ländern und 200 Millionen erreichte Menschen pro Monat sind Framen noch nicht genug. Das Startup will größer werden, sehr viel größer. Müssen wir künftig auch im Kreißsaal oder beim Bestatter mit Bildschirm-Werbung rechnen? Magdalena Pusch schlägt Spots für Versicherungen vor: “Im Krankenhaus gibt es auch Menschen, die inspiriert werden können.” (en)
Messe Stuttgart: Schirme statt Stellwände
Wer ein Messegelände betritt, tritt ein in eine eigene Welt: riesige Hallen, lange Wege, immer neue Themenwelten. Verlaufen gehört beinahe zum Konzept. Herumirren mit Handzetteln, Verzweifeln vor Schautafeln, Stoffbeutel voller Flyer-Ausbeute der Aussteller – alles bald Vergangenheit? Die Messe Stuttgart geht zumindest einen großen Schritt in diese Richtung: Nach und nach wird dort auf Digital Signage umgestellt – die Schilder werden digital. 216 unterschiedliche Screens und und ein LED-Bildschirmwürfel in fünf Metern Höhe sind bereits installiert, ein Screen an der Außenfassade und digitalisierte Hallenpläne an den Eingängen sollen folgen. Neben Text und Grafik sind so auch Videos, Feeds, Touch-Inhalte, Animationen und Websites einblend- und vom Messepublikum abrufbar. “Ein komplett neues Erlebnis für unsere Besucher und innovative Werbemöglichkeiten”, so Messe-Sprecherin Stephanie Kromer. Gekostet hat das bislang rund 400.000 Euro – eine Investition, die auch für einen Anstieg der Werbeeinnahmen sorgen soll.
Die größte Herausforderung bei der Umrüstung liegt übrigens gar nicht im Digitalen, sondern ganz handfest im Baubereich: Die Screens sollen sich harmonisch in die 120.000 Quadratmeter Hallenarchitektur integrieren, erklärt Stephanie Kromer. “Die baulichen Anforderungen an Leitungswege, Stromversorgung und Brandschutz sind auch nicht zu unterschätzen.“ Selbst wenn die Bildschirme alle Hürden der Baubürokratie genommen haben: Messeinformationen aus Papier wird es auch in Stuttgart noch “sehr lange” geben, sagt Kromer. “Dabei wird sich aber der analoge Anteil Schritt für Schritt reduzieren.” (anh)
Martini: Timing zum Trinken
Aperitif ohne Alkohol – für Martini ist das im Sommer 2022 Alleinstellungsmerkmal unter den Mitbewerbern. Eine Chance, neue Gläser zu füllen und die Marke auch Abstinenzlern schmackhaft zu machen. Den öffentlichen Raum der digitalen Außenwerbung hat Martini dabei tagsüber für sich: Während für alkoholische Getränke dort erst ab 18 Uhr geworben wird, dürfen Martinis Non-Alc-Varianten schon vorher über die Screens flimmern. In den Abendstunden, pünktlich zur Ausgehzeit, switcht die Werbung dann um aufs Alkoholische. Dazu passt der Markenslogan: “Time best shared. Time best used.”
Die Inhalte der von OMD, Adylic und Areasolutions umgesetzten Kampagne werden in Echtzeit nicht nur an die Uhrzeit, sondern auch an Wochenendbeginn und Nähe zum Point-of-Taste (also Bars und Clubs) angepasst. Zu sehen sind sie auf einer breiten Palette von Screens, an Bahnhöfen und Straßen, in Innenstädten und Szene-Kneipen. Gelegenheiten zum Anstoßen gibt es immer und überall, so die Botschaft. Auch der Erfolg der Kampagne könnte die Gläser klirren lassen: Die Markenbekanntheit von Martini steigt um 10 %. Und: Fast die Hälfte der Martini-Trinker wollen die alkoholfreie Variante nun zumindest mal probieren. (anh)
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