turi2 edition #21: Wie stark ist die Marke Deutschland, Carola Lentz?
29. Juni 2023
Zurückhaltung ist gefragt: Die Marke Deutschland ist stark, doch den selbstkritischen Blick braucht es auch weiterhin, schreibt Carola Lentz im Gastbeitrag in der turi2 edition #21. Die Präsidentin des Goethe-Instituts plädiert für den “konstruktiven politischen Streit” in Europa. Deutschland dürfe dabei aber nicht zu dominant auftreten, um sein Image nicht zu verschlechtern.
Von Carola Lentz
Neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren, gehöre ich zu einer Generation, die sich mit Patriotismus und Nationalismus eher schwertut. Lange Jahre überwogen Skepsis und Scham. Bei meinen ersten Reisen durch Europa in den 60er und 70er Jahren erlebte ich mal verhaltene, mal offene Feindseligkeit. Überall waren die Wunden noch sehr präsent, die der deutsche Angriffskrieg und das nationalsozialistische Regime geschlagen hatten. Meist versuchte ich, mich gar nicht als Deutsche erkennen zu geben. Fragen nach der „Marke Deutschland“ hätte ich jedenfalls weit von mir gewiesen.
Als Ethnologin habe ich seit den 80er Jahren in Südamerika und vor allem in Afrika, aber auch in Europa vielerorts ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein und Stolz auf die eigene Kultur beobachtet. Patriotismus schien meinen Gesprächspartnern gar nicht problematisch. Und: Ihr Blick auf Deutschland war nicht (mehr) so negativ.
Damit veränderte sich allmählich auch mein Verhältnis zu meiner Heimat. Vieles schätze ich an Deutschland: die robuste Demokratie; die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Medien; die vielfältige föderale Kulturlandschaft; die starke Wirtschaft. Die „Marke Deutschland“ ist stark. Doch den selbstkritischen Blick auf unser Land und seine Geschichte braucht es auch weiterhin, ebenso die Bereitschaft zu Veränderung.
Wie wird Deutschland heute in der Welt gesehen? Das haben das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit 2021 in der „Außenblick“-Studie gefragt. Deutschland als stabile Demokratie, führende Wirtschaftsmacht, attraktiver Forschungs- und Bildungsstandort mit breiten kulturellen Angeboten – viele nannten diese positiven Seiten. Auch die Aufarbeitung des Nationalsozialismus wurde gelobt (und mehr Aufmerksamkeit für die Kolonialgeschichte angemahnt).
Sorge bereiteten populistische und extremistische Tendenzen. Und: Deutschland müsse sich zwar international stark engagieren, doch keinesfalls dominant auftreten. Unser Land solle für ein starkes Europa eintreten, Vorreiter beim Klimaschutz werden sowie Migration und Einwanderung als Realität akzeptieren, Vielfalt willkommen heißen – so die Hoffnungen der ausländischen Befragten.
Zwei Jahre nach der Studie sind die globalen geostrategischen Rahmenbedingungen noch herausfordernder geworden. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Zunahme illiberaler Regime zwingen immer mehr Menschen in die Flucht. Auch die Klimakrise spitzt sich zu. Die Weltwirtschaft bleibt asymmetrisch, die Risiken sind ungleich verteilt. Die „Marke Deutschland“ bleibt stark, aber nur in einem starken Europa. Dafür braucht es den konstruktiven politischen Streit. Wir müssen mit unseren europäischen Nachbarn und weltweiten Bündnispartnern aushandeln, wie wir die globalen Herausforderungen von Krieg und autoritären Regimen, Flucht und Einwanderung, Klimaschutz und Nachhaltigkeit gemeinsam bewältigen können.
Für Demokratie und Freiheit zu streiten, ist auch eine gesellschaftliche und kulturelle Aufgabe — und dabei kann internationale Kultur- und Bildungspolitik, wie sie das Goethe-Institut betreibt, eine wichtige Rolle spielen.
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