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Wie Verlage ihre Produkte fit machen für die Generation TikTok.

2. November 2023

Lesen, Gucken, Wischen: Der “Spiegel” promotet per Stories auf der Startseite sein Bezahl-Angebot, die “Apotheken Umschau” checkt Vaginal-Pupse und bei der “Welt” werben sie hochkant für McDonald’s. Verlagshäuser müssen sich heute etwas einfallen lassen, um online mit (werbefinanziertem) Journalismus aus der Masse hervorzustechen. In der turi2 edition #22 stellen wir fünf Beispiele vor, wie es funktionieren kann. Von Wellenreiten und Feel-Good-Nachrichten bis Knochen-Mikrofon.

Von Anne-Nikolin Hagemann

“Spiegel”: Wisch und hin

Per Smartphone-Swipe durchs vertikale Weltgeschehen: Der “Spiegel” testet seit Juli 2022, ob das für seine Inhalte funktioniert. Direkt unter dem Aufmacher in Homepage und App steht seitdem die Story-Leiste, die Nachrichten- und Service-Themen im Hochkant-Format so aufbereitet, wie es die Generation Smartphone gewohnt ist: multimedial, viel (Bewegt-)Bild, Grafiken und Animationen, wenig Text. Einen “Ankerpunkt für jüngere Menschen” nennt das Ayla Kiran, Ressortleiterin Social Media. Und eine zusätzliche Möglichkeit, Spiegel+-Geschichten anzureißen. Auf denen liegt der inhaltliche Schwerpunkt in den Stories: Macht der vertikale Teaser neugierig, führt ein Wisch nach oben zum Text – und dann idealerweise direkt ins Abo. “Vom Storytelling zum Storyselling” nennt Ayla Kiran das.

Nach einem Jahr zählt Spiegel+ 2.896 Neu-Abos von Userinnen, die direkt davor in den Stories unterwegs waren. Noch nicht eingerechnet: die Abos, die aus der Story-Weiterverwertung auf Instagram entstanden sind. Nicht alles funktioniert in einem Jahr Stories: Ein Newsformat bringt weniger Aufrufe als erhofft, wird eingestampft. Umso besser laufen vertikale Weiterdrehs aktueller Themen, Recherche-Einblicke und Erklärvideos. “Je früher das Stories-Team in Recherchen und Planung der Ressorts eingebunden ist, desto besser ist am Ende das Ergebnis”, sagt Kiran. So werde das Team auch zum “Labor für neue Workflows, die das Digitale im Fokus haben”.

Was ursprünglich für ein jüngeres Publikum konzipiert ist, funktioniert offenbar auch für alte Hasen: “Erstaunt” registrierten Kiran und Kolleginnen auch hohe Zugriffszahlen und Verweildauer von bereits eingeloggten Abonnentinnen – auch die scheinen lieber durch die Stories zu swipen als sich durch die Website zu scrollen. Erstaunt zeigt sich Kiran auch über etwas anderes: “Es ist nicht nachvollziehbar, warum nicht jedes große Medium Deutschlands das Konzept bereits kopiert hat.”

“Welt” swipt siebenstellig

Auch Springer hat das Swipen für sich entdeckt – und direkt in ein Werbeprodukt umgewandelt: Bei welt.de sind Advertorials im vertikalen Storytelling-Format buchbar, optimiert für die Nutzung am Smartphone: bildstarke, leicht konsumierbare Kost für unterwegs, eingebettet in den Content der mehrheitlich mobil genutzten Online-“Welt”. “Wie unsere liebsten Social Apps, nur in brandsafe”, schwärmt Dirk Nolde, Director Axel Springer Brand Studios. Die Erfolgsformel für Kunden und Nutzer fasst er so zusammen: “weniger Text, mehr optisch aufbereiteter Inhalt“. Grafiken, Animationen, Videos, Fotos, Zitate. So lassen sich unterschiedliche Markenstories erzählen: Hyundai stellt per Swipe-Story seine neue E-Limousine vor, E.On gibt Stromspartipps, McDonald’s feiert sein Diversity-Konzept.

Entstanden ist die Idee zu den Swipe-Stories bei einem Hackathon von Entwicklerinnen und Produktmanagerinnen auf der Suche nach einem mobilfreundlichen Storytelling-Format für die Redaktion, Brand Studios und Produktentwicklung haben sie zum Vermarktungs-Tool weiter gedacht. Offenbar in die richtige Richtung: “Die Swipe Story steht für einen deutlich siebenstelligen Umsatz”, sagt Dirk Nolde. Der nächste geplante Schritt soll aber wieder zurück auf den Laptop führen: Das Format soll bald nicht nur mobil, sondern auch im Querformat funktionieren – und dafür mehr mediale Möglichkeiten bieten. Das Ziel: “Werbekunden den größtmöglichen Platz auf jeder Art von Screen zu verschaffen.”

Burda: Alles wird gut

Sich im Insta-Feed in schöne Bilderwelten träumen statt sich mit der realen Welt auseinander zu setzen? In Zeiten von Krieg und Krise verlockend. In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Burda Forward gibt die Hälfte der Befragten an, Nachrichten manchmal bewusst zu meiden, um sich nicht damit zu belasten. “Das ist unsere Zielgruppe”, sagt Linda Hinz, neben Nachrichtenredakteurin Vivien Wilkens Co-Founderin von Burda Forwards App “News to be Good”. Die soll helfen, “sich zu informieren, ohne sich schlecht zu fühlen”. Einer von mehreren Bereichen der App ist der News-Flow: eine aktuelle Auswahl an zusammengefassten News, bewusst ohne Bilder, um Negativ- Trigger zu vermeiden, begrenzt auf zehn Stück. Das soll davor schützen, “in einem Endlos-Strom von Nachrichten zu versinken” und ist inspiriert vom Instagram-Feed: Dort stoppt irgendwann die Meldung “Du bist auf dem neuesten Stand” die Scrollerei – wenn auch nach deutlich mehr als zehn Posts.

Nach dem News-Lesen kann man in Burdas App die Pause-Tase drücken – und bekommt Wohlfühl- und Selfcare-Inhalte zu sehen. Oder kann sich einer Good-Challenge stellen, kleinen Aufgaben mit Weltverbesser-Feeling: Datenmüll entsorgen und so CO2 sparen, Komplimente machen und Glückshormone tanzen lassen. Wer dann noch den App-Macherinnen etwas Gutes tut, etwa Werbung ansieht oder Freundinnen einlädt, sammelt Kleeblätter, die sich in Spendengelder umwandeln lassen. Im Bereich Gutes tun – also Kleeblatt-Spenden und Challenges – sieht Linda Hinz noch Ausbaupotential. Auch, was die Vermarktung angeht: “Hier bieten sich auch spannende Möglichkeiten für zu unserem Purpose passenden Partnerschaften mit Stiftungen und Unternehmen.”

Republic bewegt Bilder

Unter grau-blauem Morgenhimmel gleitet Profi-Surfer Finn Springborn in den Wellenschaum, die Kamera fährt mit. Die Multimedia-Reportage auf den Websites der “Frankfurter Allgemeinen” und der “Süddeutschen Zeitung” begleitet ihn zum Training ans Meer. Er erzählt, untermalt von stimmungsvollen Bildern und Clips, von Herausforderungen, Inspiration und Kraft. Und von seinem Kia Sportage Plug-in Hybrid, der ihn zum Strand bringt, dessen Sitzheizung ihn nach einer Surf-Session wärmt und der dank E-Antrieb so gut zum nachhaltigen Surfer- Lifestyle passe. Die Reportage ist gekennzeichnet als Werbecontent, produziert für Kia von Vermarkter Republic.

Aus den sozialen Medien sei die Zielgruppe Kurz-Content gewohnt, sagt Lukas Leister, Head of Content Solutions bei Republic. Gleichzeitig soll der Text “den hohen inhaltlichen Ansprüchen gehobener Leserschaften auf faz.net und sz.de” genügen und Sachinfos liefern. Surfer Finn wird emotional inszeniert als authentischer Markenbotschafter nach Influencer-Prinzip. Das scheint zu gefallen: Eine Verweildauer von im Schnitt zwei Minuten und 19 Sekunden ist in Zeiten von Snackable Content schon beinahe eine vollwertige Mahlzeit. Und: Die Inhalte können von Kunde Kia mehrfach verwertet werden – für OOH und Markenwebsite zum Beispiel. Und Social Media.

“Apotheken-Umschau” macht TikTok gesund

Ob das Skelett im Video-Hintergrund bald an einer Tanzchallenge teilnimmt? Seit 2023 mischt auch die @apotheken_umschau mit im Kurzvideo-Kosmos. “Es gibt mittlerweile viele Kanäle rund um Gesundheit, da es ein absolutes Lifestyle-Thema geworden ist”, sagt Samira Pletzer, Leiterin Social Media bei Wort & Bild und Teil der TikTok-Projektgruppe. Viele Like-Herzchen bedeuten allerdings nicht immer, dass die Inhalte fachlich richtig sind. Die Apotheken-Umschau will da “mit wissenschaftlich fundierten Inhalten gegenhalten”. Ziel des Channels sei, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu verbessern – und nebenbei auch die Bekanntheit der Marke. Für den jüngeren Teil der Zielgruppe klappt das besser im Feed als am Apothekentresen.

Um passende Formate zu entwickeln, hat das Team Inhalte anderer Healthfluencer und Gesundheitsunternehmen analysiert und sich Hilfe der Agentur Social Attention geholt. Die Themen orientieren sich an Magazininhalten und spinnen diese als Videoformat weiter, alle Skripte werden von der wissenschaftlichen Redaktion geprüft. Die Hosts geben im Arztpraxis-Setting mit Skelett im Hintergrund Antworten auf Tabu-Fragen (“Vaginal-Pupse beim Yoga?”), prüfen Gesundheitsmythen (“Abnehmen per Spritze?”) und machen Straßenumfragen – stilecht mit Knochen-Mikro.

Alle Geschichten der turi2 edition #22 – direkt hier im Browser als E-Paper:
 

Foto: Screenshots / PR

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