turi2 edition #15: Douglas-CEO Tina Müller über den Wandel von Traditionsmarken.
6. August 2021
Schönheit verpflichtet: Die Beauty-Branche muss sich neu ausrichten. Perfektion hat ausgedient, genauso wie das Shoppen im Laden. “Ein Transformationsprozess bedeutet auch immer Schmerz”, sagt Tina Müller. Die CEO von Douglas ist ein Role Model und mit über 100.000 Followerinnen bei Linked-in ein echter Social-Media-Star. Bei turi2 spricht sie über das, was Krisen in Bewegung bringen können.
Tina Müller, Sie haben als Marketingchefin von Opel in der Männerbranche Auto mit “Umparken im Kopf” eine ikonische Kampagne geschaffen. Sie führen als CEO die Parfümeriekette Douglas mit Verve ins digitale Zeitalter. Für viele Frauen sind Sie ein Vorbild. Wen sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen?
Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich natürlich viel mehr Facetten von mir als bloß meine Karriere. Ich verstehe auch, dass Sie gern wissen möchten, welche das sind. Mir ist wichtig, meinen privaten Raum zu bewahren, denn als eine der immer noch zu wenigen Frauen in Top-Positionen ist das Medieninteresse groß. Wenn ich Interviews gebe oder auf Social Media poste, dann fast immer im Kontext des Berufes.
Es gibt erfolgreiche Frauen wie Dorothee Bär, die viel mehr von sich zeigen, besonders auf Instagram.
Dafür investiere ich keine Zeit. Ich nutze Zeit, um mich umfassend über meine Branche und die Wirtschaft im Allgemeinen zu informieren oder entspannt ein Buch oder eine Zeitschrift zu lesen. Auch bei Linked-in schaue ich gerne rein und lasse mich inspirieren. Douglas als Unternehmen bespielt alle relevanten Kanäle mit Mio Followern auf Instagram und TikTok.
In der Öffentlichkeit dominiert von Tina Müller das Bild der toughen Karrierefrau.
Damit kann ich gut leben, auch wenn es zu einseitig ist. Aber Achtung: Würden Sie einen Mann in meiner Position als Karrieremann titulieren? Studien belegen es: Nach wie vor gibt es diesen “unconscious bias”, also eine unbewusste Voreingenommenheit bei der Wahrnehmung von Männern und Frauen im Top-Management. Frauen werden anders interviewt, behandelt, tituliert und beschrieben. Da sind wir leider noch weit weg von Gleichberechtigung. Die gleichen Attribute, die einen erfolgreichen Mann schmücken, haben bei einer Frau einen negativen Touch. Zum Beispiel “tough” oder ehrgeizige “Karrierefrau”.
Haben diese Zuschreibungen Ihren Karriereweg beeinflusst?
Eher nicht, ich finde meinen Weg recht unaufgeregt. Das hatte womöglich mit dem Umfeld bei Henkel zu tun: Dort gab es damals drei weibliche Vice Presidents, ich habe nie daran gezweifelt, dass ich als Frau Karriere machen kann. So viel Selbstbewusstsein wie junge Frauen, die heute ganz selbstverständlich mit 25 oder 30 ein Startup gründen, hatte ich damals aber wahrscheinlich nicht.
Sie sind für viele auch ein Role Model. Wie stark beschäftigen Sie sich mit Ihrer Außenwirkung?
Seit ich CEO bin, gehört das zur Job Description. Alle blicken auf die Person, die das Unternehmen führt. Bei Douglas ermutige ich alle Führungskräfte, als Botschafter des Unternehmens nach außen zu kommunizieren. Das liegt auch daran, dass der Arbeitsmarkt sich gewandelt hat. Die Top-Talente können sich den Arbeitgeber aussuchen, und sie fragen: Welches Team, auch welche unterschiedlichen Persönlichkeiten, prägen das Unternehmen? Kann ich mich mit denen identifizieren? Wie führen sie? Der Arbeitgebermarke Douglas hat unsere forcierte Digitalisierungsstrategie sehr gutgetan. Nur ein Beispiel: Es ist beeindruckend, wie unsere E-Commerce-Chefin Vanessa Stützle Talente anzieht. Wir erhalten exzellente Spontanbewerbungen von tech-affinen Frauen – das nützt uns sehr.
Was wollten Sie eigentlich als Kind werden?
Alles Mögliche: Anwältin, Psychologin, Chefredakteurin einer Frauenzeitschrift. Noch spannender finde ich aber die Frage: Was würden Sie mit dem heutigen Wissen werden wollen?
Bitte schön: Was wären Sie heute gerne?
Ärztin. Gesundheit ist das höchste Gut, ich bin da bei Schopenhauer: “Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.” Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie es ist, ein paar Wochen im Krankenhaus zu liegen. Dort hatte ich sehr gute Ärzte, habe mich persönlich sehr gut aufgehoben gefühlt. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass der Patient nicht ganzheitlich im Mittelpunkt steht. Vor allem könnten durch bessere Prävention und Lebensführung viele Krankheiten vermieden werden.
Nur zu, schulen Sie um.
Ein Medizinstudium absolviert man nicht in zwei Jahren. Mein großer Traum ist, einen interdisziplinären Ort der Gesundheit und des Wohlbefindens aufzubauen. Also wenn ich mal ein Startup gründe, dann vermutlich etwas in diese Richtung.
Auf Linked-in haben Sie gepostet: “Man muss wissen, wo man herkommt, um zu wissen, wohin man will.” Wie meinen Sie das?
Das habe ich in Bezug auf den Wert und Umgang mit einer Traditionsmarke gepostet. Bei Douglas feiern wir 2021 den 111. Geburtstag, Opel ist eine absolute Traditionsmarke, bei Schwarzkopf haben wir die 111 Jahre schon 2009 gefeiert. Ich finde es wichtig, mich mit der Geschichte der Marke und des Unternehmens zu beschäftigen, um beides dann nach vorne zu entwickeln. Wurzeln sind wichtig, wenn man in die Zukunft geht.
Was bedeutet der Satz für Sie persönlich?
Das Wort Heimat habe ich gerade schmerzlich in einer völlig neuen Dimension erfahren. Ich stamme aus Bad Neuenahr. Was dort durch die Flut und die Überschwemmungen passiert ist, hat mich zutiefst berührt. Dort bin ich aufgewachsen, habe da mein Abitur gemacht, viele meiner Schulfreundinnen leben noch dort mit ihren Familien. Diese Katastrophe hat uns alle wieder enger zusammengeführt. Ich habe gemerkt, wie wichtig Heimat für mich ist.
Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist der Ort, zu dem ich eine starke ursprüngliche Bindung habe. Auch wenn ich eigentlich die wenigste Zeit meines Lebens dort verbracht habe. Ich bin nach dem Abi mit 19 nach Frankreich gegangen und nicht mehr dauerhaft nach Bad Neuenahr zurückgekehrt. Trotzdem steht Heimat für das Behütete, das Geborgene. Und ich habe das Gefühl: Je älter ich werde, desto wichtiger werden für mich meine Wurzeln.
Was hat Sie nach dem Abitur in die weite Welt getrieben?
Als sich mir nach dem Abi die Chance bot, an das französische Partnergymnasium zu gehen und dort etwas Geld zu verdienen und gleichzeitig anzufangen zu studieren, sagte meine Mutter: “Du machst das. Au revoir.” Für mich war das gar nicht so selbstverständlich, aber im Nachhinein der entscheidende Schritt, unabhängig zu werden.
Hatten Sie für Ihren Lebensweg Vorbilder?
Ja, während eines Praktikums bei Apollinaris habe ich für die Marketingleiterin gearbeitet. Ich habe gesehen, wie sie die Marke führt und mir gedacht: So einen interessanten Job möchte ich auch mal machen.
Wer inspiriert Sie?
Unternehmenslenker, die es geschafft haben, ihr Unternehmen in die Zukunft zu führen und auf Wachstumskurs zu bringen. Dazu gehört der Mut, mit alten Gewohnheiten zu brechen. Ein Transformationsprozess bedeutet auch Schmerz – das darf man nicht vergessen. Seit ein, zwei Jahren hole ich mir auch viel Inspiration bei Startups. Ich schätze deren Mentalität, das Motto: Just do it and fail fast.
Jetzt, da Sie Boss im Laden sind: Trauen sich die anderen noch, Ihnen offen die Meinung zu sagen?
Ich dachte zunächst, da ändert sich gar nichts, denn ich bin ja dieselbe geblieben. Aber so einfach ist es nicht: Der Titel CEO flößt vielen Menschen Respekt ein. Ich bin als CEO also gefordert, aktiv gegenzusteuern – ich mache die Tür weit auf, um keine Barrieren aufzubauen und damit insgesamt eine Kultur des Vertrauens im Unternehmen entsteht.
Sie haben mit dem Spruch “Umparken im Kopf” Marketing-Geschichte geschrieben. Was ist Ihr Lebensmotto?
“Umparken im Kopf” war einfach eine gut gemachte Kampagne, danke nochmal an das hervorragende Team. Meine Weltanschauung ist: Das Glas ist halb voll und nicht halb leer. Ich habe starkes Urvertrauen, dass am Ende alles gut wird, und sonst ist es noch nicht das Ende.
Sie führen Douglas mit Riesenschritten ins digitale Zeitalter. Kommen da alle mit?
Der Anspruch, alle mitnehmen zu wollen, ist aus meiner Sicht im Ansatz falsch. Denn es wird immer Menschen geben, die für sich persönlich und damit auch berechtigt sagen: “Das ist nicht meine Reise.” Dann ist es auch nicht schlimm, wenn man getrennte Wege geht. Das gehört dazu und ist Teil der Transformation.
Warum muss Douglas sich überhaupt so stark transformieren?
Weil jede erfolgreiche Unternehmensstrategie an den Bedürfnissen und Wünschen der Kunden ausgerichtet sein muss. Als ich mir vor vier Jahren den Beauty-Markt angesehen habe, war klar erkennbar, dass sich das Kaufverhalten dramatisch geändert hat. Online-Shopping war bereits extrem beliebt, hatte ein starkes Momentum – und diesen Shift vom stationären ins Online-Geschäft hat Corona noch verstärkt.
Hat der stationäre Handel in Ihren Plänen überhaupt noch Platz?
Selbstverständlich, die Beauty-Branche wird keine reine Online-Branche werden. Die Kunden wollen wissen: Wie riecht der Duft, wie ist der Lippenstift? Aber es wäre total falsch gewesen, die Augen zu verschließen vor dem grundsätzlichen Wandel. Wir konnten nicht sagen, wir optimieren nur das, was wir haben. Nein, wir mussten uns auf die Reise machen und ein digitales Unternehmen werden. Der Hashtag #forwardbeauty steht für die Digitalisierung. Forward, weil wir als Marktführer in Europa nach vorn gehen wollen. Beauty, weil das die Quintessenz unseres Geschäfts ist, unser Markenkern.
Klingt ein bisschen nach “Zurück in die Zukunft”.
Das wäre zu einfach. Wir haben einen kompletten Perspektivwechsel geschafft. Wir sind heute Europas größte Beauty-Plattform mit einem stationären Geschäft. Und eben kein stationärer Händler mit gutem E-Commerce. Das war gestern.
Was sagt der neue Slogan “Let’s do beautiful”?
Der Slogan hat einen zweiten Teil: “For a world where everyone feels seen, heard and valued.” Wir wollen damit sagen: Es gibt nicht das eine Schönheitsideal, sondern wir lieben die Diversity. Und mit unserem Sortiment und unserer Beratung stärken wir die individuelle Persönlichkeit und ermutigen, sie jeden Tag zu leben.
Das heißt, eine Welt ohne Douglas…
…wäre ärmer, weil ein Stück weit Schönheit fehlen würde. Schönheit hat mit Wohlbefinden zu tun und mit Selbstbewusstsein. Wenn ich morgens in den Spiegel sehe und mich schminke oder mich bedufte oder meine Haut pflege, dann macht das etwas mit mir. Danach fühle ich mich besser, starte selbstbewusster in den Tag, bin glücklicher. In diesem Sinne geht für uns auch Schönheit mit Gesundheit einher – wir bieten heute eine breite Palette an medizinischer Kosmetik und Gesundheitsprodukten und denken ernsthaft über eine Douglas-Apotheke nach.
Das ist die neue Haltung von Douglas?
Nicht nur von Douglas. Unsere Marktforschung hat ergeben, dass gerade die junge Generation nicht mehr danach urteilt, wie jemand geformt ist, wie das Gesicht aussieht, die Haut. Heute zählt, wie sich jemand verhält und was er ausstrahlt. Attraktivität hat heute viel damit zu tun, wie jemand handelt und wie glücklich und authentisch jemand ist.
Auf eine Tasse Tee: Tina Müller spricht in ihrem Büro in Düsseldorf mit Heike Turi.
Mit über 114.000 Followinnern bei Linked-in stellen Sie viele männliche CEOs wie Tim Höttges, Ola Källenius und Christian Klein in den Schatten. Nur Herbert Diess hat mehr. Wie machen Sie das?
Das hört sich an, als ob weiblichen CEOs das nicht gelingen würde. Den Kanal habe ich übrigens erst bei Douglas gestartet. Es geht auf dem Account um Themen, die mir persönlich wichtig sind: digitale Transformation, Frauen in Führungspositionen, Diversity und der Blick auf weibliches Gründertum. Und natürlich um Douglas. Mehr als 100.000 Follower sind für mich Ansporn und Verpflichtung zugleich. Es gibt mir die Möglichkeit, den Ton selbst zu setzen, etwas einzuordnen oder gelegentlich zu korrigieren.
Zwischen “posten” und “posen” liegt nur ein t. Was macht für Sie den Unterschied?
Darüber nachzudenken, welchen Post könnte ich jetzt machen, um gut dazustehen, finde ich komplett falsch. Das habe ich nie gemacht. Natürlich entwickle ich nicht jeden Post selbst. Aber ich achte sehr darauf, dass es um Inhalte geht und eine Formulierung, hinter der ich stehe. Es geht kein Post raus, den ich nicht redigiert habe.
Wo spüren Sie die größte Veränderung in Ihrer neuen Rolle als CEO?
Ob ich ein Vorstandsressort leite oder als CEO ein Unternehmen führe, ist etwas anderes. Vorher habe ich ein Fachgebiet verantwortet, plötzlich bin ich für alles in der letzten Verantwortung: Finanzen, IT, Logistik, Personal.
Wie viel Last bedeutet das?
Über die Jahre bin ich erfahrener und sturmerprobter geworden. Aber die Corona-Krise brachte schon sorgenvolle Monate mit sich. Wer mir sagt, dass er als CEO jede Nacht gut schläft, dem kann ich nicht ganz glauben.
Der Trend Retail Media marschiert: Händler dienen ihre Medien der Industrie als Werbeträger an. Welche Pläne haben Sie fürs “Douglas Magazin”, das mit 1,8 Mio Exemplaren eine Auflage wie “Bild” und “Spiegel” zusammen hat?
Das “Douglas Magazin” hat sehr treue Leserinnen. Die kommen mit dem Heft in die Filiale und haben angekreuzt, was sie kaufen möchten. Das Magazin ist eine Institution im Markt und mir extrem wichtig. Als ich zu Douglas kam, war es allerdings ein wenig zum Werbeprospekt verkommen. Also haben wir es einmal komplett umgebaut mit dem Anspruch, die beste Beauty-Zeitschrift Deutschlands zu machen.
“Brigitte” und “Gala” können also einpacken?
Den Relaunch des Magazins haben wir zusammen mit Gruner + Jahr realisiert. Heute finden Sie in dem Heft viel mehr Inspiration und Storytelling als je zuvor. So machen wir es auch auf unseren digitalen Kanälen. Da sprechen wir nicht mehr von einer Auflage von 1,8 Mio, sondern von mehr als zehn Mio. Unsere Live-Streams funktionieren super: Kylie Jenner oder Alicia Keys lassen sich eine halbe Stunde zu Hause filmen und sprechen über ihre neue Kosmetiklinie bei uns. Alicia Keys hat dann auch noch live performt!
Welche Empfehlung geben Sie jungen Menschen?
Heute gibt es so viel mehr Möglichkeiten. Junge Menschen sollten sich auf die Suche machen, um das zu finden, was wirklich zu ihnen passt. Wofür sie sich wirklich interessieren und was sie mit Leidenschaft machen wollen. Ich habe diese künstliche Trennung von Work und Life nie verstanden. Wenn man eine Arbeit gefunden hat, an der man Spaß hat, dann ist es auch Life. Und dann ist es gut.
Tina Müller zieht es nach dem Abitur zunächst nach Frankreich, die gebürtige Rheinland-Pfälzerin studiert BWL und VWL und startet ihre Karriere bei L’Oréal. Es folgen Stationen bei Wella, Henkel und Opel, wo sie jeweils das Marketing verantwortet. 2017 der Wechsel zu Douglas, dort treibt die 52-Jährige als Vorsitzende der Geschäftsführung die Transformation des Unternehmens zur digitalen Beauty-Plattform voran.