turi2 edition #15: Jana Pareigis über die Zukunft des ZDF.
4. September 2021
Vielschichtig: Die Journalistin Jana Pareigis tritt als neue “heute”-Moderatorin beim ZDF ein großes Erbe an. Seit Juli 2021 steht sie als Nachfolgerin von Petra Gerster um 19 Uhr vor der Kamera. Im Interview mit turi2 spricht sie über die Vorzüge des Pendelns, ihre Social-Media-Abstinenz und die Notwendigkeit einer Verjüngungskur für die Öffentlich-Rechtlichen. Pareigis plädiert außerdem für mehr mediale Vielfalt – und weniger Scheren im Kopf.
Jana, du führst ein Leben in Bewegung, wohnst in Berlin und arbeitest in Mainz. Wie oft geht’s im Monat hin und her?
So ein, zwei, vielleicht dreimal. Manchmal bin ich acht Tage am Stück hier, ab und zu zehn, dann wieder nur vier. Das ist ganz unterschiedlich, je nach Schichtplan.
Nimmst du das Auto, die Bahn oder den Flieger?
Die Bahn. Ich versuche, Inlandsflüge zu vermeiden, auch wegen des Klimas. Eine richtige Zeitersparnis bringt das Flugzeug sowieso nicht. Im Zug kann man schön lesen, hat seine Ruhe.
Erstmal steht bei dir einiges an Arbeit an. Du startest bei “heute” um 19 Uhr, beim “Mittagsmagazin” wirst du weiter ab und zu vor der Kamera stehen. Vermisst du es manchmal, außerhalb des Studios zu arbeiten?
Ich plane schon, nebenbei immer mal wieder eigene Beiträge und Reportagen zu machen. Ich würde immer sagen, dass ich zuerst Journalistin und dann Moderatorin bin. Wobei auch das Moderieren journalistisch ist. Wir sind bei “heute” keine Sprecher*innen, sondern Redakteur*innen im Studio. Wir schreiben unsere Texte selbst und sind in den redaktionellen Prozess eingebunden. Ich hätte kein Interesse daran, Sprecherin zu sein.
Bei “heute” trittst du die Nachfolge von Petra Gerster an. Hast du Bammel vor neuen, großen Aufgaben wie dieser?
Ich habe Respekt und bin auch demütig. Aber ich versuche, mich generell nicht mit Gefühlen von Angst und Aufregung verrückt zu machen, weil mich das nur von der Arbeit ablenkt. Ich will mich auf die Arbeit konzentrieren und zweifle nicht an meinem Weg.
Wo wärst du heute, wenn du keine Journalistin geworden wärst?
Wahrscheinlich bei der UN, im Peacekeeping. Da habe ich während des Studiums ein Praktikum gemacht. Das war toll. Ich habe Politikwissenschaften studiert, Schwerpunkt Internationale Politik. Das politische Geschehen interessiert mich einfach wahnsinnig. Aber das habe ich auch im Journalismus, deshalb hatte ich das früh als Berufswunsch. Die Job-Prognose stand übrigens schon in meinem Abibuch.
Reporterin?
Genau. Bundeskanzlerin stand da auch, aber das wird nichts mehr.
Du hast mal in Simbabwe und London gelebt und in New York studiert. Deine Mutter ist Schwedin, dein Vater ein in Polen geborener Deutscher. Hast du mit dieser Biografie anderen Journalistinnen etwas voraus?
Ich würde das gar nicht so gegenüberstellen. Bei der Vorstellungsrunde im Seminar an der Uni in New York hat jeder zwei bis vier Herkunftsländer genannt. Dann hieß es: “Mein Vater ist US-Amerikaner und Bolivianer. Meine Eltern kommen aus Puerto Rico und Norwegen.” Es ist einfach so: Leute migrieren, haben unterschiedlichste Biografien. Das ist eine Normalität. Auch Deutschland war nie eine Insel. Es gab immer Migration hierher. Das ist die Geschichte der Menschheit. Und ich freue mich, wenn es demgegenüber auch eine größere Selbstverständlichkeit in den Medien und den Redaktionen gibt. Ich glaube, da kann sich noch etwas tun. Wenn man sich die Zahlen anguckt, sind wir Menschen aus “Einwandererfamilien” unterrepräsentiert. Meine Herkunft ist übrigens irgendwie immer Thema, dabei bin ich in Hamburg geboren und aufgewachsen. Ich rede ganz schnoddrig Plattdüütsch.
Würdest du dir wünschen, dass weniger über deinen Lebensweg gesprochen wird?
Dass es ständig angesprochen wird, zeigt, dass die Redaktionen immer noch nicht die Gesellschaft widerspiegeln, auch in Bezug auf die soziale Herkunft. Wir sehen das genauso mit Menschen, deren Eltern Arbeiter*innen sind, oder Menschen, die aus Ostdeutschland kommen. Auch die sind immer noch unterrepräsentiert in den Medien. Hoffentlich reißen wir da Barrieren ein. Dass wir als Frauen Nachrichten machen, wird Gott sei Dank nicht mehr in Frage gestellt. Bei mir kommt jetzt eher: “Sie ist schwarz.” Ja genau, ich bin schwarz. Und? Es sollte selbstverständlicher werden, schwarze Nachrichtenmoderator*innen im Fernsehen zu sehen.
Wird es das gerade?
Ich sehe das an den Zuschriften, die ich bekomme – etwa von afrodeutschen Familien. Sie schreiben: “Für meine Tochter ist es so schön zu sehen, dass eine schwarze Moderatorin die Nachrichten macht.” Ich selbst hatte das als Kind nicht. Das hat etwas mit Teilhabe zu tun, mit Sichtbarkeit. Und nicht damit, dass ich als Moderatorin irgendwelche Themen pushe. Ich mache mein journalistisches Handwerk. Trotzdem: Man darf Leute nicht von Berufen ausschließen, weder bewusst noch unbewusst. Frauen nicht. Menschen aus Einwandererfamilien nicht. Schwarze Menschen nicht.
Siehst du dich als News-Junkie?
Schon. Ich habe diese Begeisterung dafür, zu erfahren, wie vieles miteinander zusammenhängt und hoffe, in meinen Moderationen transportieren zu können, warum es wichtig oder schön ist, sich damit zu beschäftigen.
Wie informierst du dich?
Ich lese leidenschaftlich gerne, auch auf Papier. Ich mag das Haptische. Das soll jetzt bloß nicht so klingen, als ob ich in den 80ern hängen geblieben wäre! Natürlich lese ich auch viel online, schaue Fernsehen. Aber ich finde es schön, ein volles Bücherregal zu haben und Jahre später noch Sonnencreme und Sand zwischen alten Seiten zu finden.
Social Media ist nicht so dein Ding, oder? Du nutzt einzig Twitter, und das nur sporadisch.
Twitter nutze ich als Informationsquelle. Ich selbst teile ganz wenig. Aber jeder soll das machen, wie er oder sie will! Wenn ich Korrespondentin wäre, würde ich es sicher mehr nutzen. Aber als Moderatorin gibt es nicht so viel zu twittern für mich. Mein Privatleben will ich vollkommen raushalten aus der Öffentlichkeit.
Warum?
Weil es mein Privatleben ist. Außerdem halte ich mich als Journalistin mit der Äußerung persönlicher Vorlieben oder Meinungen lieber zurück. Wir sollten als Redakteur*innen und Moderator*innen immer noch eine Neutralität haben. Sonst heißt es vom Publikum irgendwann: “Das ist doch die Meinung von der Jana Pareigis!” Ne, ist es nicht. Es geht bei meiner Arbeit nicht um meine Meinung. Deswegen trenne ich das sehr.
Einige deiner Kolleginnen, Nicole Diekmann oder Dunja Hayali zum Beispiel, sind da deutlich aktiver…
Ja, es ist super, dass sie das machen. Ich finde auch gut, wenn Leute da diskutieren. Ich will das null bewerten. Es sollen nicht alle so machen wie ich!
Schützt du dich durch deine weitgehende Social-Abstinenz ein Stück weit selbst – etwa vor Hassnachrichten?
Ich halte mich von diesen toxischen Kommentaren gerne fern. Wenn Leute mich trotzdem rassistisch oder sexistisch beleidigen, wird geguckt, ob es justiziabel ist. Wenn ja, geht das ans Justitiariat des ZDF. Darauf kann sich die Person dann einstellen. Ich gehe da aber nicht in Diskussionen rein. Denn es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen Kritik und Hass. Die Leute sind teilweise echt enthemmt.
Ist das ein Social-Media-Phänomen?
Nein, für mich als schwarze Frau ist das null neu. Den Rassismus, den wir jetzt in den sozialen Medien sehen, habe ich mein ganzes Leben lang auf der Straße erlebt. Ich habe nicht das Gefühl, dass das mehr geworden ist. Er ist jetzt einfach sichtbarer. Die Leute haben das sonst zu einem in der U-Bahn gesagt.
Warum rennen junge Leute heute lieber zu TikTok als zu “heute” oder der “Tagesschau”?
Das weiß ich nicht. Aber wir holen sie zurück! Ich meine, jede Generation hat ihr Medium. Bei mir war es der Fernseher. Ich würde mich aber freuen, wenn ich mehr jüngere Leute dazu holen würde – und das nicht auf Kosten der älteren. Für mich ist es ein Ansporn, die Nachrichten so zu formulieren, dass sie für alle Menschen interessant sind.
Solle es in einer idealen Welt nicht anders sein: das Interesse der Jugend an Nachrichten und dem Weltgeschehen größer als an Make-up- und Tanz-Videos?
Ich weiß nicht, ob ich so pauschal über die jüngere Generation sagen würde, dass sie unpolitischer ist. Fridays for Future zum Beispiel ist die größte Jugendbewegung seit Jahrzehnten. Dass Hunderttausende Jugendliche auf die Straße gehen, hat man lange nicht gesehen. Was Make-up-Tipps angeht: Wenn wir unsere Eltern fragen, was sie damals gemacht haben, dann fanden das deren Eltern auch teils unpolitisch und unmöglich, zum Beispiel, wenn es darum ging, welche Musik sie gehört oder welche Kleidung sie getragen haben. Ich glaube, man muss gucken, dass man keine Arroganz der älteren Generation mitbringt.
Was würdest du dir von den Jüngeren gerne abgucken?
Ich gucke ungern auf andere, um dann mit mir und meinem Weg zu hadern. Erst dachte ich bei der Frage: diesen selbstverständlichen Umgang mit den sozialen Medien. Aber das könnte ich ja jederzeit genauso machen, wenn ich nur wollte. Ich will es einfach nicht. Ich denke, jüngere Generationen sind auch dazu da, Ältere zu pushen in bestimmten Dingen. Generell ist meine Position im Leben, dass man von sehr vielen Leuten etwas lernen kann.
Brauchen die Öffentlich-Rechtlichen eine Verjüngungskur?
Ich glaube, sie sind schon ganz gut dabei. Es ist längst nicht mehr so, dass man hier nur aufs lineare Fernsehen setzt – auch wenn die Einschaltquoten weiterhin sehr gut sind. Gerade bei den Nachrichten, gerade in der Corona-Krise. Man sollte Fernsehen und Print nicht so voreilig tot reden. In der Pandemie zeigt sich nochmal, was es für ein großes Bedürfnis es nach verlässlichen, geprüften Informationen gibt. Soziale Medien sind wichtig für bestimmte Kommunikationsformen, aber trotzdem braucht es den Journalismus, der Informationen prüft, gerade in Zeiten, in denen Verschwörungsmythen kursieren. Ich sehe also nicht, dass da irgendwas den Bach runtergeht.
Brauchen die Öffentlich-Rechtlichen mehr Leute wie dich, Jahrgang 1980 aufwärts?
Ich bin jetzt auch nicht mehr so jung mit 40, aus dem TikTok-Alter bin ich raus. Es gibt schon viele junge Leute im Haus. Wenn ich in die Redaktionen gehe, bin ich da nicht die Jüngste.
Vor der Kamera sieht das noch ein bisschen anders aus.
Gut, “heute” um 19 Uhr sind die Hauptnachrichten, da gibt’s einfach nur drei Moderator*innen. Aber insgesamt stimmt die Mischung schon. Man muss einfach das Spektrum abbilden.
“Die Öffentlich-Rechtlichen sind zu teuer, zu langweilig, politisch zu links.” Was entgegnest du?
Diese Vorwürfe verstehe ich gar nicht, ehrlich. Ich persönlich schätze das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sehr, gerade beim Blick in die USA, wo man genau weiß, welcher Fernsehsender für welche politische Richtung steht. Ich kann sagen: Wir diskutieren wahnsinnig kontrovers in den Redaktionen. Ich weiß nicht, was meine Kolleg*innen wählen. Keiner weiß, was ich wähle. Ich bin in keiner politischen Partei. Wir bringen vielfältige Einschätzungen ein, hinterfragen uns ständig, berichten ausgewogen. Ich finde auch gut, dass die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland nicht boulevardesk sind in den Nachrichten, dass vorsichtig mit Skandalisierungen umgegangen wird, mit Superlativen. In den USA gibt es viele sehr gute Journalist*innen. Und trotzdem, wenn man da Nachrichten sieht, sind die manchmal aufgemacht wie ein Actionfilm.
Wovon würdest du in den deutschen Nachrichten gerne häufiger hören?
Wir können mehr thematische Vielfalt zeigen, wenn es um afrikanische, lateinamerikanische, asiatische Länder geht. Sehr viel wird in diesem Kontext über Kriege, Krisen und Katastrophen berichtet. Ich meine: Wissen wir, was die Jugend in Südafrika gerade denkt? Oder welche erfolgsversprechenden Startups in Thailand gegründet werden? Das sind Sachen, die wir nicht auf dem Schirm haben, weil man dann doch immer mit dieser europäisch-amerikanischen Brille auf Themen guckt.
Du bist Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Warum?
Weil ich es wichtig finde, sich gegen Rassismus einzusetzen. Für mich ist das eine Frage von Menschenwürde und Menschenrechten. Deren Achtung sollte für Journalist*innen die rote Linie sein.
Du hast für die Deutsche Welle einen Film über die Lebensrealitäten schwarzer Menschen in Deutschland gedreht und bist dafür 2016 durch die Republik gereist. Was hast du beim Dreh über Deutschland gelernt?
Total interessant fand ich mein Interview mit Indira Paasch, einer schwarzen Frau, die in der DDR aufgewachsen ist. Dort wurde immer vom “antifaschistischen Schutzwall” gesprochen, trotzdem gab es Rassismus. Für mich als Westdeutsche war es krass zu hören, wie ungefiltert diese tiefsitzenden rassistischen Stereotype, diese Ressentiments, in der DDR nach außen getragen wurden.
Und über dich?
Mir ist klar geworden, wie wichtig es war, dass ich mich mit dem Thema beschäftigt habe. Der Film war für mich eine Form des Empowerments: Es ist wichtig, sich mit Leuten auszutauschen, die dasselbe erlebt haben wie man selbst. Auch, um Strategien für den Umgang mit solchen Anfeindungen miteinander zu teilen.
Auf dem Filmplakat bist du zweimal zu sehen, einmal mit glatten Haaren, einmal mit Locken. Wann wird die erste Moderatorin bei “heute” mit Afro vor der Kamera stehen?
Mal sehen. Das wird wahrscheinlich noch dauern. Ich persönlich trage beides, mal lockig, mal glatt. Bei der Arbeit trage ich sie aktuell glatt, auch aus praktischen Gründen. Mir ist es wichtig, die Wahl zu haben.
Warum hat es bis zum Auftreten der ersten schwarzen Moderatorin bei “heute” eigentlich bis 2021 gedauert?
Die “heute”-Moderator*innen machen die Sendung in der Regel sehr lange, viele Jahre und Jahrzehnte. Das heißt, es gibt nicht viele Wechsel. Petra Gerster war über 20 Jahre da. Es gibt eine Million schwarze Menschen in Deutschland. Ich sage gar nicht, dass jede Sendung von einer schwarzen Person moderiert werden muss. Es geht eher darum, niemanden mit den richtigen Qualifikationen auszuschließen. Es gab auch in den 50ern schon Frauen, die die Nachrichten hätten moderieren können. Die haben einfach nur die Möglichkeit nicht bekommen. Genauso ist es mit Menschen aus Einwandererfamilien heute. Ich wünsche mir, dass wir da in den Medien offener hingucken und künftig keine Schere mehr im Kopf haben.
Jana Pareigis wird 1981 in Hamburg geboren. Ihr biologischer Vater stammt aus Simbabwe, ihre biologische Mutter ist Deutsche. Nach der Geburt wird sie von einem deutsch-schwedischen Paar adoptiert und wächst in Hamburg auf. Sie lebt nach dem Abitur eineinhalb Jahre in Simbabwe und arbeitet ehrenamtlich mit Kindern. Pareigis studiert Politik und Afrikanistik, macht ein Praktikum bei der Friedensmission der UN in New York, arbeitet bei N24 und volontiert bei der Deutschen Welle. Beim ZDF moderiert Pareigis ab 2014 zunächst das “Morgenmagazin”, später das “Mittagsmagazin”, seit Juli 2021 steht sie für die 19-Uhr-Ausgabe von “heute” des ZDF vor der Kamera. Pareigis hat einen kleinen Sohn und lebt in Berlin.