Und jetzt zur “Tagesschau”: Juliane Leopold bringt das ARD-Nachrichtenflaggschiff in seinem 67. Lebensjahr online groß raus. Björn Czieslik spricht mit der Digitalchefin für die turi2 edition #9 über Nachrichten abseits des Fernsehens, digitale Drohungen und über ihre ungeliebte Rolle als “Ossi vom Dienst”.
Das Porträt über Juliane Leopold finden Sie auch in unserem kostenlosen E-Paper zur turi2 edition #9 auf Seite 150.
Die Liebe zwischen Juliane Leopold und dem Internet ist über lange Zeit gewachsen. Ihre erste Begegnung mit dem Netz hat sie in den späten 1990er Jahren in ihrer Heimatstadt Halle an der Saale, im Jugendcafé von Karstadt. Drei Computer mit Internetzugang sind dort installiert. Juliane Leopold kommt immer wieder, wählt sich ein und liest Blogs aus aller Welt.
Mitte der 2000er Jahre, Leopold studiert inzwischen Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Berlin, wird sie selbst im Netz aktiv. Sie beginnt zu twittern und lernt das digitale Einmaleins. Als die ersten Verlage Leute suchen, die ihnen das Web erklären, ist Juliane Leopold zur Stelle.
Sie betreut die Community der “NZZ”, macht Social Media für Zeit Online und gründet das feministische Blog “Kleinerdrei” mit. 2014 übernimmt sie ihren ersten Führungsjob als Chefredakteurin von BuzzFeed Deutschland. “Ich führe nicht gerne als Selbstzweck, sondern weil ich gerne gestalte”, sagt Leopold. BuzzFeed ist die Spielwiese, auf der sie sich austobt.
Nach anderthalb Jahren dort und einer Zeit als Beraterin verantwortet Leopold seit Juli 2018 den Digital-Auftritt der “Tagesschau”. Anders als bei BuzzFeed ist das Feld hier schon beackert. Sie lernt, wie die Prozesse des linearen Fernsehens funktionieren, was crossmediale Verzahnung heißt – und muss verstehen, dass bei Entscheidungen in der ARD viele mitreden.
Juliane Leopold ist nicht nur die erste Frau an der Spitze von ARD-aktuell, sondern auch die einzige Ostdeutsche dort. Beides sind keine unbekannten Rollen für sie: “Ich war in der Regel in meinem ganzen Berufsleben an den Konferenztischen die Jüngste, manchmal die einzige Frau. Und immer die einzige Ostdeutsche.” Mit Blick auf die politische Stimmung im Land hält sie es für hilfreich und wichtig, möglichst viele Perspektiven an Bord zu haben. Der “Ossi vom Dienst” will sie trotzdem nicht sein.
Dass Leopold als erste Führungskraft ohne Stallgeruch zur “Tagesschau” kommt, ist für sie mehr Chance als Last: “Ich weiß, dass der Horizont nicht dort endet, wo nur wir selbst mit uns zufrieden sind.” Das Digital-Angebot der “Tagesschau” misst sie an der Welt da draußen und scheint auf einem guten Weg. Mit mehr als 90 Millionen Visits im Monat zählt Tagesschau.de zu den zehn meistbesuchten News-Angeboten in Deutschland.
Die Redaktion bespielt Website und App, aber auch YouTube, Facebook, Twitter und Instagram. Leopolds Devise: Wer Rundfunkbeitrag zahlt, soll dafür etwas bekommen, auch wenn er die “Tagesschau” nicht im TV konsumiert. Die Ansprache auf den verschiedenen Kanälen unterscheidet sich leicht, die DNA – seriöse, unaufgeregte Information – muss aber gleich bleiben.
Das Internet ist für Juliane Leopold nach wie vor “der reizvollste Bereich, Journalismus zu machen”. Auch, weil es sich für sie offener anfühlt als etwa Print. Dass alle zu allem ihre Meinung sagen dürfen, hat aber nicht nur Vorteile: “Seitdem ich eine Frau im Internet mit Stimme und Gesicht bin, finden Menschen mich blöd und sagen mir das auch”, sagt Leopold. Viele Äußerungen sind unsachlich, aber substanzlos, es gibt aber seit Jahren auch immer wieder Drohungen. Auch deswegen spürt Juliane Leopold manchmal eine Debatten-Müdigkeit, selbst in ihrem Lieblingsnetzwerk Twitter. “Aktion, Reaktion, Aufreger – und morgen wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben: Das muss ich zunehmend nur noch beobachten und nicht mehr Teil davon sein.”
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