“Jede Verspätung ist ein gebrochenes Versprechen” – Vorstand Michael Peterson über Bahn und Botschaft.
18. Juni 2023
Bahn-Ansage:Michael Peterson, im Vorstand für den Fernverkehr zuständig, gilt bei der Bahn als “Mister ICE”, obwohl er einer “Automobilisten-Familie” entstammt und die Liebe zur Schiene erst spät entdeckt. Mit turi2 spricht er für die turi2 edition #21 im ICE-Instandhaltungswerk in Frankfurt-Griesheim über die richtige Kommunikation von 90-minütigen Verspätungen sowie das Markenversprechen von “Deutschlands öffentlichstem Unternehmen”.
Michael Peterson: Ich komme aus einer Automobilisten-Familie, daher ist meine erste Erinnerung eine Klassenfahrt von Düsseldorf nach München im Nachtzug. Wir waren ganz klassisch im Sechser-Liegewagen unterwegs, den man tagsüber auch zu einem Sitzabteil umrüsten konnte. Ich weiß noch: Ich hatte eine Liege ganz oben unter der Abteildecke.
Wie kommt ein Automobilist zur Bahn?
Die DB habe ich als Unternehmensberater kennengelernt. In dem Projekt ging es damals um die Digital-Strategie des Fernverkehrs. Die habe ich mitentwickelt und dabei viele engagierte Mitarbeitende und ein sehr dynamisches Unternehmen erlebt. Als ich gefragt wurde, ob ich auch bei der Umsetzung dieser Strategie dabei sein will, habe ich nicht lange überlegt und bin zur Bahn gewechselt. Hier bin ich zum leidenschaftlichen Bahner geworden. Ich wohne in Heidelberg und pendle fast täglich ins Büro nach Frankfurt oder Berlin. Und dafür nutze ich wann immer es geht den Zug.
Wann trifft man dich im Flieger oder Dienstwagen?
Im Dienstwagen so gut wie gar nicht. Im Flieger eigentlich nur, wenn ich Geschäftspartner an europäischen Zielen besuche. Heute bin ich mit dem ICE aus Heidelberg hierher nach Frankfurt gekommen.
Muss ein Bahn-Vorstand die Bahn lieben?
Ich weiß nicht, ob er die Bahn lieben muss. Ich glaube aber, dass die Mitarbeitenden bei mir als Vorstand spüren, dass ich mich mit echter Leidenschaft und Engagement für das Unternehmen einsetze. Und dass ich als Chef selbst hinter der Strategie und den Zielen stehe, die ich ausgebe. Und das nicht, weil ich eine bestimmte Rolle ausfüllen will.
Es gab mal einen Bahnchef, der sagte: “Bahnfahrten über vier Stunden sind eine Tortur, Fliegen ist besser.” Das war vor dem Zeitalter von Social Media. Könnte eine Top-Führungskraft der Bahn so einen Satz heute noch sagen?
So wie ich meine Kolleginnen und Kollegen in beiden Vorstandsteams kenne, ist die Gefahr relativ gering, dass jemand ein solches Statement abgeben würde. So eine Aussage würde heute für Befremden sorgen. Bahnfahren ist so bequem wie noch nie. Ich verlege immer meinen Büro-Arbeitsplatz in die Bahn. Es gibt fast nichts Entspannteres, als aus dem Zug zu arbeiten, leckeren Cappuccino zu trinken und nebenbei sein Ziel zu erreichen. Und auch mein Büroteam freut sich, wenn ich mit der Bahn unterwegs bin: Hier finde ich die Zeit und Ruhe, um längere Texte zu lesen und freizugeben.
Die Bahn ist immer für Witze gut, vor allem über Unpünktlichkeit. Seit Jahren. Kannst du darüber lachen?
Klar gibt es Bahnwitze, über die ich auch lachen kann. Aber wenn es zu sehr auf Kosten unserer Mitarbeitenden geht oder Bahn-Bashing betrieben wird, hört das Lachen bei mir auf. Denn damit nehmen die Kritiker Hunderttausende von Menschen, die jeden Tag ihr Bestes für unsere Gäste geben, in Sippenhaft.
Michael Peterson wird 1970 geboren. Er studiert Wirtschaftsingenieurwesen und promoviert in Betriebswirtschaftslehre. Nach Jahren bei der Strategie-Beratung Booz & Company wechselt er 2014 zur Deutschen Bahn. Er verantwortet zunächst das Fernverkehrsmarketing. 2018 steigt er zum kommissarischen, im folgenden Jahr zum regulären Chef der DB Fernverkehr AG auf. Seit Juli 2022 ist er zusätzlich Vorstand für Personenfernverkehr der Deutschen Bahn.
Wie reagierst du, wenn sich Mitreisende in deiner Gegenwart lautstark über die Bahn ärgern? Gibst du dich zu erkennen?
Ja. Und das kann dann schon mal zu Situationen führen, in denen die Menschen, die eben noch gelästert haben, plötzlich peinlich berührt sind. Ich versuche vor allem Hintergründe zu erläutern und Verständnis zu wecken. Denn auch wir sind mit der Qualität, die wir aktuell abliefern, nicht zufrieden. Aber gemeinsam mit dem Bund sind wir dran, den jahrelangen Investitionsstau in die Schiene abzubauen und die Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Natürlich können auf einer Bahnfahrt auch Dinge passieren, über die sich unsere Gäste ärgern, wie ein defektes WC oder eine Türstörung. Ich versuche dann zu erklären, was das Problem ist und wie wir an der Lösung arbeiten. Ich weise zum Beispiel darauf hin, dass wir viele alte Züge durch neue wie den ICE 4, den ICE 3neo oder den ICE L ersetzen, um das Durchschnittsalter der Flotte zu senken und Störungen zu reduzieren. Das nehmen viele Menschen sehr positiv auf.
Wir treffen uns an einem Ort, an den Fahrgäste sonst eher nicht gelangen: im ICE-Instandhaltungswerk in Frankfurt-Griesheim. Wie oft blickst du so tief hinter die Kulissen?
Das mache ich regelmäßig. Ich bin nicht nur in unseren neun ICE-Werken zu Gast, sondern besuche auch meine Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen Bereichen, seien es die Verkehrsleitungen, die Lokführenden oder den Bordservice. Ich komme zum Beispiel gerade von einer Mitarbeiter-Veranstaltung: der Mittagspause mit dem Chef in der Kantine. Das mache ich einmal im Quartal. Da können Mitarbeitende aus allen Bereichen des Fernverkehrs in kleiner Runde direkt mit mir ins Gespräch kommen. Und das ist nur eines von vielen Formaten.
Welche Gefühle verbindest du mit diesem ICE-Werk?
Für mich ist dieser Ort faszinierend, denn hier schlägt das Herz des Fernverkehrs. Hier und in unseren anderen Werken passieren vor allem nachts genau die Dinge, die am Ende dazu führen, dass unsere inzwischen auf 377 ICE gewachsene Flotte jeden Tag unterwegs ist, um Hunderttausende Menschen an ihre Ziele zu bringen. Allein hier in Griesheim arbeiten über 650 Menschen, die jeden Tag rund 50 ICE fit für den Einsatz machen. Das Werk ist unter anderem das Leitwerk für den ICE 3neo, in dem wir gerade sitzen. Das ist unser neuester und – wie ich finde – schönster und innovativster Zug.
Kannst du hier technisch mitreden? Du bist studierter Maschinenbau-Ingenieur.
Ja, ich habe das mal studiert und verstehe in Grundzügen, was hier passiert. Aber ich würde mir nie anmaßen, mit den Expertinnen und Experten hier im Werk auf Augenhöhe zu diskutieren. Wenn es um technische Details bei Drehgestellen geht, dann überlasse ich das den Menschen, die sich wirklich damit auskennen.
Zug der Zeit: Der nagelneue ICE 3neo ist der ganze Stolz von Fernverkehrsvorstand Michael Peterson. In Frankfurt-Griesheim wird der Zug gewartet.
Ein Großteil deines Jobs ist Kommunikation: Wie viel davon ist Krisen-Kommunikation?
Die Frage ist, was man als Krise bezeichnet. In den vergangenen Jahren neigen wir in Deutschland und weltweit immer mehr zur Skandalisierung. Es wird sehr schnell von Krise oder Chaos gesprochen. Natürlich gibt es bei der Bahn betrieblich anspruchsvolle Situationen, aber nicht jede betrieblich anspruchsvolle Situation ist eine Krise. Ich verbinde eine echte Krise mit etwas ganz Gravierendem, wie der Pandemie oder dem völkerrechtswidrigen Ukraine-Krieg.
Dann lass uns nicht von Krisen sprechen, sondern von schlechten Nachrichten: Wie kommunizierst du Ärgernisse wie Verspätungen oder Streckensperrungen?
Wichtig ist, die Probleme und Gründe für Verspätungen offen und ehrlich zu benennen: Wir bauen hier an der Zukunft von Deutschland, an der Mobilitätswende. Es ist Fakt, dass die letzten Jahrzehnte in Deutschland zu wenig in die Schiene investiert worden ist. Deswegen kämpfen wir heute mit einer veralteten, störungsanfälligen Infrastruktur. Das ist ein Rückstand, den wir jetzt aufholen müssen. In den kommenden Jahren werden wir viele Strecken umfassend sanieren. Aber auch in der betrieblich anspruchsvollen Situation müssen wir verlässlich für unsere Gäste bleiben. Das gilt auch für die Kommunikation: Wir dürfen den Gästen nur das versprechen, was wir am Ende als Unternehmen auch halten können.
Aber jede namhafte Verspätung ist ein gebrochenes Versprechen – und da meine ich jetzt nicht fünf oder zehn Minuten, sondern 80 Minuten und mehr.
Ja, jede Verspätung ist ein gebrochenes Versprechen. Von den über 900 Zugfahrten, die wir jeden Tag anbieten, sind zehn bis zwölf von derart großen Verspätungen betroffen. Es gibt aber Ereignisse, für die wir de facto nichts können: Dazu gehören externe Faktoren wie Böschungsbrände. Und die finden in den warmen Monaten jeden Tag statt. Mir geht es vor allem um unser Leistungsversprechen, wenn wir Bau- oder Sanierungsmaßnahmen haben. Da müssen wir den Menschen erklären, dass es eine halbe Stunde länger dauert. Die Öffentlichkeit misst hier allzu oft mit zweierlei Maß: Wenn jemand in Hamburg ins Auto steigt und das Navigationssystem errechnet eine Ankunftszeit von 13.32 Uhr in München, dann würde er ja auch nicht für 13.45 Uhr einen geschäftlichen Termin vereinbaren.
Wann machst du deinen ersten Termin, wenn du morgens mit der Bahn nach Berlin pendelst?
Ich komme um 10.55 Uhr mit dem ersten ICE aus Heidelberg am Berliner Hauptbahnhof an und lege mir den ersten Termin auf 11.30 Uhr. Allerdings nur, wenn es sich um einen internen Termin handelt, da sind ein paar Minuten Verspätung zu verkraften. Einen externen Termin würde ich nie vor 12 Uhr vereinbaren. Das gilt aber auch für jedes andere Verkehrsmittel. Unterwegs kann immer etwas passieren.
Unter den Rädern: Michael Peterson erklärt Markus Trantow, warum der ICE 3neo auch von unten eine gute Figur macht.
Du bist Chef von rund 20.000 Menschen. Wie bleibst du da nahbar? Geht das überhaupt?
Ich bin im Rheinland groß geworden, da duzt man sich sehr schnell. Auch bei der Bahn habe ich von Anfang an jedem das “Du” angeboten. Wer das nicht in Anspruch nehmen will, den sieze ich selbstverständlich zurück. Ich merke aber, dass das “Du” Kommunikationsbarrieren nimmt. Mitarbeitende kommen eher mit Kritik und Problemen zu mir, wenn sie sagen können “Michael, kann ich mal fünf Minuten mit dir reden?” anstatt “Herr Doktor Peterson, haben Sie mal fünf Minuten für mich?”. Auf der fachlichen Ebene versuche ich den Menschen in unserer Organisation zu vermitteln, dass ich mich um ihre Belange kümmere. Wir wollen als Team zusammen die Bahn besser machen, im Großen und im Kleinen.
Seit letztem Jahr bist du auf Linked-in sehr aktiv. Welche Rolle spielt das Business-Netzwerk für deine Kommunikation? Wer sich dort als Chef beklatschen lässt, kann schnell eitel wirken.
Es geht mir gar nicht um Selbstdarstellung. Ich sehe mich in meiner Rolle als Konzernvorstand vielmehr als Multiplikator des Unternehmens. Ich nutze Linked-in, um Hintergrundinformationen zur Bahn zu vermitteln und die Menschen auf unsere Reise mitzunehmen. Zum Beispiel, indem ich anhand von konkreten Beispielen aufzeige, wie wir unsere Strategie “Starke Schiene” umsetzen und dem Ziel von 260 Millionen Reisenden pro Jahr im Fernverkehr immer näherkommen. Dabei will ich auch wertschätzen, welchen großartigen Anteil unsere Mitarbeitenden jeden Tag leisten. Und natürlich ist Linked-in keine Einbahnstraße: Es geht auch um den Dialog mit verschiedenen Zielgruppen. Generell finde ich es wichtig, dass externe und interne Kommunikation synchronisiert sind. Die Mitarbeitenden sollten nicht das Gefühl haben, sie verpassen etwas, wenn sie mir nicht folgen. Im Idealfall wirkt Linked-in als ergänzende Plattform für Mitarbeitende. Und andere Zielgruppen können sich dort über Themen informieren, die sie in anderen Medien so nicht finden.
Fungiert Linked-in als wohlwollende Gegenöffentlichkeit, die mit der Bahn etwas sanfter umgeht als die traditionellen Medien oder die Kommentarspalten bei Facebook und Instagram?
Auf jeder Plattform und in jedem Medium werden Bahnthemen immer auch kontrovers diskutiert. Das gilt auch für Linked-in und Themen wie die Maskenpflicht oder die Tarifverhandlungen. Die DB ist Deutschlands öffentlichstes Unternehmen. Da bleibt die Kontroverse nun mal nicht aus. Ich richte meine Kommunikation nicht nach Wohlfühlfaktoren aus.
Von der Spielzeugeisenbahn bis zum Lokführer, der in der Mehrzahl noch immer ein Mann ist: Warum sind Züge so ein Männer-Ding?
Ich glaube, dass die Eisenbahn eine Faszination auf alle Menschen ausübt, egal welchen Geschlechts. Unsere Gesellschaft ist sehr stark von Rollenbildern geprägt – schon in unserer jüngsten Kindheit. Das fängt mit Kinderbüchern an, in denen klassischerweise der Lokführer den Zug fährt. Ich gebe mal ein Beispiel von meinem Sohn, als der noch in den Kindergarten ging: Meine Frau kann im Auto nicht gut mitfahren, weil ihr schnell schlecht wird. Bei uns fährt also meine Frau, ich bin Beifahrer, unser Sohn sitzt hinten. Trotzdem hat er im Kindergarten gespielt, dass der Mann am Steuer sitzt. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er: “Frauen fahren doch kein Auto. Das ist nur bei uns so, Papa.” Daran sieht man, wie stark die gesellschaftliche Prägung sein kann, auch wenn es andere Vorbilder gibt.
Wie lässt sich das aufbrechen?
Ich glaube, wir haben es als Gesellschaft in der Hand, das zu ändern. Bei der DB arbeiten wir etwa mit Verlagen zusammen und gestalten Kinderbücher, in denen Rollenbilder aufgebrochen und Frauen in sogenannten “klassischen Männerberufen” gezeigt werden. In der Führungsebene der Bahn klappt das übrigens sehr gut, auch in technischen Bereichen. Im Fernverkehr haben wir zum Beispiel mit Anja Schöllmann erstmals eine Produktionsvorständin. Der Anteil von Frauen im Fernverkehr liegt aktuell bei 27 Prozent.
In Personal-Kampagnen wirbt die Bahn um Diversität. Was unternimmst du konkret, um die Diversität bei der Bahn zu steigern?
Wir haben verschiedene Diversity-Initiativen. Meine Konzernvorstandskollegin Evelyn Palla und ich sind beispielsweise Pat:innen des Netzwerks “Frauen bei der Bahn”. Hier engagieren sich rund 5.000 Mitarbeiterinnen für Frauenförderung, was wir als Pat:innen tatkräftig unterstützen. Unser Ziel ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jede und jeder, egal welcher Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung, wohlfühlt.
Als Chef des Fernverkehrs der Deutschen Bahn wirst du in den Medien gerne “Mister ICE” genannt. Fühlst du dich auch fürs Gesamtimage zuständig?
Es ist kein Geheimnis, dass das Gesamtimage der Bahn zu großen Teilen vom Fernverkehr geprägt wird. Viele Menschen verbinden den ikonischen ICE mit der Deutschen Bahn. Deshalb fährt die Verantwortung für den guten Ruf der DB bei uns immer mit. Überhaupt bin ich stolz, für ein Unternehmen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz zu arbeiten. Fast jeder Mensch in Deutschland verknüpft Emotionen mit der DB. Egal ob positiv oder negativ: Wir sind den Leuten nicht gleichgültig. Und das motiviert mich auch jeden Tag aufs Neue, die Bahn Schritt für Schritt besser zu machen. Wenn ich ein Unternehmen aus der Gleichgültigkeit führen müsste, wäre die Anstrengung
viel größer, die Menschen dafür zu begeistern. Wir können das emotionale Involvement in eine positive Erfahrung ummünzen. Trotzdem ist die DB natürlich mehr als der ICE. Das hochkomplexe System Bahn funktioniert nur, wenn viele kleine Rädchen ineinandergreifen. Die Grundlage sind beispielsweise auch Infrastruktur, Werke und Bahnhöfe.
Für welche Markenwerte steht die Deutsche Bahn aus deiner Sicht heute – und wofür sollte sie stehen?
Ich glaube, dass die Bahn schon heute das Rückgrat der Mobilität in Deutschland bildet und für Nachhaltigkeit und klimafreundliches Reisen steht. Zuletzt stand die Bahn jedoch auch immer wieder für schlechte Qualität und Unpünktlichkeit. Wir arbeiten daran, dass wir mit unserer Strategie “Starke Schiene” das Attribut der Verlässlichkeit in die Köpfe der Menschen bekommen.
Durch Pandemie, Krieg und Inflation manövriert die Wirtschaft in einer Krise. Zuerst sieht man das immer an sinkenden Werbeausgaben. Viele Marken stehen jetzt auf der Bremse. Wo fließt das Werbegeld der Bahn in diesen Zeiten hin?
Wir haben verschiedene Felder: Personalwerbung ist für uns besonders wichtig. In diesem Jahr wollen wir konzernweit 25.000 Mitarbeitende einstellen. Da müssen wir zeigen, was für ein Arbeitgeber wir sind, für welche Werte wir stehen und welche Berufe wir suchen. Außerdem schalten wir als Konzern Image-Kampagnen – das ist gerade angesichts des Investitionsstaus der vergangenen Jahrzehnte und der Sanierungsarbeiten wichtig. Hier brauchen wir den Rückhalt der Bevölkerung. Was unser Produkt angeht, sind wir noch lange nicht an dem Punkt, dass jeder weitere Marketing-Euro verschwendet wäre. Viele Menschen wissen noch gar nicht, dass man mit unseren Sparpreisen ab 17,90 Euro von Hamburg nach München und ab 29,90 Euro von Frankurt nach Paris fahren kann.
Manchmal ist das, was ihr veranstaltet, besonders auffällig. Ich denke zum Beispiel an eure Social-Media-Arbeit bei Facebook, Instagram oder TikTok. Das ist sehr offensiv, sehr frech und polarisierend. Ist das der Ton von Michael Peterson?
Nein, das ist nicht immer der Stil, in dem ich persönlich kommunizieren würde. Andersherum werde ich mit der Art und Weise, wie ich kommuniziere, auch nie 100 % der Menschen erreichen. Die Kommunikation in den sozialen Medien spricht gerade auch jüngere Menschen an, die diese provokante Art der Kommunikation mögen. Es wäre ein großer Fehler, die Kommunikation so zu gestalten, dass sie dem Vorstand gefällt. Damit würden wir einen großen Teil der Zielgruppe da draußen ausschließen.
Viele der heutigen Probleme der Deutschen Bahn resultieren aus Entscheidungen, die vor 20 Jahren in der Ära Schröder und Mehdorn getroffen wurden. Wie schwer fällt es, nicht bei allem zu sagen: “Sorry, aber wir haben das nicht verbockt!”
Das Problem gibt es grundsätzlich bei allen Industrien, die lange Investitionszyklen haben, seien es die Telekommunikation oder die Stromnetze. Ich gucke nicht zurück und frage mich, was wir vor fünf Jahren anders entscheiden hätten müssen. Höchstens, wenn die Antwort auf diese Frage dabei hilft, heute bessere Entscheidungen zu treffen. Mir gelingt es hoffentlich, im Hier und Jetzt gute Entscheidungen zu treffen und Weichen zu stellen, mit denen dieses Unternehmen in Zukunft besser aufgestellt ist. Ich bin sehr froh, dass klimaneutrale Mobilität heute einen sehr hohen Stellenwert hat. Und dass es dabei einen großen Schulterschluss zwischen Politik und dem Unternehmen gibt. Schon in wenigen Jahren werden wir eine ganz andere Deutsche Bahn erleben.
Wie sollen die Menschen in 20 Jahren mal auf deine Arbeit als Bahn-Vorstand schauen?
Da hat ein Management zumindest zum überwiegenden Teil die richtigen Entscheidungen getroffen, um die Bahn wirklich grundlegend besser zu machen. Die Geduld mit der Bahn hat sich also gelohnt.
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