“Stumpf jeden Scheiß zu präsentieren – ich würde mich schämen” – Oliver Kalkofe über Social Media und TV.
17. November 2023
Mann der Mattscheibe: Entertainment-Urgestein Oliver Kalkofe gruselt sich vor Teenies, die Influencern nacheifern und wappnet sich gegen Anfeindungen von rechts. Im Interview aus der turi2 edition 22 erinnert er sich an Frau Sommer von Jacobs Kaffee und Herrn Kaiser von der Hamburg Mannheimer und erklärt, warum er bei Netflix viele Mogelpackungen sieht. Dieser Beitrag ist ein verschriftlichter Auszug aus dem Podcast mit Kalkofe, der am 25. September erschienen ist.
Du bist bekannt dafür, viel Zeit vor Bildschirmen zu verbringen. Auf wie viele Stunden täglich kommst du?
Ich habe mich schon als Kind zu allem hingezogen gefühlt, was auf Bildschirmen geschieht – egal ob Fernseher oder Kinoleinwand. Das ist noch immer so. Ich schätze, es sind zwischen acht und zwölf Stunden täglich. Das liegt daran, dass ich die meiste Zeit, in der ich zu Hause bin, vor irgendeinem Bildschirm verbringe. Zum Rechner kommt auch noch der Second Screen dazu, weil ich nebenbei oft noch Filme für „Schlefaz“ sichte. Ich habe mir schon, bevor es das offiziell gab, reale Split-Screen-Situationen aus zwei Monitoren gebaut, auf die ich abwechselnd geschaut habe. Jetzt leide ich ein bisschen darunter, dass meine Augen schlechter werden: Ich brauche eine Gleitsichtbrille, um zwischen den unterschiedlichen Bildschirmen und geschriebenem Text wechseln zu können.
Setzt du dir Grenzen?
Schön wär’s. Die einzige Zeit, in der die Bildschirme größtenteils aus sind, ist der Urlaub. Da versuche ich, nur sehr selten in Mails reinzuschauen. Ich bin auch recht froh, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der es noch nicht überall Bildschirme und Unterhaltungsangebote gab. Denn ich glaube, ich bin kreativ geworden, weil mir langweilig war. Wenn ich heute Kind wäre, bei all den Streamingdiensten, wäre das vielleicht anders. In meiner Kindheit hatten wir zwar einen Fernseher, aber da lief ja fast nichts.
Wann schaltest du heute das lineare TV ein?
Selten. Es bringt ja leider immer weniger Bedeutsames, bei dem es sich lohnt, zeitgleich mit dabei zu sein. Ich schalte meist nur noch ein, wenn ich mit einem zweiten Medium verbunden bin, sei es Social Media oder reale Freunde, mit denen man sich gemeinsam zum Beispiel ein Fußballspiel ansieht, wenn WM ist. Ansonsten habe ich früh angefangen, alles, was mich interessiert, aufzuzeichnen, sodass ich schon sehr lange gezielt gucke, was mich interessiert. Für die „Mattscheibe“ wurde damals alles für mich aufgezeichnet. Da musste ich mir sowieso alles angucken: je schlimmer, desto öfter. Auch das Zappen habe ich schon vor Jahrzehnten aufgegeben, weil ich Sendungen, die mich interessieren, von Anfang bis Ende sehen will.
Oliver Kalkofe wird 1994 mit „Kalkofes Mattscheibe“ bekannt, in der er das deutsche TV parodiert. Für „Schlefaz“ auf Tele 5 schaut er seit 2013 die schlechtesten Filme aller Zeiten. Mit Ex-Radio-Kollege Oliver Welke startet Kalkofe 2022 den Podcast „Kalk & Welk“.
Wann ist Bildschirmzeit für dich verschwendete Lebenszeit?
Wenn ich mich langweile und ärgere. Aber auch diese Zeit muss nicht zwangsläufig verschwendet sein, denn manchmal kann ich sie noch beruflich nutzbar machen.
Was ärgert dich?
Wenn ich das Gefühl habe, verarscht zu werden. Die „Mattscheibe“ ist ja – damals noch im Radio – aus dem Gefühl heraus entstanden: „Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich?“ Damals hatten wir keine Wahl. Heute gibt es durch die Streamer eher ein Überangebot. Bei den vielen tollen Serien habe ich jetzt eher die Angst, eine nicht so gute zu erwischen und damit die karge Freizeit zu vergeuden. Deswegen recherchiere ich vorab meist lange und mache mir Gedanken darüber, ob ich die wirklich anfange. Denn oft dauert es drei Folgen, bis so eine Serie mich packt. Und wenn das nach der vierten noch immer nicht der Fall ist, ist das verschwendete Lebenszeit.
Sind die Streamingdienste noch die Spitze der Kreativität? Waren sie es jemals?
Für kurze Zeit waren sie allen weit voraus. Aber leider sind sie es nicht mehr. Ich habe es im Radio erlebt, im Fernsehen und jetzt sehe ich es beim Streaming wieder: Wenn ein Sender kreativ war, etwas wirklich Neues erschaffen hat, cool war, hat das immer sein Publikum gefunden. Dann kommen die Konzerne dazu, kaufen die Sender und es geht ausschließlich ums Geldverdienen. Sender wie Radio FFN oder Tele 5 haben immer Geld verdient – mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger. Aber wenn ein großes Imperium dazustößt, ist es nie genug. Also machst du weniger Inhalt, entlässt Leute und verlässt dich nicht mehr auf Kreativität, sondern auf Marktforschung. Das erleben wir jetzt bei den Streamern. Wenn ich früher bei Netflix etwas geguckt habe, dann war das ein Gütesiegel, heute sind drei Viertel der von Netflix in Auftrag gegebenen Serien und Filme das, was früher in der Videothek ganz hinten stand: schöner Titel, schönes Bild – ansonsten eine Mogelpackung. So geht es aber allen Medien, die dem eigenen Mut und der eigenen Kreativität nicht mehr vertrauen.
Wenn du heute neu starten könntest, würdest du Influencer werden? TikTok machen?
Ich hoffe, dass ich in keiner Version meiner Selbst Influencer oder TikToker wäre. Bei TikTok – nichts für ungut – gibt es viel Tolles und Kreatives, aber diese Kurzform war nie meins. Und auch die Geschwindigkeit, dieses Zack-Zack-hintereinander-Wegkonsumieren nicht. Das ist für mich wie eimerweise Popcornfressen, irgendwann wird einem davon schlecht. Im Bauch und im Kopf. Und der klassische Influencer, der dazu da ist, uns im Sinne des Wortes zu beeinflussen, ist ja in erster Linie jemand, der seine eigene Existenz lobpreist und Werbung macht. Nicht, dass ich nicht für Produkte werben würde, von denen ich überzeugt bin, aber einfach stumpf jeden Scheiß zu präsentieren und die Leute quasi anzulügen – ich würde mich vor mir selbst schämen. Auch in den 70er- und 80er-Jahren kannten wir Influencer: Die hießen Frau Sommer von Jakobs Kaffee, Herr Kaiser von der Hamburg Mannheimer …
… mir fällt noch Klementine von Ariel ein.
Die haben wir in der Werbung gesehen, aber wir wären nie auf die Idee gekommen, denen eine Postkarte zu schicken: „Klementine, ich finde dich so süß. Deine Latzhose ist so geil.“ Wenn die liefen, ging’s aufs Klo. Wir sind denen nicht freiwillig hinterhergelaufen. Dass es gelungen ist, junge Menschen so zu täuschen, dass sie Influencer, die ihnen nur Scheiße verkaufen, mögen und ihnen folgen, finde ich gruselig.
Wo würdest du dich als junger Kreativer heute stattdessen ausleben?
Dass ich meine Ideen bei einer Plattform wie dem Radio umsetzen konnte, dass das ganz amtlich „Arbeit“ hieß und dass ich dafür Geld bekam – ich glaube, das gäbe es heute in der Form nicht mehr. Daher würde ich vermutlich auch das Internet nutzen und versuchen, mir dort eine kleine Fangemeinde aufzubauen, mit etwas, das mir wirklich Spaß macht. Ich habe immer versucht, nur Sachen zu machen, die mir Spaß machen. Oder von denen ich das zumindest dachte. Manchmal merkt man leider hinterher, dass man es besser nicht gemacht hätte, aber wenigstens die Hoffnung muss ehrlich da gewesen sein.
Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft polarisiert ist wie nie. Was bedeutet das für die Satire?
Es ist eine schwierige Zeit. Du kannst viel mehr falsch machen als früher. Selbst wenn du mit bestem Gewissen glaubst, alles korrekt gesagt und getan zu haben, verwenden heute viele Menschen ihre Zeit darauf, dir zu erklären, warum es in ihren Augen doch falsch war. Wenn sich früher jemand über dich geärgert hat, dann hat er das zu Hause vor dem Fernseher erstmal mit sich selbst ausgemacht. Bis der eine Postkarte geschrieben hat und die angekommen ist, war schon viel Dampf aus dem Kessel. Heute bekommst du innerhalb von Sekunden Feedback von allen Seiten, viele empören sich hauptberuflich über alles, und das kann sehr schnell Lawinen auslösen, die man nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Auch weil die Fronten sich immer mehr verhärten: Die linke Ecke ist beleidigt, wenn du nicht ausgewogen genug formulierst, die rechte Ecke ärgert sich, wenn du nur versuchst, ausgewogen zu sein. Dann heißt es: „Früher warst du lustig, heute bist du eine Systemhure.“ Da kann ich nur sagen: Nein, ich war schon immer so lustig oder unlustig und habe auch meine Haltung nicht verändert. Damals hast du vielleicht deine verdrehte Meinung auf mich projiziert oder warst noch nicht so radikal.
Denkst du den Shitstorm schon mit?
Ja, es geht fast nicht anders, als sich Gedanken darüber zu machen, ob du etwas so sagen kannst. Meine Erfahrung ist, dass die boshaften und beleidigenden Reaktionen eher aus einer politisch rechts gesinnten Ecke kommen. Von links gibt es auch Wut und Empörung, aber die drückt sich anders aus. Das meiste stammt aus der fast immer gleichen Pro-AfD-Anti-Links-Grün-Pro-Russland-Impfgegner-Alle-Scheiße-Außer-Ich-Bubble. Damit spiele ich aber auch gern. Wenn ich etwas besonders absurd oder lustig finde, mache ich Screenshots und kommentiere es.
Foto: Picture Alliance / dpa / Annette Riedl
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