“Es ist schwierig, Nachhaltigkeit und Coolness zusammenzubringen” – Frauke Ladleif und Thomas Merten über “Atmo”.
25. Januar 2024
Redaktions-Recycling: Im September wird das “Greenpeace Magazin” eingestellt. Ein fünfköpfiges Team aus der Hamburger Redaktion will sich mit dem Ende nicht zufriedengeben und gründet das Umwelt-Magazin “Atmo”, das Ende 2024 zum ersten Mal erscheinen soll. Die Initiatoren Frauke Ladleif und Thomas Merten sagen im Interview für die Themenwoche Nachhaltigkeit: “Der Medienmarkt für ökologische Themen ist noch nicht gesättigt.” Umweltjournalismus geht aus ihrer Sicht entweder zu sehr in Richtung Lifestyle oder setzt zu sehr auf Aufreger, wobei die wichtigen Fragen zu kurz kommen. Mit “Atmo” gehen die Gründer auch ein finanzielles Risiko ein, denn ein Verlag steht hinter ihnen nicht – und Werbung soll es im Heft nicht geben. Ziel ist, so viele der aktuell noch 53.000 Abonnentinnen des “Greenpeace Magazins” wie möglich zu gewinnen. Und ein “graswurzeliges” Netzwerk für Öko-Themen zu pflanzen.
Frauke und Thomas, würde dem Klima nicht ein Print-Magazin weniger gut tun? Thomas Merten: Eine typische Verbraucherfrage: Ist es ökologischer, sich alle paar Jahre ein neues iPad zu kaufen oder regelmäßig die Papierzeitung zu lesen?
Und, ist es? Thomas Merten: Genau solche Fragen wollen wir bei “Atmo” beantworten. Das hängt von vielen Faktoren ab: Herstellung, Nutzungsdauer, Lesegewohnheiten. Viele Leserinnen und Leser schätzen ein gedrucktes Heft noch immer. Aber natürlich soll es von “Atmo” auch ein Digitalabo geben.
“Atmo” soll Ende des Jahres erstmals erscheinen. Wen wollt ihr mit eurem neuen Magazin erreichen? Frauke Ladleif: Der Großteil unserer Gesellschaft sorgt sich um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, das zeigen immer wieder Umfragen. Außerdem all die vielen bereits Engagierten, die sich Gedanken über die Zukunft machen.
Thomas Merten: Wenn man nur mal in der eigenen Nachbarschaft schaut, wird man dort Menschen finden, die ehrenamtlich Bäche renaturieren, in der Geflüchtetenhilfe arbeiten oder Senioren unterstützen. Wir wollen zeigen, dass man nicht alleine ist mit seinem Engagement.
Wer gehört alles zum Team? Frauke Ladleif: Wir sind fünf Leute, die aktuell eine GmbH gründen, um schnell einen Abo-Shop aufbauen zu können. Perspektivisch können wir uns auch vorstellen, uns als Genossenschaft oder gemeinnützige GmbH zu organisieren. Zum Kern-Gründungsteam gehören Wolfgang Hassenstein, Katja Morgenthaler und Andrea Wohlers, drei Urgesteine des “Greenpeace Magazins”, teils seit mehr als zwei Jahrzehnten dabei, dann noch Thomas und ich. Darüber hinaus arbeiten noch weitere feste und freie Kolleginnen und Kollegen am Aufbau mit.
Thomas Merten: Wie groß wir am Ende werden, hängt auch davon ab, wie viele Abos wir generieren und wie die finanzielle Grundlage dann ist. Unser Ziel sind 30.000 Abos.
Frauke Ladleif, Jahrgang 1983, ist seit 2016 Redakteurin beim “Greenpeace Magazin”. Davor hat sie bei der “Financial Times” schon einmal miterlebt, was es bedeutet, wenn ein Printmedium eingestellt wird. Zwischenstopp hat sie beim German Institute of Global and Area Studies gemacht, wo sie die Kommunikation geleitet hat.
Thomas Merten, Jahrgang 1989, kam 2019 zum “Greenpeace Magazin”. Davor hat er als Redakteur und freier Autor unter anderem für den Zeit-Verlag, “Geo”, “Geo Saison” und “stern” gearbeitet.
Wie soll sich “Atmo” vom “Greenpeace Magazin” abheben? Frauke Ladleif: Wir wollen die Idee eines konstruktiv-kritischen Magazins weiterentwickeln und eine gute Mischung anbieten: Zeigen, wie die Wende zu Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Artenschutz geht und Blockaden benennen. Wir wollen Lust machen auf Zukunft. Politisch und lebensnah zugleich. Die von dir angesprochenen Abonnentinnen des “Greenpeace Magazins” kennen natürlich unsere Arbeit und wissen, welche Qualität sie erwartet.
Thomas Merten: Wir stehen mit unseren Plänen noch ganz am Anfang. Klar ist, das Magazin soll bis zu sechsmal im Jahr erscheinen, print und digital. Auch bei der Gestaltung wollen wir neue Wege gehen. Es ist schwierig, Nachhaltigkeit und Coolness zusammenzubringen. Aber mit “Atmo” wollen wir das schaffen.
Frauke Ladleif: Das in den kommenden Monaten aufzubauen, ist ein enormer Kraftakt, denn parallel machen wir ja noch die letzten Ausgaben des “Greenpeace Magazins”. Aber schon mal so viel: Beim Heft soll es nicht bleiben. Wir möchten Formate entwickeln, die wir um das Magazin herum aufbauen möchten. Wir lernen bei unserer täglichen Arbeit so viele engagierte Menschen kennen, die sich im Kleinen wie im Großen für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen. Mit denen möchten wir in den Austausch treten und dies auch anderen ermöglichen. Wir möchten Debatten anstoßen, respektvoll streiten lassen und inspirierende und engagierte Menschen zusammenbringen. Wir sehen uns dabei als Teil eines Netzwerks von Medienschaffenden, Forschenden und Engagierten und möchten mit diesem und für dieses Netzwerk eine Plattform aufbauen. Dieses Graswurzelige ist unsere Chance.
Was wird das Abo kosten? Frauke Ladleif: Geplant sind derzeit ein Basis-Abo für 59 Euro im Jahr, ein Standard-Abo für 69 Euro und ein Soli-Abo für 89 Euro.
Seid ihr mit Verlagen im Gespräch oder plant ihr, alles in Eigenregie umzusetzen? Frauke Ladleif: Eigenregie. Wir führen in diese Richtung bislang keine Gespräche. Wir wollen ein unabhängiges, leserfinanziertes und werbefreies Magazin sein.
Unter atmo-magazin.de informiert das Team über das neue Magazin, das voraussichtlich im Dezember 2024 erscheinen soll. Auf der Website kann man sich auch für den Newsletter anmelden. Kontakt zur Redaktion via mail@atmo-magazin.de
Wie viel Geld müsst ihr einplanen? Frauke Ladleif: Für die kommenden Monate rechnen wir mit einigen 10.000 Euro, die wir in das Projekt reinstecken. Wir sind dazu auch in Gesprächen mit kleineren und größeren Unterstützern, die wollen, dass ein neues Umweltmagazin kommt. Das größte Risiko liegt aber erstmal bei uns, wenn das Magazin scheitert, ist das Geld futsch.
Wäre unabhängiger Umwelt-Journalismus auch mit Werbepartnern möglich? Oder schließt sich das für euch aus? Frauke Ladleif: Das schließt sich nicht aus. Es gibt ganz tolle Projekte, die auch mit Werbung funktionieren, z.B. Flip, die zum Thema Greenwashing recherchieren und in ihrem Newsletter Werbung schalten. Das bedeutet aber auch viel, viel Arbeit. Du brauchst zunächst Personal, um Anzeigen zu verkaufen. Man muss sich als Redaktion Standards setzen – im Bereich Öko, Klima und Natur muss man sich mögliche Werbekunden schon sehr genau aussuchen.
Thomas Merten: Außerdem hat man mit der Werbefreiheit auch ein Wahnsinns-Argument an der Seite. Damit kann man auch Leserinnen und Leser überzeugen.
Erreicht ihr mit einem Abo-Modell aber nicht automatisch nur die Leute, die sowieso schon von Nachhaltigkeit überzeugt sind? Thomas Merten: Natürlich ist ein Magazin auch ein Produkt für Gleichgesinnte. Aber nicht nur Menschen, die sich schon viele Jahre für Nachhaltigkeit interessieren und tief im Thema stecken, bekommen bei uns neue Anstöße und fundierte Recherchen. Außerdem herrscht auch unter umweltbewegten Menschen nicht immer Einigkeit, da gibt es viele Streitthemen, seien es Windräder in Naturschutzgebieten, Atomkraft oder Gentechnik.
Frauke Ladleif: Zudem möchten wir viele Inhalte auch online veröffentlichen, eben damit die Themen Verbreitung finden. Wir erwägen dabei auch ein freiwilliges Bezahlmodell à la “taz”.
Zu Klima und Umwelt gab es zuletzt einige neue Magazine: Burda hat vor Kurzem 2050 für die Gen Z auf den Markt gebracht, das Nachhaltigkeits-Magazin For Our Planet wurde hingegen nach einem halben Jahr schon wieder eingestampft. Klimareporter ist ein unabhängiges Online-Magazin, es gibt Klima-Newsletter und -Podcasts von “Spiegel”, “Tagesspiegel”, ARD und “Süddeutsche” usw. Was soll euer Alleinstellungsmerkmal sein? Thomas Merten: Bei vielen Umwelt-Magazinen, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, ging es um Lifestyle und Eigenverantwortung. Nach dem Motto: “Du musst etwas ändern und den Plastikbecher vermeiden.” Dazu zeigen sie in der Anzeige dann auch gleich das passende Produkt. Das wollen wir nicht. Aber ich würde auch sagen, es gibt eher noch zu wenig Umweltjournalismus. Denn das, was in der Debatte landet, ist nicht das, worüber man eigentlich sprechen müsste, etwa über die Hauptverursacher der Klimakrise. Dafür heißt es, Klimaschutz sei zu teuer oder die Letzte Generation wird als Staatsfeind bezeichnet. Zum Beispiel wird bei den aktuellen Haushaltskürzungen kaum berichtet, dass dadurch auch der Radwegausbau zusammengestrichen wurde. Oder wie die Überflutungen in diesem Winter mit der Klimakrise zusammenhängen. Stattdessen wird den Lautsprechern die Bühne geboten, während sich die leise Mehrheit ärgert, dass zu wenig passiert.
Frauke Ladleif: Wir setzen auf den umfassenden Blick. Es geht nicht nur ums Klima, sondern auch um Natur- und Umweltschutz sowie Menschenrechte. Unser Vorteil ist, dass wir nur alle paar Monate erscheinen werden, also nicht mit dem täglichen medialen Grundrauschen konkurrieren müssen. Wir wollen die Storys zu Ende denken. Wir wollen aber auch mit anderen Medienprojekten zusammenarbeiten. Der Medienmarkt für ökologische Themen ist noch nicht gesättigt. Die aktuelle Umweltbewusstsein-Studie des Umweltbundesamts zeigt, dass die meisten Deutschen Klimakrise und Umweltzerstörung für herausragend wichtige Probleme halten.
Thomas Merten: Es braucht eine größere publizistische Gegenmacht. Das Problem ist, dass die fossilen Lobbys noch so mächtig sind. Deswegen beherrschen überwiegend Lobbynarrative den Diskurs und führen zu einem Zurückdrehen von Umweltpolitik und zu verkürzten Diskussionen.
Als neugegründetes Magazin habt ihr nicht mehr den großen Namen Greenpeace hinter euch. Könnte das eine Herausforderung bei der Recherche werden? Frauke Ladleif: Es wird eine enorme Herausforderung, neu zu starten – das ist uns auch allen klar. Seitdem wir die Entscheidung getroffen haben, ist jeder Tag eine Achterbahnfahrt. Aber für uns ist diese Neugründung alternativlos. Gerade jetzt braucht es fundierten Umweltjournalismus. Die AfD spricht von “Klimahysterie” und mobilisiert gegen Klimaschutz. Die aktuelle Klimadebatte und der Rechtsruck sind eng miteinander verbunden. Wir dürfen die öffentliche Debatte nicht den Populisten überlassen!
Ihr wirkt sehr überzeugt von eurem neuen Projekt. Wie behält man angesichts sinkender Print-Auflagen und Klimawandel in eurem Job die Zuversicht? Thomas Merten: Durch den Job an sich. Bei Recherchen erlebt man, wie viele tolle Menschen an Veränderungen arbeiten und versteht dadurch die Zusammenhänge besser. Das ist auch eine Form von Selbstwirksamkeit. Und was zuversichtlich macht: Egal, was man herausfindet, egal, wie schlimm die Lage ist – es gibt einen Weg da raus. Unsere Aufgabe ist es, diesen Weg zu zeigen.
Frauke Ladleif: Umweltthemen sind in der öffentlichen Debatte einfach viel zu unterbelichtet oder zu verkürzt dargestellt. Was uns Kraft gibt, ist der Wunsch, daran etwas zu ändern.
Dieses Interview ist Teil der Themenwoche Nachhaltigkeit.