Fragwürdiges Sponsoring – Glücksspielwerbung bei den Öffentlich-Rechtlichen.
2. Dezember 2023
Suchtgefahr: Seit etwas mehr als zwei Jahren dürfen Sportwetten-Anbieter vor der “Sportschau” Sponsorings schalten – und sie nutzen diese Möglichkeit rege. Für Sucht- und Präventionsforschende stellt die Öffnung für Wettanbieter ein Problem dar, weil Glücksspiel damit salonfähig gemacht werde. ARD und ZDF können sich gegen die Werbung der Wettanbieter kaum wehren, denn ihr Zugriff auf die Werbeplätze ist in den Medienrechte-Verträgen geregelt. Die Sender könnten im Umfeld der Werbung aber mehr für Suchtprävention tun, schreibt Stefan Fuhr bei epd Medien. turi2 veröffentlicht diesen Beitrag in der Reihe Das Beste aus epd Medien bei turi2.
Von Stefan Fuhr / epd Medien
Samstag, 18 Uhr in Deutschland: Millionen Menschen schalten den Fernseher ein, Zeit für die “Sportschau” in der ARD. “Tipico präsentiert die Bundesliga im Ersten”, verkündet eine sonore Stimme, während auf dem Bildschirm freudetrunkene Fans in einer rot-blau flackernden U-Bahn feiern. Ein Handy-Display zeigt: “Wette gewonnen”. Kaum wahrnehmbar, weist Kleingedrucktes am unteren Bildrand auf das “Suchtrisiko” hin.
Fünf Sekunden dauert der Spot, der die “Sportschau” einläutet und für einen umstrittenen Zeitvertreib wirbt: Sportwetten. Der kurze Einspieler setzt Glücksspiele – oft mit Spielmanipulation und Geldwäsche in Verbindung gebracht – als trendiges Lifestyle-Produkt in Szene.
Die Werbung für Sportwettenanbieter ist im Profifußball allgegenwärtig: auf Stadionbanden, Trikots und beim sogenannten Presenting von Spielübertragungen im Fernsehen. Ganz vorne dabei ist Tipico, der Sponsoring-Partner der Deutschen Fußball-Liga, die die Übertragungsrechte der Bundesliga vermarktet. Spots des Wettanbieters flankieren neben den zusammenfassenden Spielberichten der “Sportschau” auch die Live-Berichterstattung beim Bezahlsender Sky. Im ZDF kam in der Saison 2022/2023 bei drei Pokalspielen die Online-Wettmarke Bwin als Partner des Deutschen Fußballbundes zum Zug.
Experten für Sucht und Glücksspiel sehen die Werbung für Wettanbieter mit Sorge, insbesondere wenn sie im gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft. “Die ARD-‘Sportschau‘ ist seit Jahrzehnten eine Instanz”, sagt Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Uni Bremen. “Wenn dort ein Sportwettenanbieter als Sponsor auftritt, denkt der Zuschauer: An diesem Produkt kann nichts Gefährliches sein.”
Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, erklärt, die Überpräsenz von Glücksspiel im Fernsehen könne “die gesundheitlichen und sozialen Probleme, die wir in Deutschland mit dem Glücksspiel schon haben, noch größer machen”. Kaum eine andere Sucht treibe Menschen so oft in den Suizid oder zerstöre ihre Existenzen so nachhaltig wie die Glücksspielsucht, sagt der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete dem epd. Für ihn gehören “gesunder Sport und süchtig machende Sportwetten nicht zusammen”.
Die Warnungen der Fachleute stützen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach das Suchtpotenzial bei Sportwetten im Vergleich zu anderen Glücksspielen besonders groß ist. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigt die Studienlage, dass ein problematisches bis pathologisches Suchtverhalten vor allem bei Sportwetten auftritt. Der Grund: Vielen Spielern ist nicht bewusst, dass sie pure Zockerei betreiben. Sie verlassen sich auf ihr vermeintliches sportliches Fachwissen.
Sportwetten sind ein gutes Geschäft: 1,4 Milliarden Euro nahmen die Veranstalter von Sportwetten laut dem kürzlich veröffentlichten Glücksspiel-Atlas 2023 im Jahr 2022 ein. Und der Anteil der Sportwetten am Geschäft mit Glücksspiel steigt. Denn auch Sportwetten sind Glücksspiel und sie sind allgegenwärtig – nicht zuletzt, weil Sportwettenanbieter wie Tipico die Vereine und den Fußball sponsern und dadurch auch in der “Sportschau” und anderen Sendungen von ARD und ZDF präsent sind. Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, kritisiert, dass die Sportwetten zu eng mit dem als sehr positiv empfundenen Sport verquickt werden.
Fußballerische Expertise hat indes keine Auswirkung auf Gewinnchancen, wie Untersuchungen belegen. Laut Glücksspielforscher Hayer ergeben zwar manche Studien, dass Fußballkenner häufiger korrekte Vorhersagen machen als Ahnungslose. “Doch wenn sie um Geld wetten, haben beide Gruppen tatsächlich immer gleich hohe Verluste.” Denn für Favoritensiege gebe es nur geringe Gewinne. “Obwohl Experten häufiger recht haben, können sie ihr Wissen also nicht zu Geld machen.”
Hayer zufolge kann sich Glücksspiel-Werbung insbesondere auf jene Menschen fatal auswirken, die gerade eine Sucht überwunden haben: Sie erhöhe die Rückfallgefahr. Insgesamt ist nach einer Erhebung der Universität Bremen und des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht und Drogenforschung von 2021 bei etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland eine “Störung durch Glücksspielen” erkennbar. Weitere 3,2 Millionen Personen zeigen demnach ein riskantes Spielverhalten auf. Frühere Studien gingen von wesentlich weniger Betroffenen aus, wurden aber nach anderen Methoden erstellt und sind deshalb nicht vergleichbar.
Das Sponsoring von Wettanbietern bei Öffentlich-Rechtlichen gibt es erst seit etwas mehr als zwei Jahren – eine Folge des 2021 novellierten Glücksspielstaatsvertrages, der rechtliche Grauzonen beseitigt. Unter anderem legalisiert die Neufassung bundesweit das Online-Glücksspiel und knüpft die Zulassung von Anbietern an Lizenzen. Gleichzeitig soll der Staatsvertrag Auswüchse einhegen.
So gilt pro Spieler in der Regel ein Einzahlungslimit von 1.000 Euro im Monat. Exzessive Spieler können sich selbst sperren lassen oder können von Veranstaltern gesperrt werden. Ziel des Gesetzes ist es, durch ein legales Glücksspielangebot “den natürlichen Spieltrieb in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken”.
Der Staatsvertrag verbietet Werbung im Rundfunk von 6 bis 21 Uhr unter anderem für virtuelle Automatenspiele und Online-Poker – aber nicht für Sportwetten. Wobei Programmsponsoring wie bei der ARD-“Sportschau” ohnehin nicht als Werbung im Sinn des Vertrags gilt. “Die werblichen Effekte des Sponsorings gelten im Vergleich zur Werbung als weniger intensiv”, erläutert der Experte für Glücksspielrecht, Sebastian Walisko.
Selbst wenn die Sender es wollten, könnten sie das Sportwetten-Sponsoring nicht verhindern, wenn sie Bilder aus der Bundesliga übertragen wollen, teilt die ARD mit. Tipico als sogenannter Premium-Partner der DFL habe ein “Erstzugriffsrecht beim Erwerb von Programmsponsoringpaketen”, erklärt ARD-Sprecherin Stefanie Germann. Diese Vorrechte seien Bestandteil der Verträge zu den Übertragungsrechten. “Mit den Änderungen des Glücksspielstaatsvertrages besteht für die Sender und deren Vermarkter keine rechtliche Grundlage mehr, die es gestatten würde, Tipico als lizenzierten Sportwetten- und Glücksspielanbieter abzulehnen.”
Für den Juristen Walisko ist die Auffassung des Senderverbundes in diesem Punkt rechtlich nicht zu beanstanden. Der Anwalt, der mehrere Jahre am Institut für Glücksspiel und Gesellschaft der Ruhr-Universität Bochum geforscht hat, sieht den Glücksspielstaatsvertrag als Ergebnis einer Abwägung zwischen kollidierenden Grundrechtspositionen. “Auf der einen Seite steht der Schutz der Spieler, auf der anderen Seite die unternehmerische Freiheit.” In dieser Gemengelage müsse der Gesetzgeber das richtige, verfassungskonforme Maß finden. Das spiegele sich auch in den differenzierenden Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages zum Umgang mit Werbung und Sponsoring.
Die Branche zeigt sich über ihre zunehmende Sichtbarkeit erfreut. “Die Sportwette ist ein äußerst beliebtes Unterhaltungsprodukt und in der Mitte der Gesellschaft angekommen”, erklärt der Chef des Deutschen Sportwettenverbandes, Mathias Dahms, auf der Internetseite der Lobby-Organisation. Glücksspielforscher Hayer bestätigt: Sportwetten würden von vielen wahrgenommen – vor allem die Werbung dafür. Was der Verband aber verschweige, seien die Kollateralschäden, die mit diesen Angeboten in Verbindung stehen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender, bei deren Sportsendungen für Wetten geworben wird, sieht Hayer in der Pflicht, auf die Gefahren hinzuweisen. Wenn die ARD-“Sportschau” nicht anders könne, als für Tipico zu werben, sollte sie zumindest suchtpräventive Spots schalten oder am Anfang oder Ende jeder Sendung auf Suchtgefahren hinweisen, sagt er: “So würde sie Verantwortung zeigen.”
ARD-Sprecherin Germann betont, der Senderverbund weise “in verschiedenen journalistischen Formaten” auf Suchtgefahren hin und problematisiere dabei auch die eigene Rolle. Als Beispiel verweist sie unter anderem auf einen Beitrag der NDR-Sendung “Zapp”. Doch die Zuschauerzahl des Medienmagazins ist im Vergleich zur “Sportschau” überschaubar. Es ist daher fraglich, ob viele suchtgefährdete Fußballfans den Beitrag gesehen haben.
Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung spricht sich dafür aus, Werbung und Sponsoring von Sportwettenanbietern vor 21 Uhr generell zu verbieten. “Und um einen wirklich durchgängigen Jugendschutz zu gewährleisten, sollte man auch einmal die Frage diskutieren, ob Glücksspielwerbung überhaupt zu einer Zeit zu sehen sein soll, zu der sie Jugendliche wahrnehmen”, sagt Blienert: “23 Uhr wäre da für alle Glücksspielangebote eine vernünftige Grenze.” Nach einer von Blienert in Auftrag gegebenen Umfrage aus dem Jahr 2022 sind sieben von zehn Menschen für ein Sponsoring-Verbot für Sportwetten und Alkohol im Fußball.
Der Deutsche Sportwettenverband lehnt solche Forderungen erwartungsgemäß ab. Werbung lenke die Aufmerksamkeit der Wettspiel-Klientel auf legale Angebote, Restriktionen und Verbote dagegen dienten nur dem Schwarzmarkt, argumentiert die Branche.
Der Staat hat womöglich auch kein Interesse an strengeren Vorschriften, denn er verdient mit. Auf der Grundlage des Rennwett- und Lotteriegesetzes, das auch inländische Sportwetten erfasst, wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr 2,56 Milliarden Euro an Steuern eingenommen. Das sind etwa zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Gesamteinnahmen des Staates aus Steuern und Abgaben im Bereich Glücksspiel beziffert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen für 2021 auf rund 5,2 Milliarden Euro. Der Staat sei in der Branche “ein gewichtiger Player”, sagt Hayer: “Es gilt also: It’s all about money – unter dem Strich geht es nur um die Kohle.”