Innovation und Resilienz: Warum Stefan Sutor Hoffnung für die Zukunft des Radios hat.
19. März 2024
Radio-Rundumschlag: “Das Radio steht einerseits unter Druck, kann sich aber andererseits sehr gut behaupten”, sagt Stefan Sutor, Chef der Medien.Bayern GmbH. Sein Team von XPLR Media in Bavaria hat gerade den Report “Power of Radio” herausgegeben, der den Status Quo der Radiowelt im Freistaat abbildet. Im Interview mit turi2 erklärt Sutor, dass die Hörer-Zahlen inzwischen wieder steigen, während die Werte für Musik-Streaming und Podcasts stagnieren. Die größte Herausforderung bleibe es, das junge Publikum ans Radio zu binden. In diesem Zusammenhang lobt Sutor die Sender Radio Galaxy, Antenne Bayern und egoFM und übt Kritik am Bayerischen Rundfunk, der die Aktivitäten des Jugendsenders Puls zuletzt zurückgefahren hat: “Ich sehe es als Aufgabe der gesamten Radiobranche, das junge Publikum zum Radio zu bringen.”
Stefan Sutor, XPLR Media Bayern hat gerade seinen großen Radio-Report vorgelegt. Er trägt den Untertitel “Innovativ in die Zukunft”. Wie innovativ ist das Radio wirklich? Verändert hat sich am Radio in den vergangenen 30 Jahren wenig – zumindest aus Hörersicht.
Das ist ja das Schöne am klassischen Radio: Es ist so, wie man es kennt, die Mischung aus Musik, Moderation, Nachrichten und Service. Aber dahinter stecken viele Innovationen auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Das versuchen wir mit unserem Radio-Report sichtbar zu machen. Das fängt bei den Verbreitungswegen an, auf denen Radio inzwischen unterwegs ist – alle Sender sind auch als Stream zu empfangen und über DAB+ – und hört bei den Darstellungsformen, wie zum Beispiel Podcasts, noch lange nicht auf.
Dann lassen Sie uns ins Detail gehen: Welches sind die wichtigsten Innovationen, die Sie in Ihrem Report ausgemacht haben?
Ein wichtiges Stichwort ist da sicher die Künstliche Intelligenz, die in einigen Programmen schon drinsteckt und im Hintergrund ihren Dienst tut. Insofern entwickeln sich die Produktionsweise und die Distributionswege weiter. Aber auch die Art und Weise, wie Radiosender ihr Publikum ansprechen, ist ständig in Bewegung, um die Hörerinnen und Hörer bestmöglich abzuholen. Außerdem entstehen neue, auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtete Formate. Da denke ich etwa an Rock Antenne von Antenne Bayern oder auch Klassik Radio, das sich zu einem ganz eigenen Kosmos entwickelt hat, mit linearem Radioprogramm und eigenem Streamingdienst.
Das Medium Radio steht unter Druck: Streaming, Podcasts, Hörbücher, alle ziehen Aufmerksamkeit vom Radio ab. Was sagen Ihre Zahlen: Wie gefährlich sind die neuen Angebote für das klassische Radio?
Das Radio steht einerseits unter Druck, kann sich aber andererseits sehr gut behaupten. Wir haben in der Vergangenheit zwar gesehen, dass die Reichweite von linearem Radio leicht sinkt, dennoch ist die Verweildauer insgesamt nahezu unverändert. Und zuletzt haben wir sogar gesehen, dass die Zahlen für das lineare Live-Radio wieder steigen und die Zahlen von Streaming und Podcast stagnieren, bzw. sogar leichte Rückgänge zeigen. Dem Radio geht es vergleichsweise gut, auch mit Blick auf andere Mediengattungen, bei denen die Disruption durch die Digitalisierung viel stärker ist. Ich sehe für das Radio eher die Chancen, etwa mit Podcasts weitere Zielgruppen zu erreichen.
Gerade beim jungen Publikum verliert das Radio Boden: Zwar hat es noch das größte Stück vom Kuchen, dennoch summiert sich die nicht-lineare Konkurrenz auf mehr als 50 % der Hörzeit. Wie gehen die Sender damit um? Womit halten sie das junge Publikum am Medium?
Ich denke, das ist die größte Herausforderung fürs Radio: das junge Publikum noch stärker zu binden. Denn die Funktion, die das Radio noch vor 40 Jahren hatte, den Zugang zu neuer Musik zu geben, übernehmen andere Player. Wenn es dem Radio gelingt, wieder ein bisschen mehr von dieser Funktion zurückzugewinnen, bin ich zuversichtlich, dass es eine stabile Zukunft hat. Wir sehen in unserem Radio-Report für Bayern sehr viele Ansätze dazu. Ein fast schon klassischer ist es, Social-Media-Plattformen zu nutzen und die Radio-Marken auch in dieser Welt leben zu lassen, um die jungen User dort zu erreichen, wo sie sind. Ein anderer sind die explizit auf junge Menschen ausgerichteten Radioprogramme wie Galaxy, Ego FM oder auch die Rock Antenne, die sich sehr jung positioniert. In diesem Zusammenhang kann ich nur bedauern, dass Puls vom Bayerischen Rundfunk seine Aktivitäten stark heruntergefahren hat. Ich sehe es als Aufgabe der gesamten Radiobranche, das junge Publikum zum Radio zu bringen.
Die TV-Sender sagen gerne, dass Menschen, die in jungen Jahren viel streamen, wenn sie älter werden und das Leben stressiger wird, zurück zum Lean-Back-Medium TV kommen. Ist das ein realistisches Szenario fürs Radio?
Ich befürchte, dass sich die Nutzungsgewohnheiten später im Leben nicht mehr ändern. Auch weil es in der Podcast-Welt viele auf junge Menschen ausgerichtete Angebote von sehr populären Creatorn oder Publishern gibt, die die Radionutzung ersetzen. Und wenn man das erstmal gewohnt ist, glaube ich nicht, dass man dann zu einem anderen Verhalten zurückkehrt. Die Zahlen belegen eher, dass das Mediennutzungsverhalten der jungen Zielgruppen langsam aber stetig in die älteren Zielgruppen hineinwächst. Ich glaube jedoch, dass der Content entscheidend ist. Wenn das Radio im linearen Programm ähnliche Inhalte bringen würde, würden die jungen Menschen dort vielleicht mehr zuhören.
Oder braucht Radio einen stärkeren Event-Charakter mit Sonderaktionen und Themenschwerpunkten, um Aufmerksamkeit zu generieren und sich abzuheben?
Natürlich bekommt das Radio bei großen Sport-Events oder auch jeden Samstag in der Bundesliga-Konferenz viel Aufmerksamkeit. Aber das sind Ausnahmen. Spannend ist doch das, was jeden Tag passiert: neue Nachrichten, neue Service-Bedürfnisse, neue Wetterbedingungen oder ganz aktuell Streik-Bedingungen. Ich glaube, Radio ist da am besten, wo es Tagesbegleiter ist, wo es auch lokal verankert ist. Das ist auch etwas, was wir in Bayern mit unserer sehr hohen Lokalradio-Dichte beobachten können. Deswegen war es uns sehr wichtig, das auch in unserem Radio-Report abzubilden. Verschiedene Programmverantwortliche berichten, wie sie ihr Publikum einbinden und erreichen. Ich glaube, das ist einer der Schlüssel für erfolgreiches Radio.
Ein großer Trend – wie überall in der Kommunikation – ist KI. Inzwischen gibt es von unterschiedlichen Sendern Angebote, die zum Teil oder in Gänze auf KI basieren. Wird das Radio das erste Medium, in dem Menschen überflüssig werden?
Das wird ganz sicher nicht für das Radio an sich gelten. Wenn es aber darum geht, in ein automatisiertes Nachtprogramm aktuelle Wetter- und vor allem Verkehrsdurchsagen einzufügen, kann die KI das schon. Es gibt auch schon erste vollautomatisierte Programmstrecken, u.a. eine vollautomatisierte Hitparade im Funkhaus Nürnberg. Das kann die KI, weil sie Daten schneller und umfassender auswerten kann, als ein menschliches Team das könnte. Was eine KI aber sicher nicht machen kann, ist ein Radio-Vollprogramm. Die Modulation der Stimmen, die Emotionen, das ist es, was Radio ausmacht, und dafür braucht es Menschen. Die KI kann ein sehr nützliches Hilfsmittel sein, aber sie kann nicht die Hauptleistung bei der Produktion eines Radioprogramms liefern.
Der Radio-Report The Power of Radio von XPLR Media in Bavaria dokumentiert Herausforderungen und Umwälzungen in der Radio-Branche und zeigt, wie das Medium diesen begegnet. Eine besondere Rolle spielen neue Technologien, die das Radio adaptiert, um relevant zu bleiben. Der Report zeigt Best Cases aus Bayern und sammelt Stimmen und Einschätzungen von Profis aus der bayerischen Radiobranche. xplr-media.com
29 % der Menschen in Deutschland hören regelmäßig Podcasts – die Profiteure davon sind die großen Plattformen wie Spotify. Wie sinnvoll ist es, wenn heimische Sender den Plattformen, die ihnen Hörer abziehen, mit eigenen Podcasts Content liefern?
Ich denke, das ist ein klassisches Frenemy-Verhältnis: Man muss da kooperieren, wo die Plattformen einem nutzen und gleichzeitig die eigenen Stärken betonen. Gleichzeitig führt aber kein Weg daran vorbei, auch bei Spotify und allen anderen Podcast-Apps präsent zu sein. Das sehen wir selbst bei großen, Playern wie der ARD- oder Deutschlandfunk-Audiothek. Für private Radios gibt es nur bedingt eigene Plattformen und selbst RTL erreicht mit seinem Podcast-Ansatz bei RTL+ nach den Erfahrungen mit Audio Now eben nur einen Teil des Publikums. Für lokale und regionale Player ist es noch schwerer: So hat etwa das Funkhaus Nürnberg eine eigene Plattform für lokale Podcasts gestartet.
Das klassische Radio kommt bei den meisten Menschen über UKW. Doch wenn es nach den Regulierungsbehörden geht, sollen möglichst schnell alle auf DAB+ umschalten. Wie kommt die Technik bei den Menschen an?
Es gibt wenige Menschen, die ihr altes UKW-Radio zurück haben wollen, nachdem sie einmal DAB+ ausprobiert haben. Die Programmvielfalt und die zusätzlichen Dienste will man schon nach kurzer Zeit nicht mehr missen. Hier in Bayern sind wir da schon etwas weiter als in anderen Bundesländern: 41 % der Haushalte haben ein DAB+-Gerät, bundesweit sind es 33 %. Inzwischen werden auch alle Lokalradios über DAB+ ausgestrahlt. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass die Verbreitung hier deutlich größer ist.
Sie glauben also noch an den Durchbruch von DAB+?
Die Zeichen zeigen eindeutig in diese Richtung. Auch weil die Sender, die öffentlich-rechtlichen wie die privaten, die Doppelversorgung sicher nicht dauerhaft bezahlen wollen. Die Frage ist nur, in welchem Zeitraum der Umstieg geschieht. Die KEF hat jetzt für die öffentlich-rechtlichen Radios die Finanzierung der UKW-Versorgung bis 2032 in Aussicht gestellt.
Was ist das wichtigste Empfangsgerät der Zukunft? Das Radiogerät mit DAB+? Das Smartphone? Oder doch Alexa?
Alles das zusammen. Unterwegs ist es gerade für das junge Publikum sicher das Smartphone, im Auto das DAB-Autoradio und zu Hause womöglich ein smarter Lautsprecher oder das alte Küchenradio. Und das ist das Positive: Es gibt viele Empfangswege, die am Ende alle zum gleichen Hör-Erlebnis führen – und via Internet auch dort, wo man seinen Lieblingssender normalerweise nicht empfangen kann.
Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Radio ist ein Werbemedium, bei dem es schnell mal auf und ab geht. Wie stark sind die Sender von der Werbekrise betroffen?
Die Radiobranche spürt insgesamt natürlich die Konjunkturschwäche der Wirtschaft. Aber das sind hoffentlich nur Dellen, die bald wieder ausgeglichen werden. Auf lange Sicht sehen wir Wachstum. In unserem Radio-Report haben wir die Zahlen seit 2014 aufgelistet. Da zeigt sich etwa beim Bayern-Funkpaket, das 57 Lokalradio-Stationen umfasst, ein Wachstum von 80 %. Und auch bayernweit sind die Werbeumsätze gesamt in diesem Zeitraum um 18 % gestiegen. Die vergangenen beiden Jahre waren schwierig. Daran sieht man die Konjunkturabhängigkeit des Mediums Radio. Wir sehen bei der Radiowerbung aber auch generell Veränderungen vom Massen-Abverkaufsmedium hin zu einem Medium, das sich auch immer besser programmatisch auf bestimmte Zielgruppen aussteuern lässt – und das wird in Zukunft noch mehr werden. Und auch der Zugang zum Radio als Werbemedium wird immer einfacher. Da denke ich an die KI-basierte Anwendung RadioAD-Maker von Gong96,3, die schon viele Sender einsetzen.
Gerade die Lokalsender hätten mit lokaler Berichterstattung eigentlich ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber BR und Antenne Bayern wie sonst nur Lokalzeitungen. Gleichzeitig sind Redaktionen stellenweise so dünn besetzt, dass sie diesen Joker gar nicht ausspielen können und die Lokalnachrichten aus der Zeitung vorlesen. Was kann da eine Lösung sein?
Diesem Eindruck muss ich widersprechen. Die Zeiten, in denen Lokalmeldungen aus der Zeitung abgeschrieben wurden, sind vorbei. So macht heute keiner mehr Programm. Die Inhalte, die es ins Radio schaffen, sind emotionaler und aus erster Hand. Sie haben auch viel mehr Service-Charakter, thematisieren lokale Besonderheiten, seien es Stadtpolitik oder Defizite bei Kindertagesstätten. Was Radio redaktionell leistet, hat einen ganz eigenständigen Wert. Wir sehen das auch bei vielen Auszeichnungen, u.a. dem Deutschen Radiopreis, die oft gerade an Lokalradios gehen, die für lokale Recherche-Leistungen ausgezeichnet werden.
Blicken wir in die Zukunft des Radios und des Hörens: Wie und was hören wir in Zukunft?
Ich glaube, das wird eine Mischung aus all den Elementen sein, über die wir gesprochen haben: Podcasts, Personalities, tolle Live-Formate im Radio, unterschiedliche Musikstreams. Und je nach Situation und Befindlichkeit kann ich mich daran bedienen und das bestmögliche Hörerlebnis haben. Eine Vision wäre, dass sich die Audiowelt von Radio über Podcasts und Musikstreaming auf einer großen Plattform darbietet, auf der ich alle Inhalte finden und nutzen kann. So eine Plattform bräuchte noch mehr Kooperation und Zusammenarbeit, als sie heute unter vielen Playern auf dem Audiomarkt üblich ist.