Kann Deutschland Digitalisierung, Miriam Schröder?
1. April 2023
Sieht Potenzial: Die “deutsche Gründlichkeit” und eine gewisse “Dämonisierung” sind Gründe dafür, dass es mit der Digitalisierung in Deutschland langsamer vorangeht als in anderen Ländern, schreibt Miriam Schröder, die beim “Tagesspiegel” Background und Wirtschaft leitet und bis 2021 die Themen Digitalisierung & KI verantwortet hat. Dennoch herrschen hierzulande “beste Voraussetzungen, den weiteren Evolutionsprozess mitzugestalten” – selbst in der “vielbelächelten Bürokratie”.
Ja, warum denn nicht? Es ist ja kein Hexenwerk, nicht einmal eine Technologie, eher so etwas wie ein evolutionärer Prozess, um den wir sowieso nicht herumkommen. Dass wir den Prozess zuweilen dämonisieren ist sicher einer der vielen Gründe dafür, warum er in Deutschland langsamer vorangeht als in anderen Staaten. Dabei können wir, wenn wir müssen: 2020 ist ein halbes Land von heute auf morgen ins Homeoffice gezogen und weder die Wirtschaft noch die Verwaltung sind deshalb zusammengebrochen.
Zugegeben, die deutsche Gründlichkeit ist kein Garant für schnelle Lösungen. Dass auf den Ämtern mitunter noch immer gefaxt wird, das W-LAN nach wie vor wackelt und Lehrkräfte auch nach drei Jahren Pandemie digital zum Teil noch immer komplett überfordert sind, ist einer Mischung aus landestypischen Ängsten, Bedenken, fehlenden Fachkräften und nicht zuletzt einem föderalen System geschuldet, das Entscheidungsprozesse unendlich komplex macht.
Damit ist Deutschland übrigens nicht allein. Auch in den technologisch vermeintlich so überlegenen USA gleicht die digitale Verwaltung an vielen Stellen noch immer einem Flickenteppich aus bundestaatlichen Einzellösungen. Andersherum finden hierzulande die tatsächlichen Erfolge oft zu wenig Beachtung. Die Sprach-KI des Heidelberger Start-ups Aleph Alpha etwa ist dem weitaus berühmteren Text-Chatbot ChatGPT zwar nicht überlegen, die Technologie schneidet in Tests aber ähnlich gut ab. China hingegen hat beim Thema KI große Probleme: Aufgrund der umfassenden Zensur des Internets dort fehlen die notwendigen Trainingsdaten für die Entwicklung eines konkurrenzfähigen Sprachmodells.
Die Geschichte der Plattformökonomie, bei der buchstäblich alle relevanten Anbieter aus den USA kamen, muss sich nicht wiederholen. Wir haben beste Voraussetzungen, den weiteren Evolutionsprozess mitzugestalten, vor allem, wenn es um die Digitalisierung der produzierenden Industrie geht, deren Datenschatz noch immer in Europa liegt. Auch in der vielbelächelten Bürokratie gibt es durchaus hoffnungsvolle Ansätze. In Hamburg etwa ist unter dem Titel “New Hanse” gerade ein Datenprojekt zur Messung von Verkehrsflüssen gestartet, das international Beachtung findet. Experimentiert wird hier nicht nur mit der Technik, sondern vor allem auch mit den rechtlichen Voraussetzungen für einen ethisch unbedenklichen Austausch von Daten.
Denn genau hier liegt doch die Chance: Wenn wir dazu beitragen können, dass die Digitalisierung entlang von Regeln verläuft, die unseren analogen Werten und Standards entsprechen, brauchen wir uns nicht länger zu verstecken. Die Frage ist also nicht, ob Deutschland Digitalisierung kann, sondern wann es selbst erkennt, was alles möglich und notwendig ist.
Der “Tagesspiegel” verschickt jeden Morgen um 6 Uhr ein Briefing zu Digitalisierung & KI.
Dieser Text / Dieses Interview ist Teil der Themenwoche Digitalisierung & KI – bis 2. April fragen wir auf turi2.de, wie der technologische Fortschritt Medien, Wirtschaft und Gesellschaft verändert.