Maschinen machen Programm: Wie KI die Radiowelt verändert.
20. März 2024
Radio Robo: Eine KI moderiert ein KI-generiertes Programm, das von einer weiteren KI ausgewertet wird. Währenddessen erstellen KI-Kolleginnen den Content für Website und Social Media. Sieht so das Radio der Zukunft aus? Diese vier Beispiele zeigen, was schon jetzt möglich ist – und was nicht. Eine Bestandsaufnahme für die turi2-Themenwoche Audio.
On air sind sie schon längst, die künstlichen Intelligenzen: KAI führt seit Juli 2023 bei Absolut Radio AI durchs Programm, bigLayla moderiert den komplett KI-generierten Stream BigGPT, der seit August 2023 zu hören ist.
“Unsere Vision einer guten KI orientiert sich an Figuren wie ‘Data’ aus Star Trek”, sagt Andy Abel, Leiter Digital der Audiotainment Südwest und Projektverantwortlicher von bigGPT, “eine KI mit umfassendem Wissen, ethischen Grundsätzen und dem Ziel, das Leben der Menschen zu verbessern.” Eine KI erstellt Programm und Playlist von bigGPT basierend auf Trends aus Musik und Social Media, bigLayla moderiert nicht nur, sondern beantwortet seit kurzem auch Publikumsfragen, ist auf TikTok präsent und darüber hinaus auch als Chatbot bei anderen Sendern von Audiotainment Südwest im Einsatz. BigFM nutzt unter anderem die Technologie des US-Konzerns futuri, dem Pionier beim Thema KI-Radio. Und setzt auf menschliche Kontrolle: Bevor Inhalte on air gehen, werden sie nach dem Vier-Augen-Prinzip geprüft. “Denn nicht alles, was die KI produziert, ist ausgereift”, sagt Abel.
Bei Absolut Radio AI dagegen moderiert KAI beinahe ohne menschliche Kontrolle: “Nicht mal eine ganze Vollzeitstelle” sei bei seiner Sendeheimat Antenne Deutschland zuständig fürs Monitoring, ein Eingreifen seit Monaten nicht nötig gewesen, so Geschäftsführer Mirko Drenger. KAI ist programmiert vom deutschen Unternehmen Radiocloud. Das stellt eine Sendeuhr zur Verfügung, in der Antenne Deutschland nur noch festlegen muss, wann in der Stunde und zu welchen Themen KAI sprechen soll. “Wir behandeln diesen Sender also wie jeden anderen Sender auch”, sagt Drenger, “wir sind eben keine Tech Company, wir sind ein Audiounternehmen.” Den Rest übernehmen Prompt-Algorithmen im Hintergrund, die auch genau vorgeben, aus welchen Quellen KAI die Infos für seine Moderationen ziehen soll.
Bevor das Ganze vertont und gesendet wird, steht auch hier eine Prüfung – allerdings ebenfalls durch KI: “Wir arbeiten mit zwei verschiedenen Sprachmodellen: Das eine baut die Texte und das andere checkt sie”, sagt Christian Brenner, Chef von Radiocloud. “So haben wir mittlerweile mehr als 100.000 fehlerfreie Moderationen am Stück gemacht.” Inzwischen läuft auch rund, was anfangs nicht ganz so gut klappt: “KAI war immer gut gelaunt, aber teilweise auch frech. Und er hat bei jedem zweiten Song zum Tanzen aufgerufen, das mussten wir ihm austreiben”, erinnert sich Brenner. Mittlerweile könne die KI auch traurige Nachrichten erkennen und den Tonfall anpassen. “Anfangs hat es für sie keinen Unterschied gemacht ob vier Kinder bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind oder ob morgen die Sonne scheint.” Politische Inhalte und den Dialog mit dem Publikum klammert Absolut Radio AI trotzdem sicherheitshalber aus – zugunsten eines vollautomatisierten Sendebetriebs.
Andy Abel von Audiotainment Südwest sieht bigGPT als “Lern- und Entwicklungslabor”, den monetären und personellen Aufwand als “Investition in die Zukunft.” Denn dank bigGPT lerne man KI verstehen und einzusetzen – auch an anderen Stellen im Sender. Schon jetzt ist klar: bigLayla kann bei Netzrecherchen und der Analyse von Nutzerverhalten mit Datenmengen umgehen, die kein Mensch bewältigen könnte “und das rund um die Uhr, ohne Ermüdungserscheinungen”, sagt Abel. “Durch ihre emotionslose Natur kann die KI eine ausgezeichnete Zuhörerin sein. Sie bleibt geduldig, verfolgt jedes einzelne Wort genau und ist stets zu 100 % konzentriert.” Wie man bigGPT und seine maschinelle Moderatorin weiterentwickle, soll sich an den Interessen des Publikums orientieren: “Denkbar ist vieles, zum Beispiel bigLayla als persönliche Assistentin für verschiedene Nutzungssituationen”.
Auch Mirko Drenger lobt die Ausdauer des KI-Moderators KAI: Er spare nicht nur Zeit und Manpower, sondern könne auch in kürzerer Zeit tiefer in Themen einsteigen als ein menschlicher Moderator. Dass KAI dabei noch nicht ganz menschlich klingt, ist Absicht: “Das würde mittlerweile deutlich besser gehen”, glaubt Drenger, “aber das Ziel ist nicht, ihn als echt zu verkaufen.” Bei anderen Projekten von Antenne Deutschland ist das anders: Da werden kurze Ansagen bekannter Station Voices schon mal synthetisch produziert, ohne dass die Stimme selbst ins Mikro sprechen muss. “Die Sprecher bekommen dafür aber das gleiche Geld, als würden sie im Studio stehen.” Zwar könne KAI durchaus witzig sein – “Er ist laut eigener Aussage der größte Taylor-Swift-Fan der Welt. Wenn er einen Song von ihr ansagt, dreht er völlig frei” – aber so etwas wie eine Morningshow mit echten Dialogen traut Drenger ihm trotzdem nicht zu: “Das können nur die richtigen Moderatoren.”
Die hätte ein vergleichbarer Stream bei Absolut Radio übrigens gar nicht: Wo sonst ein reiner Musikstream laufen würde, ergänzt KAI bei Absolut Radio AI Inhalte, Informationen und Kontext. “Wir betreiben da einen vollständigen Sender zu Kosten, die wirklich erst mal absurd gering sind.” Zu den Hosting-Gebühren kommen beim KI-moderierten Stream nur noch die Lizenzkosten für die verwendeten Stimmen plus ein monatlicher Betrag für Technologie von Radiocloud. Es gehe aber auch bei Antenne Deutschland weniger um Einsparungen als um das Lernen über eine neue Technologie. Und: Es ist auch ein Kommunikationsthema. Der Sender wird inzwischen auch terrestrisch über DAB+ verbreitet. “Das haben wir primär gemacht, damit wir die ersten auf der ganzen Welt sind.” Hördauer und Reichweite von bigGPT steigen laut Drenger, KAI bekommt bald eine KI-Kollegin mit der Stimme einer Bestandsmoderatorin, Inhalte und Themen der Moderation werden erweitert. “Wir entwickeln den Sender inhaltlich weiter”, sagt Drenger, “wie jeden anderen auch.”
KI kontrolliert: Audio Index Monitor
Dass Künstliche Intelligenz gut zuhören kann, macht sich nicht nur im Bereich der Moderation bezahlt. Auch das Audio-Auswertungstool Audio Index Monitor beruht darauf: Es erkennt die Inhalte von Radiosendungen, Podcasts und anderem Audiocontent und kommt dabei auch mit großen Mengen Material zurecht. Eingesetzt werde es bereits bei Hörfunkbetreibern und staatlichen Stellen zur Analyse des eigenen Programms, so Johannes Busching, Gründer von Audio Index, “Dabei geht es vorrangig um Programmoptimierung, Vergleichbarkeit und Reporting.”
Das Tool arbeitet in mehreren Schritten: Zuerst wird das gesprochene Wort von der Musik getrennt und in inhaltlich zugehörige Segmente wie Nachrichten, Regionales oder Servicebeiträge eingeteilt. Diese werden dann mithilfe des hauseigenen Transkriptionstools Audio Index in Text umgewandelt. Optional kann auch ausgewertet werden, welche Musik zu hören ist. In den transkribierten Sprachbits werden schließlich noch Themen und Kategorien sowie in einem weiteren Schritt Personen und Orte identifiziert. “Regionalität ist dabei ein großes Thema”, so Busching. Je nach Kunde lässt sich der Monitor im Abomodell auch individuell trainieren und anpassen.
Wo also vorher gehört, verschriftlicht und verschlagwortet wurde, übernimmt nun die KI und automatisiert das Ganze. Zumindest fast: Auf Kundenseite verarbeitet ein Mensch die erhobenen Daten weiter, auch bei Audio Index gibt es eine menschliche Endabnahme. “Menschen haben immer die Hoheit über die erkannten Daten”, sagt Johannes Busching, “Sie sind auch immer noch besser in der schnellen Einschätzung von Content, wenn er für maschinelle Ohren einen Grenzfall darstellt.” Aber auch da holt die Maschine auf, glaubt Busching. “Zudem ermöglicht sie einen ‘Blick von Oben’ und eine Menge, die manuell nicht erreichbar ist.” Die bessere Erkennung von Werbeinhalten durch das Tool ist eine weitere Baustelle, an der man arbeite.
Audio Index bietet seinen Monitor Hörfunkbetreibern und Medienhäusern nicht nur zur Analyse des eigenen Programms, sondern auch des von Mitbewerbern an. Auch bei der Suchmaschinenoptimierung und dem Platzieren von Spots zum thematisch passenden Content kann die schnelle Auswertung großer Mengen Material helfen.
Algorithmen für Alle: die KI-Taskforce von Radio FFH
“Die beste KI-Software hilft nichts, wenn sie im Haus nicht zum Einsatz kommt”, da ist sich Roger Hofmann, Leiter Digital bei der FFH Mediengruppe sicher. Also hat das Medienhaus vor rund einem Jahr eine KI-Taskforce gegründet, bestehend aus Software-Entwicklern und Mitgliedern des News-Teams, die nicht nur hauseigene Tools entwickeln, sondern auch den Einsatz von KI für alle interessant und vor allem umsetzbar machen sollen.
Mittlerweile übernimmt die KI einiges: Synthetische Stimmen lesen personalisierbare Verkehrsmeldungen in den Radio-Apps und Wetter und Verkehr im Nachtprogramm von Radio FFH. Auch in Grafikteam, Community-Management und Datenanalyse erleichtern maschinelle Hilfen die Arbeit.
Zusätzlich werden alle Audios aus dem Programm automatisch transkribiert. Interviews, Nachrichten, Moderationen und O-Töne können so direkt als “Futter” für den hauseigenen Artikelassistent dienen, die die KI Taskforce entwickelt und für alle Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt hat: Aus verschriftlichten O-Tönen, Interviews, Kollegengesprächen, Recherche-Ergebnissen, Polizeiberichten, Presse- und Agenturmeldungen lassen sich damit neue Textinhalte erstellen. Die KI erkennt die eingegebenen Textarten, wählt aus passenden Prompts und generiert so nicht nur Artikel mit Vorspann und Zwischenüberschriften, sondern auch Suchmaschinen-optimierte Headlines, Posts für Social Media, Hashtags und Vorschläge für Symbolbilder. Nach der Redigatur kann das Ergebnis direkt mit einem Klick veröffentlicht werden.
Inzwischen hat nicht nur das News-Team, sondern jede Abteilung einen eigenen Bereich in den KI Tools der FFH Mediengruppe – inklusive eigener Prompt-Vorlagen. Die helfen zum Beispiel, Interviews vorzubereiten, Events zu organisieren, sich mit dem Publikum auszutauschen oder Sponsoren und Werbekunden zu gewinnen.
Dass die Tools für alle über den Webbrowser erreichbar sind, vereinfacht nicht nur den Zugang, sondern spart auch Kosten: “Statt dutzende GPT-Accounts für die Mitarbeiter zu buchen, nutzen wir einen Business-Account, über den die AI-Tools verschiedene Sprachmodelle ansprechen”, sagt Roger Hofmann, “das spart jeden Monat hunderte Euro.” Die AI-Tools von Radio FFH haben auch das Interesse anderer Sender geweckt – und sind daher inzwischen als Cloud-Service verfügbar.
Mehr zur Zukunft des Radios:
Der Radio-Report The Power of Radio von XPLR Media in Bavaria dokumentiert Herausforderungen und Umwälzungen in der Radio-Branche und zeigt, wie das Medium diesen begegnet. Eine besondere Rolle spielen neue Technologien, die das Radio adaptiert, um relevant zu bleiben. Der Report zeigt Best Cases aus Bayern und sammelt Stimmen und Einschätzungen von Profis aus der bayerischen Radiobranche. xplr-media.com