“Wir scheuen nicht den konkurrierenden Vergleich” – Benjamin Fischer und Eckart Gaddum zur Zukunft der ARD- und ZDF-Mediatheken.
8. Mai 2023
Zwei gegen den Rest der Welt? Beim gemeinsamen Streaming-Netzwerk von ARD und ZDF geht es “zunächst darum, das Öffentlich-Rechtliche zu stärken”, sagt Eckart Gaddum (rechts). Private Partner will der ZDF-Online-Chef aber “perspektivisch nicht ausschließen”, gibt er zum Auftakt der turi2-Themenwoche TV und Streaming im gemeinsamen Interview mit seinem ARD-Gegenpart Benjamin Fischer (links) zu Protokoll. Der erklärt im Austausch mit turi2-Redakteur Tim Gieselmann, was man von den “globalen Playern” gelernt hat: “Nutzerbindung ist wichtiger als schneller Reichweiten-Erfolg”. Vor den Googles und Amazons dieser Welt müsse man sich nicht verstecken, habe aber ohnehin einen “sehr unterschiedlichen” inhaltlichen Fokus.
Herr Fischer, Herr Gaddum, Ihre Mediatheken sollen zusammenwachsen. Warum soll ich trotzdem lieber jeweils Ihre eigene Mediathek ansteuern als die des anderen?
Gaddum: Die ZDF,- wie die ARD-Mediathek, sind digitale Visitenkarten ihrer jeweiligen Sender. Jede Seite sollte ihre Startseite für die inhaltlich attraktivere und ihre Angebots- und Navigationsstruktur für das bessere halten. Die Zahlen zeigen ja, dass wir nicht das identische Publikum bedienen, sondern im besten Sinne konkurrieren.
Fischer: Das gemeinsame Streaming-Netzwerk von ARD und ZDF ist eine Antwort auf die Bedürfnisse und Nutzungsgewohnheiten des Publikums: Wir wollen unseren großen Kosmos an Qualitätsinhalten den Nutzerinnen und Nutzern einfach zugänglich machen. Dafür vernetzen wir die Mediatheken sehr eng, gleichzeitig stärken wir aber auch die unterschiedlichen inhaltlichen Profile und Schwerpunkte. ARD und ZDF bleiben als Absender erkennbar. Die Mediathek der ARD legt beispielsweise besonderes Augenmerk auf die Sichtbarkeit der Regionen Deutschlands. So garantieren wir einerseits publizistische Vielfalt, erleichtern andererseits aber auch den Nutzerinnen und Nutzern, unsere Inhalte aufzufinden. Mit einem einzigen Login können sich die Menschen alle Inhalte aus dem gesamten Netzwerk personalisiert zusammenstellen.
2021 haben ARD und ZDF das Streaming-Netzwerk angekündigt, jetzt sollen Quer-Empfehlungen durch das Portfolio langsam starten. Was geht jetzt schon, was kommt noch und wann?
Gaddum: Wir sind mit wechselseitigen Empfehlungen in dem Bereich Doku gestartet. Es folgen Kultur und nach und nach alle weiteren Genres. Schon bald soll es eine übergreifend funktionierende Suche mit direkter Abspielbarkeit der gefundenen Inhalte geben. Und wir wollen den gemeinsamen Login mit der Möglichkeit gemeinsamer Merklisten schaffen.
Wie stark knirscht es gerade im ARD-Verbund, bei den Zentralisierungsbestrebungen im Digitalen? Wie viel Überzeugungsarbeit ist notwendig, damit Sender eigene Königreiche aufgeben?
Fischer: Da knirscht nichts, es läuft wie geschmiert. Die ARD arbeitet im Digitalen nun seit einigen Jahren effektiv und zielgerichtet zusammen. Begonnen hat alles mit der neuen ARD Mediathek – damit haben wir es geschafft, das regional verankerte Inhalte-Netzwerk im Markt erfolgreich zu machen. Wir haben dabei unser Angebotsportfolio vereinfacht, die Organisation neu aufgestellt, unsere Distributions-Strategie optimiert und vieles mehr. Mittlerweile ist die ARD Mediathek das reichweitenstärkste Streaming-Angebot aus Deutschland. Täglich sind jetzt schon mehr als zwei Millionen Menschen in der ARD Mediathek und es werden immer mehr. Das hat etwas bei uns ausgelöst: Wir machen die Dinge, die sinnvoll sind, gemeinsam und wir ermöglichen gleichzeitig Sichtbarkeit und Teilhabe für unsere regional verteilten Kompetenzen. Es geht also nicht um Zentralisierung, sondern um sinnvolle Arbeitsteilung. Natürlich ist bei einem so großen Veränderungsprozess auch immer Überzeugungsarbeit notwendig, aber der Erfolg gibt uns Recht und ist gleichzeitig Ansporn für mehr.
Ist die Vision, irgendwann so groß und akzeptiert zu sein, dass man die Internetgiganten von Google, Meta & Co nicht mehr mit Content bespielt und damit User zu ihnen führt? Und ist das realistisch?
Gaddum: Wir unterscheiden uns in vielerlei Hinsicht von den genannten Playern. ARD und ZDF streamen Live-Events – denken Sie zum Beispiel an Olympia! Für uns haben Nachrichten und Information einen ganz anderen Stellenwert. Auch unsere Serien und vordergründigen Unterhaltungsformate entstehen im Kontext eines gesamtgesellschaftlichen Auftrags. Insofern scheuen wir zwar nicht den konkurrierenden Vergleich, sind aber doch sehr unterschiedlich.
Fischer: Das sehe ich ähnlich. Die “Internetgiganten” sind globale, multimilliardenschwere Techkonzerne. Natürlich können wir realistischerweise als öffentlich-rechtliche Player da wirtschaftlich nicht mithalten. Aber wir haben einen klaren Wettbewerbsvorteil: unsere Inhalte. Wir sind nah bei den Menschen und versorgen sie mit bestem Journalismus. Das deutsche Mediensystem braucht starke nationale Player, die über die notwendige Skalierung verfügen, um wettbewerbsfähig zu sein. Wir entwickeln offene Standards und schaffen eine gemeinsame technische Plattform, die uns die Möglichkeit bietet, alle Menschen, egal welchen Alters, welcher ethnischen oder sozialen Herkunft, egal welcher Religion oder welchen Geschlechts, zu erreichen. Damit stärken wir konsequent die eigenen Angebote. Das ermöglicht uns mehr Unabhängigkeit von den globalen Playern und ist überlebenswichtig. Denn eins haben wir von den globalen Plattformen gelernt: Nutzerbindung ist wichtiger als schneller Reichweiten-Erfolg.
Was machen Sie, um User wirklich zum Eigenangebot zu holen? Gibt es da auch Werbe-Maßnahmen oder sind welche geplant?
Gaddum: Wir sind längst dran. Das reicht vom schlichten Online-Hinweis in einer TV-Sendung, über Seeding-Maßnahmen, die Arbeit mit Influencern sowie unsere Gesamtengagement in Sozialen Netzwerken. Schon seit Jahren gehört ein guter Teil des ZDF-Marketing-Etats unseren Online-Aktivitäten. Wichtig ist es, alle diese Aktivitäten als ein vernetztes Vorgehen zu organisieren. Beim “Schwarm” zum Beispiel hat sich das überzeugend ausgezahlt.
Fischer: Auch bei uns gibt es zahlreiche Maßnahmen: So konsolidieren wir wie jüngst beschlossen unser Social Media Portfolio und leiten die Nutzerinnen und Nutzer konsequent auf die eigenen Plattformen, z.B. durch ein fokussiertes Angebot auf YouTube und klare Verweise auf die Mediathek. Zudem nutzen wir u.a. Cross-Promotion in unserem großen ARD Netzwerk, platzieren Content-Promotions auf den großen Plattformen wie Amazon, Samsung und Magenta und investieren in Marketing, um unsere Highlights gezielt zu bewerben – zuletzt sehr erfolgreich mit unserer exklusiv für die Mediathek erstellten Serie “Asbest”.
Was – außer die Möglichkeit, jugendgefährdende Inhalte vor 22 Uhr zu schauen – soll mich dazu bringen, mir einen Account bei Ihnen anzulegen?
Fischer: Also zunächst einmal: Sendungen, die für Jugendliche unter 16 oder 18 Jahren nicht geeignet sind und eine entsprechende FSK-Einstufung erhalten haben, können erst ab 22.00 oder 23.00 Uhr abgerufen werden. Außerdem können Nutzerinnen und Nutzer einen Jugendschutz-Code festlegen. Wenn Sie sich einen Account zulegen, bekommen Sie ein personalisierte Nutzungserlebnis, das sich individuell an Ihre Präferenzen und Gewohnheiten anpasst.
Gaddum: Genau, wer sich anmeldet und seine besonderen Interessen markiert, bekommt zielgenauere Empfehlungen von uns. Er kann die Mediathek besser auf sich zugeschnitten nutzen.
Fischer: Der Login ist im Grunde das verbindende Element zwischen allen Angeboten: Wenn Sie einmal die Region oder Präferenzen ausgewählt haben, bekommen Sie ein individuell zugeschnittenes Angebot auch in der Audiothek oder beispielsweise der Tagesschau App.
Gaddum: Oder Sie können auch nahtlos auf verschiedenen Geräten weiterschauen. Wer sich anmeldet, kann ein Video zum Beispiel auf seinem Büro-PC starten und zuhause mit dem so genannten “seamless viewing” über das TV-Gerät an der richtigen Stelle weiter streamen.
Wie sehr schmerzt es eigentlich, dass ARD und ZDF gute und teure Filme, Serien und Dokus nicht für immer in der Mediathek lassen dürfen, sondern sie mit einem Ablaufdatum versehen müssen?
Gaddum: Schmerzt natürlich, aber es gibt nun mal gesetzliche und zum Teil auch vertragliche Beschränkungen, die sind wie sie sind.
Bert Habets will Joyn zur Plattform für alle machen. Zumindest diesen grundsätzlichen Gedanken der Kooperation mit Privaten hat ARD-Chef Kai Gniffke energisch begrüßt. Wollen Sie Ihre Inhalte bei Joyn teilen? Oder gar Joyn-Inhalte mit ihren Mediatheken vernetzen?
Gaddum: ZDF und ARD bauen das genannte, gemeinsame Streaming-Netzwerk auf. Darauf konzentrieren wir uns aktuell. Für uns ist das ein Projekt, das offen für europäische Partner ist. Auch private wollen wir perspektivisch nicht ausschließen, aber zunächst geht es hier darum, das Öffentlich-Rechtliche zu stärken.
Fischer: Mit dem ARD-ZDF Streaming-Netzwerk wurde ein wichtiger Grundstein gelegt. Wir sehen in Kooperationen eine große Chance, fokussieren uns jetzt aber im ersten Schritt auf den Aufbau einheitlicher Standards mit dem ZDF, die uns dann die Möglichkeit bieten, perspektivisch weitere gemeinwohlorientierte Partner an unser Netzwerk anschließen zu können. Dafür braucht es die notwendigen rechtlichen und technologischen Voraussetzungen und gemeinsame Werte als Fundament.
Haben Sie Angst, dass bei so einer Mega-Plattform ARD und ZDF als Absender untergehen?
Gaddum: Im Moment sind in meiner Wahrnehmung doch explizit dezentrale oder auch föderale Modelle en vogue. Die finde ich interessant.
Fischer: Außerdem sind die Absender – ob ARD oder ZDF – klar gekennzeichnet.
Viele private Medien-Anbieter in Deutschland sind mit Ihren hohen finanziellen Möglichkeiten – mal mehr, mal weniger offenkundig – nicht glücklich. Was entgegnen Sie denen?
Gaddum: Ja, es ist ein Privileg, öffentlich-rechtlich arbeiten zu dürfen. Es gibt aber auch einen Auftrag, der uns verpflichtet mehr und anderes zu bieten, als kommerzielle Medien wirtschaftlich produzieren können. Die Medienlandschaft in Deutschland profitiert sehr davon, dass es ein Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern gibt. Eine vergleichbare Qualität und Vielfalt gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.
Fischer: Wir haben in Deutschland eines der besten Mediensystem der Welt. Gerade das Nebeneinander und das Miteinander kommerzieller und öffentlich-rechtlicher Mediensysteme ist ein Garant für unsere Demokratie. Wie Eckart Gaddum sagt, ermöglicht die öffentlich-rechtliche Finanzierung auch die Produktion von Inhalten, die sich wirtschaftlich – beispielsweise durch eine zu kleine Zielgruppe – nicht lohnen würden. Dadurch können verschiedenste Gruppen mit passenden Inhalten versorgt und informiert werden, die sich sonst aufgrund eines fehlenden Angebots möglicherweise zurückziehen würden.
Glauben Sie, dass irgendwann Werbung in der Mediathek läuft?
Gaddum: Das ist eine Frage an den Gesetzgeber.
Fischer: Genau, solche Überlegungen berühren rechtliche Fragen, besonders den Medienstaatsvertrag.
Die teils hitzige Debatte um eine Zusammenlegung der Sender mal außen vorgelassen: Gebietet es nicht die Logik, dass online irgendwann nur noch eine Adresse und App für öffentlich-rechtliche Inhalte anzufinden ist?
Gaddum: In der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland hat uns die Binnen-Konkurrenz von ARD und ZDF noch nie geschadet. Dabei sollte es im Interesse des Publikums bleiben. Gleichzeitig wird das Streaming-Netzwerk eine großen, weitgehend schrankenlos verfügbaren Inhalte-Kosmos möglichst vieler Beteiligter schaffen. Dann kann doch jeder Nutzer und jede Nutzerin einfach die Adresse eingeben, die er im Kopf hat. Wir holen die Leute da ab, wo sie sind.
Fischer: Aus unserer Sicht sind Kooperation und Vernetzung die richtige Antwort auf die Herausforderungen des Marktes und die drastischen Veränderungen der Nutzerbedürfnisse. Dafür müssen wir uns aufstellen und je nach Nutzungs-Situation und -Intention das Richtige anbieten: Bewegtbild, Nachrichten, Audio und vieles mehr. Das wird sich nicht in einer App abbilden lassen. Dass gemeinsame technische Standards diese unterschiedlichen Angebote ermöglichen und wir sie über ein gemeinsames Nutzerprofil erschließen, erscheint uns ein realistischer Weg. Damit sind wir auch anschlussfähig für weitere Partner.
Dieses Interview ist Teil der Themenwoche TV und Streaming – bis 14. Mai fragen wir auf turi2.de, wie sich das bewegte Bild in die Zukunft manövriert.
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