turi2 edition #19: Diana Ezerex über Musikindustrie und Menschen.
6. November 2022
Noten und Quoten:Diana Ezerex hat ihren ersten Song im Alter von neun Jahren geschrieben. Heute weiß sie: “Musik hat nach wie vor unglaubliche Kraft, uns zu bewegen.” Sie gibt Konzerte in Gefängnissen und sieht sich dabei als Botschafterin, sagt sie im großen Interview in der turi2 edition #19. Ob aus ihrer Selfmade-Musik eine nachhaltige Karriere wird, entscheiden Zahlen: Ticketverkäufe, Streams und Followerinnen.
Diana, nimm uns mit dir auf die Bühne: Wie sieht es in deinem Kopf aus, bevor du den allerersten Ton ins Mikro singst?
Da sind ganz viele Gedanken auf einmal – und gleichzeitig auch gar nichts. Dann atme ich noch einmal ein und aus und es geht los. Lampenfieber kenne ich, aber ich spüre es heute nicht mehr so. Ich hoffe nur, dass es cool wird, dass es abgeht, dass die Leute Freude haben. Und dass ich es nicht hart verkacke.
Seit 2017 gibst du ehrenamtlich Konzerte in Gefängnissen. Fühlen sich die für dich anders an?
Im Gefängnis gibt es ja nicht wie draußen ein Kulturprogramm, aus dem man sich etwas aussuchen kann. Und wenn es einem nicht gefällt, kann man auch nicht einfach wieder gehen. Da möchte ich dann umso mehr, dass das Publikum etwas mitnimmt, das bewegt und inspiriert. Draußen ist mir das natürlich nicht egal – aber da will ich vor allem, dass es rockt und knallt. Ich bin im Gefängnis nervöser, weil ich weiß: Es geht nicht nur darum, dass die Leute meine Musik cool finden, sondern dass sie durch mich die seltene Gelegenheit bekommen, Kultur zu erleben.
Du bist dann also auch Kultur-Botschafterin?
Ich glaube, Botschafter*in ist jede Person, die eine Plattform hat. Egal, ob in Social Media oder auf einer realen Bühne, egal ob im Gefängnis oder woanders. Eigentlich sogar, sobald man einfach draußen unterwegs ist: Man steht immer für bestimmte Werte. Wie reagiere ich auf die lange Schlange im Supermarkt? Wie auf jemanden, der mir die Vorfahrt nimmt? Klar haben manche Einfluss auf mehr Menschen als andere. Aber vielleicht bringt es auch was, wenn nur eine Person eine andere inspiriert und die dann wieder jemanden und dadurch ein Dominoeffekt entsteht.
Was ist deine Botschaft, wofür stehst du?
Dass wir mehr Geduld haben sollten miteinander. Ich selbst bin eine sehr, sehr, sehr ungeduldige Person. Ich habe einen unfassbar hohen Anspruch, vor allem an mich selbst. Den projiziere ich auch auf andere. Man muss sich immer wieder sagen: Es ist nicht schlimm, wenn irgendwas nicht sofort klappt. Und andere Personen sollten sie selbst sein und bleiben dürfen.
In deinem Debütalbum verarbeitest du die Geschichten der Menschen, die du in Gefängnissen kennengelernt hast. Wie viel Gesellschafts-Kritik steckt da drin?
Ich habe versucht, nicht mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, sondern umgekehrt die Position einzunehmen von Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Die beispielsweise obdachlos oder eben im Gefängnis sind. Oder die jeden Tag Belastendes und Zerstörendes erleben, wie häusliche Gewalt – da muss man nicht mal an den Rand schauen. Fast alle meine Songs sind aus der Ich-Perspektive. Um zu zeigen: Es geht um Individuen, die gesehen und verstanden werden müssten, um was zu verändern.
Wie viel Persönliches gibst du von dir auf der Bühne preis?
Ich kann es nicht verstehen, wenn jemand, der zum Beispiel klassisches Klavier spielt, auf die Bühne kommt, Musik macht, sich verbeugt und wieder geht. Nach dem Motto: Lies das Programmheft, wenn du was über mich wissen willst. Ich habe schon immer viel erklärt. Meine Schwester sagt: Manchmal zu viel. Bei kleineren, akustischen Konzerten habe ich oft die deutsche Übersetzung meiner englischen Texte vorgelesen, so Poetry-Slam-mäßig. Dann haben sich die Leute einmal damit beschäftigt und können danach die Musik genießen. Vor allem im Gefängnis versuche ich, sehr viel von mir zu erzählen: Was ist der Hintergrund der Songs, was habe ich mir dabei gedacht? Da bin ich auch nah am Wasser gebaut. Wenn dann Tränen kommen, versuche ich auch nicht, die zu verstecken.
Was passiert, wenn du dich in der Öffentlichkeit so verletzlich zeigst?
Viele sind überrascht. Weil ich mir eigentlich antrainiert habe, sehr confident, sehr sicher zu wirken. Unerschütterlich. Aber das bin ich eigentlich nicht. Ich finde es gut, wenn mein Umfeld weiß, dass ich nicht unkaputtbar bin. Fürs Publikum macht mich das nahbarer. Coole Leute sind zwar erstmal ein Magnet, aber es schafft eine emotionalere Bindung, wenn man Gefühle zeigt.
Warum schreibst und singst du auf Englisch?
Es ist meine musikalische Sprache. Mein Vater kommt aus Nigeria, ich bin zweisprachig aufgewachsen, denke und träume in beiden Sprachen. Aber Englisch fühle ich mehr.
Wenn du an deine Kindheit denkst: Welche Musik hörst du?
Wir haben eigentlich immer die Musik gehört, die mein Dad mitgebracht hat. Céline Dion, Michael Bolton, Kenny Rogers – keine Ahnung, warum gerade Country. Bryan Adams war auch noch dabei. Als Jugendliche habe ich viel RnB gehört und mir auch noch Sachen aus dem Radio auf Kassette aufgenommen. Aber bis ich so etwa zehn war, war Céline Dion die Größte, da konnte ich auch alle Texte, jedes „Baby“, jedes „Yeah“. Ein einziger Song von ihr ist bis heute in meiner Playlist: „Coulda Woulda Shoulda“.
Viele deiner Songs handeln vom Außenseiter-Sein. Hast du selbst auch etwas in die Richtung erlebt?
Das Einschätzen und Beurteilen anderer Leute in Klassen nach Bourdieu, also nach kulturellem, sozialem, ökonomischem Kapital, passiert super schnell. Das habe ich natürlich auch erlebt, vor allem als Kind. In einem reichen, CDU-dominierten Städtchen bekommt man zu spüren, wenn man anders ist und Vorurteile sprengt. Wenn man sich gut ausdrücken kann oder eine der Jüngsten in der Klasse im Gymnasium oder sozial engagiert ist – obwohl die Leute erwarten, dass du, wenn überhaupt, zur Hauptschule gehst. Du willst einfach nur sein, musst aber viel mehr geben, dich viel mehr beweisen, um so anerkannt zu werden wie deine Peers, weil die Leute viel weniger von dir erwarten. Das schwingt in vielen meiner Songs mit.
Wie hat dich deine Kindheit geprägt?
Was mir vor allem meine Mum vorgelebt hat, ist das Machen, das Schauen, das Informiert-Sein. Sie wusste immer, wo es für uns Kinder Chancen gab, wo ein Konzert stattfand, wo wir uns engagieren konnten. Sie hat uns auch gesagt: „Damit die Leute euch als gleichwertig sehen, müsst ihr immer mehr leisten.“ Diese strukturellen rassistischen Herausforderungen und die Angst, dass etwas nicht genug sein könnte, prägen mein Herangehen an Dinge bis heute. Es reicht mir nicht, dass ich ein Album raushaue. Da muss noch eine Story drum rum, noch ein gigantisches Projekt.
Allerdings: Rund um dein Debütalbum gibt es ein Theaterstück, Kurzfilme, Talks, ein Buch ist geplant. Wenn man heute Musik mit Botschaft machen will, reicht da ein Album allein nicht mehr?
Doch, schon. Aber ein Album versickert auch schnell. Jetzt, nach etwas mehr als einem Jahr, ist es schon richtig alt. Ich habe ja einen Bachelor in Bildungswissenschaften und studiere jetzt Kulturvermittlung. Mein Wunsch ist es, Leuten meine Themen nicht einfach hinzuknallen, sondern so zu präsentieren, dass sie sich intensiv damit auseinandersetzen können. Ich liebe Crossover-Projekte, bei denen verschiedene Kunstformen zusammenkommen.
Glaubst du, Musik kann heute überhaupt noch wirklich was verändern? Ist die große Zeit der Protest-Songs nicht längst vorbei?
Musik hat nach wie vor unglaubliche Kraft, uns zu bewegen. Man sieht noch immer Menschen auf Konzerten weinen und einander in den Armen liegen. Aber weil Musik einfach omnipräsent ist, passiert es schon seltener als früher, dass ein Song heraussticht, wirklich auf den Tisch haut und sagt: „Hey, das läuft schlecht.“ Ich habe auch das Gefühl, dass es aktuell viel Wohlfühlmusik gibt. Vielleicht bedingt durch die Pandemie, weil da viele Leute immer noch emotional struggeln. Eine Band wie „Die Ärzte“ hat in ihren Songs von Anfang an nicht um den heißen Brei herumgeredet, klar Probleme benannt – und hatte damit Erfolg. Ich weiß nicht, ob das heute noch jemand so machen würde.
Aus Angst vor kommerziellem Scheitern?
Justin Bieber hat seine Tour gerade unter das Anti-Rassismus-Motto gestellt. Große Artists haben also schon Bock, ihre Stimme für eine Botschaft zu nutzen – und wenn es so etwas Einfaches ist wie „Habt euch lieb“. Aber sie nutzen dafür weniger ihre Musik als öffentliche Äußerungen. In kommerziell erfolgreichen Songs geht es viel um „Das ist die Liebe meines Lebens und so hab’ ich sie verloren“. Ich wünsche mir, dass man aus meiner Musik eine Botschaft raushören kann, ohne den Text fünfmal lesen zu müssen.
Ist es für die Wirkung von Musik egal, ob ich sie alleine für mich streame oder live bei einem Konzert erlebe?
Live kann man als Artist immer nochmal erklären, worum es geht. Wenn dir jemand direkt ins Gesicht singt bei einem Konzert und du das Gemeinschaftsgefühl erlebst, wirkt und knallt es natürlich auch ganz anders. Der ganze Körper fühlt die Musik. Streaming dagegen gibt dir die Möglichkeit, dich hinzusetzen und dir einen Song bewusst zu Gemüte zu führen, ihn mehrmals hintereinander zu hören, die Lyrics mitzulesen. Was einen mehr bewegt, ist Typsache.
Im Sommer tritt Diana Ezerex oft unter freiem Himmel auf, wie hier beim Festival „Stürmt die Burg“ in Ulm. Im Herbst 2022 steht die nächste Tour auf Gefängnisbühnen an.
Wie wichtig ist für dich das Feedback aus dem Publikum, der Applaus?
Als Kind hab ich in der Kirchengemeinde gesungen, da gibt es keinen Applaus. Und später im Schulchor, da ist der Applaus des Publikums für alle – wenn man den durch die Zahl der Sängerinnen teilt, klatschen da vielleicht fünf Leute für dich. Mehr bedeutet hat mir immer die Rückmeldung Einzelner, und dann am liebsten Gleichaltriger. Deine Eltern zum Beispiel müssen dich ja gut finden.
Wie definierst du heute Erfolg – über Streamingzahlen, Plattenverträge, Fans auf Social Media?
Ich würde gerne sagen, dass es mir nur darum geht, Menschen zu berühren. Aber Erfolg hängt eben auch an Zahlen. Wenn ich an meine Tour denke, habe ich Angst, dass niemand ein Ticket kauft. Ich bin leider noch nicht an dem Punkt, wo ich komplett unabhängig bin vom Vergleich mit anderen, komplett unabhängig davon, ob da 2.000 oder 100.000 monatliche Hörer*innen stehen bei Spotify. Alle um einen herum messen ihren Wert danach, man wird ständig konfrontiert mit diesen Zahlen und diesem Bild von Erfolg. Ich hoffe, dass ich davon irgendwann wegkomme. Das Vergleichen nach oben hört sonst nie auf.
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Welche Zahlen zählen denn konkret fürs Musik-Business?
Die monatlichen Hörer*innen bei Spotify sind schon wichtig. Je länger die konstant bleiben, desto mehr bleiben die Leute dran. Wenn ich nach dem Single-Release-Day auf einen Schlag 15.000 neue Hörer*innen habe, ist das cool – aber wenn es dann nach zwei Wochen wieder absackt auf zwei, bedeutet das, dass die Leute meine Musik nicht geil genug fanden. Auch TikTok-Zahlen sind immer wichtiger geworden. Das sind die Parameter, an denen gemessen wird, ob du jemand bist, in den es sich zu investieren lohnt.
Wenn du einen Song schreibst, hast du dann im Kopf, wie er am besten viral gehen könnte?
Das haben ja viele, es gibt sogar Artists, die Songs für die moderne Zeit nachbauen, die vor zehn Jahren in den Charts funktioniert haben. Ich bin da zwiegespalten. Einerseits wäre es vielleicht wichtig, so etwas beim Schreiben im Kopf zu haben, weil ich ja mit meiner Musik quasi ein Produkt anbiete. Aber ich will meine Musik nicht nur machen, damit sie funktioniert. Das würde sich ein bisschen wie Verrat anfühlen.
Du lebst von deiner Musik. Was ist deine wichtigste Einnahmequelle?
Live-Konzerte, Ticketverkäufe. Songwriting-Workshops sind auch eine gute Einnahmequelle. Über die GEMA und Musikstreaming kommt manchmal was rein, aber das sind keine Einnahmen, auf die ich mich verlasse.
Dass Musikerinnen durch Streams zu wenig verdienen, wird oft kritisiert. Sind Streaming-Dienste wie Spotify für dich Fluch oder Segen?
Das Prinzip dahinter lässt sich auf viele Plattformen übertragen: Wenn du als Verkäufer*in deine Ware nicht bei Amazon anbietest, hast du es schwerer. Das ist vergleichbar mit Artists und Spotify. Ich nutze Streaming-Dienste ja selbst und finde es cool, Musik einfach so konsumieren zu können. Aber ich setze nicht darauf, mit Spotify Geld zu verdienen. Ich glaube, damit rechnet kein*e Newcomer*in.
Hörst du selbst noch Radio?
Ganz wenig. Ich finde es richtig nervig, wenn da so viel Werbung kommt und kann eigentlich auch wenig mit den Shows anfangen. Ich höre lieber Podcasts oder Hörbücher, viel von Ken Follet.
Wie wichtig ist es für dich als Musikerin, dass deine Songs im Radio laufen?
Sehr. Erst mal ist es monetär ein Punkt: Jedes Mal, wenn der Song im Radio läuft, kommt Geld rein. Und weil dann doch echt viele Leute noch Radio hören, ist es auch für die Bekanntheit wichtig. Viele Radiosender laden auch Artists zu Festivals ein, die bei ihnen laufen, SWR3 New Pop, NDR2 Plaza, das Puls-Festival und Konsorten.
Du bist bei keinem Label, hast dein Debütalbum per Crowdfunding finanziert, deine Schwester macht deine Pressearbeit. Warum diese Self-Made-Karriere?
Ich bin nicht absichtlich bei keinem Label. Das Album fand niemand interessant, den Sound nicht passend genug. Ich hätte aber auch keinen Bock auf Diskussionen darüber, was ich wann veröffentliche. Und so ein Label will ja auch mitverdienen, es ist also auch eine Geldfrage. Gleichzeitig wäre es aber auch entspannend, zu wissen, dass sich jemand um alles kümmert und ich nur Musik machen darf. Aber bevor ich gar kein Album mache, mache ich es selbst. Das bedeutet aber auch, dass ich einen unfassbar hohen Workload habe, was meine Kreativität einschränkt.
Wie viel deiner Arbeitszeit fließt in Administratives statt in deine Musik?
60 bis 70 Prozent. Das Kreative nimmt tatsächlich wenig Platz ein – obwohl die Zeit verfliegt, wenn ich einmal drin bin. Ich bin dauerhaft am Handy, schreibe Mails, telefoniere, knüpfe Kontakte. Meine Schwester pflegt die Website und koordiniert Tour-Termine, ich arbeite mit einer kleinen Booking-Agentur zusammen. Mein Produzent ist auch der Bandleiter und kümmert sich darum, dass live alles funktioniert. Den Rest mache ich komplett selbst.
Harte Arbeit an der Musik hat bei dir ja schon früh angefangen: Blockflöte mit fünf, sieben Jahre später Saxophon, Gitarre und Klavier hast du dir selbst beigebracht. Hand aufs Herz: Hattest du wirklich immer Lust zum Üben?
Nie! Meine Mutter meinte, ich muss jeden Tag so lange üben, wie sie arbeiten muss, um mir den Unterricht zu finanzieren. Das wäre eigentlich gar nicht so lange gewesen, aber ich war wohl einfach auch faul. Ich übe auch jetzt zu wenig. Dafür, dass ich schon so lange Gitarre spiele, bin ich wirklich nicht gut genug.
Diana Ezerex
Geb.1994 in Biberach
1999 Blockflötenunterricht, später Saxophon, Klavier und Gitarre
2012 Freiwilliges soziales Jahr, CVJM Magdeburg
2013 Studium Bildungswissenschaften in Magdeburg, Bangor (Wales), São Paulo
2016 erste Solo-Tour durch Deutschland
2017 erste Konzerte in deutschen Gefängnissen
2019 Beginn Masterstudium Kulturvermittlung an der PH Karlsruhe
2021 Debütalbum „My Past’s Gravity“, finanziert per Crowdfunding