“Kompliziert geht gar nicht” – Syzygy-Group-CEO Franziska von Lewinski über Gefühle im Marketing.
5. Juni 2023
Fürs Feeling: Gute digitale Features sind das beste Marketing – und nachhaltiger als jeder bildgewaltige TV-Spot, meint Franziska von Lewinski, Chefin der Agenturgruppe Syzygy. Klassische Kennzahlen wie die Verweildauer hält sie für überbewertet: Es gehe nicht mehr darum, Leute möglichst lange auf einer Seite zu halten, “sondern sie so schnell wie möglich dorthin zu bringen, wo sie hin wollen”. Im Interview für die turi2 Markenwochen und die turi2 edition #21 sagt die studierte Bauingenieurin zudem, warum ihr das 1-Click-Feature an Amazon gefällt, ob alle Marketer jetzt auch Feel-Good-Manager sein müssen und warum ihre private Banking-App ihr ein wohliges Gefühl der “Kontrolle” und “Sicherheit” vermittelt.
Franziska von Lewinski, Sie wollen mehr Emotionen ins Digitale bringen. Was macht eine Staubsaugerbeutel-Bestellung im Onlineshop zu einer sinnlichen Erfahrung?
Sie muss nicht sinnlich sein. Sie sollte mir Zeit sparen und so einfach wie möglich sein. Es geht nicht darum, die Leute möglichst lange auf einer Seite zu halten, sondern sie so schnell wie möglich dorthin zu bringen, wo sie hin wollen.
Was macht Amazon richtig?
Amazon hat ein markenprägendes Feature: 1-Click oder “Jetzt kaufen”. Wenn ich das auswähle, muss ich mit meinem Produkt nicht durch den klassischen Check-out, sondern bestelle es sofort. Das ist eine riesige Erleichterung und ein super Beispiel dafür, wie ein digitales Feature die Marke prägen kann.
Und welche Gefühle soll das genau auslösen?
Glück oder Happiness, wie wir es nennen, in unterschiedlichen Ausprägungen. Nehmen wir als Beispiel meine private Banking-App. Ich kann dort in drei Klicks Rechnungen bezahlen. Ich fotografiere sie, lade sie hoch, bestätige – fertig. Was hat das bei mir ausgelöst? Anfangs eine Faszination. Dann das Gefühl der Kontrolle, das mich beruhigt und mir Sicherheit für meinen Alltag gibt. In der Corona-Zeit haben wir uns per Video-Call getroffen. Das hat uns ein ganz starkes Gefühl von Verbundenheit gegeben. Wir machen uns gar nicht klar, welche starken Gefühle bei der Nutzung von digitalen Kontaktpunkten oder Technologien entstehen können. Als Marke sollte ich mir darüber Gedanken machen, welche Gefühle ich bei meinen Kundinnen und Kunden auslösen möchte – und nach diesen Kriterien die digitalen Angebote bauen.
Ich persönlich empfinde Amazon in der Handhabung als anstrengend. Die Oberfläche erscheint mir kompliziert, auch deshalb bestelle ich dort ungern.
Den gleichen Effekt, den Sie beschreiben, gibt es auch beim TV-Spot. Der eine empfindet ihn so, die andere so. Ich kann über Marktforschung und viele Iterationen dahin kommen, dass meine Zielgruppe das empfindet, was ich mir wünsche. Die Subjektivität bekomme ich nie raus.
Kann ein Online-Wocheneinkauf wirklich dieselben Gefühle auslösen wie ein Weihnachtsspot von Edeka? Ich habe selten Gänsehaut, wenn ich Kartoffeln und Bananen in den virtuellen Einkaufswagen lege.
Natürlich löst ein großer, bildgewaltiger Imagefilm andere Emotionen aus. Für mich ist die Kernfrage: Welche Gefühle bauen eine nachhaltigere Kundenbeziehung? Ist es der Weihnachtsspot, den ich einmal sehe und gerührt bin? Oder der Wocheneinkauf, der extrem gut organisiert ist mit Abo-Funktion, Vorschlägen von Produkten, die besonders gut zu meinem Einkaufsverhalten passen, der mir den Alltag erleichtert, mir ein Gefühl von Sicherheit gibt und mir vermittelt: Ich kaufe das Richtige für mich und meine Familie?
Müssen Marketer heute alle auch Feel-Good-Manager sein?
Ich möchte nicht, dass jeder Feel-Good-Manager wird. Aber ich wünsche mir, dass sich mehr Marketer über die Emotionen, die ihre Produkte und Services auslösen, Gedanken machen. Denn es könnte auch gehörig schief gehen, wenn man das nicht tut. Wie bei der Weight-Watchers-Kampagne aus 2022, die auf die Tinder-Mechanik aufgesprungen war und Frauen auf Partnersuche dazu aufforderte, Gewicht zu verlieren. So etwas kann vermieden werden, indem vorher überlegt wird: Was soll eine Nutzerin oder ein Nutzer empfinden, wenn sie oder er mit meiner Marke in Kontakt kommt?
Was haben die Marken davon?
Heute sind die allermeisten Kontaktpunkte digital. Wer auf Emotionen an den digitalen Kontaktpunkten setzt, schöpft das Potenzial aus, diese Kontaktpunkte für eine nachhaltige Kundenbeziehung zu nutzen. Beispiel Nike, die als einer der ersten schon vor Jahren eine Trainings-App herausgebracht haben. Ich habe sie damals intensiv genutzt, sie jeden Morgen in meinem Wohnzimmer geöffnet und mich so fit gehalten. So viel Mehrwert und so viele Kontakt-Minuten, wie ich darüber mit der Marke hatte, baut eine Bindung mit der Marke auf, die kein TV-Spot schaffen könnte. Die Top Ten der wertvollsten Marken der Welt haben das verstanden, sie legen zwar großen Wert auf Positionierung und Co, aber auch darauf, wie sich die Nutzung, die UX anfühlt. Beispiel About You: Für mich zeigt die Plattform, dass ein digitaler Einkauf markenprägend sein kann, weil sie es schafft, Inspiration, Beratung und Personalisierung online abzubilden. Erst als die UX gut war, haben sie begonnen, zusätzlich klassische Werbung zu schalten. Ein weiteres Beispiel ist Google. Die Marke Google wird durch das Dialogfeld – den Suchschlitz – geprägt. Das ist Google.
Gilt die Regel: Je geiler die App, desto glücklicher die Kundinnen?
Je besser die UX und der Mehrwert, desto glücklicher die Kunden.
Was nervt Sie in Apps oder auf Websites am meisten? Was geht gar nicht?
Kompliziert geht gar nicht, Dinge, die lange dauern, gehen gar nicht. Dinge, die nicht funktionieren, sowieso nicht. Die Technologie ist so weit, dass sie in den Hintergrund treten und fast alles möglich machen kann. Ich denke beispielsweise an ChatGPT, das eine hochkomplexe Technologie über ein Eingabefeld für jeden zugänglich macht. Warum fühlt sich das so super an? Weil man die Technologie dahinter nicht spürt. Was für mich auch gar nicht geht, ist ein allgemeiner Standard. In der Corona-Zeit mussten viele Marken schnell Onlineshops hochziehen. Was passierte? Es wurden Standard-Shop-Lösungen eingesetzt, die den Absendern nicht entsprachen. Das kann sogar markenschädigend sein.
Wir leben schon lange in einer Welt, in der Marken stark emotionalisiert sind, siehe Apple. Denken das Thema nicht längst alle mittelgroßen Marken mit?
Wir waren lange noch nicht so weit, dass die Technologie in den Hintergrund treten konnte. Das ist mittlerweile anders: Wir haben fast überall schnelle Internetverbindungen, wir haben die Endgeräte, die alles leisten können. Wir sind auch vom Denken her so weit. Jetzt müssen wir nur noch machen. ChatGPT hat uns gezeigt, was geht.
Kann KI Emotionen?
ChatGPT würde sagen: Ich bin ein KI-Modell ohne Emotionen. Und genauso sehe ich es auch.
Wann wird KI kreativer sein als der Mensch?
Wahrscheinlich nie. Ein KI-Modell lernt aus dem, was da ist, und wird dann immer besser. Neues denken – nach meinem Verständnis braucht es dafür den Menschen.
Sie sind gelernte Bauingenieurin – für die Kommunikations- und Marketing-Welt eher ungewöhnlich. Was bedeutet das für die Marke Franziska von Lewinski?
Gar nicht so viel, dachte ich zuerst. Ich habe einfach meinen Beruf gewechselt. Aber ich merke mit der Zeit, dass es doch mehr bedeutet. Ich habe damals wohl Mut bewiesen, nach einigen Jahren Studium und im Beruf einen kompletten Neuanfang zu starten. Das macht meine Personal Brand aus. Was ich als Ingenieurin außerdem gelernt habe: Probleme, und ich sage bewusst nicht Challenges, zu lösen. Das macht mir Spaß. Gib mir ein Problem und ich löse es. Das hilft mir heute jeden Tag in meinem Job.
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