turi2 edition #14: Dorothee Bär über Inszenierung und ICQ.
15. Mai 2021
Lizenz zum Posten: “Social Media ist wie ein Messer: Ich kann mit ein und demselben Messer ein Nutella-Brot schmieren oder jemanden erstechen”, sagt Dorothee Bär im Interview mit Heike Turi für die turi2 edition #14. Deutschlands wichtigste Digitalpolitikerin teilt online, etwa auf Instagram, viel von sich, ihrer Arbeit und ihrem Leben. Provokationen und anschließende Shitstorms sind dabei manchmal mit einkalkuliert, sagt Bär: “Wer angstfrei durchs Leben gehen möchte, ist falsch auf Social Media.” Hier das E-Paper mit allen Interviews kostenlos lesen.
Doro Bär, was war das erste Social Network, in dem Sie aktiv waren?
ICQ. Ich habe studiert, es war Anfang 2000, mein zwei Jahre jüngerer Bruder hat es mir gezeigt. Auf dem Bildschirm ploppten kleine Text-Botschaften auf, die man im Chat oder auch zeitversetzt beantworten konnte. Wir haben untereinander spannende Nachrichten ausgetauscht. Oder sagen wir: das, was wir für spannend hielten.
Was ist heute Ihr liebstes Network?
Am wohlsten fühle ich mich auf Instagram: Die Community ist nett zueinander und pflegt einen sanften Umgangston. Für politische Themen nehme ich Twitter. Das ist das deutlich anstrengendere Medium, denn dort herrscht meist ein rauer Ton. Insgesamt hat jeder Social-Media-Kanal seine eigene Dynamik.
Welche?
Ich kann eigentlich schon im Vorfeld sagen, wie die Reaktionen auf jedes einzelne Posting in den Kanälen ausfallen werden. Poste ich ein Foto auf Instagram, bekomme ich tausend Herzchen und Kommentare wie “großartig”. Auf Facebook reicht die Kommentierung von “ganz toll” bis “furchtbar”. Auf Twitter wird man in aller Regel komplett verrissen. Und auf Linked-in erklären mir gern Männer die Welt.
Sie bespielen Instagram, Twitter, Facebook und Linked-in – wie viele Helferinnen haben Sie dafür eigentlich?
Ich bespiele alle meine Accounts im Wesentlichen selbst. Gelernt habe ich es auch ohne Helfer, einfach by doing. Bei TikTok bin ich noch am Lernen.
Wer macht all die schicken Fotos, die Sie im Wald joggend oder bei der Blutspende zeigen?
Zuhause sind es meine Kinder, die sind da sehr geschickt. Zusätzlich zur Familie eigentlich jeder, der in der Nähe ist: Im Wald beim Joggen ist das meine Freundin, in Berlin sind es meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mich ja bei meiner täglichen Arbeit ohnehin begleiten. Und dann frage ich auch mal Touristen – wer mit einer Kamera umherläuft, der kann meistens auch fotografieren.
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Keine Angst, dass sich jemand mit dem Smartphone der Staatsministerin auf und davon macht?
Bei freundlich dreinschauenden Menschen habe ich da keine Befürchtung. Meine Eltern hatten mir als Kind eine Spiegelreflex-Kamera geschenkt. Ich fand es damals schade, wenn die Bebilderung des Urlaubs ohne mich auf dem Foto stattfand – so als sei ich gar nicht dabei gewesen. Deswegen habe ich damals schon die Kamera freimütig aus der Hand gegeben, damit ich auch auf den Bildern drauf sein kann. Ich habe einfach ein Grundvertrauen in die Menschheit.
Wie finden Sie das richtige Maß an Selbstdarstellung?
Ich habe anfangs gezögert, mich selbst im Bild zu zeigen. Denn es ist ja nicht so, dass ich jeden Tag aufstehe und denke, es gibt nichts Besseres oder Interessanteres als ein Bild von mir selbst. Hinter jedem Post steht ja vielmehr eine Botschaft, die mir wichtig ist. Ich habe aber schnell gelernt, dass Fotos ohne mich nicht funktionieren. Schließlich bin ich keine Food- oder Einrichtungs-Bloggerin und auch kein Natur-Fotograf. Ich bin Politikerin – und die Leute wollen etwas von mir sehen. Seitdem ich mich zeige, erreiche ich die Menschen viel besser.
Droht das ewige Posieren nicht als Egozentrik rüberzukommen – und den Blick auf die Sachfragen zu verstellen?
Das ist natürlich eine Frage der Balance. Gleichzeitig muss man verstehen und akzeptieren, wie Kommunikation auf sozialen Medien funktioniert und wie sich Inhalte transportieren. Meine Erfahrung ist: Menschen interessieren sich für Menschen. Also gebe ich den Menschen einen Einblick in einen wesentlichen Teil meines Lebens. Gleichzeitig versuche ich zu zeigen, dass oft eine gehörige Portion Selbstironie dabei ist und ich mich nicht zu ernst nehme.
Als Sie 2019 den Deutschen Computerspielpreis in einem Korsagen-Kleid mit rotem Leder-Bustier überreicht haben, war das Echo lebhaft. Selbst die seriöse DPA sprach von einem “gewagten Outfit”. War das zu viel Inszenierung?
Was heißt hier Inszenierung? Ich war dem Anlass entsprechend gekleidet. Ich habe den Deutschen Computerspielpreis mitgegründet und kenne mich ja aus, wie ausgefallen die Outfits bei den Preisverleihungen sind. Die Coder und Besucher laufen alle verkleidet oder maskiert herum. Ich war eigentlich eher der Annahme, dass ich da gar nicht so auffallen würde.
Sie haben drei Kinder in schulpflichtigem Alter. Bekommen Sie schon mal zu hören: Mama, dein Post ist voll peinlich?
Na klar, wie alle Eltern bin ich meinen Kindern manchmal peinlich. Das wird wohl immer so sein und gehört dazu, wenn Kinder erwachsen werden.
Apropos Kinder: Wer übernimmt bei Ihnen zu Hause das Home-Schooling?
Die Älteste braucht und will auch keine Hilfe. Sie kommt allein zurecht und möchte zeigen, wie selbstständig sie schon ist. Aber die beiden Jüngeren brauchen Unterstützung. Wir leben zum Glück in einer Großfamilie. Eines ist klar: Home-Schooling und Home-Office führen zu Zielkonflikten.
Corona hat gezeigt, dass wir große Digitalisierungs-Lücken haben, siehe die Gesundheitsämter, siehe digitaler Unterricht. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?
Ich finde, wir sollten uns alle diesen Schuh viel mehr anziehen, als es bisher der Fall war. Als Mutter dreier schulpflichtiger Kinder lag mir der Rückstand in der digitalen Bildung schon vorher im Magen. Ein Jahr habe ich gebraucht, bis sich die Kultusminister mit mir überhaupt an einen Tisch gesetzt haben. Als ich 2017 einen digitalen Impfpass forderte, hieß es, ich solle mich nicht in die Gesundheitspolitik einmischen. Auch wenn vorher die Defizite bekannt waren, Corona hat noch einmal für alle spürbar gemacht, wo wir digital stehen. Das muss uns ein Antrieb sein.
Wünschen Sie sich ein eigenes Ministerium und mehr Macht, um Ihre Ideen besser umsetzen zu können?
Klar bedeutet ein eigenes Ministerium mehr Mitarbeiter, mehr finanzielle Mittel, mehr Macht. Was wir aber ebenso dringend brauchen, sind agilere Konzepte und eine effizientere Struktur bei Querschnittsthemen wie der Digitalisierung. Das beinhaltet auch Durchgriffs- und Vetorechte. Mir ist aber auch wichtig: Gute Ideen sind nicht immer vom Etat und der Größe eines Ministeriums abhängig. Mein Team ist das kleinste mit dem wenigsten Geld, und Output und Aufmerksamkeit sind enorm hoch.
Sie twittern Geburtstagsgrüße für Armin Laschet. Früher hätte man persönlich angerufen oder ein Kärtchen geschrieben. Findet heute alles öffentlich statt?
Es findet beides statt. Natürlich überbringe ich Geburtstagsgrüße auch persönlich. Zugleich kann ich aber auch noch einen Glückwunsch auf dem Facebook-Account posten als Zeichen der Wertschätzung. Ich denke, dass ein öffentlicher Post im Sinne des Senders und des Empfängers ist.
Was macht es mit uns, wenn fast alles öffentlich ist?
Es ist ja nicht so, dass Social Media die Realität gänzlich abbildet. Natürlich ist nur ein Ausschnitt öffentlich. In der Möglichkeit einer Vernetzung, die es vorher noch nie so gab, liegen für mich aber viele Vorteile: In der Arbeit mit Senioren erlebe ich, wie hilfreich die sozialen Netzwerke sein können gegen Einsamkeit. Und ich habe über die sozialen Netze großartige Frauen kennengelernt. Für mich ist Social Media eine wichtige Ergänzung und Erweiterung meines Lebens. Wo sonst hat man die Chance, aus dem Dorf heraus die ganze Welt kennenzulernen?
“Was heißt hier Inszenierung? Ich war dem Anlass entsprechend gekleidet.” Staatsministerin Dorothee Bär im Leder-Corsagen-Kleid mit Verkehrsminister Andreas Scheuer auf der Gamescom 2019. (Foto: dpa)
Wem folgen Sie – und warum?
Ich nutze Social Media auch zur Inspiration und folge auch vielen unpolitischen Accounts. Zum Beispiel einigen Läuferinnen. Das Laufen ist meine Leidenschaft, aber nicht immer fällt es mir leicht, den inneren Schweinehund
zu überwinden. Mich motiviert es, wenn ich sehe, dass andere Frauen zum Beispiel einen Marathon laufen. Ich folge auch einigen Gamern, meine zweite Leidenschaft. Und als unser drittes Kind zur Welt kam, habe ich mir unter #momofthree gern angeschaut, dass es bei anderen Familien auch mal chaotisch zugeht.
Gefällt Ihnen die Audio-App Clubhouse?
Definitiv! Audio ist mein Ding: Als Studentin habe ich beim Radio gearbeitet. Das Medium ist schnell, ich kann nebenbei zuhören, und mit Stimme fühlt es sich einfach näher an. Für die Politik sehe ich eine Riesenchance, auf Clubhouse niederschwellig mit Menschen direkt ins Gespräch zu kommen. Ich habs spontan ausprobiert und finde es toll, dass ich ungeschminkt und schon im Schlafanzug mitdiskutieren kann.
Bodo Ramelow hat sich bei Clubhouse aber tüchtig blamiert.
Der eine oder andere hat Lehrgeld bezahlt, aber daraus können wir doch alle lernen. Ich finde es schade, wenn wir stets einer offene Fehlerkultur das Wort reden – und dann in der Realität über jeden herfallen, der etwas falsch macht.
Was war Ihr krassestes Learning?
Als ich 2009 im Wahlkampf war, meinte mein Vater: “Man sieht dich ja gar nicht mehr. Ich weiß gar nicht was du tust,
wo du bist.” Ich bat ihn, einfach mal auf Facebook zu schauen. Mein Vater richtete sich brav einen Account ein – und schrieb mir von Stund an doch eher persönliche Nachrichten auf meine öffentliche Pinnwand. Wir konnten beide darüber lachen, haben das dann aber doch schnell umgestellt.
Wie viel Angst haben Sie, als öffentliche Person einen Shitstorm auszulösen?
Eines ist klar: Wer angstfrei durchs Leben gehen möchte, ist falsch auf Social Media. Social Media lebt von der Interaktion. In der Regel weiß ich sehr genau, was auf mich zukommt, wenn ich einen Post absetze. Provozierendes poste ich nur, wenn ich Zeit und Nerv habe, danach auch auf die Diskussion einzusteigen. Aber oft ergibt sich die Diskussion von allein, und ich muss gar nicht weiter mitmachen.
Was war Ihr größter Fail?
Der liegt ein paar Jahre zurück. Wider besseren Wissens hatte ich mich öffentlich negativ über das Aussehen einer Person geäußert. Meine Oma warnte noch: “So was macht man nicht.” Ich habe es damals trotzdem gemacht – und direkt am nächsten Tag bereut: Ich war groß in der “Bild”-Zeitung. Meine Familie zeigte kein Mitleid: “Das kommt von sowas.” Ich habe mich bei der Person entschuldigt und meine Lehre gezogen: Heute halte ich vor jedem Post eine Sekunde inne und frage mich: Gehört sich das?
Was machen Facebook, Twitter und Co mit der Politik in Deutschland?
Der öffentliche Diskurs hat sich sicherlich verändert. Natürlich müssen wir sehr wachsam die Verantwortung der Plattformen und die Wirkungsweise der Algorithmen im Blick haben. Gerade aktuell sind dazu wichtige Regulierungsvorhaben auf europäischer Ebene in Verhandlung. Gleichzeitig steht hinter jedem Post ja ein Mensch, der ihn veranlasst. Die Mehrzahl der deutschen Politiker agiert besonnen. Ich sehe aber auch Posts der AfD voll Hass und Rassismus und denke: Wehret den Anfängen! Ich persönlich nutze die Sozialen Medien, um mich an die Menschen unmittelbar zu wenden. Ich möchte nahbar sein und bleiben.
Im September wird der Bundestag gewählt. Barack Obama und später Donald Trump haben ihren Wahlkampf auf Social Media gestützt. Ist Social Media für die Politik Chance oder Gefahr?
Social Media ist wie ein Messer: Ich kann mit ein und demselben Messer ein Nutella-Brot schmieren oder jemanden erstechen. Der Post von Barack Obama mit seiner Ehefrau Michelle im Arm zur Wiederwahl 2012 und der Zeile “Four more years” hat mir Tränen der Rührung in die Augen getrieben. Tränen der Wut sind mir in die Augen geschossen, als ich zusehen musste, wie das Regierungsoberhaupt der wichtigsten Demokratie der Welt die Sozialen Medien missbraucht hat.
War es richtig, dass Twitter und Facebook Trump gelöscht haben, nachdem der zum Marsch aufs Kapitol aufgerufen hatte?
Ich gestehe: Für eine Sekunde habe ich auch eine Art Erleichterung gespürt. Aber zugleich wissen wir: Es kann nicht sein, dass Facebook und Co bestimmen, welche Nachrichten durchdringen, wer gehört und wer abgeschaltet wird, was zulässige und was unzulässige Meinungen sind. Das gehört in die Hand des demokratisch legitimierten Gesetzgebers.