turi2 edition #20: Welche Zukunft hat der Wirtschaftsjournalismus, Kirsten Ludowig?
30. Januar 2023
Sturmerprobt: Wer über Wirtschaft berichtet, muss Einzelschicksale genauso im Blick haben wie das große Ganze, schreibt Kirsten Ludowig in der turi2 edition #20. In ihrem Gastbeitrag plädiert die Vize-Chefredakteurin beim “Handelsblatt” für Optimismus und Konstruktivismus im Job: Es gelte, unbeschönigt zu berichten, aber auch Lösungen zu präsentieren. Ihrer Zunft sagt die Journalistin eine “große Zukunft” voraus.
Von Kirsten Ludowig
Als Lehman Brothers Pleite ging, war ich beim “Handelsblatt” noch in der Probezeit. Die Finanzkrise war meine erste “Großlage” als Journalistin – und es sollte nicht die letzte sein. Ich habe über den Brexit aus London berichtet und von der Trump-Wahl aus Washington, habe die Stille der Fabriken im Corona-Lockdown erlebt und den russischen Einfall in die Ukraine in den frühen Morgenstunden aus dem Newsroom verfolgt.
Das menschliche Leid steht immer im Vordergrund. Aber auch das große Ganze muss betrachtet werden. Schließlich bekommen die Auswirkungen solcher Zäsuren auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik, auf die Märkte, auf Unternehmen und damit auf Jobs, Wohlstand und Wachstum früher oder später alle zu spüren.
Lücken in Regalen, Rekord-Energiepreise, wachsende Ungleichheit, steigende Zinsen, Börsenturbulenzen, Arbeitskräftemangel, Dekarbonisierung der Industrie, Ressourcenknappheit, Abhängigkeit von China, Übermacht von Konzernen: All das greift Wirtschaftsjournalismus auf und beweist so seine Relevanz.
Wirtschaftsjournalismus muss aber nicht nur die Newslage abbilden – er muss enthüllen, erklären und einordnen. Es braucht die 24/7-Informationen über die Energiekrise genauso wie exklusive Papiere aus Berlin zu Entlastungen, tief recherchierte Einblicke in die Investitionspläne der Firmen für China oder die große Länderanalyse. Es gilt Fragen zu stellen, die auf der Hand liegen, aber noch nicht beantwortet sind. Nützliches Wissen gehört ebenfalls dazu: für die Geldanlage, den Immobilien(ver-)kauf, die Karriereplanung.
Und Wirtschaftsjournalismus sollte Spaß machen. Ein wenig Optimismus schadet auch nicht. Braut sich ein “perfekter Sturm” über der Wirtschaft zusammen, wie Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff sagt, darf man nichts beschönigen. Aber: Wege aus der Krise aufzeigen, Innovationen und neue Technologien beschreiben – das ist nicht nur Kür, sondern auch Pflicht.
Ein unabhängiger Wirtschaftsjournalismus, der genau das bietet, ob zum Lesen, Hören oder Anschauen, hat seinen Preis – und eine große Zukunft! Trotz oder gerade wegen aller Umbrüche.
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