“Einmal im Jahr feiern wir ein fettes Fest.” – BVG-Kommunikatorin Maja Weihgold über New Work und Personal-Werbung im ÖPNV.
2. März 2023
Einsteigen, bitte: Modernes Arbeiten ist mehr als Home-Office, ist Maja Weihgold überzeugt. Die Kommunikationschefin der Berliner Verkehrsbetriebe wirbt mit Vielfalt, Flexibilität und Job-Sicherheit um Bahnfahrerinnen, Busfahrer und Gleisbau-Mitarbeitende in Deutschlands größtem Nahverkehrs-Unternehmen. “Unsere Mitarbeitenden sind ein Abbild Berlins”, sagt Weihgold im Interview mit turi2-Chefredakteur Markus Trantow. Nebenbei räumt sie mit dem Gerücht auf, dass jeder Berliner Busfahrer brummelig sein muss, und erklärt die feinen Unterschiede zwischen der Arbeitgeberinnen-Werbung der BVG und der gefeierten “Weil wir Dich lieben”-Kampagne.
Home-Office und flexible Arbeitszeiten – die Berliner Verkehrsbetriebe sind ein Unternehmen, das diese gefragten Optionen nur bei einer kleinen Zahl der Beschäftigten anbieten kann – wer einen Bus oder eine Bahn fährt, muss das vor Ort tun und möglichst ganz genau nach Fahrplan. Kann die BVG, Gründung 1928, überhaupt ein moderner Arbeitgeber sein?
Moment! Home-Office ist doch nicht das Äquivalent für modernes Arbeiten! Ein Gleisbauer, eine Busfahrerin, eine Elektronikerin oder ein Sicherheitsmitarbeiter müssen raus aus ihren vier Wänden, um ihren Job zu machen. Einen Job, ohne den Berlin still steht. Dafür braucht es natürlich andere Angebote und flexible Modelle wie Arbeiten in Teilzeit, Weihnachtsgeld, ein Gesundheitsprogramm und Betriebsfitnessstudios. Bei uns gibt es eine betriebliche Altersvorsorge und den Fahrausweis mit dem unsere Mitarbeitenden kostenlos Busse und Bahnen nutzen. Das alles wird von unseren Beschäftigten anerkannt und geschätzt. Trotzdem sind wir auf dem Feld sicher noch nicht am Ende.
Mit welchen weiteren Anreizen gewinnt und haltet ihr Mitarbeitende?
Wer bei uns anfängt, muss sich keine Sorgen um die Zukunft machen. Denn Mobilität ist die absolute Zukunftsbranche – heute, morgen und auch in den nächsten Jahrzehnten noch. Gleichzeitig sind wir ein Traditions-Unternehmen, das vor fast 100 Jahren gegründet wurde. Das macht uns zu einem sehr sicheren Unternehmen, das in der Region verankert ist und schon auf ein tolles Arbeitgeberinnen-Image setzen kann. Was wir in Zukunft noch stärker betonen wollen, ist das Thema Purpose: Wir wollen zeigen, wie wichtig unser Angebot für die Berliner*innen ist und dass Mobilität auch stark verknüpft ist mit der Frage, wie wir uns in Zukunft bewegen und leben wollen – und wie wir die Stadt für unsere Kinder und Kindeskinder hinterlassen. Wer bei uns arbeitet, gestaltet die Zukunft unserer Hauptstadt.
Dem typischen Berliner Busfahrer oder der Busfahrerin wird eine gewisse Schnodderigkeit nachgesagt. Bringen die Mitarbeitenden diese Skills selbst mit, oder gibt es dafür eine Schulung?
Diese Schnoddrigkeit ist das Bild, das die wunderbare “Weil wir dich lieben”-Kampagne, die jetzt seit fast zehn Jahren läuft, zeichnet. Genau solche vermeintlichen Berliner Originale haben wir natürlich bei der BVG und die Kampagne nutzt das gekonnt. Aber es sind bei Weitem nicht alle, die sich in das Bild der brummelnden Busfahrenden einreihen lassen. Die meisten sind herzliche und vor allem ganz unterschiedliche Menschen – und für die möchte ich eine Lanze brechen: Bei uns arbeitet der Querschnitt der Berliner*innen. Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Menschen von jung bis alt. Einige sind voll tätowiert, andere haben grüne Haare. Unsere Mitarbeitenden sind ein Abbild Berlins. Dabei ist ihre Hauptaufgabe nicht das Entertainment unserer Fahrgäste, sondern dass diese sicher und zuverlässig ihre Ziele erreichen. Und darin unterscheidet sich die Arbeitgeber-Kampagne, die wir in der Unternehmenskommunikation verantworten, von der “Weil wir dich lieben”-Kampagne, die für die BVG vor allem in Richtung Kunden als Mobilitätsangebot wirbt.
Viele Personalchefinnen klagen darüber, dass das Recruiting schwieriger geworden ist – Stichwort Fachkräfte-Mangel. Wie ist das bei der BVG und auf welchen Wegen findet ihr eure Mitarbeitenden?
Auch wir müssen uns da richtig anstrengen. Allein in diesem Jahr stellen wir über 2.000 neue Kolleg*innen ein. Und auf dem Markt warten sie nicht mehr, dass bei der BVG ein Job frei wird. Der Wettbewerb ist hart. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass sich Menschen bei Recruiting-Veranstaltungen einfach mal in einen Bus setzen können. Wir laden auch regelmäßig auf unsere Betriebshöfe ein, damit man einfach mal vor Ort ins Gespräch kommt. Ein ganz wichtiger Punkt ist Mund-zu-Mund-Werbung, also Empfehlungen von Mitarbeitenden. Und wir nutzen inzwischen auch ganz genaue zielgruppenspezifische Ansprachen online und auf Social Media. Und wir wollen jetzt auch in türkischsprachigen Medien werben, weil wir in Berlin und bei der BVG eine große türkischsprachige Community haben. Das wichtigste Medium ist aber draußen, also die Werbeflächen an und in unseren Fahrzeugen und in den Haltestellen. Ganz klassisch sind wir natürlich auch auf Job-Messen präsent.
Passt das in der Werbung vermittelte, coole Image zur Lebenswirklichkeit der BVG-Beschäftigten? Oder ist ihr Alltag in Wirklichkeit vor allem von pöbelnden Fahrgästen und Kaugummis unter den Sitzen geprägt?
Genau das ist der Spagat und da sind wir im Bewerbungsprozess auch ganz ehrlich. Denn es hat ja keinen Sinn, wenn jemand bei uns einen Vertrag unterschreibt und sich erst dann klar wird: Verdammt, ich muss ja Schichtdienst arbeiten. Wir liefern 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Auch zu Weihnachten, Ostern und Silvester arbeiten bei uns Menschen, damit Berlin in Bewegung bleibt. Womit wir immer gut gefahren sind, ist, Mitarbeitende in der Werbung ins Rennen zu schicken. Du findest in unserer Werbung für unsere Arbeitgebermarke und für die Jobs, die wir zu vergeben haben, keine Schauspielerinnen oder Models. Und auch auf unseren Recruiting-Veranstaltungen treffen die Menschen nicht nur auf Führungskräfte, sondern auf ihre künftigen Kolleginnen und Kollegen. Das schafft einen guten Abgleich zwischen der äußeren Wahrnehmung und der Frage, wie wir als Arbeitgeberin wirklich sind.
Nimm uns mal mit in die Werbewerkstatt: Wie entstehen die Ideen für die Arbeitgeber-Kampagne – auch in der Zusammenarbeit mit eurer Agentur?
Wir haben mit der Agentur Die Botschaft einen starken Partner, mit dem wir schon länger an der Arbeitgebermarke arbeiten – und das sehr erfolgreich: Wir sind schon die bekannteste Arbeitgebermarke in Berlin, noch vor der Deutschen Bahn, den öffentlichen Verwaltungen und Siemens.
Angefangen haben wir im letzten Sommer mit dem Wunsch, mehr Frauen einstellen zu wollen. Das Ziel der BVG ist eine Frauenquote von 27 % bis 2025. Und dann kam im Zuge von Energie-Krise und Corona-Auswirkungen die Erkenntnis, dass wir mehr tun müssen. Es wurde klar, dass allein um mehr Frauen als Bus- und Bahnfahrerinnen zu werben, nicht reichen wird. Wir müssen viel mehr Zielgruppen ansprechen. Und so ging als Briefing an die Agentur, dass wir Vielfalt suchen und vielfältige Zielgruppen ansprechen wollen. Dafür haben wir uns sehr genau und strategisch angeschaut, mit welchen Werten und Attributen werden wir heute schon assoziiert und wo müssen wir noch nachlegen. Dann war klar: Wir schlagen den Bogen von den bisherigen Kampagnen, bei denen es um die Vielfalt unserer über 240 Jobs ging, zur Vielfalt unserer Mitarbeitenden.
Mitte Dezember seid ihr mit der aktuellen Arbeitgeber-Kampagne gestartet – merkt ihr schon einen Effekt?
Die Zahlen, die wir seit dem Beginn der Kampagne erreicht haben, können sich sehen lassen: In den ersten zwei Monaten hatten wir über 160.000 Nutzer*innen auf unserer Karriere-Website. Und die Zahl der Bewerbungen hat um mehr als 35 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen. Wir sind mit einem wahnsinnig starken typografischen Flight gestartet, bei dem wir auf unsere typische Tonalität zwischen cool-ironisch und informativ gesetzt haben, und legen zugleich einen klaren Fokus auf Vielfalt und Diversität. Mitte März kommt eine zweite Runde, dann geht es um Themen wie Kulturverständnis, also etwa verstehe ich darunter das Festival der Kulturen oder Wacken. Auch die Dimension “Alter” bekommt einen eigenen Auftritt. Für den Sommer planen wir einen dritten Flight, in dem wir unsere Mitarbeitenden sehen, die wir in ihrer Lebenswirklichkeit zeigen, abseits ihrer Job-Perspektive, und im starken Berlin-Kontext. Da suchen wir jetzt gerade nach Kolleg*innen, die mitmachen wollen.
Die BVG zählt fast 16.000 Mitarbeitende und über 200 unterschiedliche Jobs. Wie erreichst du in der internen Kommunikation, für die du ja auch zuständig bist, alle deine Kolleginnen und Kollegen? Und wie gelingt es, sowas wie ein Wir-Gefühl zu erzeugen?
Wir nutzen unterschiedliche Kanäle, darunter unsere sehr erfolgreiche Mitarbeitenden-App als Haupt-Kommunikationskanal. Wir haben in den vergangenen Monaten nahezu alle unsere Mitarbeitenden mit einem Smartphone oder Tablet ausgestattet, abhängig von ihren Aufgaben. Von den 16.000 Beschäftigten sind über 10.000 in der App angemeldet und wir freuen uns über sehr hohe Interaktionsraten. Hier sehen wir auch wahnsinniges Potential, noch dialogorientierter mit unseren Mitarbeitenden in Kontakt zu treten. Da werden wir in 2023 noch viele spannende Neuerungen sehen. Zusätzlich sind der klassische Aushang, Gehaltsbeileger, Info-Monitore und das Intranet wichtig, gerade da, wo wir in den betrieblichen Bereichen oder in Werkstätten sind. Und du hast das „Wir-Gefühl“ angesprochen. Ein sicher spannendes Element, auf das wir bei der BVG stolz sind: Einmal im Jahr feiern wir ein fettes Fest – da sind immer bis zu 5.000 BVGer*innen dabei. Letztes Jahr haben wir mit dem Oktoberfest Bayern nach Berlin geholt. Dieses Jahr haben sich die Mitarbeitenden für das Motto “Einmal um die Welt” entschieden.
Zu Anfang unseres Gesprächs hast du die Zukunftsfähigkeit des ÖPNV als Arbeitgeberin beschworen. Nun fahren in Nürnberg schon fahrerlose U-Bahnen, in Hamburg womöglich bald fahrerlose Busse. Ich wollte als Kind, so vor 35 Jahren, noch definitiv Busfahrer werden. Kann, wer heute im ÖPNV antritt, das wirklich ein Berufsleben lang machen?
Ganz klar: Ja. Auch wenn sich die Berufsbilder ändern werden, brauchen wir immer Menschen, die im System ÖPNV arbeiten, die für einen reibungslosen Ablauf sorgen und als Ansprechpartner*innen für die Fahrgäste da sind. Das wünschen sich unsere Kundinnen und Kunden auch, deswegen holen wir gerade wieder Menschen in diese Positionen zurück.
Und auch wenn es vereinzelt schon fahrerlose Angebote gibt, sehe ich nicht, dass wir in Deutschland über Nacht flächendeckend autonome Busse und Bahnen haben. Ich halte auch nichts davon, die Automatisierung als unseren Feind zu sehen, sondern als Unterstützung für die Menschen, die gerade Doppelschichten fahren, ihre Urlaube verschieben und täglich ackern, damit der nachhaltige ÖPNV funktioniert. Ich glaube, es ist eher eine Win-Win-Situation, wenn wir diese tollen Kolleginnen und Kollegen, wo immer es geht, mit Digitalisierung und moderner Technik unterstützen.
Dieses Interview erscheint in der Themen-Woche Future of Work bei turi2, in der wir auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen der Arbeitswelt blicken.