Ist der Achselhaar-Trend schlecht fürs Geschäft? Isabella Möller von P&G über Schönheitsideale und “GNTM”.
1. Juni 2023
How to shave a life: Wer an Venus von Gillette denkt, hat womöglich das Bild eines pinken Rasierers im Kopf, der vor weißem Sandstrand über ein glattrasiertes, schlankes Frauenbeins gleitet. Aber das war mal – sagt jedenfalls Gillette-Mutter Procter & Gamble. Heute präsentieren Models mit Speckröllchen und Pigmentflecken die Marke. Isabella Möller, Brand Director Shave Care bei P&G, sagt im Gespräch mit Peter Turi, warum Rasierer für Männer und Frauen überhaupt unterschiedlich sein müssen, wieso Venus nicht mehr mit “GNTM” kooperiert und was Entertainer und LGBTQ-Szenengröße Riccardo Simonetti zu einem idealen Werbegesicht für die Marke macht. Dieses Interview ist Teil der turi2 Markenwochen – bis 11. Juni beschäftigen wir uns auf turi2.de mit starken Marken und den Menschen dahinter.
Marken sind für Produkte das, was die Reputation für den Menschen ist. Sie vereinfachen unser Leben, indem sie uns dabei unterstützen, Entscheidungen im Alltag zügiger und unkomplizierter zu treffen. Wenn Sie sich für eine bestimmte Marke entscheiden, wissen Sie, welche Qualität Sie erwarten können.
Was macht eigentlich ein Brand Director?
Meine Arbeit dreht sich um das Verständnis unserer Konsument*innen – ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche. Ich sorge dafür, dass unsere Marke diese Bedürfnisse erfüllt, und das betrifft nicht nur unsere Produkte, sondern auch unsere Markenkampagnen, die einen Mehrwert bieten sollen. Der Begriff Markenführung trifft es genau: Es geht darum, die Ziele unserer Marke zu erreichen. Diese Aufgabe kann man nur erfolgreich meistern, wenn man ein tiefes Verständnis für die Konsumenten hat.
Warum sind Sie Brand Manager geworden?
Ich bin in Caracas aufgewachsen, einer großen Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern. Da verbringt man viel Zeit im Auto, auch im Stau. Dort habe ich meine Leidenschaft für Werbung recht früh entdeckt. Meine Mutter erzählt immer, dass ich irgendwann anfing, die Out-of-Home-Werbung zu lesen, die überall in der Stadt zu sehen war. Bald war ich ein großer Fan und lernte, gute Werbung zu schätzen. Vielleicht war meine berufliche Laufbahn also bereits in meiner Kindheit vorbestimmt.
Was ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Gillette und Venus?
Stellen Sie sich beide Marken als Personen vor. Gillette ist ein 120-jähriger Mann, der ohne eine Rasur sicher einen sehr langen Bart hätte, während Venus gerade erst ihren 20. Geburtstag feiert. Egal ob 120 oder 20 Jahre – der wichtigste Erfolgsfaktor für beide Marken ist das Verständnis unserer Kunden. Wir investieren viel Zeit und Ressourcen, um ihre Bedürfnisse und Erwartungen zu verstehen.
Warum müssen Rasierer für Männer und Frauen überhaupt unterschiedlich sein?
Das Rasieren verschiedener Haare an verschiedenen Körperteilen in unterschiedlicher Umgebung macht grundlegend andere Produkte für Männer und Frauen erforderlich. Ein Männergesicht unterscheidet sich von einem Frauenbein. Es geht nicht bloß um kosmetische oder Farbveränderungen. Frauenrasierer brauchen z.B. einen besonders rutschfesten Griff, da sie meist unter der Dusche angewendet werden. Der Klingenkopf ist deutlich größer und runder und von einem Feuchtigkeitsband umgeben, was wiederum der weiblichen Anatomie und der zu rasierenden Stellen geschuldet ist.
Frauen trauen sich wieder, Achselhaare zu zeigen. Ist das schlecht für’s Geschäft?
Seit Gillette Venus auf den Markt gekommen ist, hat sich die Welt verändert. Auch die Art und Weise, wie Frauen sich selbst sehen und ausdrücken, sowie das Denken über Schönheit, Haut und Körperbehaarung. Bei Gillette Venus zeigen wir Frauen schon seit einigen Jahren so, wie sie sind und unterstützen sie dabei, ihre eigenen Regeln zu schreiben, ohne sich an vorgeschriebene Schönheitsideale zu halten. Daher zeigen wir Haut auch so, wie sie vor der Rasur ist – unretuschiert und nicht glattrasiert. Zu der Botschaft von „My Skin. My Way“ gehört selbstverständlich auch, dass jede Frau mit ihrer Körperbehaarung so umgehen soll, wie sie mag – ob unrasiert, getrimmt oder glatt rasiert.
Wie unterschiedlich muss Werbung für Jüngere und Ältere sein?
Es ist nicht so sehr das Wesen der Werbekampagne selbst, das variiert, sondern vielmehr ihre Formate und Medienkanäle. Die zentrale Kampagnenidee muss stets relevant und ansprechend für die jeweilige Zielgruppe sein, denn dies stellt die Grundlage einer jeden erfolgreichen Werbekommunikation dar.
Wie viel Markentreue zeigen Jüngere im Vergleich zu Älteren?
Markentreue ist weniger eine Frage des Alters und mehr eine Frage der Zufriedenheit mit dem Produkt. Sowohl jüngere als auch ältere Konsumenten sind treu gegenüber Marken, die ihren Bedürfnissen entsprechen und konstant hohe Qualität liefern. In unserer Kategorie gibt es keine signifikanten Unterschiede in der Markentreue zwischen den Altersgruppen.
Die Partnerschaft von Venus mit Heidi Klums Top Models lief ja 2019 aus. Setzen Sie nicht mehr auf TV? Geht jetzt alles Geld auf Instagram oder TikTok?
Seit der Markteinführung hat sich Gillette Venus immer wieder mit Themen beschäftigt, die für (junge) Frauen gerade relevant waren. Dazu zählte ab 2006 auch die Partnerschaft mit “Germany’s Next Topmodel”, die für einen wahren Hype in der jungen Zielgruppe sorgte: Es wurde regelrecht mitgefiebert, welche Kandidatin den Werbedeal mit Gillette Venus ergattert. Das Motto “Erwecke die Göttin in dir” und der passende “Venus”-Song sind bei den Fans immer noch unvergessen. Die Art uns Weise, wie Frauen sich selbst sehen und wie sie dargestellt werden wollen, hat sich über die Jahre hinweg aber stark verändert. Und so hat auch Gillette Venus mit der “My Skin. My Way”-Kampagne in den vergangenen Jahren ein völlig anderes Frauenbild gezeigt und sich dafür stark gemacht, dass sich jede Frau in ihrer Haut wohlfühlt. Auch mit dieser Kampagne sind wir nach wie vor stark im TV zu sehen. Parallel haben aber auch bei uns digitale Medien und soziale Netzwerke immer mehr an Relevanz hinzugewonnen.
Müssen Marken jedem Trend folgen? Zuletzt haben Sie stark auf Diversity, Body Positivity und Nachhaltigkeit gesetzt. Was kommt als nächstes?
Neben vielen starken Frauen haben wir in den letzten Jahren u.a. mit Entertainer und LGBTQIA+-Aktivist Riccardo Simonetti oder auch der Drag Queen Aria Addams und trans Frau und LGBTQIA+-Aktivistin Phenix Kühnert eben nicht nur die typischen Frauenbilder als Testimonials gewählt. Entscheidend ist, nicht einfach auf einen Trend aufzuspringen. Die Idee von „My Skin. My Way“ ist ganz grundlegend in dem verankert, wofür Venus stehen will und was wir tun. Diversität auf der einen und Female Empowerment auf der anderen Seite sind Teil unseres Markenkerns. Hier möchten wir auch immer wieder deutlich sichtbare Zeichen setzen. Und wir sind sicher, dass uns dieser Leitgedanke auch noch einige Jahre begleiten wird.
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