“Die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik ist so was von überholt” – Musikwissenschaftler “Dr. Pop” über die Entwicklung des Musikgeschäfts.
21. März 2024
Musik-Enthusiast: “Was uns als Menschen immer noch berührt, ist das Menschliche, was nicht kalkulierbar ist”, sagt Musikwissenschaftler Markus Henrik, alias Dr. Pop, im turi2-Podcast. “Die Leute sehnen sich sehr nach handgemachter Musik”, was auch den Erfolg von Stars wie Ed Sheeran oder Taylor Swift erkläre. Im Radio, in Videos und auf der Bühne analysiert er die Methoden der Musikindustrie und nimmt Popsongs auseinander. In seinem Studio hat er mehr als 20 teils historische Keyboards, um etwa typische 80er-Jahre-Sounds nachzustellen. Im Gespräch mit turi2-Redakteur Björn Czieslik erklärt Dr. Pop, warum Musiktitel aufgrund der Streaming-Prinzipien immer kürzer werden und wie Bands mit Krimskrams-Fanboxen ihre Chart-Position verbessern. Er plädiert dafür, Popmusik den gleichen Stellenwert einzuräumen wie Klassik und Kinder schon früh musikalisch zu bilden. Dieser Podcast ist Teil der turi2 Themenwoche Audio.
Seine Leidenschaft für Musik hat Markus Henrik wörtlich in die Wiege gelegt bekommen. Seine Mutter, Sängerin in einer Band, habe ihm immer eine polnische Version des Klassikers “Killing me softly” vorgesungen. Als er erstmals die englische Version der Fugees hörte, sei er dann verwundert gewesen, “wie dreist die beim polnischen Liedgut geklaut” hätten.
In Liverpool, Manchester, Paderborn und Detmold – “den vier großen Popmusikmetropolen dieser Welt” – hat er Popmusik studiert und in Berlin promoviert: Der Doktortitel ist also nicht nur Show. Im Studium hat er u.a. gelernt, wie Musik- und Mediengeschichte zusammenhängen: So war die Durchschnittsdauer von Songs deshalb lange etwa drei Minuten, weil mehr nicht auf eine Seite einer Schellackplatte passte.
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Heute seien viele neue Titel kaum noch zwei Minuten lang, weil Streamingdienste einen Song ab 31 Sekunden als gespielt zählen. Das Kalkül: Je kürzer ein Song, desto häufiger werde er gehört. Für lange Intros bleibe dabei keine Zeit mehr, bedauert Dr. Pop. Auch die Experimentierfreude bei den Musiklabels sei gesunken, gerade im Artist&Repertoire-Management gebe es eine hohe Fluktuation: “Wenn die nicht liefern und keine Hits bringen, sind die halt weg. Da können sie nicht sagen ‘Da sehe ich Potenzial, in sieben Jahren wird das vielleicht mal Platz 17.'” Umso mehr freut sich Markus Henrik, wenn Songs Hits werden, die nicht der Norm entsprechen.
Eine beliebte Methode, um der Chartplatzierung auf die Sprünge zu helfen, seien Fanboxen, die T-Shirts, Cappies, Schlüsselbänder, Sticker oder Poster und manchmal auch Konzert-Tickets enthalten. Solange auch eine CD oder Vinylplatte dabei ist, gelten sie als Musikprodukt, so dass der gesamte Verkaufspreis in die Berechnung der Charts einfließt.
Was Markus Henrik am Musik-Geschäft stört, ist die immer noch bestehende Unterscheidung zwischen E- und U-Musik, also Klassik und Pop. “Das ist eigentlich so was von überholt”, sagt er. Auch in der Popmusik gebe es “einfach solche Meisterwerke, die in sich ein gewisses Klassikformat haben”. England sei diesbezüglich weiter: “Was hier in Deutschland Bach und Beethoven sind, sind dort die Beatles.” Er wünscht sich, dass Popmusik auch hierzulande den gleichen Stellenwert erreicht wie Klassik, auch was finanzielle Förderung angeht: “Wenn man sich mal ausrechnet, wie jeder Opernsitz subventioniert wird, da wird einem schwindelig. Ich finde das super, ich will das nicht abschaffen. Ich sähe nur gerne, dass Popmusik und Jazz und Hip Hop auch mehr bezuschusst wird.”
Eine Welt ohne Musik möchte sich Markus Henrik nicht vorstellen: “Man hat noch nie auf diesem Planeten eine Kultur gefunden, die keine Musik hat”, sagt er. “Würde irgendein Regime versuchen, uns die Musik zu nehmen, dann würde sie uns mehr als die Würde nehmen, dann würde sie uns das ganze Menschliche nehmen.”
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