turi2 edition #17: Cawa Younosi über Kuschel-Kurs und Führungskraft.
2. April 2022
Jubel, Trubel, Personalarbeit:Cawa Younosi ist globaler Personalchef bei SAP, Deutschlands wertvollstem Unternehmen. Auf neue Talente wartet er nicht im stillen Kämmerlein. “Ein Personalchef muss raus, mitten auf den Marktplatz”, sagt er im Interview in der turi2 edition #17.
Von Roland Karle (Text) und Wolfgang Stahr (Fotos)
Sie waren Kioskbetreiber und Handyverkäufer, haben Jura studiert und als Arbeitsrechtler gearbeitet. Wie geradlinig dürfen und wie kurvenreich sollten Lebensläufe sein?
Dafür gibt es kein Maß. Was ich sagen kann, ist: Je mehr Einkerbungen jemand im Leben erleidet, etwa durch Trauer oder Krankheit, desto empathischer wird er oder sie in aller Regel sein. Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht und öfter auch bei anderen gesehen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels rate ich dazu, individuelle Skills nicht geringer zu gewichten als Abschlüsse.
Mit 14 kamen Sie aus Afghanistan nach Deutschland. Wie hat das Ihren Blick aufs Leben geprägt?
Wenn man als junger Mensch plötzlich allein in einem fremden Land ist, dann entwickeln sich sehr feine Antennen dafür, wie man sich verhalten sollte, um dazuzugehören. Dadurch habe ich sicher ein hohes Maß an Empathie und emotionaler Intelligenz erworben. Und ich habe früh gelernt, mit einer gewissen Gelassenheit durchs Leben zu gehen.
Was müssen Personalchefinnen heute und künftig können, was früher nicht verlangt wurde?
Das Wichtigste ist, dass sie aus dem Keller herauskommen und sich zeigen. Sie sind im Idealfall so etwas wie ein Seismograph, der die Schwingungen einer Organisation erspürt. Und sie tragen aus meiner Sicht eine ganz wesentliche Verantwortung: die Kultur eines Unternehmens zu bewahren und weiterzuentwickeln, und zwar ganz unabhängig davon, wer gerade an der Firmenspitze sitzt.
Wie hat sich die Rolle des Personalwesens verändert?
Lange Zeit war HR in der allgemeinen Wahrnehmung zuallererst eine Kostenstelle. Das bleibt sie zwar, aber es wird deutlich, warum es unsere Disziplin braucht. Gerade in Corona-Zeiten waren die HR-Abteilungen enorm gefordert, ihr Ansehen und ihre Relevanz sind gestiegen. Der Personalmangel stellt sie vor eine weitere Herausforderung. Es geht darum, Talente nicht nur zu rekrutieren, sondern auch zu halten. Da muss die HR eine noch aktivere Rolle einnehmen.
Die Alterspyramide steht auf dem Kopf, überall fehlt Nachwuchs. Muss auch die SAP, Deutschlands wertvollste Firma, sich inzwischen um Mitarbeitende bewerben?
2021 bekamen wir für die letztlich besetzten 1.500 Stellen in Deutschland über 122.000 Bewerbungen, so viele wie nie zuvor. Das liegt sicher daran, dass SAP wirtschaftlich erfolgreich und als Arbeitgeber gut positioniert ist. Dennoch kämpfen wir, wie andere Konzerne auch, um bestimmte Skills, die knapp geworden sind. Zum Beispiel fehlt es an Software-Architekten und Java-Programmierern. Deshalb gehen wir neue Wege und bewerben uns gelegentlich auch bei Mitarbeitenden, etwa mit unserem „Vacant“-Programm.
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Was ist das für ein Programm?
SAP-Führungskräfte präsentieren vor Jobsuchenden vakante Stellen, beschreiben Position und Aufgabe, sprechen über sich und ihr Team, beantworten Fragen. Mit „Vacant“ sind wir intern gestartet und haben es inzwischen auch für Externe geöffnet. Letztes Mal kamen mehrere hundert Interessierte. Das ist für beide Seiten besser, schneller und effizienter. Der Vorteil für die Kandidatinnen und Kandidaten ist, dass sie sich ein klares Bild machen, gezielt nachhaken und dann entscheiden können, ob sie sich bewerben wollen. So entstehen keine falschen Erwartungen, zugleich lernen wir Leute kennen und bauen Kontakte auf.
Wird HR-Management zu einer Kommunikationsdisziplin?
HR ist schon immer eine Kommunikationsaufgabe. Es geht um Menschen und ihre Bedürfnisse, um den Dialog zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden. Bei SAP sind nahezu alle administrativen Abläufe digitalisiert, dadurch haben wir genügend Ressourcen, um uns intensiv um die Belange unserer Belegschaft zu kümmern. Für uns sind zufriedene Mitarbeiter genauso wichtig wie zufriedene Kunden.
Geht‘s im Kern darum, ein Wohlfühlklima zu schaffen?
Das klingt mir zu kuschelig. Wir sind hier nicht auf dem Ponyhof. Bei uns wird Leistung verlangt, der Erfolg misst sich an Umsatz und Gewinn. Aber wir pflegen eine ausgeprägte Kultur der Mitarbeiterorientierung, sie gehört bei SAP zur DNA. Sport- und Tennisplätze auf dem Firmengelände und kostenloses Mittagessen gab es schon, als das anderswo noch kein Thema war. Bedürfnisse ändern sich, darauf gehen wir ein. Individuelle Interessen brauchen ein entsprechend differenziertes Programm – und SAP will der flexibelste Arbeitgeber Deutschlands bleiben.
Warum ist das so wichtig?
Weil sich die Erwartungen der Mitarbeitenden verändert haben und sie durch flexible Arbeitsmodelle ihr Privat- und Berufsleben individueller gestalten können. Wir schreiben zum Beispiel seit 2018 auch alle Führungspositionen in Teilzeit aus, zudem können sich zwei Leute einen Job teilen. Es ist ebenso möglich, die eigene Stelle in Fach- und Führungsjob zu splitten. Das war selbst für ein modernes Haus wie SAP ein großer Schritt, aber er hat sich gelohnt. Ich habe wohl noch nie so viele positive Mails aus der Belegschaft bekommen wie nach Ankündigung dieser Neuerung.
Was macht ein Unternehmen zu einem attraktiven Arbeitgeber?
Ich denke, es kommt sehr auf die grundsätzliche Haltung an, die bei uns lautet: Der Mensch zuerst. Davon leitet sich alles andere ab. Dieses Selbstverständnis muss natürlich ganz oben verankert sein und im Unternehmen gelebt werden. Konkret geht es um Aspekte wie faire Bezahlung, flexible Arbeitszeit, Vielfalt, Chancengleichheit, Nachhaltigkeit.
Hat das Gehalt als Anreizfaktor an Bedeutung verloren?
Geld gibt in unserer Branche selten den Ausschlag. Weniger die absolute Höhe des Gehalts ist entscheidend, sondern vielmehr das Gefühl, fair vergütet zu werden.
Was verdient der akademische Nachwuchs bei SAP?
Das geht bei etwa 50.000 Euro im Jahr los, nach fünf Jahren kann das Gehalt, ganz grob zur Orientierung und abhängig von Job und Leistungsentwicklung, bei rund 80.000 Euro liegen. Wir achten sehr auf Transparenz, sodass für jeden Job die Stufen der Gehaltsspanne bekannt sind. Und wir verpflichten uns zu Fair Pay, also dass es keine Unterschiede nach Alter, Geschlecht oder Voll-/Teilzeitmodell gibt. Insgesamt entfallen 48 Prozent der zusätzlichen Ausgaben von SAP in diesem Jahr auf die Mitarbeiter, ich kenne kein anderes Unternehmen dieser Größenordnung und Branche mit einer ähnlich hohen Quote.
Wie sehr beeinflussen Themen wie Frauenförderung, Vielfalt, Inklusion, Neue Arbeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung die Wahl für oder gegen einen Arbeitgeber?
Sie sind zu maßgeblichen Auswahlkriterien geworden. Nachhaltigkeit zum Beispiel hat in den vergangenen drei, vier Jahren enorm an Relevanz gewonnen. Aber auch ernstgemeinte Inklusion und Vielfalt erwarten Bewerberinnen von ihrem Arbeitgeber. Geld macht vielleicht kurzfristig glücklich, aber wichtiger ist auf Dauer die Unternehmenskultur.
Werden sich diese Trends dauerhaft durchsetzen?
Das sind Game Changer, eindeutig. Als Unternehmen achten wir aber auch darauf, dass kein blinder Aktionismus entsteht. Wir fragen nach dem Sinn dahinter. Bei Diversity zum Beispiel geht es nicht um starre Besetzungsmuster, sondern um Chancengerechtigkeit, die am Ende dazu führt, dass auf jeder Position die jeweils beste Kraft eingesetzt wird und die besten Teams zusammenarbeiten.
Treten Einsteiger und junge Berufstätige heute fordernder auf?
Das kann ich so pauschal nicht erkennen. Aber ihre Werte haben sich im Vergleich zu früheren Generationen eindeutig verschoben. Feedback ist ihnen wichtig, Wertschätzung, die Möglichkeit zu mobilem Arbeiten. Das spiegelt den aktuellen Zeitgeist.
Wie waren Sie selbst als Bewerber in Vorstellungsgesprächen?
Ehrlich gesagt, nicht besonders gut. Ich musste erst lernen, dass man doch eine Rolle spielt bei einem solchen Gespräch. Das bedauere ich sehr und will unseren Bewerberinnen und Bewerbern daher jetzt das Gefühl vermitteln, dass sie sich nicht verstellen müssen und sich ganz so geben können, wie sie sind.
Welche berufliche Entscheidung hat Ihren Karriereweg am stärksten beeinflusst?
Das Arbeitsrecht war im Studium kein Schwerpunkt, ich hatte auch kein besonderes Interesse dafür. In der letzten Station als Rechtsreferendar, der sogenannten Wahlstation, bot es sich als Gelegenheit dann aber an – und es war für den weiteren Berufsweg ein interessanter Startpunkt. Meine Erkenntnis daraus: Sich bietende Gelegenheiten muss man am Schopfe packen und nicht zu lange über alle Eventualitäten nachdenken.
Was versteht die jüngere Generation unter „Karriere machen“?
Früher waren Menschen eher bereit, ihr Privatleben dem Job unterzuordnen oder es danach auszurichten. Karriere bezog sich sehr auf Titel und Hierarchien, da herrscht heute ein anderes Verständnis. Man kann es vielleicht so formulieren: Karriere machen bedeutet, wenn Gestaltungsmöglichkeit auf Wertschätzung trifft.
Wie motivieren Sie Ihre Leute dazu, dass sie Verantwortung übernehmen, Führungskraft sein und befördert werden wollen?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Führen muss man können und wollen, das findet nicht jede und jeder erstrebenswert. Warum auch? Es gibt hervorragende Experten, die in traditionellen Strukturen nur durch einen Wechsel in Führungspositionen aufsteigen können, aber sich im Management-Job nicht wohlfühlen. Wir haben uns davon freigemacht und bieten für Fach- und Führungskraft gleichwertige und gleichdotierte Wege an. Bei SAP haben Mitarbeitende sogar die Möglichkeit, zwischen Experten- und Führungslaufbahn zu switchen.
Wo und wie werden Menschen künftig arbeiten?
Bei SAP haben wir schon 2018 hybrides Arbeiten eingeführt. Mitarbeitende können wählen und nach Absprache mobil arbeiten. Durch Corona ist das Thema nun überall richtig groß geworden. Wir haben noch vor der Pandemie eine Befragung gemacht und herausgefunden, dass unsere Leute statistisch gesehen 2,6 Tage pro Woche zu Hause arbeiten, also rund die Hälfte der Zeit. Interessanterweise gibt es kaum Unterschiede nach Position, Alter, Geschlecht, Wohnort, Teil- oder Vollzeitbeschäftigung.
Braucht es künftig noch schicke Büros und große Firmenzentralen?
Die Unternehmenszentrale in Walldorf wird in den nächsten Jahren umgebaut, veränderte Arbeitsgewohnheiten und Präsenzzeiten werden da natürlich berücksichtigt. Zum Beispiel wollen wir Meetingräume aufwerten und noch moderner ausstatten. Es ist wichtig, in den Bürokomplexen eine eigene Atmosphäre zu schaffen.
Wie bekommen Sie mit, was Ihre Kolleginnen und Kollegen bewegt, wie die Stimmung ist, was die großen aktuellen Themen sind?
Ich bin seit fast elf Jahren bei SAP und gut vernetzt. Es gibt Gremien und Gruppen, denen ich angehöre. Man kann mich aber auch einfach direkt anschreiben, was reichlich getan wird. Auf Social-Media-Kanälen wie Linked-in und Instagram poste ich regelmäßig, auch da entsteht Kommunikation. Zweimal im Jahr gibt es große Mitarbeiterbefragungen, die ein Stimmungsbild erkennen lassen. Außerdem sind persönliche Begegnungen und Kontakte wichtig, ob auf dem SAP-Campus oder in der Kantine.
Es gibt erst wenige Personalchefs, die öffentlich so häufig auftreten, digital präsent sind und so kommunizieren wie Sie. Warum?
Vielleicht bestehen Unsicherheiten und Vorbehalte, die Personalarbeit eines Unternehmens nicht angemessen repräsentieren zu können oder mit modernen Kanälen wie Social Media zurecht zu kommen. Ich tue das, weil es mir Spaß macht und weil ich eine berufliche Notwendigkeit darin sehe. Als HR-Manager müssen wir sichtbar sein für Mitarbeitende und den Dialog suchen. Ein Personalchef muss raus, mitten auf den Marktplatz, um zu wissen, was los ist.
Cawa Younosi
Geb. 1974 in Kabul, Afghanistan
1999: Retail Sales bei Vodafone
2004: Jurastudium in Bonn
2006: Referent Konditionen und Arbeitsrecht Deutsche Telekom, Bonn
2007: Specialist Labor Law bei TNT Express
2007: Leiter Arbeitsrecht und Sozialpartnermanagement bei Atos Origin
2009: Rechtsberater bei SAP
2011: Director Corporate Affairs SAP
2018: Head of People Germany SAP
2022: Global Head of People Experience SAP