“Es ist unfassbar, was uns die Leute durchgehen lassen” – Schlecky Silberstein über Satire am Screen.
5. Oktober 2023
Gelacht wird immer: Je mehr Konflikte, desto besser? Wenn alle Angst vorm Weltuntergang haben, sind das fantastische Zeiten für Satire, sagt Schlecky Silberstein. Der Entertainer und Produzent gibt im Interview für die turi2 Screen-Wochen Tipps für guten Humor am Bildschirm, erklärt, was er mit seinem “Browser Ballett” anders machen will als die “heute Show” – und vergleicht das Leben mit Social Media mit dem in der DDR.
Witze im Alltag sind eine Sache. Was braucht es, um auf dem Bildschirm lustig zu sein?
Wir hatten mal die Idee vom großen Kino für kleine Bildschirme und sehen dazu spannende Dinge in den Statistiken. Zum Beispiel, dass sehr viele Leute unsere Online-Clips ohne Ton gucken, dann aber hinterher doch kommentieren. Daraus haben wir mit der Zeit gelernt: Es muss so visuell wie möglich sein. Man muss den Witz idealerweise auch ohne Sound verstehen. Ich glaube, das ist gerade die Herausforderung, wenn man für Mobiltelefone produziert.
Wie geht ihr das an?
Wir haben die alten Charlie-Chaplin- und BusterKeaton-Filme angeschaut und geguckt, wie Humor in der Stummfilmzeit gemacht wurde. Davon sind wir immer noch stark inspiriert. Manchmal macht es auch viel mehr Spaß, darüber nachzudenken: Können wir diesen verbalen Gag nicht auch in einen visuellen Gag umbauen? Das ist in der Regel immer die bessere Lösung.
Welcher Humor funktioniert auf dem Bildschirm gar nicht?
Wenn eine Sache gut ist, funktioniert natürlich alles. Aber wir versuchen nach Möglichkeit, Talking Heads und Dialoge rauszuhalten. Die können noch so toll geschrieben sein. Wenn im Kern des Clips ein Dialog steht, arbeiten wir mit Requisiten oder ein paar Tricks. Es sollten nicht bloß Menschen sein, die irgendwas sagen.
Schlecky Silberstein
Jahrgang 1981, heißt eigentlich Christian Brandes. Er startet als Blogger, heute ist er Gesellschafter und Kreativdirektor der Produktionsfirma Steinberger Silberstein. Silberstein hostet das 2016 bei Funk entstandene Satire-Format “Browser Ballet”, das mittlerweile für das ZDF neben Kurzvideos auf YouTube auch halbstündige Filme für die Mediathek produziert.
Ihr wart bei Funk, der ARD, jetzt beim ZDF. Was zieht euch zu den Öffentlich-Rechtlichen?
Die Öffentlich-Rechtlichen haben mit Funk ein tolles Ausbildungssystem. Da hatten wir am Anfang das Privileg, scheitern zu dürfen. Normalerweise sind sowas Lippenbekenntnisse und am Ende geht es um Erfolg oder Nicht-Erfolg. Aber bei Funk hatten wir eine ganz andere Narrenfreiheit und haben für uns gelernt, was das “Browser Ballett” eigentlich ist. Ich glaube, auch die größten anfänglichen Skeptiker können rückblickend sagen: Funk ist eine Erfolgsgeschichte.
Narrenfreiheit braucht ihr jetzt nicht mehr?
Die Narrenfreiheit ergibt sich daraus, dass die Leute aus Funk-Tagen wissen, was sie von uns zu erwarten haben und dass wir da beispielsweise in ganz verschiedene politische Richtungen geschossen haben. Wir dürfen jetzt Dinge machen, über die andere wohl stolpern würden. Es ist fürs “Browser Ballett” sehr schwer, einen Shitstorm zu bekommen. Und wir versuchen es, weil wir glauben, dass das immer noch die beste Promo ist. Es ist unfassbar, was uns die Leute teilweise durchgehen lassen. Das ist Fluch und Segen zugleich.
Sind die beim ZDF eher glücklich oder genervt, wenn ihr eine halbe Stunde lang Markus Lanz persifliert? Wann schiebt der Sender euch einen Riegel vor?
Mittlerweile arbeiten wir so lange zusammen, dass wir gar nichts vorschlagen, bei denen sie irgendwelche Riegel vorschieben. Meistens geht es dann eher um Details, um Aussteuerung von einigen Ideen. Unsere Redaktionen, vorher bei der ARD und jetzt beim ZDF, wissen, was das Format ist.
2010 hast du deinen Blog gestartet. Wie hat sich dein Humor seitdem verändert?
Als der Blog mein Hauptberuf war, Ende der 00er Jahre, war die politische Debatte eine ganz andere. Da hat Anarchie eine große Rolle gespielt und es war mehr Quatsch im Äther. Ich habe zum richtigen Zeitpunkt aufgehört zu bloggen, denn da ging es los, dass wir alle deutlich mehr Dinge politisiert haben. Im Pitch des “Browser Balletts” stand witzigerweise nirgends das Wort Satire, es war ein Comedy-Format. Wir haben aber festgestellt, dass die ersten erfolgreichen Clips alle satirischen Einschlag hatten. Also haben wir gemacht, was nachvollziehbar ist: Stärken stärken, Schwächen schwächen. Die Leute mögen es, wenn wir Humor mit Politik verbinden. So sind wir eigentlich Satiriker wider Willen geworden.
Die Nachrichtenlage ist ja aktuell eher zum Weinen. Sind das gute oder schlechte Zeiten, um Menschen zum Lachen zu bringen?
Es sind fantastische Zeiten. Unser aktuelles Motto ist: Alle haben Angst vorm Weltuntergang, wir leben davon. Je mehr Konflikte in einer Gesellschaft sind, desto besser ist es in der Regel für Satire. Ich wurde zur ersten Kanzlerschaft von Gerhard Schröder politisiert. Da hat der Klimawandel öffentlich keine Rolle gespielt. Es ging viel um Arbeitsplätze und Verdienst. Die Debatte wurde sachlich in Zeitungen und TV-Sendern geführt und es wurde deutlich weniger diskutiert, weil es Social Media noch nicht gab. Jetzt haben wir viele hitzige Debatten. Ich weiß nicht, ob sich eine Gesellschaft damit einen Gefallen tut, aber es ist natürlich bessere für Satire.
Sind wir durch all den Input und das Überangebot an Online-Unterhaltung so abgestumpft, dass Humor immer extremer werden muss, damit er wirkt?
Ich beobachte eine positive Abstumpfung. Wir machen langsam bessere Erfahrungen mit der aktuellen Debattenkultur. Bei gewissen Themen regen sich die Leute nicht mehr so wahnsinnig auf wie noch vor fünf Jahren. Vielleicht muss sich der Humor deswegen verändern. Ich glaube eher, dass das Durchdringen generell heute schwerer ist, weil das Überangebot im Unterhaltungssektor irre ist. Vor 20 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich 90 Prozent aller Serien, die ich gerne sehen wollte, in meinem Leben gar nicht sehe.
Wie viel Prinzipien und Moral stecken in eurer Arbeit?
Ich habe selbst gar keine Haltung und bin eher Zyniker. Sobald ein spannender Konflikt entsteht, will ich daraus einen Gag oder eine Story machen. Aber für andere, jüngere Kollegen sind ihre Stücke kathartisch und das ist auf jeden Fall erlaubt. Es gibt bei uns keine Gesinnungsschranken. Wir dürfen nur insgesamt nicht zu tendenziös werden. Denn dann geben wir unser Alleinstellungsmerkmal auf. Es ist total wichtig, dass du als “Browser Ballett”-Fan weißt: Diesen einen Clip fand ich jetzt scheiße, weil ich die politische Haltung dahinter zum Kotzen finde. Aber ich weiß: Nächste Woche kommt bestimmt einer aus einer ganz anderen Richtung.
Das heißt: Die Meinungsmischung ist euer Erfolgsmerkmal?
Ja, absolut. Es gibt ja unterschiedliche Satire-Formate in Deutschland und einigen wird eine klare politische Agenda und ein Einschießen auf die gleiche Klientel nachgesagt. Das möchte ich vermeiden. Wenn einige Leute aus dem politisch eher konservativen Spektrum das Logo der geschätzten Kollegen der “heute Show” sehen, machen die schon dicht. Ich finde es spannend, wenn das “Browser Ballett”-Logo nicht gleich sagt: Das kann gar nichts für mich sein, die haben ihre Agenda. Wenn ich weiß, dass schwer konservative bis rechte Leute von uns nicht abgeschreckt werden, weiß ich auch, dass man zu denen noch durchdringen kann.
Ihr habt euch kürzlich an Till Lindemann und dessen Anwaltskanzlei abgearbeitet. Wie viel hat man da mit dem ZDF-Justiziariat zu tun?
Gar nicht wäre gelogen. Natürlich müssen wir das prüfen. Aber wir haben da über das ZDF als auch inhouse juristische Beratung. Man tut sich natürlich keinen Gefallen, wenn man gegen Regeln verstößt, aber das wollen wir so oder so nicht. Ich hätte eine Abmahnung von dieser Kanzlei für genau diesen Clip aber auch spannend gefunden, um die Geschichte rund zu machen. Man muss immer auch prüfen: Ist es manchmal nicht auch ein Erfolg, wenn gegen dich geklagt wird?
Eure neuen Halbstünder brauchen viel mehr Vorbereitung. Wie schafft man komplexere Bewegtbild-Satire, die trotzdem aktuell ist?
Das ist das Schwerste. Die Vorlaufzeiten sind wir so nicht gewohnt. Sonst war das “Browser Ballett” einigermaßen tagesaktuell. Jetzt mussten wir wahnsinnig viele Filmideen wegschmeißen. Aber wir haben gelernt, dass es geht. Vor der Formulierung einer Idee fragen wir uns: Um welches Thema soll es gehen und können wir davon ausgehen, dass es noch mindestens ein halbes Jahr einigermaßen aktuell ist?
Reicht die Aufmerksamkeitsspanne eurer Fanbase überhaupt für die neuen Halbstünder in der Mediathek?
Nein, unsere Stamm-Fans haben diese Aufmerksamkeitsspanne nicht. Das wussten wir aber vorher. Es geht darum, jetzt Leute zu erreichen, die sagen: Ich geb mir auch eine halbe Stunde lang irgendeine Message. Da ist die Chance eher, alte Fans nicht zu verschrecken und neue zu gewinnen.
Ihr macht ja auch Comedy über Geschlechterrollen und -erwartungen. Wie wichtig ist da ein diverser Writer’s Room?
Wir haben einen sehr ausgewogenen Writers Room. Auch auf das gesamte
Unternehmen gerechnet haben wir mindestens 50 Prozent Frauen. Das ist aber keine Firmenpolitik per Quote, sondern hat sich organisch so ergeben. Was natürlich stimmt: Als 41-jähriger Mann habe ich gelernt, dass das ein total wichtiges Korrektiv ist. Und ich glaube schon, dass wir deutlich schlechtere Arbeiten abliefern würden, wenn alle genauso wären wie ich.
Du kritisierst das Social-Media-Internet, gleichzeitig spielst du dort seit Jahren Inhalte aus. Ist das nicht paradox?
Ich vergleiche das mit dem Leben in der DDR. Das ist einfach die Welt,
in der du dich befindest. Social Media ist die eine zentrale Informations- und Kommunikationsinfrastruktur, die wir haben und die so weit geht, dass dir in vielen Bereichen Teilhabe fehlt, wenn du nicht daran teilnimmst. Wenn ich Kunst machen möchte, erwartet jeder Auftraggeber, dass die auch auf Social Media ausgespielt wird. Ich kann gleichzeitig trotzdem guten Gewissens gegen die Funktionsweise von Social-Media-Algorithmen sein. Wäre ich ganz konsequent, müsste ich unsere Arbeiten nur auf ethisch unbedenklichen Kanälen präsentieren. Die werden aber von vielen Leuten nicht gesehen.
Du hast beim Sprechen über deine Depression gesagt, dass “Menschen die beste Medizin sind”. Wäre nicht Bühnen-Comedy eine Option?
Da hätte ich total Bock drauf. Selbst stehe ich nur sporadisch auf kleinen Bühnen in meiner Hood. Ich kenne die geile Atmosphäre als Zuschauer, wenn da alle gemeinsam lachen. Dazu kommt auch: In meinem aktuellen Hauptberuf höre ich ja nie Applaus. Wir wissen nicht, bei welchen Gags gelacht wird und das ist eigentlich schade. Wenn es die Zeit zulässt, würde ich mal gucken, ob ich in dem Bereich nicht auch eine Erfüllung finde, aber nicht mit dem Anspruch, daraus eine Karriere zu machen. Das würde wohl nicht nur mich, sondern auch meine Familie überfordern.
Also bleibst du erstmal zweidimensional. Welchen Screen willst du denn noch erobern?
Nur die Kinoleinwand haben wir noch nicht bedient. Ansonsten sind wir fast überall. Es ist irre, wenn man sich heute überlegt, dass wir so naiv waren, nur auf Facebook zu starten. YouTube haben wir nur bespielt, weil wir die Filme eh hatten. Danach sind wir den relevanteren Plattformen immer eher hinterhergereist. Wahrscheinlich ist es so: Wenn wir merken, dass da eine aussichtsreiche Plattform ist, würden wir auch mal versuchen, zu den Early Adoptern zu gehören und nicht Late to the Party zu sein. Bei TikTok haben wir lange Zeit gesagt, dass sich das nicht durchsetzt, und jetzt sind wir wahnsinnig froh, da zu sein, weil es auch noch mal eine ganz andere Erzählfarbe hat.
Spielt ihr auf TikTok deckungsgleiche Inhalte aus?
Auf TikTok haben wir die gleiche Haltung, sind aber viel experimenteller und deutlich alberner. Die Plattform hat mich dadurch positiv überrascht, dass sie erfrischend unpolitisch ist. Dafür gibt es wahnsinnig viel Irrsinn und Kreativität. Es hat mich an meine Bloggerzeiten erinnert. Für uns ist das echt spannend, weil wir zum einen dort jüngeren Autoren sehr viel Spielraum lassen und auch kein teures Kamera-Equipment leihen, sondern versuchen, Geschichten wirklich nur mit dem Handy zu erzählen. Das macht wahnsinnig viel Spaß. Ganze Videos drehen wir zum Teil in einer Stunde ab, aber die sind genauso gut oder schlecht wie Sachen, bei denen wir uns in zwei Tagen irgendein Riesen-Setpiece aus dem Kreuz leiern. Und sie ziehen teilweise deutlich mehr Views. Ich dachte erst, TikTok wird nerven, aber das Gegenteil ist richtig.
Dieser Text ist Teil der Screen-Wochen bei turi2. Bis 8. Oktober beschäftigen wir uns auf turi2.de mit Entwicklungen und Trends für Bildschirme – von der Smartwatch bis zum großen Werbescreen.
Foto: Browser Ballett
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