turi2 edition #14: Kemi Fatoba über Aktivismus und Ablenkung.
6. Juni 2021
Verlegerin für Vielfalt: Als Journalistin und Magazin-Gründerin kämpft Kemi Fatoba für mehr Diversität in Medien und Wirtschaft. Social Media sieht sie vor allem als Image-Instrument – glaubt aber, dass die Generation TikTok schon vieles besser macht als die Generation Gottschalk. Im Interview mit Elisabeth Neuhaus für die turi2 edition #14 ärgert sich Fatoba über deutsches TV und erklärt ihre Zurückhaltung in den sozialen Netzwerken: “Ich glaube nicht, dass meine Posts die Welt verändern würden.” Hier das E-Paper mit allen Interviews kostenlos lesen.
Kemi, hättest du dir mit 15 einen Ort wie TikTok gewünscht?
Nein! Wer hat als Teenager nicht seltsame Dinge von sich gegeben? Vor Kurzem habe ich auf Instagram das Video einer wunderschönen jungen Frau gesehen, die über eine invasive Schönheits-OP gesprochen hat, als wäre sie kein großes Ding. Wenn ich so etwas mit 15 regelmäßig gesehen hätte, hätte ich vielleicht auch gedacht: Mit mir stimmt etwas nicht, ich muss mein Gesicht ändern.
Bist du heute selbstbewusster?
Das hat weniger mit einem Mangel an Selbstbewusstsein, sondern mit einem Überfluss an Informationen und Bildern zu tun. Social Media kann total inspirierend sein und dich auf gute Ideen bringen – aber das Gegenteil ist auch möglich.
Du bist vor allem auf Instagram aktiv.
Ja. Für TikTok bin ich privat zu kamerascheu. Auf Twitter lache ich über witzige und smarte Kommentare. Leider geht es da oft auch sehr toxisch zu, weswegen ich meist nach ein paar Minuten wieder genug habe. Jedes Mal, wenn ich dort Rassismus thematisiere, kommen sofort Spam-Nachrichten von rechten Trollen. Dann lösche ich die App manchmal für ein paar Tage. Instagram ist im Vergleich wesentlich freundlicher, aber auch nicht harmlos.
Bist du im echten Leben genauso aufgeräumt wie auf deinem Insta-Profil?
Ja, schon. Ich empfinde es als unglaubliche Ablenkung, wenn Dinge in meiner Umgebung nicht in Ordnung sind. In meinem Kopf ist schon so viel Chaos und ich muss meine Gedanken ständig sortieren. Wenn dann auch noch um mich herum Chaos ist, stresst mich das.
Wann zückst du dein Handy für eine Story?
Bei guten Memes. Ich poste nicht so regelmäßig Updates wie manche Kolleginnen es tun, obwohl ich weiß, dass ich viel mehr tun könnte, besonders mit “Daddy”. Als wir eine Zeit lang jeden Tag etwas gepostet haben, ist unsere Community wesentlich schneller gewachsen.
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Was hält dich davon ab?
Ich habe kein großes Bedürfnis, Selfies zu posten und der Welt ständig etwas mitzuteilen. Manche machen das gerne, dagegen ist nichts einzuwenden, aber das bin ich einfach nicht. Auf Trend-Themen zu reagieren und sich online ständig zu positionieren, finde ich wahnsinnig anstrengend. Ich glaube auch nicht, dass meine Posts die Welt verändern würden.
Was dann?
Für die Fridays-for-Future- oder die Black-Lives-Matter-Bewegung sind die sozialen Netzwerke wichtige Kommunikationsmittel. Natürlich, aber ich glaube nicht, dass Selbstinszenierung oder Instagram-Aktivismus die Welt verändern. Ich muss da vor allem an das schwarze Quadrat denken, das im Sommer 2020 plötzlich überall auf Instagram zu sehen war. Das kann man machen, viel wichtiger ist aber doch, was in der Realität passiert, wie sich dort die Strukturen verändern. Von diesem schwarzen Quadrat kann ich mir nichts kaufen. Awareness ist wichtig, aber was kommt danach? Der Todestag von George Floyd jährt sich bald. Das wird ein guter Zeitpunkt sein, um zurückzublicken: All diese Unternehmen, all diese Leute, die sich vorher nie über Anti-Schwarzen-Rassismus geäußert, und dann das schwarze Quadrat gepostet haben, was haben die seitdem gemacht, um gegen strukturelle Diskriminierung am Arbeitsplatz vorzugehen oder ihre eigenen rassistischen Vorurteile abzubauen? Für mich ist das Thema nicht mit einem Post, der Lektüre eines Buchs oder einer Demo abgehakt. Schön wär’s.
Wie wichtig ist Social Media für euer Magazin?
Ohne gäbe es “Daddy” nicht. Wir verbreiten unsere Online-Beiträge darüber. Für das Printmagazin haben wir mit der Hilfe unserer Community auf Instagram, Twitter und Facebook erfolgreich Crowdfunding betrieben. Ich kann mich also nicht ganz davon fernhalten, auch wenn ich versuche, meine private Screentime zu reduzieren. Wir haben für “Daddy” aber keine konkrete Social-Media-Strategie ausgearbeitet. Ich will, dass die Plattformen Spaß machen – und ich nicht ständig daran denken muss, jeden Tag Content rauszupusten.
Du berätst Firmen, die diverser werden wollen. Worüber sprecht ihr?
Oft sind es ganz banale Dinge. Ein klassisches Beispiel sind Unternehmen, die sich für progressiv halten und nach männlichen, weiblichen, diversen Kandidatinnen suchen. Dann haben diese Unternehmen aber Toiletten getrennt nach Männern und Frauen – manchmal mit bescheuerten, stereotypisierten Bildern. Sie sagen: “Bei uns sind alle willkommen!” Menschen, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren, fühlen sich dann aber eben nicht willkommen. Sie könnten einfach diese Schilder runternehmen, damit wäre der erste Schritt getan. Aber allein das sprengt oft schon das Vorstellungsvermögen. Ich beobachte auch immer wieder, dass Unternehmen denken, ihre Arbeit sei getan, wenn sie Schwarze Models in ihren Kampagnen einsetzen, um so zu beweisen, wie divers und inklusiv sie sind.
Inwiefern?
Firmen heuern für Kampagnen gerne Schwarze Frauen an, die dann mit einem schönen großen Afro und einem breiten Lächeln auf alle Plakate kommen. Das Unternehmen wirkt dann vermeintlich progressiv und die Verantwortlichen können sich auf die Schultern klopfen. Hinter der Kamera und oben in den Führungsebenen tut sich aber meist sehr wenig in puncto Diversität. In Meetings sind die Leute oft erstens verwundert, dass ich eine Frau bin, zweitens, dass ich Schwarz bin und drittens, dass ich die Chefin bin. Bei so viel Homogenität erwarte ich auch gar nicht, dass alte weiße Männer oder Frauen meine Lebensrealität auf dem Schirm haben. Ich will lieber selbst mitreden und entscheiden. Sie bringen ihre Netzwerke mit – und ich meine. Deswegen finde ich es auch so wichtig, sich seine eigenen Grenzen einzugestehen: Niemand kann alles abdecken und Empathie alleine ersetzt nicht Wissen. Eine weiße Frau teilt zum Beispiel gewisse Erfahrungen mit mir, aber da wir sehr unterschiedliche Lebensrealitäten haben, will ich nicht, dass sie für mich spricht. Es ist deswegen immer nur von Vorteil, wenn auch ganz oben
in jeder Hinsicht Vielfalt herrscht.
Bringst du deine eigenen Erfahrungen in die Beratung ein?
Definitiv. Ich bin aus Wien. Als ich da vor vielen Jahren mal in einen Bus eingestiegen bin, fragt mich der Busfahrer: “Na, woher kommst du?” Ich: “Aus Wien.” “Nein, woher kommst du wirklich?” Ich: “Naja, ich bin wirklich aus Wien” und will weitergehen. Dann hält er den Bus an und sagt zu mir, dass er erst weiterfährt, wenn ich ihm sage, woher ich wirklich komme. Ich war total baff in dem Moment. Der Bus war komplett voll, die Leute haben mich angeschaut. Dann schreit jemand von ganz hinten genervt: “Dann sag ihm doch endlich, wo du wirklich herkommst!” Ich bin ausgestiegen, der Bus weitergefahren. Es war absurd. Dieses Beispiel bringe ich oft, wenn wir Kunden beraten, weil es zeigt: Wenn man möchte, dass sich tatsächlich alle Menschen in einem Unternehmen wohlfühlen, geht es darum, in diskriminierenden Situationen Unterstützung zu bekommen und bei Problemen ernst genommen zu werden, damit man sich nicht so allein fühlt wie ich mich damals in dem Bus.
Kemi in Kreuzberg: Gegenüber liegt ihr jamaikanisches Lieblingsrestaurant RosaCaleta, in dem die Fotos entstanden sind.
Ist TikTok ein geeigneter Ort, um über Rassismus aufzuklären?
Ich glaube, jeder Ort ist geeignet dafür. Je mehr wir darüber sprechen, desto besser – aber auf struktureller Ebene, denn es gibt genug Betroffenheitsgeschichten zum Nachlesen. Auf TikTok sind viele junge Menschen, und deren Generation ist viel politischer als meine es war. Meine kleinen Cousinen sind für Black Lives Matter auf die Straße gegangen, für Pride, für Klimagerechtigkeit. Ich finde es schön, diese Leute zu erreichen. Sie sind unsere Zukunft. Ich hoffe, dass sie es besser machen als die Generationen davor.
Wie politisch bist du?
Ich glaube, wenn man als Schwarze Frau in einem weißen Land aufwächst, kann man gar nicht unpolitisch sein. Bei den Nachrichten habe ich als Kind geweint, weil die Menschen in Krisengebieten oft so aussahen wie ich. Dann macht man sich früh Gedanken darüber, warum es ihnen so schlecht und uns so gut geht.
Wie politisch ist “Daddy”?
Ich würde schon sagen, dass wir politisch sind. Bei Identität und Repräsentation schwingt Politik zwangsläufig mit. Wenn wir Texte von Menschen publizieren, die queer oder trans sind, die um ihre Existenz kämpfen müssen und darum, gesehen und berücksichtigt zu werden, natürlich wird es dann politisch, das ist unvermeidbar. Dasselbe gilt
für Sexismus, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung.
Ihr tretet mit “Daddy” auch gegen das Patriarchat an – warum ausgerechnet dieser Name?
Es gibt Daddys in der Schwulenszene, lesbische Daddys, Sugar Daddys, den eigenen Vater, der eine großartige Person sein kann, total problematisch oder alles dazwischen. Wir wollen der Daddy sein, mit dem sich alle identifizieren können, der für alle da ist. Der Titel soll auch signalisieren, dass wir uns nicht allzu ernst nehmen. Wir hätten uns ja auch “Das Neue Magazin für Inklusivität und Intersektionalismus” nennen können.
Wie findet dein Vater das Heft?
Er hat es noch nicht gesehen, denn er lebt in Nigeria. Wir haben aufgegeben, Pakete außerhalb der EU zu verschicken, weil der Großteil verloren geht. Aber er fände es hoffentlich gut.
Welche Bedeutung hat Social Media dort? Westafrika gilt ja als aufstrebende Startup-Region.
Ich kann nur aus einer privilegierten Gastperspektive sprechen: Nigeria ist politisch in schlechten Händen, die Infrastruktur heruntergekommen. Das Potenzial und der kreative Output sind trotzdem riesengroß. Die Lagos Kunstbiennale hat 2020 digital stattgefunden. Das Programm war viel internationaler als bei manchen Biennalen in Europa. Soziale Medien haben in Westafrika, wie überall, für eine Demokratisierung gesorgt. Dadurch ist alles näher zusammengerückt. Ich habe Leute kennengelernt, die drei oder vier Jobs gleichzeitig haben, alle wollen sich connecten oder ein Business starten. Social Media hat dazu beigetragen, dass die Menschen dort – und BPOC (Black and People of Color) generell – ihre eigenen Netzwerke bilden und weltweit sichtbarer geworden sind.
Warum sind wir in den klassischen Medien noch lange nicht soweit?
Vielleicht ist es ein Generationen-Ding, das besser wird, wenn einige der Entscheidungsträgerinnen in Rente gehen. Ich habe zum Beispiel keinen Fernseher, weil ich mich im deutschen TV nicht abgeholt fühle, und ich weiß, dass es vielen meiner Freundinnen genauso geht. Ich habe das Gefühl, dass das Programm in den 90ern stehen geblieben ist. Eine Sache, die ich nicht verstehe, ist, warum Thomas Gottschalk nach seinen rassistischen Äußerungen in der “Letzten Instanz” beim WDR noch eine eigene Sendung bekommt. Enissa Amani hat mit einer tollen Show auf diese Katastrophe reagiert. Warum hat sie keine Sendung bekommen in einem Programm, für das ich Gebühren zahle? Am meisten ärgert mich, dass ich nicht nur nicht mitgedacht werde, sondern dass man sich über Leute wie mich lustig machen kann und dafür auch noch belohnt wird.
Siehst du Vorbilder von dir, wenn du durch Insta oder Twitter scrollst?
Ich liebe Michelle Obama. Diese Frau, die zwei Ivy-League-Abschlüsse hat, die Barack Obamas Vorgesetzte war, die immer so über den Dingen steht und sie so elegant handhabt, finde ich einfach großartig. Eine andere tolle Person, der ich folge, ist Munroe Bergdorf. Sie war das erste Trans-Model bei L’Oréal und ist dort heute LGBTQ-Botschafterin.
Wovon träumst du?
Ich träume davon, dass die Zukunft gleichberechtigt ist für alle. Dass wir eine inklusive Gesellschaft werden, in der niemand denkt, sich verbiegen zu müssen, um akzeptiert zu werden. In der es kein Hindernis ist, nicht aus einer wohlhabenden Familie zu kommen und in der alle dasselbe erreichen können. Ich träume davon, dass alles ein bisschen fairer und gerechter zugeht. Das wäre schön.