“Gerne texte ich auch selbst noch mit” – Michael Götz über XXL-Pizzen und lahmes Marketing.
14. Dezember 2023
Backe, backe Pizza: Gustavo Gusto zieht seit 2016 mit übergroßen TK-Pizzen die Aufmerksamkeit in der Kühltheke auf sich und verursacht bei Supermarkt-Angestellten Kopfzerbrechen. Hinter Claims wie “Eine echte Steinofenbarung” steckt das Team von Marketing-Chef Michael Götz. Er ist nicht nur CMO of the Year, sondern auch Verfechter ungewöhnlicher Vermarktungswege. “Den goldenen Pfad gibt es eh nicht”, sagt er im Interview mit Nancy Riegel in den Agenda-Wochen 2024 von turi2. Dabei will sich das Unternehmen, das in kurzer Zeit auf über 500 Beschäftigte gewachsen ist, eine gewisse “Hemdsärmeligkeit” bewahren. Im Interview erzählt Götz, wie das trotz aller Professionalisierung gelingen soll – und warum es seine Lieblingssorte wahrscheinlich niemals in die Produktion schafft.
Du bist zwar Marketing-Chef von Gustavo Gusto, aber mal ganz ehrlich: Die beste Pizza der Welt ist doch nicht aus dem Tiefkühler, oder?
Wenn eine gute Pizzeria im Holzofen eine echt neapolitanische Pizza backt, mit ganz dünnem Boden und luftig-hohem Rand, dann ist das für mich nach wie vor die Königsklasse. Aber ich finde schon, dass wir diesem Erlebnis ziemlich nahekommen. Schließlich hatten wir selbst mal eine solche Pizzeria. Und Rezept und Machart sind so nah an einer echten Pizzeria, wie man als Großhersteller nur sein kann. Wir lassen den Teig 24 Stunden lang natürlich reifen. Dann breiten wir ihn schonend von Hand aus und backen ihn direkt auf Stein. Als Käse verwenden wir stets feinen Mozzarella und belegen die Pizza nur mit hochwertigen Zutaten. Zudem verzichten wir komplett auf künstliche Aromen, künstliche Backtriebmittel und Geschmacksverstärker.
Lange Zeit hat Gustavo Gusto mangels Werbe-Budget gar keine klassische Werbung gemacht, da war der große Pizza-Karton in der Tiefkühltruhe im Supermarkt eure einzige Werbefläche. Wie sieht es heute aus?
Unser Karton war ganz klar ein Game-Changer. Zum einen war er deutlich größer als alle anderen, weil wir als Erster auf eine authentische Restaurant-Pizza-Größe gesetzt haben. Zum anderen haben wir den Karton selbst zur Werbeanzeige gemacht, um den Konsumenten direkt am Point of Sale ein Qualitätsversprechen zu liefern. So entstanden Claims wie: “Eine echte Steinofenbarung”, “Wir nehmen nur Mozzarella. Alles andere ist Käse” und “Unser Thunfisch ist handgeangelt. Flosse drauf”. Aber der Karton alleine reicht natürlich nicht, vor allem, wenn du diejenigen erreichen willst, die jahrelang keine TK-Pizza mehr gegessen haben. Deswegen werben wir beispielsweise auch sehr gezielt auf den sozialen Kanälen – sei es Facebook, Instagram, TikTok oder Snapchat. Für maximale Reichweite schalten wir auch gerne knackige Bumper-Ads auf YouTube. Und auch auf Spotify hatten wir schon einen tollen Erfolgscase. Wir nutzen zudem punktuell TV-Spots und Werbung am Point-of-Sale. Und natürlich setzen wir auf Influencer-Kooperationen.
Was können die Marketing-Abteilungen von euren Konkurrenten Nestlé oder Oetker von euch lernen?
Die beiden Marktbegleiter sind mit Sicherheit in Sachen Prozesse, Strukturen und Marktanalyse einen Schritt weiter als wir. Aber in Sachen Kreativität und darin, radikal neu zu denken, haben wir wohl die Nase vorn. Durch unser begrenztes Budget müssen wir einfach immer um eine Ecke weiter denken. Anders sein als alle anderen. Hinzu kommt: Bisher haben wir quasi alle Kreation inhouse gemacht. Das macht die Arbeit intensiver, wir brennen lichterloh für das, was wir tun. Ich find’s einfach geil, neue Wege zu suchen. Wir sehen es so: Den goldenen Pfad gibt es eh nicht. Die breite Teerstraße, auf der die große Marken-Masse marschiert, mag mit Sicherheit irgendwo hinführen – aber es ist auch ein Weg, den du dir mit ganz vielen anderen teilen musst und wo du manchmal im Stau stehst. Wenn du abseits der ausgetretenen Pfade wandelst und dir deinen eigenen Weg durch das Gestrüpp schlägst, dann holst du dir Kratzer, fällst auch mal hin. Aber am Ende bist du umso glücklicher, wenn du am Ziel bist. Ein Ziel, dass du auf der Hauptstraße eventuell nie gefunden hättest.
Nimm uns mal mit: Wer denkt sich die neuen Sorten, wer die Sprüche auf den Kartons aus?
Bei uns sind Produktentwicklung, Marketing und Sales eng miteinander verzahnt. Neue Sorten erarbeiten wir oft gemeinsam. Manchmal gibt eine Kampagnen-Idee auch eine Sorte vor. Und zur Kreation: Ich habe zwölf Jahre lang in Werbeagenturen gearbeitet und drei Mitstreiter aus dieser Zeit zu Gustavo geholt. Die kenne ich, und auf die verlasse ich mich zu eintausend Prozent. Zusammen mit dem restlichen Team erarbeiten wir inhouse alle Sprüche, Designs und Kampagnen. Gerne texte ich auch selbst noch mit. Manchmal kommt eine Idee zum Beispiel spontan Samstagabend um 23 Uhr zustande, da schreibt man sich kurz hin und her, und schon hat man’s. Die größeren Kampagnen entstehen recht klassisch wie in einer Agentur: Wir stellen uns selbst ein Briefing und legen los.
Michael Götz, Jahrgang 1978, arbeitet 12 Jahre lang als Texter, Konzepter und Creative Director bei den Hamburger Werbeagenturen thjnk und Leagas Delaney. In dieser Zeit macht er vielfach prämierte Kampagnen für über 20 große Marken. 2017 übernimmt er den CMO-Posten bei der TK-Pizza-Marke Gustavo Gusto und erntet auch hier Lob und Preise, zuletzt wird er als “CMO of the Year” ausgezeichnet.
Wie schwer ist Marketing für Pizza in Zeiten, in denen viele Menschen auf gesunde Ernährung achten wollen – oder auf Instagram zumindest so tun?
Wenn man sich unsere Zahlen anschaut, hat man nicht das Gefühl, dass die Menschen der Pizza abschwören. Ganz im Gegenteil. Generell kommt es doch einfach darauf an, die Konsumenten ernst zu nehmen und ihnen hochwertige Produkte zu bieten. Hohe Qualität ohne künstliches Gedöns – das schlägt jeden erhobenen Zeigefinger. Und jeder weiß doch, dass man nicht jeden Tag Pizza essen sollte. Aber wenn, dann eben die richtige. Und dafür kann man bestens und auch guten Gewissens werben.
Alle Startups machen Fehler. Was habt ihr bei eurer Gründung vermasselt?
Es liegt in der Natur der Sache, dass du ein paar Mal auf die Schnauze fliegst, wenn du etwas gründest. Bei uns war es zum Beispiel so: Der Erfolg hat uns regelrecht überrannt. Dadurch hatten wir oft Lieferengpässe. Vor allem bei den Influencer-Pizzen haben wir unterschätzt, wie schnell die weggehen. Und du hast als Startup nie so richtig viel Geld. Wir haben deswegen wahrscheinlich einen Ticken zu lange versucht, mit der kleinen Bestandsmannschaft zu arbeiten und hätten früher Geld in die Hand nehmen sollen, um Top-Leute in die richtigen Positionen zu setzen. Die Expertise von außen hätte uns früher geholfen, Prozesse zu optimieren. Am Anfang waren wir eine Handvoll Leute, die teilweise noch die Pizzakartons selbst gefaltet haben. Mittlerweile haben wir rund 550 Mitarbeiter.
Teig, Tomatensauce, Tunfisch: Was bei anderen Pizza-Produzenten Maschinen übernehmen, ist bei Gustavo Gusto noch Handarbeit.
Mit so vielen Mitarbeitenden gehört ihr schon zur Kategorie Großunternehmen. Fühlt ihr euch noch als Startup?
Wir verkörpern noch immer den Startup-Spirit und wollen diesen auch lange behalten. Eine gewisse Hemdsärmeligkeit, Schnelligkeit und Spontanität sollen unbedingt bleiben und auch das Bauchgefühl wollen wir nicht ad acta legen. So wie bei Ben & Jerry’s. Das ist eine Weltmarke, aber man hat noch immer das Gefühl, das sei ein junger Laden. Das finde ich beneidenswert.
Wie Ben & Jerry’s seid ihr teurer als die Konkurrenz und trotzdem erfolgreich. Liegt’s nur am Geschmack – oder auch am Image?
Ich sage immer: Das Produkt ist der König, die Marke ist die Königin. Regieren tun sie beide. Eine Marke hat ohne ein gutes Produkt keine Daseinsberechtigung. Heute wird man durch Social Media und Online-Bewertungen auch sehr schnell entlarvt, wenn man kein solides Produkt abliefert. Auf der anderen Seite kann es das tollste Produkt schwer haben, wenn es eine lahme Marke hat.
Ihr habt 2018 in Kooperation mit dem Influencer Luca mal eine Pizza mit schwarzem Teig rausgebracht, 2021 kam eine Vier-Käse-Pizza mit Bud Spencer und Terence Hill auf der Packung, und auch mal eine Apfel-Zimt-Pizza in Zusammenarbeit mit der Sat.1-Show “The Taste”. Wie wichtig sind solche Sondersorten für die Marke?
Diese Limited Editions helfen uns sehr, denn sie sorgen für hohe Aufmerksamkeit, zeigen unsere Innovationslust und wecken die Neugier der Konsumenten. Aber auch hier gehen wir natürlich sehr strategisch vor. Mit Luca haben wir eine ganz junge Zielgruppe anvisiert, die die bisherigen Player kommunikativ bisher noch nicht so sehr bedacht haben. Die Hoffnung war, einen emotionalen Pflock in diese Altersgruppe zu treiben, damit sie zu ihren Eltern sagt: “Mama, Papa, bringt mir bitte ‘ne Gustavo mit.” Mit der Koch-Sendung “The Taste” haben wir dann Foodies angesprochen. Mit Bud Spencer und Terence Hill haben wir die Generation 40 Plus anvisiert. Christoph Schramm, der Gründer, und ich kennen uns schon seit der ersten Klasse. Wir haben die Filme schon damals gern zusammen geguckt. Jetzt schau ich sie mit meinen Söhnen. Die Pizza “Vier Käse für ein Halleluja”, angelehnt an den Film-Titel “Vier Fäuste für ein Halleluja”, lief jedenfalls ausgesprochen gut. Sie kam 2021 zum 50. Jubiläum des Films auf den Markt und gehört mittlerweile zum Standardsortiment. Mit verschiedenen Karton-Designs haben wir die Sammelleidenschaft der Fans angesprochen. Zudem haben wir lebensgroße Aufsteller der beiden Legenden in die Supermärkte gebracht, vor denen die Kunden dann sogar posiert haben – oder die sie teilweise geklaut haben. Auf Kabel 1 haben wir on top die Filme von Bud und Terrence gezielt gesponsert. Für mich insgesamt ein absoluter FMCG-Vorzeige-Case.
Bei der schwarzen Luca-Pizza musstet ihr 2018 eine Charge zurückrufen, weil ein Plastikbecher in die Produktion geraten war. Was habt ihr in Sachen Krisenkommunikation aus dem Fall gelernt?
Es war unser erster und bisher einziger Rückruf. Als ich dann gesehen habe, dass unter anderem “Spiegel” und auch TV-Sender darüber berichtet haben, dachte ich: “Oh Gott, was bedeutet das jetzt für unsere Marke?” Wir hatten ja damals noch gar kein Gespür dafür, was so ein Rückruf für Auswirkungen hat. Aber wir haben schnell ein Krisenteam aufgestellt, waren sehr transparent mit den Behörden und der Presse und haben die Sicherheit unserer Kunden bedingungslos über mögliche Konsequenzen eines Rückrufs gestellt. Wir haben viel gelernt in der Zeit. Und wir werden als Marke auch in Zukunft immer transparent und authentisch sein. Das Ganze war natürlich auch nicht schön für Luca und ich verstehe, dass er angefressen war. Am Ende war die Sorte trotz der Berichterstattung – oder vielleicht auch deswegen – der Bestseller des Jahres.
Gustavo Gusto startet 2016 als Hersteller von Premium-Tiefkühlpizzen. Das Unternehmen beschäftigt heute rund 550 Menschen und produziert an zwei Standorten – in Geretsried und Artern. Die Pizzen sind in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz erhältlich. Neben dem Einzelhandel gibt es die Pizzen auch online, im Quick-Commerce und im Großhandel.
Wäre es nicht das Nachhaltigste, auf Bio und vegetarisch umzusteigen?
Die Frage ist: Willst du eine Nischenmarke sein oder die breite Bevölkerung erreichen? Bei Bio-Pizza verschiebt sich die Kostenstruktur so dramatisch, dass du nicht mehr den Massenmarkt bedienst. Unser Ziel war es aber immer, die beste Marke für die Breite zu sein. Man muss behutsam sein, welche Produkte man bringt, denn mit so vielen Mitarbeitern haben wir auch die Verpflichtung uns selbst gegenüber, Produkte zu entwickeln, die funktionieren – neben der Erwartung vom Handel. Aber Nachhaltigkeit liegt uns sehr am Herzen. So verwenden wir zum Beispiel möglichst regionale Zutaten und setzen ausschließlich auf handgeangelten Thunfisch – ganz ohne Beifang und Überfischung. Darüber hinaus bauen wir um unser neues Werk einen eigenen Solarpark und haben gerade ein inhouse Nachhaltigkeitsressort gegründet, um allen ESG-Säulen gebührend gerecht zu werden.
Gibt es eine Pizza-Sorte, die du richtig feierst, die aber nicht umgesetzt wird, weil sie niemand kaufen würde?
Ich liebe Pizza Napoli mit Sardellen, Kapern und Oliven. Die habe ich noch nie im Supermarkt gesehen – wahrscheinlich aus Gründen.
Gustavo-Gusto-Pizzen sind inzwischen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden erhältlich. Traut ihr euch nicht nach Italien?
Das wäre natürlich eine Mega-Story, wenn ein deutscher TK-Pizza-Hersteller ins Mutterland der Pizza geht und dort eine ähnliche Erfolgsgeschichte hinlegt wie in Deutschland. Wir finden den Gedanken sehr reizvoll, aber Italien hat einen sehr fragmentierten Markt. Mit unseren Ressourcen müssen wir uns zunächst auf die Märkte fokussieren, die wir gut und zügig erschließen können. Aber: Sag niemals nie!
Dieses Interview ist Teil der Agenda-Wochen 2024. Bis 17. Dezember blickt turi2 in Interviews, Podcasts und Gastbeiträgen zurück auf 2023 und voraus auf 2024.