turi2 edition #16: Wie sehr nervt grüne Werbung, Jan Fleischhauer?
6. Januar 2022
Tarnfarbe: In einem kapitalistischen System will sich Jan Fleischhauer nicht auf angebliche Nachhaltigkeit verlassen. In seinem Gastbeitrag für die turi2 edition #16 beschreibt der freie Autor und “Focus”-Kolumnist, wie geschickt viele Unternehmen mit einem “grünen Anstrich” von ihrem wenig nachhaltigen Verhalten ablenken und was Knorrs “Paprikasauce ungarischer Art” damit zu tun hat.
Ich bin total für Nachhaltigkeit, an mir soll’s nicht liegen. Ich gehe einer sitzenden Tätigkeit nach, verbrauche also wenig Energie. Mein Mac ist von 2013. Mein aktuelles Buch sammelt die besten Kolumnen aus zehn Jahren, besteht also gewissermaßen aus Kolumnen-Recycling. Vom Lastenrad im Vorgarten und der Solaranlage auf dem Dach gar nicht zu reden.
Warum ich das erwähne? Weil ich sagen soll, was ich von grüner Werbung halte. Sie ahnen es: nicht viel. Ich werde sofort misstrauisch, wenn mir Unternehmen verkaufen wollen, wie politisch vorbildlich sie sind. Ich halte den Kapitalismus für ein inhärent opportunistisches System. Wenn der Kapitalist ein Bedürfnis sieht, das noch nicht ausreichend befriedigt ist, überlegt er sich ein Angebot dazu. So funktioniert auch grüne Werbung.
Ein Problem dabei ist, dass man sich auf die Nachhaltigkeit nicht verlassen kann. Die gleichen Leute, die heute ihr Öko-Herz entdecken, hängen morgen die hellblaue AfD-Flagge raus, wenn sich der politische Wind gedreht hat. So läuft das leider bei Opportunisten.
Manchmal soll der grüne Anstrich auch davon ablenken, dass man sich an anderer Stelle ganz anders verhält, knallkapitalistisch eben. Wenn alle davon reden, wie wichtig ein Umdenken sei, sagt der clevere Konzernboss: “Dann stellen wir halt in der Führungsetage ein paar Leute von Greenpeace ein, streichen die Currywurst in der Kantine und sagen ‘Audianer:innen’ statt Beschäftigte. Solange sich sonst nichts ändert, ist alles okay.”
Im neuen Buch von Sahra Wagenknecht steht eine interessante Anekdote. Als Knorr im Sommer 2020 ankündigte, seinen Saucenklassiker von “Zigeunersauce” in “Paprikasauce ungarischer Art” umzubenennen, war die Erleichterung groß.
Riesenlob für die Einsichtsfähigkeit des Unternehmens! Dass die Firma den Mitarbeitern in Heilbronn zeitgleich einen neuen Tarifvertrag mit deutlich schlechteren Bedingungen aufgezwungen hatte, fand hingegen kaum Beachtung in den Nachrichten.
Manchmal wundere ich mich über die Naivität meiner Freunde auf der linken Seite. Ich dachte, sie wüssten, wie Kapitalismus funktioniert.