turi2 edition #14: Carline Mohr übers Onlinesein und Olaf Scholz.
12. Juni 2021
Bloß kein Arschloch sein: Die gelernte Journalistin Carline Mohr soll als Newsroom-Chefin der SPD mithelfen, dass aus Olaf Scholz der nächste Bundeskanzler wird. Beim Wahlkampf via Social Media bringt sie Bubbles zum Platzen und freut sich über unbequeme Bürgerinnen. Für Politikerinnen im Netz formuliert sie im Interview mit Anne-Nikolin Hagemann für die turi2 edition #14 eine klare Grundregel und verrät: “Es soll schon Parteivorsitzende gegeben haben, denen man den Zugriff auf Twitter oder Facebook entzogen hat.” Hier das E-Paper mit allen Interviews kostenlos lesen.
Frau Mohr, wie sähe die Tinder-Biografie der SPD aus?
Trägt beim Date manchmal rote Socken. Mag Rotkäppchen, hitzige Diskussionen und Schlümpfe. Bringt eine große Familie mit, und 400.000 verschiedene Meinungen. Kompliziert, aber liebenswert und immer für Dich da.
Da hört man: Wir sind im Wahljahr. Ist Wahlkampf online heute wichtiger als der auf der Straße?
Nee, das wäre Quatsch. Es geht nicht mehr um ein Entweder-Oder. Das ist eine alte Denkweise. Man “geht” nicht mehr ins Internet. Wir sind heute nicht mehr nicht online. Die Trennung von analog und digital, das Gegeneinander-Ausspielen von analog und digital funktioniert nicht mehr.
Begegnen Sie dieser alten Denkweise in Ihrer Arbeit bei der SPD noch?
Bei der SPD ist das wie im wahren Leben: Es gibt Leute, die sehr viel häufiger und aktiver im Internet sind als andere. Ich zum Beispiel habe Freundinnen, die habe ich bei Twitter kennengelernt. Und solche, die nicht einen einzigen Social-Media-Account haben.
Was sagen Sie den Skeptischen in Ihrer Partei?
Zu einer der größten Aufgaben von Politik gehört es, mit Menschen zu reden und Politik verständlich und erklärbar zu machen. Das heißt, Politikerinnen sollten schon eine gewisse Kommunikationskompetenz haben. Ich bin total überzeugt davon: Es gibt so viel Platz im Internet, dass eigentlich für jeden etwas dabei ist. Es geht überhaupt nicht darum, überall präsent zu sein oder alles zu machen.
Es gibt also kein “Must-Have-Netzwerk” für Politikerinnen?
Nö. Kann jemand vielleicht besonders gut mit Menschen reden – für den gibt es Clubhouse oder Podcasts. Kann jemand tolle, längere Texte schreiben – dann ist vielleicht ein Newsletter oder ein Blog das Richtige. Liegt es jemandem, vor der Kamera zu stehen und Sachen zu erklären – dann sind wir bei Videoformaten. Die Herausforderung ist, herauszufinden: Wie kriegt man jemanden dazu, wirklich Spaß an der Sache zu haben? Dieses “Sich-zwingen” kenne ich noch aus den Urzeiten des Internets, als es galt, Journalistinnen zum Twittern zu bringen, sich zu beteiligen an diesem Internet. Meine Erfahrung ist: Es bringt nichts, Leute zu zwingen. Du musst sie anzünden, sie müssen Bock haben. Das Argument “Wann soll ich das denn noch machen?” hört exakt in der Sekunde auf, in der jemand Spaß an einer Sache hat.
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Wie hoch ist die Bereitschaft von Politikerinnen, sich in Social Media aus der eigenen Bubble zu wagen?
Wir schicken bei Facebook gerade Olaf Scholz auf die Reise: Schau doch mal, welches Thema zum Beispiel bei Spiegel Online gerade viel diskutiert wird – und poste dann da drunter auch einen Kommentar. Komm mit den Leuten ins Gespräch, statt nur im eigenen Feed zu posten. Und das findet Olaf zum Beispiel super.
Und die Kommentare kommen dann wirklich von Olaf Scholz – oder doch eher von seinen Beraterinnen?
Klar, wenn Olaf Scholz bei der Ministerpräsidentenkonferenz ein Handy in der Hand hat, beantwortet er wahrscheinlich gerade Facebook-Kommentare. Nein, Spaß. Natürlich hat er ein Social-Media-Team. Aber nichts wird kommuniziert, ohne dass Olaf es selbst gesehen und freigegeben hat.
Aber selbst posten darf er auch?
Es soll tatsächlich schon Parteivorsitzende gegeben haben, natürlich vor meiner Zeit, denen man den Zugriff auf Twitter oder Facebook entzogen hat, damit sie da nicht wieder wütenden Quatsch schreiben, der einem am nächsten Tag um die Ohren fliegt. Aber Olaf macht einfach selten richtig dumme Sachen.
Steigt im Internet das kommunikative Risiko für Politikerinnen?
Es haben sich natürlich schon Politikerinnen ins totale Elend geritten, weil sie unterschätzt haben, welche Dynamiken wirken, wenn Worte, Aussagen und Bilder teilbar sind. Das Risiko gibt es aber inzwischen auch bei einer analogen Veranstaltung. Wir kennen die Handyvideos von Veranstaltungen kleinster Ortsvereine, bei denen sexistische Witze gemacht werden, die dann irgendwann im Netz auftauchen. Wenn man einfach nichts Dummes sagen würde, wäre das am besten.
Verführen soziale Netzwerke wie Twitter dazu, auch Undurchdachtes rauszuhauen?
Nicht Twitter, sondern das Internet an sich. Die Generation nach mir, diese jungen Leute: Die können so viel besser mit Öffentlichkeit umgehen. Weil sie es gewohnt sind, auf alles unmittelbares Feedback zu bekommen. Die denken viel mehr darüber nach, was das auslösen kann, was sie sagen oder tun. Die Generation vor mir dagegen hat bestenfalls einmal die Woche einen Leserbrief bekommen, den man in den Papierkorb werfen konnte. Und die Zwischengeneration, also meine, die da so reingerutscht ist ins Internet: Wir machen es mal besser, mal weniger gut. Aber es liegt uns nicht im Blut. Und deswegen passieren uns natürlich auch immer noch Fehler.
Haben Sie für Politikerinnen, die sich im Netz unsicher fühlen, irgendeine Guideline – was ist cool, was ist peinlich?
Ich weiß nicht, ob ich da die Richtige bin – mir ist nämlich grundsätzlich sehr wenig peinlich. Es kommt ja auch immer auf die Souveränität an, mit der man eine vermeintliche Peinlichkeit vorträgt. Klar, die Grundregel ist: Benimm dich nicht wie ein Arschloch. Aber dafür sollte man ab einer gewissen Position sowieso ein Gespür haben. Was man den jungen Leuten nicht sagen muss, aber den älteren eben doch noch oft: Sei nicht so verkrampft, lass einfach mal los. Authentizität ist cool, so tun als ob ist peinlo.
Also auch hier: ein Generationen-Unterschied.
Die jungen Leute wachsen auf mit einem Smartphone vor der Nase, die wissen, wie man sich vor der Kamera bewegt, wie man redet. Ich hab auf der Journalistenschule noch Seminare besucht, um das Sprechen vor der Kamera zu üben. Ich weiß noch, wie viel Überwindung mich das gekostet hat. Und ganz viele Politikerinnen und Politiker haben viel, viel längere Zeit nie vor der Kamera sprechen müssen. Da ist es völlig normal, dass das manchmal cringe rüberkommt.
Kann Social Media auch entlarvend sein?
Klar. Bodo Ramelow, der dachte, er kann bei Clubhouse mal aus dem Nähkästchen über Candy Crush plaudern. Oder Robert Habeck, der wutentbrannt in die Handykamera pöbelt, nachdem er Trump reden gehört hat. Dass er wirklich gesagt hat, was er denkt, macht auch irgendwie die Magie dieses Moments aus. Etwas Entlarvendes muss also nicht immer negativ sein. Aber wäre die Kamera fünfmal so groß gewesen und hätte einen “Tagesschau”-Schriftzug getragen, hätte er das anders gesagt.
Hat sich das Verhältnis zwischen Journalistinnen und Politikerinnen durch Social Media gewandelt?
Was sich gewandelt hat, ist die Deutungshoheit. Die hatten Journalistinnen sehr lange und haben sie als sehr selbstverständlich angenommen. Jetzt, wo alle durch die Weite von Social Media Zugriff haben auf ganz viele Inhalte, merken Journalistinnen, dass das, was sie für Erfolg gehalten haben, auch einem Mangel an Alternativen geschuldet war.
Und dann kann jede auch noch selbst eigene Inhalte erstellen.
Genau. Niemand muss mehr stumm zuschauen, wie er angegriffen wird von einem Medium. Sondern kann sagen: Das ist falsch. Das sind ganz viele Journalistinnen nicht gewohnt. Und das macht sie auch richtig wütend. Ich habe das selbst erlebt: Ich war gerade erst ein paar Wochen im Willy-Brandt-Haus, da schrieb der Politik-Redakteur einer eher konservativ ausgerichteten Zeitung über mich als “die Social-Media-Expertin aus dem Boulevard”, die im SPD-Wahlkampf komplett gescheitert sei. Da habe ich dann bei Twitter geantwortet: Also erstens habe ich einen Namen. Zweitens bin ich ausgebildete Journalistin und mein letzter Arbeitgeber war Spiegel Online. Und drittens arbeite ich erst seit sechs Wochen bei der SPD.
Und dann?
Mein Tweet ging viral und es gab viel Support. Als ich diesen Redakteur dann Monate später mal traf, war der so wütend! Und hat gesagt: Sie hetzen uns einen Mob auf den Hals, man darf ja gar nicht mehr schreiben, was man will. Ich musste so lachen. Doch, doch, dürfen Sie! Aber ich darf das halt auch.
Also gilt: Wer die Followerinnen hat, hat heute die Macht?
Nee, überhaupt nicht. Man braucht keine riesige Followerinnenschaft, um diese Umkehr der Machtverhältnisse zu demonstrieren. Das geht auch, wenn man klein anfängt. Rezo hatte gerade die ausreichende Base an
Community, um ernstgenommen zu werden. Oder Fridays for Future: Luisa Neubauer hatte auch nicht von Anfang an 100.000 Followerinnen. Unstrittig ist natürlich: Mit der Reichweite wächst die Macht. Aber das ist eine der ältesten Regeln der Welt: Zeitungen hatten auch deshalb Macht, weil sie das Monopol auf Reichweite hatten. Und das haben sie eben nicht mehr.
Ist Social Media dann das Paradies für Parteien? Weil sie keinen Umweg über Journalistinnen mehr gehen müssen?
Klar gibt es Parteien oder auch Machthaber, die das genau so sehen. Die AfD, die in ihrem Newsroom ihre eigenen Nachrichten macht. Oder Donald Trump, der statt Pressekonferenzen zu geben, lieber getwittert hat. So etwas zum Erfolg zu erklären, halte ich für bedenklich. Der Tatsache, dass die freie Presse eines unserer wichtigsten demokratischen Güter ist, sollte man sich als demokratische Partei verpflichtet fühlen. Das beinhaltet auch Regeln, die man einhalten muss: Dass man nicht an der Presse vorbei kommuniziert, dass es auch weiterhin Interviews, Pressekonferenzen und so weiter gibt.
Aber direkt brauchen würde man als Partei die klassischen Medien eigentlich nicht mehr?
Durch die Algorithmen in Social Media entstehen Echokammern, Bubbles, nennen Sie es, wie Sie wollen. Bei Facebook zum Beispiel ist es für eine Partei mit ihrer offiziellen Seite sehr mühsam, da raus zu kommen. Und für genau sowas braucht man eine Presse. Die erreicht einfach immer noch einen größeren Querschnitt an Menschen, als es eine Partei mit der eigenen Kommunikation je könnte.
Sie nutzen für die Kommunikation der SPD auch Telegram. Das verbinde ich ja zuerst mal mit Attila Hildmann. Wen erreichen Sie da?
Wir waren vor Attila Hildmann bei Telegram, das möchte ich festhalten. Und mit dem Argument von toxischem Hass oder Hetze müssten sich alle Parteien auf der Stelle von Facebook zurückziehen. Die eigentliche Frage ist ja: Wollen wir solchen Leuten das Feld überlassen? Der Messenger ist eine sehr zeitgemäße Form der Kommunikation. Für Leute, die sich ohne viel Aufwand informieren wollen, ist das perfekt. Man muss sich um nichts kümmern, sondern bekommt einfach Push-Nachrichten aufs Handy. Wir waren die erste Partei, die das genutzt hat, um nach einem neuen Prinzip zu kommunizieren: Nicht einfach nur senden, sondern die Leute erstmal fragen, ob sie eine Info überhaupt haben wollen.
Könnten Sie als gelernte Journalistin den Newsroom auch für eine andere Partei leiten?
Naja, ein Handwerk lässt sich ja auf alles übertragen, ob Unternehmen oder Partei. Aber mein Herz schlägt seit zwei Jahren rot.
Ist Social Media eine Chance für die Demokratie – oder eine Gefahr?
Die Frage lässt sich jetzt noch überhaupt nicht seriös beantworten. Ich glaube, man wird das erst wissen, wenn man später auf diese Zeit zurückblickt.
Und nach Ihrem persönlichen Empfinden?
Die besten Dinge in meinem Leben kommen aus oder kamen mit dem Netz. Mit allen Dynamiken, die es dort gibt. Ich bin Netzoptimistin.
Wären Sie ohne Social Media heute noch Journalistin?
Manchmal träume ich davon, wie es wäre, in den 80ern Journalistin gewesen zu sein. Ich säße ein Glas guten Rotwein schwenkend in meiner lichtdurchfluteten Altbauwohnung, würde mir sehr viele Gedanken machen und maximal einen Text in der Woche schreiben, bei dem jedes Komma Poesie ist. Sie merken: Ich habe vielleicht ein etwas romantisiertes Bild vom Journalismus der 80er Jahre.
Hatten es Politikerinnen leichter, als es Social Media noch nicht gab?
Genauso wie die Leserinnen sind die Bürgerinnen lauter geworden und kritischer durch die Macht, die das Netz ihnen gibt. Sie sind unbequemer als früher. Die Frage ist: Ist das eine schlechte Nachricht? Ich glaube: Nein.
Wieso nicht?
Es war nie leichter, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, einen Dialog zu führen, Menschen von meiner Arbeit oder meiner Politik zu überzeugen. Und wenn man diese Möglichkeiten nutzt, egal ob als Journalistin oder Politikerin, hat man das Netz verstanden.