“Gedruckte Magazine haben etwas herrlich Sinnliches” – Christoph Schwennicke über Print-Liebe, Online-Journalismus und die Aussichten fürs LSR.
7. Dezember 2023
Recherche und Reichweite:Christoph Schwennicke ist der prominenteste Journalismus-Rückkehrer des Jahres. Nach fast zwei Jahren als Co-Chef der Verwertungsgesellschaft Corint Media steht er heute an der Spitze des Politik-Ressorts von T-Online. Im Interview bewertet er seine Bemühungen um die Durchsetzung des Leistungsschutzrechtes gegen die US-Tech-Riesen und bedauert, dass es ihm nicht gelungen ist, “die großen Medienhäuser jenseits von Springer mit an Bord zu holen”. Und er erklärt seine Arbeit bei T-Online: Bei dem Reichweiten-Riesen müsse man ständig “das Feuer schüren”, seine Aufgabe sei es, “Holzscheite in diesen Ofen zu geben, die vielleicht etwas länger brennen”. Das Werk seiner Nachfolger bei “Cicero” betrachtet der frühere Verleger des konservativen Magazins mit Liebe zu Print – Noten will er allerdings nicht vergeben.
Christoph Schwennicke, Sie waren lange Journalist, u.a. Chef des “Cicero”, dann Medienmanager bei der Verwertungsgesellschaft Corint Media, nun wieder Journalist bei T-Online. Eine Rückkehr zu Ihren Wurzeln?
Ich bin mit jeder Faser Journalist. Insofern ist das einfach nur die Fortsetzung meiner originären Leidenschaft. Ich habe mit dem Schreiben auch nie aufgehört, sondern immer ein Standbein und ein Spielbein behalten. Standbein war in meinen beiden Jahren bei Corint – um dort etwas für die Branche zu tun. Ich hatte in dieser Zeit aber auch mein Spielbein bei T-Online. In erster Linie mit meiner 14-tägigen Kolumne, was mir große Freude gemacht hat.
In den vergangenen eineinhalb Jahren ist viel passiert: Wir haben eine Regierung, die immer mehr Boden verliert, der rechte Rand ist so stark wie nie, die Linke zerfleddert. Was macht Ihnen, gesellschaftlich betrachtet, Sorgen?
Puh, viel. Also ich habe es noch nicht erlebt, dass eine Regierung in so kurzer Zeit so tief in Kalamitäten gekommen ist. Jetzt muss man fairerweise sagen, ich habe auch noch nicht erlebt, dass solche extremen Umstände zusammengekommen sind: Eine Pandemie, die die Welt noch nie gesehen hat. Kriege, wie sie die Welt auch lange, lange nicht gesehen hat. Zudem ist bei unserer Regierung zusammengefügt, was nicht zusammenpasst. Ich hatte das am Anfang auch falsch eingeschätzt.
Gibt es auch etwas, das Ihnen Hoffnung macht?
Ich glaube, dass wir in der Corona-Zeit eine sehr, sehr große gesamtgesellschaftliche und auch politische Leistung erbracht haben. Auch, wenn es manche gab, die ein bisschen ausgeschert sind. In Anbetracht dieser Umstände, finde ich, hält sich die Radikalisierung noch einigermaßen in Grenzen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten und allen Kontroversen gibt es noch immer einen demokratischen Grundkonsens.
Dennoch ist der rechte Rand so stark wie noch nie, zumindest in den Zahlen, die die Umfragen aktuell geben.
20 % für die AfD sind natürlich viel zu viel. Zumal, wenn man beobachtet, wie sich diese Partei über die letzten Jahre entwickelt hat. Sie hat sich immer mehr radikalisiert und ist inzwischen in weiten Teilen offen rechtsextrem. Aber die AfD nährt sich natürlich vor allem vom Thema Migration. Ich glaube, wenn man da zu einer besseren Ordnung findet, was sich die Regierung ja zumindest vorgenommen hat, dann wird die Zustimmung auch wieder sinken. Und ich glaube auch, wenn Sahra Wagenknechts Partei tatsächlich Fuß fasst, dann können da auch noch Wählerstimmen hingelenkt werden.
Welche Verantwortung haben aus Ihrer Sicht die Medien für die Stimmung im Land?
Eine außerordentlich Große. Wobei natürlich die Gatekeeper- und auch die Kuratoren-Funktionen der Medien nicht mehr so stark sind, wie sie es mal waren. Trotzdem glaube ich, dass es immer noch einen großen Impact hat, wenn zum Beispiel ein Magazin wie der “Spiegel” titelt “Absturz eines Besserwissers” mit diesem emblematischen Foto eines verloren wirkenden Bundeskanzlers Olaf Scholz mit seiner Ledertasche. Umso wichtiger ist es, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden.
Sie hatten in den vergangenen Jahren bei Corint Media einen sehr politischen Job. Ihr Ziel war nicht weniger, als das Leistungsschutzrecht gegen die Tech-Riesen in den USA durchzusetzen. Sie haben Google eine Rechnung von 420 Millionen Euro geschrieben, bekommen haben Sie 3,2 Millionen jährlich. Wie fällt Ihre Bilanz aus, wenn Sie auf diese Zeit zurückblicken?
Diese 420 Millionen Euro waren so gesetzt, als ich angefangen habe. Es hieß, wir müssen so hoch ansetzen, denn sobald wir davon Abstriche machen, werde uns das vor Gericht vorgehalten. Man muss auch dazu sagen: Die 420 Millionen Euro waren bezogen auf das gesamte Portfolio in Deutschland. Corint vertritt aktuell etwa ein Drittel davon. Allerdings steht die von Ihnen zitierte Summe natürlich überhaupt nicht da, wo sie hingehört. Sie müsste – siehe gerade erst Kanada – satt zweistellig, eher dreistellig sein. Da hoffe ich sehr auf die Schiedsstelle, die darüber jetzt zu befinden hat.
Hat es Sie wütend gemacht, dass einige Verlage, ich sage mal, eingeknickt sind und am Ende Deals mit Google und Co gemacht haben?
Wütend nicht, aber enttäuscht: Sie erinnern sich, dass zu Beginn meiner Tätigkeit bei Corint der Deal zwischen Springer und Facebook News bekannt wurde. Dass Springer als einer der Hauptakteure bei Corint der Versuchung erlegen war, fand ich natürlich enttäuschend. Allerdings ist Facebook jetzt auch gar nicht mehr so entscheidend, weil es sich aus der Verbreitung publizistischer Inhalte weitgehend zurückgezogen hat.
Wie hoch war der Druck durch die Verlage auf Ihre Arbeit?
Die Corint-Verlage haben keinen Druck gemacht. Sondern hatten berechtigte Erwartungen. Der Druck kam vielmehr insofern zustande, als es mir leider nicht gelungen ist, die großen Medienhäuser jenseits von Springer mit an Bord zu holen. Das habe ich mir selbst vorzuwerfen und tue das auch. Denn diese großen Verlage sind aber systemrelevant. Das weiß Google natürlich und hat diesen Medienhäusern besonders leckere Angebote gemacht. Ich würde sagen, es war immer noch nicht so lecker, wie es eigentlich hätte sein können auf Grundlage des Presseleistungsschutzgesetzes. Aber Geschäftsführer von Verlagen planen vielleicht eher mittelfristig als langfristig. Und da sah so ein Deal erstmal lukrativ aus. Das hat mir die Arbeit tatsächlich erschwert.
Wie können wir uns eine Verhandlung mit einem Riesen-Konzern wie Google vorstellen? Haben Sie sich ernstgenommen gefühlt?
Ja, absolut. Google wusste schon, dass es relevant ist, dass wir zusammen was hinbekommen.
Corint Media wird 2001 als VG Media gegründet. Das Unternehmen nimmt Urheber- und Lizenzrechte für aktuell mehr als 500 Medien wahr, darunter alle privaten TV- und Radiosender in Deutschland sowie zahlreiche Zeitungsverlage und Digitalangebote. Corint Media gehört anteilig 24 Gesellschaftern aus der Medienbranche – von Antenne Bayern über Axel Springer bis hin zur Zeitungsgruppe Ostfriesland. Wichtigste Mission der Corint Media ist die Durchsetzung des neuen Leistungsschutzrechtes gegen die Tech-Riesen in den USA.
Bei T-Online arbeiten Sie rein im digitalen Raum. Sind Sie froh, dass Sie die Hürden der Haptik hinter sich gelassen haben?
Ich finde nach wie vor, dass gedruckte Magazine etwas herrlich Sinnliches haben. Und ich glaube, dass Magazine wie “Monopol” oder “Cicero” das Vinyl des 21. Jahrhunderts sind. Sie werden vermutlich immer auch auf Papier erscheinen. Aber das Rascheln des Tageszeitungspapiers wird es so wahnsinnig lange nicht mehr geben.
Bei T-Online verantworten Sie seit September die Exklusiv-Berichterstattung in der Politik. Wie muss ich mir das vorstellen? Findet man Sie dieser Tage häufig in politischen Hintergrundrunden?
Ich verstehe mich eher als Dirigent. Teil meines Ressorts ist ein Hauptstadtbüro. Dazu kommen drei investigative Kollegen, die über Deutschland verteilt sind. Außerdem ein Auslandskorrespondent in den USA und ein Kollege, der in erster Linie Zeitgeschichte macht. Als ich meine Antrittsrede vor meinen neuen Kolleginnen und Kollegen gehalten habe, habe ich gesagt, wir sind so ein bisschen wie die Manufaktur in der Fabrik. Anders gesagt: Bei einem Reichweitenportal muss man permanent das Feuer schüren, damit der Ofen nicht ausgeht. Unsere Aufgabe ist es, Holzscheite in diesen Ofen zu geben, die vielleicht etwas länger brennen.
Wie halten Sie es mit dem Spannungsfeld Nähe und Distanz zur Politik? Wie viel Nähe braucht man für exklusive News?
Das ist eine Schlüsselfrage des politischen Journalismus. Man muss Nähe erzeugen, um gute Informationen zu bekommen. Zugleich muss man die Distanz wahren. Und Journalisten sind auch Menschen. Du hast also Sympathien und nicht so starke Sympathien. Auch, wenn du sie natürlich nicht erkennbar werden lassen solltest. Das ist die ganz hohe Kunst. Für mich war der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe immer ein Lehrbeispiel. Ich war bei der “Süddeutschen Zeitung” unter anderem für Sicherheits- und Verteidigungspolitik zuständig und hatte dann natürlich viel mit ihm zu tun. Er war ein Politiker, der mir deswegen imponiert hat, weil man mit ihm auch hart und kritisch umgehen konnte. Er wusste: Das ist Teil des Jobs.
Wie unterscheidet sich der Journalismus bei einem rein werbefinanzierten Online-Medium zu von Ihren bisherigen Jobs? Mussten Sie Dinge neu lernen?
Es ist vieles anders. Die Beschleunigung und der Takt sind enorm. Und natürlich sind auch die Gesetzmäßigkeiten eines Reichweitenportals ganz eigene. Zumal du ja jederzeit wissen kannst, was funktioniert und was nicht. Ich muss akzeptieren, dass das, was bei mir am besten funktioniert, nicht repräsentativ für Millionen von Nutzerinnen und Nutzern da draußen ist.
T-Online ist in den vergangenen Jahren vom reinen Aggregator und Portal mit Agentur-Meldungen zu einem echten Nachrichtenportal mit starker Redaktion und starken Namen geworden. Wo geht die Reise noch hin?
Genau weiter in diese Richtung. Das war für mich auch ein Grund, zu sagen, da möchte ich gerne meinen Teil dazu beitragen.
Soll T-Online irgendwann in einem Atemzug mit “Spiegel” oder “SZ” genannt werden? Oder doch eher mit “Bild” und Focus Online?
Ich finde schon, dass der Qualitätsjournalismus immer der Maßstab sein muss. T-Online mag als Qualitätsportal keine so lange Tradition wie “Spiegel” oder “SZ” haben, aber mein Eindruck ist: Politikerinnen und Politiker wissen schon sehr genau um die Kraft, die dieses Portal inzwischen hat.
Vor allem durch die enorme Reichweite?
Durch die verlässlichen Qualitätsstandards und durch die Reichweite. Ganz klar. Natürlich ist es zum Beispiel auch für die Social-Media-Manager von Friedrich Merz nach einem T-Online-Interview ganz praktisch, wenn man unsere Artikel hinterher auf den diversen Kanälen verteilen kann und die Leute nicht vor einer Paywall stehen bleiben. Hinzu kommt unser Public-Video-Netzwerk im öffentlichen Raum.
Die Marke T-Online geht auf den Onlinedienst der Telekom, BTX, zurück. 1995 wird dieser in T-Online umbenannt, im selben Jahr startet die Website als Landing-Page für die E-Mail-Dienste der Telekom, nebst redaktionellem Nachrichten-Angebot. 2015 übernimmt der Außenwerber Ströer die Website, holt die Redaktion nach Berlin und baut das redaktionelle Angebot stark aus. Heute entsteht t-online.de in einer Zentralredaktion in Berlin, seit 2017 unter Leitung des früheren Spiegel-Online-Chefs Florian Harms. Das Portal kommt im Internet und auf den Public-Video-Screens von Mutterkonzern Ströer auf 47 Mio Nutzende pro Monat in Deutschland.
Sie standen fast ein Jahrzehnt lang an der Spitze des eher konservativen Magazins “Cicero”. Haben Sie noch einen Blick auf die Arbeit Ihrer Nachfolger?
Gelegentlich, aber ich schaue jetzt nicht mehr so intensiv wie zu meiner aktiven Zeit. Jetzt mache ich jeden Morgen als erstes T-Online auf. Dort geht es mir zuerst um die Inhalte. In der Konferenz beschäftigen wir uns neben den Inhalten dann auch mit den Zahlen.
Nochmal kurz zu “Cicero”: Wie beurteilen Sie das Magazin heute?
Ich habe keine Einblicke mehr in die Arbeit und möchte da keine Noten verteilen. Die Zahlen, soweit sie öffentlich sind, sehen jedenfalls solide aus. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen, dass das so bleibt.
Ist die Medienlandschaft Ihrer Meinung nach ausgeglichen genug? Oder braucht es mehr konservative Stimmen, wie man sie unter anderem in “Cicero” lesen kann?
Es kommt immer darauf an, wie konservativ. Ich habe Schwierigkeiten damit, wenn es reaktionär wird, und da sind ein paar Publikationen unterwegs, die ich so beschreiben würde – und das ist nicht nur “Compact”. Aber es scheint wohl einen publizistischen Markt dafür zu geben – Stichwort AfD. An so einem Produkt mitzuarbeiten, könnte ich vor mir selbst nicht verantworten.
Dieses Interview ist Teil der Agenda-Wochen 2024. Bis 17. Dezember blickt turi2 in Interviews, Podcasts und Gastbeiträgen zurück auf 2023 und voraus auf 2024.