Tatjana Kerschbaumer über den stillen Protest gegen Leistungsdruck und Selbstoptimierung
“Mal meine Möpse aus!” – In der wunderbaren Welt der Ausmalbücher wirbt der riva Verlag mit diesem “Malbuch für Männer” um Aufmerksamkeit bei “kulturinteressierten Herren”. Der eckige Kubismus sei auf die Dauer eben etwas anstrengend für maskuline Künstleraugen. Zur Kur empfiehlt der Verlag die üppigen Oberweiten von Cheerleaderinnen oder Sekretärinnen, “stundenlanger Ausmalspaß” garantiert. Nein, “Möpse” ist kein Synonym für Loriots Lieblingstiere.
Lange Zeit waren Malbücher Kindergartenkindern vorbehalten. Gut – vielleicht nicht gerade die Mops-Version. Aber Zwerge, Tiere, Bäume und Blumen durften bedenkenlos eingefärbt werden. Schlief das Kind endlich, gab es angeblich Eltern, die sich heimlich an den Malbüchern ihrer Bens und Mias vergriffen, selbst kritzelten und schraffierten. Am nächsten Morgen trug das Rehkitz auf Seite siebzehn bereits ein perfektes, hellbraunes Faber-Castell-Fell. Ben und Mia mussten sich künstlerisch mit dem Gras zu seinen Hufen begnügen.
Experten glauben zu Recht, dass Erwachsene mindestens genauso gerne ausmalen wie Kinder. Aber nur die Wenigsten trauten sich bisher, das zuzugeben: Ausmalen schien schlicht keine adäquate Beschäftigung für Menschen zu sein, die ansonsten mit 10-Stunden-Tagen die Leistungsgesellschaft am Laufen halten. Die meisten Erwachsenen definieren sich strikt über ihre Ziele und beruflichen Erfolge, manche immerhin noch über Kreativität. Doch als kreativer, bildender Künstler gilt, wer malt wie Picasso. Oder wenigstens kleckst wie Pollock. Nicht jemand, der in seiner Freizeit Mandalas koloriert.
Trotzdem gibt es Ausmalbücher für Erwachsene schon seit einigen Jahren. Das männertaugliche Mops-Modell von riva kam zum Beispiel bereits 2013 auf den Markt – zwei Jahre, bevor der große Hype um Malbücher für Erwachsene ausbrach. Auch Fans von bestimmten Fernsehserien können ihren Idolen schon seit einiger Zeit Farbe ins Gesicht zaubern. Besonders gut verkauft haben sich die Malbücher zur HBO-Saga “Game of Thrones”.
Doch hier lag das Problem: Abgesehen von Büchern, die als Fan-Produkte in der “Nerd-Ecke” verschwanden und Werken, die für Junggesellenabschiede taugen, gab es wenig. Die Mandala-Vorlagen und wenigen, anspruchsvollen Ausmalbücher, die es bereits gab, taten sich schwer. Gekauft wurden sie nur sehr selten, oder, wie eine Verkäuferin im Verschwörerton mitteilt: “Nur von so Langhaarigen.” Gemeint waren Kunden mit Interesse an Esoterik.
“Der richtige Durchbruch kam erst durch das Anti-Stress-Versprechen”, sagt Marielle Enders, die als freie Illustratorin unter anderem für den Christopherus-Verlag arbeitet – und auch die Ausmalbilder für die „turi2 edition“ gestaltet hat. “Gut, man könnte sich vielleicht auch beim Häkeln entspannen. Aber es geht vor allem darum, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren und diese ganz bewusst zu machen. Zeichnen und Ausmalen hat eine gewisse Rhythmik, und die Farben haben natürlich auch ihre ganz eigene Wirkung”.
Indem die Verlage ihre Marketing-Strategien darauf ausgelegt haben, Malbücher als die neuen Blitzableiter einer überforderten, gestressten Welt zu präsentieren, öffneten sie die Tür zu einem Millionenmarkt. Die Deutsche Presse-Agentur schreibt, Malbücher für Erwachsene seien “ein farbenfroher Protest gegen Leistungsdruck, Selbstoptimierung und permanente Online-Präsenz”. Sogar das “manager magazin” preist Ausmalbücher als “Flucht in die Farbe” für Konzernvorstände an, falls der Aktienkurs schwächeln sollte. Malbücher sind das neue Valium, der neue, tiefe Schluck aus dem Flachmann. Beruhigend. Schick und trendy noch dazu.
Bis heute am meisten davon profitiert hat die Schottin Johanna Basford. Ihre beiden Bücher “Secret Garden” und “Enchanted Forest” waren derart erfolgreich, dass die Illustratorin ihnen “Lost Ocean” folgen ließ. Alleine Band 1, “Secret Garden” hat sich bis heute über 1,4 Millionen mal verkauft und gilt als Keimzelle aller weiteren Ausmalbücher, die sich mit Hilfe von Blüten, Ornamenten und Tieren verkaufen. Illustratorin Marielle Enders glaubt, dass solche Motive am beliebtesten sind. Ihre Kollegin Millie Marotta hat im Christopherus-Verlag daher “Fantastische Tierwelt” veröffentlicht. Unterzeile, selbstverständlich: “Ein Ausmalbuch zum Entspannen”.
“Wir sind heute ständig irgendwelchen Kommunikationsanforderungen ausgesetzt, immer blinkt oder surrt etwas”, sagt Enders. “Nur der Kontakt zu sich selbst geht mehr und mehr verloren.“ Malbücher könnten helfen, Batterien wieder aufzuladen und gehetzte Digital-Junkies zu erden. “Die Kleinteiligkeit der Bilder zwingt einen dazu, sich nicht ablenken zu lassen”, sagt Enders. “Das wirkt ein bisschen wie eine Meditation.“ Tiefenentspannung, die aber meist nur begrenzt anhält. Zumindest in den USA ist es ein riesiger Trend, seine schönsten Ausmalwerke auf Facebook oder Twitter zu präsentieren. Welcher Märchengarten ist farbiger? Konkurrenz- und Leistungsdenken verschwinden eben doch nicht so schnell im Farbenstrudel wie erhofft.