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turi2 edition #17: Philipp Westermeyer über Chancen und Nebenwirkungen der Digitalisierung.

16. April 2022

Hoch hinaus: Philipp Westermeyer, Digital-Tausendsassa, erfindet fast zufällig das OMR Festival und professionalisiert das Podcasten in Deutschland. Nun reanimiert er den Hamburger Fernsehturm – zunächst mit ordentlich Investitionen, später dann mit Veranstaltungen und Social Media. Im großen Interview in der turi2 edition #17 spricht er über die Widerstandsfähigkeit der Event-Branche, seine persönliche Affinität zu Print-Medien – und seine Höhenangst.

Von Peter Turi (Text) und Johannes Arlt (Fotos)

Philipp, bist du eigentlich schwindelfrei?

Ne, ich hab tatsächlich etwas Höhenangst. Und leider auch ein bisschen Flugangst.

Dann müsste dir ja auch schwindlig werden, wenn du hier von der Aussichtsplattform des Hamburger Fernsehturms auf 130 Meter Höhe runterguckst.

Hier ist die Höhenangst nicht so intensiv, denn hier sind echt viel Beton und dicke Fenster. Ich nehme das mal als gutes Omen.

Wird es dir nicht auch manchmal schwindlig, wenn du auf deine Karriere guckst? Du hast als kleiner Vorstands-Assistent angefangen beim damaligen Gruner + Jahr-Chef Bernd Kundrun. Heute hast du 230 Mitarbeiter und expandierst weiter. Keine Angst, mal abzustürzen?

Viele Unternehmer sind diesbezüglich ja paranoid, ich auch etwas. Wir haben in den letzten Jahren mit Corona und Co auch viele Rückschläge erlebt. Gleichzeitig rechnen wir immer vorsichtig durch, was wir tun und schauen im Team aus unterschiedlichen Perspektiven drauf, ich bin dann überwiegend entspannt.

Wir befinden uns hier im Turm in Räumen, die seit Jahren leerstehen und etwas heruntergekommen sind. Die willst du künftig als Location betreiben. Was siehst du, was andere nicht sehen?

Viel Hamburger Tradition und Nostalgie. Und die Chance, etwas sehr Wirksames, Neues zu bauen. Wir glauben, so ein einmaliger Turm in Hamburg in dieser Lage mit so einer Historie ist selbst fast eine Art Medium, das man immer neu aktivieren kann, insbesondere über Events und Social Media. Das wird sich rechnen – dank Gastro, Event-Flächen, Kollaborationen und einfach großem Interesse.

Die beiden unteren Etagen des Heinrich-Herz-Turms soll Event- und Digitalspezialist Philipp Westermeyer als Mit-Pächter aus dem Dornröschenschlaf erwecken. Zum Umbau wollen Bund und Stadt Hamburg je 18,5 Millionen Euro beisteuern

Wann steigt hier die Eröffnungsparty?

Hoffentlich 2024! Wirklich genau planen kann man das leider nicht, der Umbau ist kompliziert.

In Zeiten immer neuer Covid-Mutationen: Hat das Event-Business noch eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Trotz virtueller Konferenzen, Clubhouse und Metaverse: Am Ende hat die Pandemie gezeigt, dass das Zusammentreffen an einem realen Ort zu einem tollen Event durch nichts zu ersetzen ist. So hart, wie das Event-Business getroffen wurde, so robust hat es sich gezeigt.

Du hast in einen Abgrund geschaut, als 2020 Corona dein OMR Festival gestoppt hat. Du hattest Millionen investiert in ein Event, an das plötzlich nicht mehr zu denken war. Hattest du da Angst?

Angst nicht. Geld zu verlieren ist nie schön, aber wir hatten einen Puffer und ein super Team. Ich hatte immer Vertrauen, dass wir da schon durchkommen.

Was hat dich gerettet?

Wir hatten Glück im Unglück. So komisch es klingt: Das Übel hat uns zur richtigen Zeit erwischt. Wir hatten die Marke aufgebaut, zigtausende Leute hatten das OMR Festival schon erlebt und eine konkrete Erinnerung daran. Und wir hatten andere Geschäftsbereiche recht weit entwickelt, insbesondere Podcasting und Education. Dazu sind wir als Firma immer noch jung und agil genug, um schnell reagieren zu können.

Wenn du hier von der Aussichtsplattform des Hamburger Fernsehturms auf 130 Meter Höhe über die Stadt guckst, was siehst du dann?

Meine zweite Heimat. Ich kenne die Stadt so gut mittlerweile und verbinde mit vielen Straßen oder Orten eine Geschichte. Es ist gefühlt keine Großstadt mehr, sondern ein großer Spielplatz, auf dem ich häufig mit dem Fahrrad rumfahre.

Und die Geschäftschancen für den Unternehmer Westermeyer liegen auf der Straße?

Nichts liegt auf der Straße, aber es ist etwas leichter geworden, neue Sachen hinzubekommen. Die ersten Jahre musste ich mich mit meinen Partnern erstmal ins Unternehmerleben reinkämpfen. Wir hatten nicht sofort große Hits, sondern etwas kleinteiligere, aber profitable Projekte. Mittlerweile kann man mit dem Team und der Marke OMR schon viel machen.

Wie merkst du, das ist eine gute Idee – und das nicht?

Mit so ganz großen Ideen, wo jahrelange Forschung oder Anlaufverluste gefragt sind, bin ich unerfahren. Ich bin eher der Typ, der eine kleine oder mittlere Chance sieht und auf dem Bierdeckel durchrechnet. Und der, wenn es dann gut läuft, Ideen hat, wie man es erweitern könnte.

Kann man da hinten den Baumwall erkennen? Am Baumwall 11 hast du 2001 angefangen, als Gruner + Jahr noch ein stolzes Zeitschriftenhaus war. Die grünen Fahnen werden bald eingerollt, von Gruner + Jahr bleibt nicht viel übrig. Hättest du einen solchen Abstieg vor 20 Jahren für möglich gehalten?

Nein, das war damals nicht vorstellbar. Gruner + Jahr war gefühlt der attraktivste und einer der angesehensten Arbeitgeber der Stadt. Ich war sehr stolz, dort mitmachen zu dürfen und ich dachte, dass ich dort viele Jahre bleiben würde.

Im Nachhinein: Was lief schief bei Gruner + Jahr?

Gruner + Jahr war in der New-Economy-Welle zur Jahrtausendwende super positioniert: Sie hatten Geld, starke Marken, eine frühe digitale Expertise bis hin zur eigenen Suchmaschine Fireball. Als die Dotcom-Blase geplatzt war, überwog vor allem bei den Gesellschaftern die Skepsis gegenüber dem Internet. Und es gab andere Themen, in die Geld investiert werden musste. Ich habe das zwar nicht unmittelbar miterlebt, kann es aber nachvollziehen.

Hat Mathias Döpfner es für Springer besser gemacht?

Döpfner hat es sehr gut gemacht. Er hat zum Beispiel bei Stellenmärkten europaweit erfolgreich akquiriert. Vermutlich dürften Stepstone und Co aktuell mehr wert sein, als es das alte Axel Springer rund um Printmedien je war. Aber Döpfners Ausgangsposition war eine bessere: Er konnte sehr mutig investieren und hat dabei viele Treffer gelandet.

Was bleibt von den klassischen Zeitschriften und Zeitungen?

Vor allem deren digitale Ableger. Ich glaube, dass Marken wie “Spiegel” und “Bild” im Internet bald gutes Geld verdienen werden. Um diese starken Marken herum wird es profitable Geschäfte geben. Aber klar: Die Zeiten der Monopolrenditen sind unwiderruflich vorbei.

Liest du noch Print – und die Leute aus deinem sehr jungen Team?

Ich auf jeden Fall. Ich hab die “Süddeutsche Zeitung” und “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” abonniert, kaufe mir regelmäßig den “Spiegel” und das “Manager Magazin”, gern auch “11 Freunde” und “brand eins”. Zuletzt hab ich mir für einen langen Flug sogar eine “Geo Epoche” über Ritter im Mittelalter geholt. So viel Print lesen vermutlich die wenigsten Kollegen von OMR. Aber immerhin: Mein Sohn hat sich das Ritter-Heft lange angeschaut.

Wer sind die Verlierer der Digitalisierung?

Alle klassischen Medien ein bisschen, und vermutlich die Zeitungen und Zeitschriften am meisten. Allein bei den Kleinanzeigen sind massive Summen weggebrochen. Kurz bevor ich zu Gruner + Jahr kam, wurde die “Mopo” in Hamburg verkauft. Es lagen noch Unterlagen rum, die habe ich mir aus Neugier angeschaut. Und was soll ich sagen? Allein aus den ganz normalen, täglichen Anzeigen der Prostituierten im hinteren Teil der Zeitung hätte man als Verleger damals Straßenzüge kaufen können.

Was rätst du jungen Menschen, die in den Journalismus wollen?

Sofort bei Twitter oder Instagram anfangen. Nirgendwo kann man sich schneller ausprobieren, sich vernetzen und erlebt Feedback aus der jeweiligen Szene. Oder bei einer lokalen Medienmarke einsteigen. Das war immer ein guter Weg und müsste auch heute noch gehen. Bei mir ist die Sportredaktion der “WAZ” in Essen bis heute unvergessen.

Sollen junge Leute lieber Influencer werden?

Der Begriff Influencer ist ja mittlerweile sehr breit gefächert. Ökonomisch erfolgreicher Influencer zu werden, ist nicht einfach und grundsätzlich ein anderer Job als Journalist. Man muss wissen, was man möchte. Wenn es vor allem ums Geld geht, ist bei vergleichbar erfolgreichen Karrieren der wirtschafliche Erfolg als Influencer sicher größer.

Welche Fähigkeiten werden in der digitalen Welt gebraucht?

Code schreiben vor allem, digitale Produkte konzeptionieren und entwickeln. Mit diesen beiden Fähigkeiten allein kannst du aktuell in Deutschland tausende gut bezahlter Jobs übernehmen.

Hamburg liegt ihm zu Füßen: Philipp Westermeyer im Stockwerk 13 des Hamburger Fernsehturms, in dessen Drehrestaurant Gäste von 1968 bis 2001 den Blick aus 130 Metern Höhe genießen konnten

Wie verändert die Digitalisierung das Marketing?

Es wird schneller, es verschiebt sich auf andere Plattformen, die Output-Frequenz wird viel höher. Die Notwendigkeit einer differenzierten Botschaft wird größer. Es wird in Teilen auch teurer, insbesondere im Vergleich zu den Media-Preisen in den Neunziger Jahren. Im Vergleich zu damals ist Marketing durch die Digitalisierung eigentlich ein anderer Beruf.

Welche Fähigkeiten werden künftig gebraucht?

Das Pendel schwingt zurück zu kreativen Ideen und Geschichten – und weg von der reinen Performance. Aber die Umsetzung ist eine ganz andere.

Wie digital erziehst du eigentlich deine Kinder? Aus dem Silicon Valley hört man, dass die Macher der Social Networks ihre Kinder von Smartphones und Social Media möglichst lange fernhalten wollen.

Ich glaube, das ist ein Mythos, der im Silicon Valley auf wenige Familien zutrifft. Ich zeige meinen Kinder vieles und lasse sie die digitale Welt kontrolliert kennenlernen. In der Social-Media-Welt zurecht zu kommen, wird für sie unerlässlich sein.

Du bist erfolgreich im Podcast-Business. Was ist dein Erfolgsrezept? Wie wichtig war der frühe Start?

Es hat brutal geholfen, dass wir angefangen haben, als der Markt hier noch sehr klein war. Dank des frühen Einstiegs sind OMR, unsere Tochter Podstars und ich persönlich in der Wahrnehmung vieler Leute eng mit dem Medium Podcast verbunden. So etwas kann man später kaum noch nachholen. Ansonsten würde ich sagen: Es hilft die echte Leidenschaft für mein Thema, also Menschen und deren wirtschaftliche Abenteuer und Karrieren. Was außerdem hilft: viel Output.

Dein Stimme kann das Erfolgsgeheimnis ja nicht sein. Du bist stimmlich eher so der freundliche Praktikant als Mr. Voice.

Haha, ok, fair. Die Stimme ist es vermutlich nicht allein – du musst schon ehrlich und glaubwürdig versprühen, dass das Thema dein Thema ist.

Könnte man bei dir nicht mit Stimmtraining was machen?

Vielleicht geht dabei eher was kaputt. Ich hab’s mal probiert, mit Korken im Mund sprechen und so. Ich glaube, ich komme da nicht mehr viel weiter.

Personality schlägt Perfection?

Zu 100 Prozent!

Wird Podcasten Big Business – oder nur eine weitere umkämpfte Mediengattung, in der nur schwer Geld zu verdienen ist?

Wo fängt Big Business an? Schon heute gibt es zahlreiche Podcaster, die mit ihren Formaten Millionen erwirtschaften. Ich bemühe mich, da auch dazuzugehören.

Glaubst du an Paid Podcasts?

Nur in sehr speziellen Nischen. Vielleicht Erotik, Astrologie, Aktien, wie immer eigentlich.

Ist Werbefinanzierung der Königsweg?

Auf absehbare Zeit: ja. Die Werbewirkung ist so stark, warum sollte man die gerade jetzt in der nach wie vor frühen Phase wegwerfen?

Welche Rollen werden Podcasts als PR- und Marketing-Instrument spielen?

Die wird immer größer. Wenn ich alleine sehe, wie aktiv und bewusst CEOs in großen Podcast-Formaten platziert werden. Das wird für viele Firmen ein ganz starker Kommunikationskanal – sowohl der Auftritt in Podcasts als auch eigene Formate.

Von der klassischen Trennung aus Redaktion und Werbung hältst du nicht viel, oder? Bei dir ist irgendwie alles Marketing.

Doch, ganz klar, die Trennung finde ich nach wie vor richtig. Aber die Abgrenzungen verlaufen in einigen Bereichen, in denen ich unterwegs bin, anders. Bei Podcasts sind vom Host eingesprochene Werbehinweise international üblich. Das sortiert sich da aktuell anders, ohne der Trennung zu widersprechen. Das wird von den Nutzern entsprechend erkannt. Bei Events und der Bestückung von Bühnen zum Beispiel gibt es wieder andere Grenzen, denn häufig stellen Werbepartner im B2B-Bereich ja tatsächlich auch relevante Experten. Ich traue unserer Zielgruppe natürlich auch leichter zu, die Grenzen zu erkennen, es ist ja eine sehr mediengeschulte und erwachsene Zielgruppe. Aber natürlich probieren wir neue Dinge aus und liegen damit nicht immer richtig.

Wen würdest du für deinen Podcast noch gern interviewen?

Gerne Reinhold Würth und Stefan Raab. Für die Reichweite wäre sicher Elon Musk ganz okay. Aber über den weiß man schon fast alles aus anderen Podcasts.

Wer sollte podcasten, tut’s aber noch nicht?

Ich glaube im Bereich der prominenten Persönlichkeiten sind wir da in Deutschland mittlerweile recht weit.

Na, einen oder eine wird’s doch geben, den oder die du gern überreden würdest.

Fynn Kliemann hab ich schon oft gefragt. Sein Podcast wäre sofort einer der größten in Deutschland. Die Passung zwischen dem Medium und seiner Community ist enorm. Er könnte im Jahr eins mit einem Podcast Millionen-Umsätze machen. Er will aber nicht.

Im Digitalbusiness ist der eigene Newsletter die neue Homepage – fast jeder hat einen. Eines der ältesten digitalen Medien erlebt einen neuen Höhenflug. Zu Recht?

Absolut zu Recht. Wo sonst gibt es die Chance, eine einmal erarbeitete Adresse, also einen grundsätzlich interessierten Menschen, kostenlos immer wieder zu erreichen? Newsletter ist ja sehr eng verbunden mit dem CRM, also mit einer gut gepflegten, lebendigen Kundendatei. CRM richtig gemacht ist die Königsdisziplin in Marketing und Journalismus.

Sind Spenden die Zukunft für den Journalismus? Werden Journalistinnen Teil der Creator Economy?

Sie werden mit Patreon und weiteren Bezahlservices sicher ein Baustein in vielen Bereichen. Es wäre aber hart, wenn es der wichtigste oder sogar einzige Baustein wäre.

Mir ist aufgefallen, dass du ein ziemlich guter Journalist sein kannst, wenn du willst. Du kannst hartnäckig fragen. Was ist die originellste, noch nie gestellte Frage an Philipp Westermeyer?

Danke fürs Lob! Diese Frage an mich wäre: Gegen welchen Job würdest du deinen Job bei OMR eintauschen?

Und was ist die Antwort?

Es gäbe einen oder zwei, aber die kann ich nicht verraten. Eigentlich bin ich für diese Jobs auch zu alt.

Dann lass mich raten: ein umjubelter Basketballer der NBA oder ein Rockstar in einer Band.

Natürlich, damit wäre mein Leben in meinen Zwanzigern unfassbar gewesen. Ich hoffe nur, dass ich es dann trotzdem in die heutige Situation geschafft hätte.

Wenn dir in diesen Höhen mal der Saft ausgeht und der Fahrstuhl blockiert: Hat Philipp Westermeyer einen Notfallschirm?

Mein Notfallschirm ist, dass mir immer Familie und Freunde bleiben. Und ich glaube auch, die Neugier. Mit Neugier kann man immer was machen.

Philipp Westermeyer
Geb. 1979 in Essen
1999: Diplom-Studium BWL an der ISM Dortmund
2003: Masterstudium Media-Management, HMS Hamburg
2005: Vorstandsassistent bei Gruner + Jahr
2007: Investment-Manager bei G+J
2008: Gründung adyard, später Metrico
2009: Gründung OMR
2016: Tochter Podstars by OMR
2021: Das OMR-Team betreibt das zentrale Corona-Impfzentrum in Hamburg

Dieser Beitrag ist Teil der turi2 edition #17 Jobs. Hier geht’s zum kostenlosen E-Paper.

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