Wer spricht denn da? – Diemut Roether über Tom Buhrows Rede zur Reform von ARD und ZDF.
12. November 2022
Einfallslos: Es ist “keine neue und auch keine exklusive Erkenntnis von Herrn Buhrow”, dass die Standortpolitik die Rundfunkpolitik dominiert, schreibt Diemut Roether bei epd Medien über die Rede des ARD-Vorsitzenden im Hamburger Übersee-Club. Dabei äußere Buhrow einige “populistische Forderungen aus der Mottenkiste”. Das einzig “Verblüffende” an der Rede sei, “dass er über die Zustandsbeschreibung hinaus keine Vision davon entwickelt, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesellschaft leisten sollte”. turi2 veröffentlicht den Beitrag in Kooperation mit epd Medien in der wöchentlichen Reihe Das Beste von epd Medien bei turi2.
Der Übersee-Club an der Binnenalster in Hamburg hat schon viele illustre Auftritte erlebt. Bundespräsidenten und Bundeskanzler waren zu Gast, Ministerinnen und Ministerpräsidenten, und auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hielt hier kürzlich eine Rede. In dieser Gesellschaft wirkt der Name von Tom Buhrow, WDR-Intendant und derzeit auch amtierender ARD-Vorsitzender, zunächst einmal eher unspektakulär. Und dann begann der Mann seine Rede auch noch mit dem Satz, dass er “nicht als ARD-Vorsitzender” hier sei, “ich spreche nur für mich”.
Dennoch ist dem Journalisten und ehemaligen “Tagesthemen”-Moderator – sekundiert von der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” – ein PR-Coup gelungen: “Tom Buhrow ruft die Revolution aus”, titelte Michael Hanfeld, der Medienredakteur der “FAZ”, dessen Verhältnis zur ARD sonst – freundlich gesagt – eher distanziert ist. Einen Tag später lud Hanfeld nach und schrieb von “Buhrows Bombe”.
Die “FAZ” nämlich veröffentlichte Buhrows Rede, einen Tag nachdem er sie gehalten hatte, als “Gastbeitrag” (epd 44/22 und Meldung in dieser Ausgabe). Als wir uns beim WDR zwecks Dokumentation der Rede nach dem Manuskript erkundigten, erhielten wir einen Link zu dem “FAZ”-Beitrag und die Auskunft, einen anderen Redetext gebe es nicht. Wir sollten uns mit dem Verlag ins Benehmen setzen, wenn wir sie nachdrucken wollten. So viel zu den Themen Transparenz und Förderung privater Zeitungsverlage mit dem Rundfunkbeitrag beim öffentlich-rechtlichen WDR. Denn Buhrow, der hier nur für sich sprach, wird seine Rede nicht allein für sich im stillen Kämmerchen geschrieben haben – ein Referent postete voller Stolz bei Linked-In, dass er mit “wochenlanger intensiver Vorbereitung und diversen Nachtschichten” daran beteiligt war.
Zankapfel
Möglicherweise hatten ja auch die beiden externen PR-Berater Andreas Fünfgeld und Wolfram Winter, die der WDR nach einem Bericht der “Medienkorrespondenz” für die Zeit des ARD-Vorsitzes 2020 und 2021 laut einer Ausschreibung für 580.000 Euro engagiert hatte, bei der PR-Strategie ihre Finger im Spiel. Denn der Vertrag mit den beiden Beratern lief noch bis Herbst weiter – und dank dieser glücklichen Fügung können sie Buhrow, dem der ARD-Vorsitz nach dem Rücktritt von Patricia Schlesinger als ARD-Vorsitzende wieder zufiel, nun weiter beraten.
Buhrows Rede war in erster Linie eine Zustandsbeschreibung der desolaten Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, eines Systems, das der frühere ARD-Programmdirektor Dietrich Schwarzkopf in den 80ern einmal ein “Geschenk der Alliierten” genannt hat und das längst zum Zankapfel von Länderinteressen und Senderegoismen geworden ist: “Niemand traut sich aus der Deckung. Alle belauern sich”, sagte der WDR-Intendant: “Medienpolitik und Senderchefs belauern sich. ARD und ZDF belauern sich, wer bekommt prozentual mehr vom Beitragskuchen ab, wer weniger? Es ist ein bisschen wie Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert.”
Als typisch schilderte der WDR-Intendant einen Auftritt im Landtag in Sachsen-Anhalt, wo er sich als Reformer präsentiere und die Landtagsabgeordneten fragte: “Sie wollen uns kleiner? Sagen Sie mir also bitte: Welche Ihrer eigenen Landes-Radiowellen beim Mitteldeutschen Rundfunk möchten Sie streichen?” Die Antwort der Abgeordneten sei gewesen: “Bei uns keine! Wir sind genau richtig aufgestellt.” Stattdessen hätten die Parlamentarier in Magdeburg vorgeschlagen, doch den Saarländischen Rundfunk abzuschaffen.
Problemanzeigen
Nun, es ist keine neue und auch keine exklusive Erkenntnis von Herrn Buhrow, dass Standortpolitik die Rundfunkpolitik dominiert. Gerade die östlichen Bundesländer spielen da eine unrühmliche Rolle. Ungewohnt ist eher, dass ein Intendant das so offen ausspricht.
Erst im vergangenen Jahr einigten sich die Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen nach jahrelangen Verhandlungen auf einen neuen Staatsvertrag für den MDR, in dem sie festlegten, die Intendantin habe “im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass den Ländern ihre Anteile an den Einnahmen des MDR mittelfristig zugutekommen”. Und das Land Thüringen ließ auch noch eine Protokollerklärung in den Staatsvertrag aufnehmen, aus der hervorgeht, dass es sich eine Kündigung des Staatsvertrags vorbehält, falls “keine ländergerechte Verteilung der Ressourcen erfolgen wird” (epd 5, 4/21). Die MDR-Intendantin muss nun regelmäßig Berichte vorlegen, um nachzuweisen, dass die drei Länder bei der Auftragsvergabe angemessen berücksichtigt wurden.
Nur zur Erinnerung: Der MDR finanziert sich zu 78 Prozent aus dem Rundfunkbeitrag. Es ist also das Geld aller Beitragszahler, das die Länder in ihren Regionen investiert sehen wollen. Auch so kann man Kreativität verhindern und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch zusätzliche Bürokratie beschweren. Der MDR hatte damals sogar überlegt, gegen den Staatsvertrag zu klagen, dann aber doch davon abgesehen – wohl um die Landesfürsten nicht zu verstimmen.
Buhrow hat also nicht, wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner behauptet, “das bisher Unsagbare und Undenkbare” ausgesprochen, er hat eine Reihe von Problemanzeigen wiederholt, über die Medienbeobachter seit Jahren schreiben – und dazu einige populistische Forderungen aus der Mottenkiste geholt wie eine Fusion von Sendern und die Abschaffung der Orchester.
Das eigentlich Verblüffende an der Rede von Buhrow, die in der leicht gekürzten Fassung fast eine ganze “FAZ”-Seite einnahm, war jedoch, dass er über die Zustandsbeschreibung hinaus keine Vision davon entwickelte, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesellschaft leisten sollte und könnte. Der Hamburger Mediensenator Carsten Brosda (SPD) sagte kürzlich, die öffentlich-rechtlichen Medien hätten “kein Gefühl, keine Story für sich selbst”. Die Sender taumelten “komplett bewusstlos durch die Veränderungen der Medienlandschaft und der öffentlichen Kommunikation” (epd 40/22). Genau das hat Buhrow einmal mehr mit seiner Rede unter Beweis gestellt.
Kein Konzept
Der WDR-Intendant forderte zwar “einen Generationenvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk” und schlug vor, einen runden Tisch einzuberufen, an dem es “keine Tabus, keine Denkverbote” geben dürfe, “eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk”, doch Antworten auf die großen Fragen blieb er schuldig.
Und selbst die Idee mit dem runden Tisch ist nicht neu. Der ehemalige NDR-Intendant Jobst Plog hatte im Juni 2021 gemeinsam mit der ehemaligen HR-Chefredakteurin Lucrezia Jochimsen und dem ehemaligen Intendanten von Radio Bremen Heinz Glässgen ebenfalls in der “FAZ” eine “unabhängige, hochrangig besetzte Kommission” vorgeschlagen, die eine “Art ‘Blaupause’ für die bevorstehende Reformdebatte” beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk erarbeiten sollte. Die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner fordert schon seit Jahren die Einrichtung einer “unabhängigen Expertenkommission mit dem Auftrag, Reformvorschläge zu erarbeiten”. Und der bayerische Medien-Staatsminister Florian Herrmann (CSU) hatte den Vorschlag kürzlich aufgegriffen und gesagt: “So eine Art Herrenchiemseer Konvent könnte eine gute Sache sein.” (epd 44/22)
Auch Plog zeigte sich “überrascht” von der Rede Buhrows: Er habe während dessen Amtszeit als ARD-Vorsitzender nicht erkennen können, “dass an einem Konzept gearbeitet wurde für die ARD”, sagte er im “Medienmagazin” des RBB. “Das aber genau ist die Aufgabe des ARD-Vorsitzenden.” Er wisse aus eigener Erfahrung als ARD-Vorsitzender, “dass man die ARD führen kann, wenn man sie führen will, wenn man sich mit den Kollegen abstimmt, wenn man ein Ziel hat und wenn man eine Strategie hat. Alles das hat die ARD nicht entwickelt in der Amtszeit von Tom Buhrow, und sich nun einen solchen Effekt zu holen, das ist glaube ich ein bisschen zweifelhaft.”
Für Moderator Jan Böhmermann, der selbst einmal als freier Mitarbeiter beim WDR gearbeitet hat, war Buhrows Rede eine Steilvorlage für einen Rant im “ZDF Magazin Royale”. Er zog über die “Systemerhaltungsreflexe” her und stellte klar: “Wer gute Leute schlecht behandelt, der bekommt eben schlechtes Programm. Und schlechtes Programm bleibt schlechtes Programm, auch wenn man eine ‘regionale Drehe’ findet oder ‘die Zuschauerinnen und Zuschauer da abholt, wo sie sind’.”
Manifeste Kulturfeindlichkeit
Einer der wenigen Punkte, an denen Buhrow über Inhalte sprach, war der, als er als Tabu ausgerechnet die Kultur erwähnte, die seit Jahren erfolgreich aus den Programmen der ARD verdrängt wird. “Mit der Lobby legt sich niemand an. Dann wird man als Kultur-Banause oder als Kultur-Vernichter dargestellt.” Wirklich? Der SWR hat 2016 zwei Orchester zusammengelegt (epd 19/14, 38/19). Ja, Intendant Peter Boudgoust musste sich damals einiges an Kritik anhören, aber ist es nicht Aufgabe eines gutbezahlten (!) Intendanten, solche Kritik auch auszuhalten? Oder, um es mit den Worten von Jan Böhmermann zu sagen: “Mit wie viel Geld muss man eigentlich einen ARD-Vorsitzenden beschweren, damit er nicht beim leisesten Gegenwind umfällt?”
Es sagt aber viel über die manifeste Kulturfeindlichkeit in der ARD, die seit Jahren ihre Kulturprogramme im Radio kaputt spart, dass Buhrow ausgerechnet die Kulturlobby erwähnte und damit deutlich machte, dass sich die ARD nicht mehr als Teil des kulturellen Systems der Bundesrepublik versteht.
Dabei ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk Teil der Kreativindustrie. Ohne die Arbeit der Autorinnen, Regisseure und Produzentinnen gäbe es kein gutes Programm. Zu Recht merkte der Verband Deutscher Drehbuchautoren an, es sei bestürzend, dass Buhrow “mit vielen Fragen, aber kaum Antworten nach Hamburg gekommen” sei. “Darf man von einem Intendanten des WDR und ARD-Vorsitzenden nicht mehr Problemlösungen statt nur Fragen erwarten?”, fragten die Drehbuchautoren in einem offenen Brief an den “bestbezahlten fest angestellten Mitarbeiter des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks”.
Der Hörspielregisseur Oliver Sturm wies kürzlich in einem Gespräch mit Andres Veiel und Kathrin Röggla darauf hin, dass der RBB es versäumt habe, die berlin-brandenburgischen Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen stärker in die Programmgestaltung einzubeziehen: “Das sind kulturelle Kräfte, die man theoretisch für den Rundfunk aktivieren könnte, nicht nur als abgebildete Kultur, sondern auch als Inspirationsgeber und als Input. Würde man sich weniger abkapseln und einen flüssigeren Dialog mit den Institutionen und Kulturschaffenden der Stadt und des Landes Brandenburg pflegen, dann könnte man diesen Rundfunk mit einer unglaublichen Dynamik aufladen.” (epd 37/22).
Fataler Fehlpass
Das größte Problem der Rede ist aber, dass sie im Grunde keinen Adressaten und keinen Absender hat. Buhrow, der nicht als ARD-Vorsitzender sprechen wollte, hat es offenbar vorgezogen, sich nicht mit seinen Kolleginnen und Kollegen abzustimmen. ZDF-Intendant Norbert Himmler sagte, Buhrow habe ihm am Nachmittag des Tages, an dem er die Rede hielt, eine Mail geschickt und ihn auf den Termin hingewiesen. Ganz nebenbei hat Buhrow mit seinem Egotrip auch noch Himmlers ersten presseöffentlichen Auftritt als ZDF-Intendant ruiniert, der am Folgetag in Berlin stattfand. Denn die Medienjournalisten interessierten sich natürlich nur noch für die Reaktion auf die Rede des WDR-Kollegen.
Wer soll den Ball nun also aufnehmen? Die Länder mit ihren Standortinteressen, die 2016 den Prozess zur Auftrags- und Strukturreform anstießen und in sechs Jahren gerade mal einen Minimalkompromiss in Form des aktuellen Entwurfs eines Medienstaatsvertrags zustande brachten, der jetzt in den Länderparlamenten ratifiziert werden muss? Plog, Jochimsen und Glässgen hatten in ihrem Artikel den Bundespräsidenten ins Spiel gebracht. Aber jemand müsste den Bundespräsidenten anschreiben oder ansprechen, wenn er tätig werden soll.
Seinem Nachfolger, SWR-Intendant Kai Gniffke, der im Januar 2023 den ARD-Vorsitz von Buhrow übernehmen wird, hat der WDR-Intendant mit seinem Auftritt in Hamburg einen fatalen Fehlpass zugespielt.