turi2 edition #10: 20 Trends für 2020 von Allianzen bis X-Reality.
16. Januar 2020
Was wichtig wird: Für die turi2 edition #10 haben wir uns umgehört, was wichtig wird – im Journalismus, in der Werbung und der Kommunikation. Zu den 20 Trends, die wir gefunden haben, zählen Allianzen unter Medienunternehmen, Podvertising als neuem Licht am Werbehimmel, Verticals im Journalismus und Datenschutz.
1. Allianzen In Zeiten des Wandels sind immer mehr Medienunternehmen bereit, gemeinsame Sache zu machen – sogar mit der Konkurrenz.
Manchmal kann eine SMS das Zeichen eines Kulturwandels sein. Tanit Koch, Chefredakteurin des zentralen RTL-Newsrooms in Köln, ruft den Kollegen beim “stern” in Hamburg schon mal per Kurznachricht etwas zu, wenn es schnell gehen muss, Recherchen abzustimmen sind oder es um gegenseitige Unterstützung geht. Wie es aussieht, wenn die Grenzen zwischen Mediengattungen verschwimmen, lässt sich am deutlichsten am Bertelsmann-Konzern ablesen – auf allen Ebenen, nicht nur bei den Journalisten. Content Alliance, Ad Alliance und Audio Alliance heißen die Schlagworte, unter denen die Konzerntöchter gemeinsam Inhalte entwickeln, sich vermarkten oder Podcasts produzieren, wo früher alle ihr eigenes Süppchen gekocht haben.
“Die Struktur der deutschen Medien ist eher kleinteilig und mittelständisch geprägt”, analysiert Klaus Böhm, Medien-Experte beim Beratungsunternehmen Deloitte. Kooperationen wie die unter dem Dach von Bertelsmann hält er für “überlebenswichtig”. Wenn die Mediennutzung immer weiter zerfasert, ist es sinnvoll, starke Marken über Gattungsgrenzen hinweg aufzubauen. Das gilt auch für die Vermarktung von Werbezeiten und Anzeigenfläche.
Inzwischen sei das bei den Marktteilnehmern auch angekommen. Selbst über Konzerngrenzen hinweg, etwa bei Media Impact, dem Vermarkter von Springer und Funke, funktioniert das erstaunlich reibungslos. Klar ist aber auch: Hinter einem Joint Venture steht immer ein fein austariertes Machtgefüge. “Bevor eine Kooperation funktioniert, müssen alte Feindbilder abgebaut werden”, erklärt Böhm. Selbst eine Allianz von ProSiebenSat.1 und RTL hält der Deloitte-Experte nicht für ausgeschlossen. Für Außenstehende kaum vorstellbar, angesichts der von den Privatsenderketten offen zur Schau gestellten Abneigung.
“Ich bin überzeugt, dass unsere Bewegtbildwelt in zehn Jahren eine ganz andere sein wird”, glaubt Böhm, der selbst lange als Fernseh-Manager gearbeitet hat. Er rechnet mit Markteintritten, die heute noch gar nicht absehbar sind und warnt: “Ein Marktgleichgewicht ist nicht in Sicht.” Markus TrantowLink
2. Abo ohne Falle Netflix und Amazon machen es vor: Das Abo ohne Falle funktioniert – die Verlage ziehen nach und melden Erfolge.
Der Karton ist ein wenig sperrig, dafür muss der DHL-Bote nicht wirklich schwer daran tragen. Was der Lieferant nicht weiß: Im Inneren befinden sich 48 Rollen Klopapier, bestellt im Spar-Abo bei Amazon. In zwei Monaten klingelt der Paketbote wieder, so lange reicht das Papier in einem Zwei-Personen-Haushalt statistisch: Etwas mehr als elf Rollen pro Kopf und Monat gehen in Deutschland den Abfluss runter. Rasierklingen, Dosentomaten oder eben Klopapier – es gibt fast keinen Artikel des täglichen Bedarfs, der sich nicht auch abonnieren lässt. Aber das ist ein vergleichsweise neues Phänomen. Abonnements gibt es schon seit dem 18. Jahrhundert. Heute hat jeder von uns gleich mehrere: Handy-Verträge, Streaming-Flatrates – und auch das Zeitungs- und Zeitschriften-Abo ist längst nicht weg.
Für Verlage war eine hohe Abo-Quote in analoger Zeit ein Ruhekissen: “Wer einmal Abonnent wurde, blieb meist mehrere Jahre dabei”, sagt Nils von der Kall, Verlagsleiter Marketing und Vertrieb bei der “Zeit”. Auch, weil ein Abo bis zu zwei Jahre laufen darf. Wer die Kündigungsfrist verpasste, musste noch ein Jahr dranhängen. Teure Prämien sollten den Lesern die Knebelverträge schmackhaft machen.
“Medien-Flatrates wie Netflix, Prime oder Spotify waren Game-Changer”, sagt von der Kall. Oder mit anderen Worten: Sie haben das Abo-Prinzip vom Kopf auf die Füße gestellt. Kostenloser Probemonat, monatlich kündbar mit nur einem Klick, keine teuren Prämien. “Die Kunden erwarten von Verlagen dieselbe Fairness, Transparenz und Flexibilität, die sie von den Medien-Flatrates kennen.” Und die meisten liefern: “Spiegel”, “Zeit” und “stern” haben ihre Digital- und Print-Abos flexibilisiert, auch bei einigen Zeitungen gilt inzwischen – zumindest online – die Devise: schnell rein, einfach wieder raus.
Es gibt sie zwar noch, die Abos, bei denen man Kündigungs-Fristen und Ausstiegs-Klauseln nur im Kleingedruckten findet – wenn überhaupt. Aber diese Dinosaurier sterben langsam aus. Und “Zeit”-Vertriebler Nils von der Kall hat nichts dagegen: “Die Abo-Falle war schon immer ein ‘Taschenspielertrick’, der mehr Schaden als Nutzen bringt”, sagt er und weiß, dass sich Verlage heute an den Bedürfnissen der Nutzer ausrichten müssen und nicht umgekehrt. Sein Job ist es, nicht nur Neukunden zu gewinnen, sondern auch die selbstbewussten Leser bei der Stange zu halten.
Bei der “Zeit” klappt das, so von der Kall, mit Newslettern, exklusiven Podcasts und Veranstaltungen für “Zeit”-Leser. Nicht selten gewinnt er abtrünnige Leser inzwichen auch per Mailing wieder zurück. Die Wochenzeitung will nicht nur ein Lese-Erlebnis sein, sondern “ein Raum der Begegnung für Menschen, die am politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs teilhaben wollen”. Markus TrantowLink
3. Podcasts Mehr als zehn Millionen Deutsche hören regelmäßig Podcasts und holen das konzentrierte Zuhören aus der Nische.
“Viele Menschen sind bildschirmmüde und entdecken wieder die Faszination des Hörens”, beobachtet Stephan Schmitter. Das Radio-Urgestein ist seit 2018 einer der einflussreichsten Radiomanager Deutschlands. Als CEO von RTL Radio Deutschland wacht er über die 17 Sender und Senderbeteiligungen des Konzerns. Und die Statistik gibt ihm zum Teil Recht: Ganze neun Stunden pro Tag nutzt jeder Deutsche Video und Audio, die klassische Radionutzung stagniert aber bei drei Stunden und zwölf Minuten.
Gleichzeitig steigt die Zahl der Podcast-Hörer: Die Bitkom kommt auf 26 Prozent der Menschen in Deutschland, andere Studien gehen von einer absoluten Zahl von mehr als zehn Millionen regelmäßigen Hörern aus – Tendenz steigend. Viele wittern einen neuen Boom des Hörens, auch Bertelsmann. Die Audio Alliance, mit der die Sendergruppe ihre Audio-Kräfte bündelt, ist das erste Ergebnis. Hier stellen alle Sender ihre Studios und Produzenten gruppenweit zur Verfügung – auch für Podcasts. “Grundsätzlich sind Radio und Podcast zwei verschiedene Schuhe, die aber zusammen ein sehr schönes Paar abgeben”, sagt Schmitter. Radio müsse zeitgleich viele unterschiedliche Menschen und Altersgruppen ansprechen, deswegen ist es kurzweilig und bunt. Bei Podcasts könne sich dagegen jeder die Produktion heraus- suchen, die zu seinem Interesse passt. Daher sind hier auch lange Hörstücke erlaubt.
Und auch bei den Nutzungszeiten machen sich Radio und Podcast kaum Kon- kurrenz, glaubt Schmitter: Radio habe am Morgen seine Primetime, der Podcast am Nachmittag und Abend. Bei der Produktion von Podcasts sind wieder klassische Radio-Fähigkeiten gefragt, sagt der Manager mit Blick auf Technik, Recherche und Storytelling: “Einen Podcast aufnehmen kann jeder, aber der Blick auf die 200 meistgehörten Formate in Deutschland zeigt deutlich: Da steckt eine ganze Menge klassisches Audio-Know-how drin.” Markus TrantowLink
4. Podvertising “Hören ist das neue Sehen”, verkündet die Audiobranche, seit Podcasts boomen – inzwischen sind Abruf-Sendungen ein beliebtes Werbeumfeld.
“Werbung funktioniert im Podcast dramatisch besser, wenn die Gastgeber sie selber sprechen”, sagt Werber Michael Trautmann, der mit dem Podcast “On The Way to New Work” 20.000 Hörer pro Woche erreicht. Bis zu 50 Prozent der Hörer schauen sich das beworbene Produkt an, wenn er die Rolle des Testimonials übernimmt. Vermarkten lässt sich “OTWTNW” von den OMR Podstars. Das Hamburger Label von Philipp Westermeyer steht hinter 40 Produktionen, darun- ter Shows wie Fiete Gastro mit Tim Mälzer und Alleine ist schwer von Jonas und Mats Hummels. Der Gastgeber als Werbesprecher ist hier der Normalfall.
Auch traditionelle Vermarkter wie AS&S haben Podcasts als wertvolles Werbeumfeld entdeckt. “Der Podcast-Markt entwickelt sich von einem Push- zu einem Pull-Markt”, sagt Christoph Arras, beim ARD-Vermarkter zuständig für digitale Audiovermarktung. Arras will die unterschiedlichen Formate nicht gegeneinander ausspielen. Er bietet Spots wie im Radio an, vom Gastgeber gesprochene Werbung und Texte von einem externen Sprecher, dazu gibt es Sponsoring. Arras rät im Podcast zu nativ eingebundener Werbung, um die Möglichkeiten des Mediums auszuschöpfen.
“Im Radio erfüllen Spots eine wichtige Funktion”, sagt er und verweist auf deren appellativen Charakter – native Podcast-Werbung nutze meist eine andere Ansprache. Dass Podcasts das Radio ablösen könnten, kann sich der Vermarkter nicht vorstellen. Zum einen sei der Trend dazu nicht groß genug, zum anderen unterscheiden sich die Nutzungssituationen: Immer, wenn mehr als ein Hörer zuhört, läuft eher das Radio. Arras hofft auf mehr Vielfalt: Gesprächs-, News- und Crime-Podcasts gibt es wie Sand am Meer, die Felder Fiction und Bildung sind – abgesehen von ein paar Projekten – noch unbestellt. Markus TrantowLink
5. Prodcasts Immer mehr Firmen entdecken Podcasts als PR-Instrument und geben Kunden und Mitarbeitern was auf die Ohren.
“Man braucht keine Rundfunklizenz, Sendeanlagen und UKW-Frequenzen mehr, um mittels Audio Hunderttausende oder Millionen zu erreichen“, freut sich Felicia Mutterer. Die frühere Radio-Journalistin produziert bei der
Agentur Achtung Broadcast Podcasts im Auftrag von Firmen. Gefragt sind Podcasts fürs Intranet, aber auch Produktionen zur Mitarbeiterwerbung und Kundenbindung.
Seit 2018 ist die Hamburger dpa-Tochter News Aktuell im Podcast-Geschäft. Die PR-Abteilung des Pressemitteilungs-Versenders produziert alle zwei Wochen einen Gesprächspodcast in eigener Sache. Für das Team um Janina von Jhering ist der News Aktuell Podcast ein “weiterer fester Kanal in unserer Kommunikationsstrategie”. In der Regel kommen Kommunikatoren anderer Firmen zu Wort. “Wir möchten Einblicke in die Arbeit unterschiedlichster PR-Experten geben”, sagt von Jhering, Vize-Chefin der Unternehmenskommunikation.
Die Hörer bleiben dran, wenn sie das Thema interessiert und sie den Moderatoren gerne zuhören, sagt von Jhering. Felicia Mutterer wird noch grundsätzlicher: “Es muss Bemerkenswertes, Fesselndes, Überraschendes, Nutzenstiftendes zu hören sein, damit es begeistert.” Wenn das alles zusammenkomme, sei auch in Unternehmens- podcasts “sagenhaft viel möglich”. Markus TrantowLink
6. Paid Content Für Journalismus im Netz zahlen? Immer mehr Menschen machen das – nicht nur bei “Spiegel”, “stern” und Co, auch im Lokalen.
Zahlen, bitte: Digitale Abo-Gelder sollen Regionalzeitungen helfen, die nicht immer pralle Ernte aus der Reichweitenvermarktung zu ergänzen – und wegbrechende Erlöse aus gedruckten Abos ausgleichen. Keine leichte Aufgabe. Carsten Fiedler, Chefredakteur beim “Kölner Stadt-Anzeiger”, setzt auf exklusive und investigative Stücke sowie zugkräftige Themenfelder wie den lokalen Fußballclub, der seit langem nur dem Namen nach der 1. FC ist. Auch Gastronomie, Lokalgeschichte, Stadtentwicklung und Handel lohnen sich laut Fiedler. News gibt es weiterhin gratis, die Hintergründe und Nachklapps wandern aber hinter die Paywall.
Der Lohn bisher: 10.000 Premium-Nutzer bei ksta.de, davon 2.000 reine Digitalabos. Damit ist das Ziel noch nicht erreicht – die Zahlungsbereitschaft sei zwar gestiegen, aber von Werten wie in skandinavischen Ländern noch weit entfernt, sagt Fiedler. Dort hatten die Verlage früher angefangen, und ihre Zahlen scheinen ihm Auftrag zu sein. Und Hoffnung: Das Verständnis für ein Preisschild an journalistischer Qualität werde “auch in Deutschland weiter wachsen”. Dirk Stascheit Link
7. Print on Stage Im Netz mag der Journalismus noch nach einem Geschäftsmodell suchen – auf der Bühne verdient er Geld.
Madonna hat schon 2007 die Zeichen der Zeit erkannt: Als erste Musikerin kehrt sie damals ihrer Plattenfirma Warner Music den Rücken und lässt sich vom Konzertveranstalter Live Nation unter Vertrag nehmen – für zehn Jahre und stolze 120 Millionen Dollar, wie kolportiert wird. In analoger Zeit waren Live-Konzerte die Promotion für die aktuelle Platte eines Künstlers. Heute sind die Musik-Events eine der wichtigsten Einnahmequellen der Musikindustrie, weil Streamingdienste das physische Besitzen von Musik zur Ausnahme von der Regel machen.
Auch immer mehr Verlage suchen einen Teil ihrer Zukunft auf der großen Bühne: Der “Tagesspiegel”, das “Handelsblatt” und die “Zeit” sind Namens- und Gastgeber von Networking-Events und Kongressen für Leser und Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der “Spiegel” hat die Veranstaltungsreihe “Spiegel Live” etabliert, in der Forscher und Politiker sich vor Publikum den Fragen von Journalisten stellen. Und dass Fachzeitschriften zu ihren Spezialgebieten Kongresse veranstalten, gehört längst zum Standardprogramm.
Vom ernsten Fach sickert das Geschäftsmodell Event nun auch ins eher leichte: Burda etwa hat – neben anderen Events – einen Schönheits-Wanderzirkus namens “Bunte Beauty Days” erfunden und zieht damit neuerdings munter durchs Land. Bei dem Event in München im vergangenen Oktober hat der Verlag 10.000 Besucherinnen in zwei Tagen gezählt. Jede von ihnen hat zwischen 15 Euro für das Basis-Ticket und knapp 90 Euro fürs VIP-Ticket mit Goodie-Bag sowie Zutritt zur VIP-Lounge berappt. Die teuren Tickets verkauften sich besonders schnell. “Für uns sind Veranstaltungen kein Nebenbei-Geschäft mehr, sondern eine wichtige Erlösquelle, mit der wir Umsätze aus medienfernen Geschäftsbereichen generieren”, sagt Manuela Kampp-Wirtz.
Für die Geschäftsführerin von BurdaStyle ist das Veranstaltungsgeschäft nah an dem der Zeitschrift: Die Besucherinnen zahlen für den “Bunte”-Journalismus auf der Bühne Eintritt, was dem Kauf einer Zeitschrift entspreche. Im Umfeld des Events gibt es Messestände von Marken, denen die “Bunte” gegen Standgebühr Kontakt zu Konsumentinnen vermittelt – das Äquivalent zum Anzeigengeschäft. Und das scheint zu funktionieren: “Rund 68 Prozent der Besucherinnen tätigten Einkäufe für durchschnittlich 87 Euro”, sagt Kampp-Wirtz.
Dass Burda längst nicht der einzige Verlag ist, der einen Teil seiner Zukunft in Live-Events sucht, weiß auch die Verlagsmanagerin. Sie glaubt, dass sich solche Veranstaltungen durchsetzen, die “den Konsumenten in den Mittelpunkt rücken und sich auf dessen Bedürfnisse und Vorlieben einstellen”. Markus TrantowLink
8. Familiy Business “Emotion”, “Impulse” und neuerdings “Playboy” – mutige Verlagsmanager und Journalisten kaufen Großverlagen Marken ab.
Die 2020er Jahre werden das Jahrzehnt mutiger Einzel-Verleger. Mögen bei Großverlagen Auflagen und Anzeigenumsätze schrumpfen und einzelne Titel unrentabel werden, bei kleinen Familien- und Einzelverlegern haben
totgesagte Magazine eine realistische Überlebenschance – manchmal erleben sie sogar eine neue Blüte. Jüngstes Beispiel ist das Magazin mit dem Bunny: Seit
Ende 2019 erscheint der “Playboy” nach 17 Jahren nicht mehr beim Großverlag Burda, sondern bei Kouneli Media.
Die Neugründung von Florian Boitin, bisher Chefredakteur des Häschen-Hefts, und Myriam Karsch, Verlagsleiterin, übernimmt die deutsche Lizenz des US-Magazins. “Uns beiden war von Anfang an klar, dass dies nicht nur ein großes Abenteuer ist, sondern viel mehr noch eine Riesenchance”, sagt Boitin auf die Frage, was ihn und seine Mitstreiterin bewogen hat, selbst ins Risiko zu gehen. Vorerst bleibt beim Bunny-Blatt vieles beim Alten: Vermarktung, Vertrieb und Druck besorgt Burda auch weiterhin. Die Redaktion aber ist umgezogen und stellt sich neu auf.
So ähnlich fing es auch beim Frauenmagazin “Emotion” an: 2009 kaufte Verlagsleiterin Katarzyna Mol-Wolf das Magazin Gruner + Jahr ab – im ersten Management-Buyout der Verlagsgeschichte. Drei Jahre zuvor hatte sie das Heft mitgegründet, nun drohten die Hamburger, den Stecker zu ziehen, weil das Objekt hinter den Erwartungen blieb. Heute überlebt das Magazin nicht nur mit knapp 55.000 Auflage, sondern ist auch Namensgeber eines Awards und steht als starke Marke für das Empowerment von Frauen. Und es ist die Keimzelle eines ganzen Verlags: Inspiring Network gibt inzwischen fünf Zeitschriften heraus, hat einen Corporate-Publishing-Arm und diverse Vermarktungsmandate. Die 50 Mitarbeiterinnen sorgen für fast 10 Millionen Euro Jahresumsatz.
Seit 2013 ist auch das Unternehmer-Magazin “Impulse” ein eigenes Unternehmen: Nikolaus Förster, damals Chefredakteur, kaufte Gruner + Jahr das Heft mit der 40-jährigen Geschichte ab – und ging Wege, die für einen Großverlag auch heute noch nur schwer vorstellbar sind: Er beendete das Abo-Marketing mit teuren Prämien, nahm das Heft vom Kiosk, strich Lesezirkel, Bordexemplare und vergünstigte Abos – alles, was die Auflage weich macht. Stattdessen verspricht Förster seinen Werbekunden nun “100 Prozent Zielgruppe, 0 Streuverluste”. Mit dieser Strategie verkauft er noch knapp 10.000 Hefte zum stolzen Preis von fast 25 Euro pro Stück. “Wenn Kunden das Magazin für 25 Euro kaufen und es zugleich im Flugzeug kostenlos bekommen, passt das nicht mehr zusammen”, erklärt er seine Strategie.
So unterschiedlich Ausrichtungen und Wege der Einzel- und Familienverleger auch sein mögen, sie verbindet unternehmerischer Mut. Die neuen “Playboy”-Chefs Florian Boitin und Myriam Karsch haben sich vor ihrem eigenen Schritt in die Selbstständigkeit die Management-Buyouts von “Emotion” und “Impulse” nicht nur angeschaut, sondern auch Gespräche geführt. Womöglich sind sie bald selbst Vorbilder für andere, die den Sprung wagen. Auf die Frage nach der Möglichkeit des Scheiterns antwortet Boitin mit einem Zitat des US-Moderators Karamo Brown: “Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern Teil dessen.” Markus TrantowLink
9. Verticals Um das Geschäftsmodell Tageszeitung zu retten, lässt Sebastian Turner die “Tagesspiegel”-Redakteure journalistische Tiefbohrungen machen.
“Der Proof of Concept ist erbracht”, jubelt Sebastian Turner Ende 2019 in “Horizont” über die Vertical-Strategie des “Tagesspiegels”. Diese journalistischen Tiefbohrungen machen die Hauptstadtzeitung zusätzlich zu einem politischen Fachdienst mit den Schwerpunkten Verkehr, Energie, Digitalisierung und Gesundheit. Ein Konzept, mit dem Politico in Washington groß geworden ist.
Als Adressaten für den wochentäglichen “Tagesspiegel Background” und das wöchentliche Politikmonitoring, die es zu jedem Schwerpunkt gibt, hat Turner die Akteure aus Politik, Wissenschaft, Gesundheits-, Digital- und Kulturwirtschaft aus- gemacht. Die Zielgruppen sind zwar spitz, ballen sich aber im Machtzentrum an der Spree. Eine einfache Lizenz für das tägliche Briefing kostet 179 Euro pro Monat, das wöchentliche Monitoring flattert für stolze 370 Euro ins Haus. Wer mehrere Briefings oder Lizenzen bezieht, bekommt Rabatte.
Zwanzig neu angeworbene Redakteure schreiben die Briefings; Turner legt Wert darauf, dass die Texte und Material-Sammlungen in der “Tagesspiegel”-Redaktion entstehen: “Diese Spezialisten der Verticals verbessern wiederum die redaktionelle Qualität der Zeitung”, sagt der Mit-Gesellschafter und Herausgeber. Texte der Fachredakteure erscheinen auch jeden Tag in der gedruckten Zeitung.
Der Großteil der acht Verticals sei profitabel, ihr Anteil am Umsatz des Tagesspiegel-Verlags ist mit weniger als 25 Prozent überschaubar, die Tendenz aber steigend, freut sich Turner über die zusätzlichen Deckungsbeiträge aus Abos, Anzeigen und Veranstaltungen. Denn Events, auf denen sich Politiker, Wissenschaftler und Lobbyisten treffen und austauschen können, sind zentraler Baustein der Vertical-Strategie. Mehr als 100 Kongresse, Fachtagungen und Netzwerktreffen richtet der “Tagesspiegel” jedes Jahr aus. Auf dem Podium sitzt dann oft die Politik-Elite, im Publikum die Lobbyisten und Einflüsterer. Markus TrantowLink
10. QR-Codes Wer tippt schon gern URLs ab? Die lange Zeit verkannten QR-Codes erleben in der mobilen Gesellschaft ihren späten Durchbruch.
Einen QR-Code hat er 2006 zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, sagt Peter Hogenkamp, einst zu Hochzeiten des Web 2.0 Vorarbeiter im Blogwerk und nun Chef des Aggregations-Dienstleisters Scope. Der druckbare Link, den die Kamera eines Telefons wahrnimmt und öffnet, wurde zwar schon 1994 erfunden, setzte sich aber erst mit den Smartphones durch. Unter Werbern und Digitalos galt der putzige 2D-Barcode aus Japan schon als verblühte Spielerei, bevor Mainstream- Marken und, noch wichtiger, Konsumenten den Nutzwert entdeckten, ähnlich wie bei WhatsApp und Kapselkaffeemaschinen. Heute sind Smartphones verbreitet und ihre Kamera-Apps verstehen QR-Codes ohne weiteres. Die schmücken nun folgerichtig den öffentlichen Raum: Sitzrückseiten im Zug und Schweizer Autobahn-Klos führen damit auf Bewertungsseiten, Zeitschriften und Werbeplakate auf ergänzende Inhalte. Für Peter Hogenkamp spielen sie dann ihre Vorzüge aus, wenn sie eine komplizierte URL ersetzen – niemand brauche einen QR-Code für eine kurze Adresse wie Bahn.de. Die Codes sind nur so clever wie der Prozess, dessen Teil sie sind. Dirk Stascheit Link
11. KI-Vertising Mithilfe Künstlicher Intelligenz soll die Werbeausspielung smarter werden.
Im “Perfekten Dinner” von Vox brutzelt Schweinefleisch in der Pfanne. Der Kandidat erklärt seine Arbeitsschritte – und wie auf Kommando erscheint ein sogenanntes L-Banner auf dem Bildschirm, mit Werbung für die Fleisch-Alternativen der Rügenwalder Mühle. Wer in der RTL-Mediathek TVNow fernsieht, bekommt neuerdings Werbung zu sehen, die zum Inhalt des Programms passt. Contextual Video Tagging heißt der Prozess und ist eines der Next Big Things in der Video-Werbung.
Senior Conceptioner Robert Beckert entwickelt neue Werbemöglichkeiten: “‘Das perfekte Dinner’ wurde mittels künstlicher Intelligenz gescannt und analysiert. Hierbei wurden sowohl der gesprochene Text als auch die Emotionen analysiert”, erklärt er. Zum Hauptgang passt das Banner mit der Fleischalternative von Rügenwalder, zum Nachtisch serviert Beckert den Zuschauern eine Nespresso-Werbung.
Bisher funktioniert KI-vertising nur bei aufgezeichnetem Programm. Eine Live-Analyse wäre prinzipiell möglich, würde aber riesigen technischen Aufwand bedeuten – für Beckert die “Ausbaustufe”. Damit die KI nichts falsch versteht und die Werbung womöglich unpassend platziert, guckt nach der Analyse immer noch ein Mensch auf die Auswahl. “Damit garantieren wir Brand Safety”, sagt Beckert. KI in der Werbung, davon ist er überzeugt, wird in den 2020er Jahren ein Massenphänomen als unterstützende Kraft “für klar definierte Aufgaben”. Markus TrantowLink
12. Digital Outdoor Das gute alte Plakat bekommt digitale Konkurrenz, die unsere Metro- polen in ganz neue Lichter taucht.
Unsere Innenstädte leuchten: Die Zahl der Riesen-Monitore, auf denen 24 Stunden am Tag eine Werbesalve nach der anderen abgefeuert wird, explodiert. Allein der Außenwerber Wall will bis Ende 2020 im ganzen Land 1.000 Screens betreiben, drei Mal mehr als Anfang 2019. Was hat Wall-Geschäftsführer Andreas Prasse gegen das gute alte Papier-Plakat? “Gar nichts”, sagt er, “wir erweitern unser Portfolio und gehen damit auf die Wünsche unserer Kunden ein.” Trotz Digitalisierung werde die Mehrzahl der Standorte analog bleiben. Lediglich die besten Adressen bekommen Digital-Screens.
Prasse schwärmt von der neuen Flexibilität. Das erste Mal hat Wall das schon zur Fußball-WM 2014 ausprobiert: Zehn Minuten nach dem Sieg der Deutschen Mannschaft in Brasilien hat Mercedes auf allen Wall-Screens ganz aktuell zum WM-Titel gratuliert. “Es gab natürlich eine Variante A und eine Variante B”, sagt Prasse. Damals musste in der Zentrale in Berlin noch ein Mitarbeiter per Knopfdruck für die Ausspielung sorgen. Heute ist es ein Algorithmus, der auf Basis von Smart Data dafür sorgt, dass die Werbung auf dem Ku’damm in Berlin und in der Mönckebergstraße in Hamburg zum Wetter, zur Tageszeit und zur potentiellen Kundschaft passt. Wenn wochentags Berufspendler zur Arbeit eilen, laufen andere Spots als am Samstag, wenn Familien einkaufen.
Aber das Targeting hat Grenzen. Vorstellungen, dass die großen Screens einzelne Nutzer bald direkt ansprechen könnten, verbannt Prasse in das Reich der Science Fiction: “Außenwerbung wird ein ‚One to Many‘-Medium bleiben.” Markus TrantowLink
13. Mediatech Inc. Medienunternehmen dürfen die Tech-Kompetenz nicht den US-Riesen überlassen.
Medienfirmen stehen mitten in der digitalen Transformation. Das ist eine Pflichtaufgabe, um bestehende Geschäfte effizienter zu machen und dadurch wettbewerbsfähig zu bleiben – kann aber auch eine Chance sein, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, sagt Rolf Hellermann, Chef des Bertelsmann-Dienstleisters Arvato. Nicht alle Leistungen müsse es im eigenen Haus geben, aber “ein bestimmtes Anwendungswissen” schon. Neben dem Einstellen von “Top-Talenten” sei dafür vor allem auch nötig, die Mitarbeiter weiterzubilden.
Bertelsmann hat intern die derzeit relevantesten Veränderungsthemen untersucht und nennt Datenanalyse, Selbstlern-Algorithmen und Clouddienste als Kernthemen. Ein konzernweites Beratergremium soll den Austausch intensivieren und, wo nötig, für Abstimmung sorgen.
Bertelsmanns Verhältnis zu den großen Tech-Konzernen ist ambivalent: Retail-Riese Amazon ist “wesentlicher Absatzkanal” für Bertelsmanns Verlage, die Tech- Plattformen sind wichtige Service-Kunden für Arvato, einige sind Konkurrenten im Werbemarkt. Die IT-Tochter Arvato Systems zeigt Firmenkunden das Potenzial von Künstlicher Intelligenz und betreut auf Wunsch ihre Anwendungen in den Clouds von Amazon und Microsoft. Dirk Stascheit Link
14. True Crime “Aktenzeichen XY” ist ein TV-Hit, “stern Crime” ein Magazin-Bestseller – warum gruseln wir uns so gerne?
Der wichtigste Punkt zuerst: Genieren muss sich für diese Vorliebe niemand. Kaum hatte Gutenberg den Druck erfunden, zirkulierten Flugblätter mit anschaulichen Horrorbildchen von Verbrechen. Dass der Mensch sich derart für reale Scheußlichkeiten interessiert, hat laut Forschern einen nützlichen Grund. Wer sich mit Verbrechen beschäftigt, die er schlicht nicht nachvollziehen kann, versichert sich selbst, normal zu sein. Und nichts schätzt der Mensch mehr als seine eigene, normale Welt. Die Faszination True Crime basiert auf dem Spiel der Gesellschaft mit Zugehörigkeit und Abgrenzung.
Die Darstellung der Täter hat sich seit Gutenberg geändert, am stärksten in den letzten siebzig Jahren. Früher wurden Verbrecher dämonisiert und mit fast mythologischen Fähigkeiten ausgestattet: Daher stammen “Vampir von Düsseldorf” oder “Werwolf von Hannover” für die Serienmörder Peter Kürten und Fritz Haarmann. Heute hat sich das Gruselbild des unauffälligen Nachbarn durchgesetzt. Das Motto: Es könnte jeder sein.
Dass True Crime aktuell besonders boomt, liegt an einem simplen Konzept: Endlich ist jemand auf die Idee gekommen, sich sende- und drucktechnisch nur auf menschliche Abgründe zu konzentrieren. Waren wahre Verbrechen früher Teil des Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus, gibt es heute monothematische Magazine, die ausschließlich “das Böse” ausloten. Im Fernsehen ermitteln die “Medical Detectives”, für Audioaffine gibt es Podcasts wie “Zeit Verbrechen”.
Praktischer Nebeneffekt: Mord, Totschlag und neue journalistische Ausspielwege erschließen Sendern und Verlagen neue Zielgruppen. Bei einer Live-Aufzeichnung des “Zeit Verbrechen”-Podcasts hört eher selten der arrivierte “Zeit”-Abonnent zu. Tatjana KerschbaumerLink
15. Multi-Journalismus In Zeiten vielfältiger Kanäle eröffnen sich für Journalisten ganz neue Dimensionen.
Journalisten können heute vieldimensionaler mit Themen arbeiten als früher, sagt Charlotte Maihoff, Moderatorin bei “RTL Aktuell”. Damit meint sie: Wenn ihr bei einer Recherche Aspekte auffallen, die interessant sind, aber nicht in ihr natürliches Habitat der Nachrichten passen, merkt sie sich den Stoff für andere Formate oder auch Plattformen vor. Aus einer Reise nach Sibirien wurden so Stücke für “RTL Aktuell”, das “Nachtjournal”, den “n-tv-Auslandsreport” und das Frühstücksfernsehen “Guten Morgen Deutschland”, aber auch Instagram-Inhalte und ein Stück mit Kältetipps aus Sibirien für die gerade passend klirrende Kälte in Deutschland sowie noch Texte und Videos bei RTL.de.
Zum Sparen eignen sich solche Einsätze aber nicht, findet Charlotte Maihoff: Vielschichtiges Arbeiten brauche eine Menge Manpower. Daher passten Ansätze wie die Content Alliance von RTL-Konzernmutter Bertelsmann in die Zeit. Die Medien und Zielgruppen im Konzern bieten viele Bühnen, um Themen aus mehreren Blickwinkeln und in verschiedenen Darstellungsformen zu erzählen. Bei dem Sibirien-Trip hätte sie rückblickend gern noch einen Fotografen dabeigehabt – um Fotostrecken für “Geo” mitzubringen. Dirk Stascheit Link
16. Lagerfeuerchen Während die großen TV-Sender verlieren, fühlen sich die kleinen im Aufwind – und machen mit nischiger Werbung Kasse.
Die Lagerfeuer des Massenmediums Fernsehen loderten einst hell. Zuverlässig versammelte sich eine ganze Nation gegen 20.15 Uhr vor erst einem, dann zwei, dann drei Kanälen. Inzwischen brennen da allein im linearen, überregionalen Free-TV mehr als 80 Feuerchen – und gleichzeitig noch unzählige weitere zeitlich und räumlich unbegrenzt, empfangbar über smarte Geräte mit Internetan- schluss. So gut wie jeder Nutzer-Wunsch kann in Erfüllung gehen, ob einem nun der Sinn nach Gottesdienst, Musikvideo, Bollywood-Romanze oder blutigem True-Crime-Format steht.
Alberto Horta, Distributionschef bei Discovery Deutschland, freut sich über die gesammelte Wärme, die dabei immer noch entsteht: “In seiner heute diversifizierten Vielfalt ist TV als Gattung weiterhin ein Massenmedium und wird es noch lange bleiben”, sagt er. Im linearen Free-TV spricht Discovery auf drei von vier Sendern spezifische, aber doch recht große Zielgruppen an: mit Dmax die Männer, mit TLC die Frauen, mit Eurosport die Sportfans aller Geschlechter. Beim neusten Sender ist die Zielgruppe schon schmaler: Home and Garden TV (HGTV) richtet sich – wie der Name schon sagt – an die Heimwerk- und Garten-Fans im Fernsehpublikum. Im Digitalen werden die Angebote von Discovery dann noch mal spitzer: Bei Joyn, der gemeinsamen Plattform mit ProSiebenSat1, gibt es nicht nur Abrufinhalte speziell für Gartenfreunde, sondern auch für die des Kochens und des Motorsports. In Zukunft will Alberto Horta diese sogenannten „Verticals“ weiter ausbauen – offensichtlich lohnen sie sich für die Gesamtbilanz. “Wir sind kein Nischenanbieter, sondern breit aufgestellt”, sagt er, “wirtschaftlich funktioniert das sehr gut.”
Einen Großteil der Werbezeit füllen die Sender nicht mit klassischen Spots, sondern mit Teleshopping. Für die Werbekunden scheint sich das zu lohnen: Eine spitze Zielgruppe, die für Küchengräte, Bauchweg-Gürtel und besonders gemütliche Kopfkissen bereit ist, zum Telefon zu greifen und sich nebenbei am persönlichen Lagerfeuer geborgen fühlt. Anne-Nikolin HagemannLink
17. Digital Health Die Arzt-Patienten-Beziehung wird digitalisiert – und könnte für gesunde Geschäfte bei cleveren Verlagen sorgen.
Telemedizin und E-Rezept sorgen dafür, dass auch der Arzt mit der Zeit gehen kann. Aber was bedeutet das für die Gesundheitsversorgung? Im Idealfall gibt es mehr Chancen als Risiken, findet Kay Labinsky. Der Geschäftsführer von BurdaLife ist unter anderem verantwortlich für die neue Apotheken-Kundenzeitschrift “My Life”. Er will, dass seine Redaktionen “gründlich recherchieren, fundiert berichten und im Falle von Missständen auch aufklären”. Je relevanter ein inhaltliches Verlagsangebot für die Patienten ist, desto besser ist das auch für den Verlag, findet er. Burda wird auch selbst aktiv: Auf dem Portal jameda.de können Patienten online Arzttermine ausmachen, mit dem “Zukunftspakt Apotheke” will der Verlag zusammen mit der Apotheken-Einkaufsgemeinschaft Noweda das Apotheken-Sterben bremsen: Über den gemeinsamen Online-Shop Ihre-Apotheken.de können Kunden bei der Vor-Ort-Apotheke bestellen, das Medikament selbst abholen oder es sich liefern lassen.
Der Wort & Bild Verlag – Herausgeber der “Apotheken Umschau” – geht einen ähnlichen Weg: Die Verlagstochter Curacado hilft den örtlichen Apotheken beim Online- Geschäft. Auch hier können sich Kunden bestellte Medikamente abholen oder liefern lassen. Zudem baut der Verlag mit Partnern die Plattform Pro AvO für alle stationären Apotheken auf und begleitet die Digitalisierung der Gesundheitsbranche redaktionell: Der “Digital Ratgeber Gesundheit” will Patienten, Apotheker und Heilberufler durch die neuen Möglichkeiten navigieren – gedruckt und mit digitalen Verlängerungen, erklärt Geschäftsführer Andreas Arntzen. Er glaubt, dass die Patienten so mehr Wissen erlangen und sich fundierter mit dem Arzt austauschen können. Das Ziel sei “health literacy”, der Aufbau der Kompetenz für die eigene Gesundheit. Markus TrantowLink
18. X-Reality Die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschwimmen – irgendwann vielleicht auch in unserem Hirn.
“Wenn Augmented und Virtual Reality sich durchsetzen sollen, muss es Inhalte geben, die ihren Einsatz als dramaturgisches Element rechtfertigen“, sagt Klaus Böhm, Medien-Experte beim Beratungsunternehmen Deloitte. Dass die Technologie inzwischen massentauglich ist, zeigen nicht nur Handy-Games und Snapchat-Filter. In Wirtschaft und Wissenschaft sind VR und AR längst angekommen.
So werden etwa Chirurgen mit VR-Unterstützung auf komplizierte Operationen vorbereitet. Im Umgang mit Patienten macht Googles totgesagte Glass 2 eine gute Figur: Statt die Krankenakte des Patienten auf dem Computer aufzurufen, kann sich der Arzt Untersuchungsergebnisse auf seiner Brille einblenden lassen, Fotos und Notizen machen. In der Industrie haben Ingenieure die Google-Brillen bei der Wartung auf der Nase und komplexe Konstruktionspläne immer vor Augen.
Klaus Böhm glaubt, dass die Technik im Freizeitbereich dann ihren großen Durchbruch hat, wenn die nötigen Geräte leichter und tragbarer werden – oder ganz verschwinden. Er kann sich sogar vorstellen, dass es möglich sein wird, VR- und AR-Brillen durch Implantate zu ersetzen und Inhalte direkt auf unsere Iris zu projizieren. “Solche Entwicklungen kommen aber nicht in einer großen Welle, sondern ganz langsam Schritt für Schritt”, beruhigt Böhm. Markus TrantowLink
19. Live-Kommunikation In der Bibel brauchte David noch Gottes Hilfe, um den Riesen Goliath zu bezwingen. Heutige Davids setzen auf kreative Krisen-Kommunikation.
Im Sommer 2018 stellt sich der Handelskonzern Lidl eine Limonade ins Regal, die sich äußerlich von den sonst bunt bedruckten 1,5 Liter PET-Flaschen unterscheidet: Glasflasche, weiß bedruckt, kleine Füllmenge. Der Name schlicht und vermeintlich ehrlich: “Limo”. In der Flasche aber blubbert das übliche geschmacksverstärkte Zuckerwasser. Die optische Ähnlichkeit zur Hamburger Independent-Brause Lemonaid ist frappierend: gleiche Flasche, ähnliche Aufmachung. Allerdings verwendet Lemonaid nur fairgehandelte Bio-Ingredienzien.
Wie das Brause-Startup es geschafft hat, die Billig-Kopie aus dem Discounter-Regal zu verjagen, ist eine kleine Heldengeschichte: Sie beginnt mit einem Brief an den damaligen Lidl-Chef, der zum offenen Brief wird, als der nicht reagiert, und setzt sich in einer Social-Media-Kampagne mit dem Hashtag #Lidlklontdich fort. Vergleichsfotos mit Bio-Original und Billig-Fälschung gehen viral, Lidl knickt ein.
Von der Idee mit dem Brief bis zur Umsetzung der Kampagne hat es gerade mal 48 Stunden gedauert, erklärt Marius Darschin, Geschäftsführer der Content-Kampagnen- Agentur Honey, bei der die kreativen Köpfe hinter der PR-Aktion arbeiten. “Das zeitaufwändigste war die Abstimmung über das richtige Wording, die passende Tonalität in unserem Brief an Jesper Hojer”, sagt Darschin. “Live-Kommunikation” nennt er das.
Darschins These: In Zeiten einer sich stark ändernden Mediennutzung erzeugt klassische Werbung, deren Motive Monate vor dem Start geplant und fotografiert sind, nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit. Seine “Live-Kommunikation” will den Spieß umdrehen und reagiert auf Ereignisse in Politik, Medien, Sport oder Musik. Damit das funktioniert, müssen sich auch die Unternehmen ändern: “Haltungsthemen, die klar kommuniziert werden, brauchen eine schnelle und eindeutige Entscheidung ganz oben im Management.” Wenn solche Kampagnen die üblichen Abstimmungsrunden durchlaufen, ist das Momentum schnell vorbei. Markus TrantowLink
20. Datenschutz Bei Datensicherheit geht Google in die Höhle des Löwen: nach Deutschland, wo die Nutzer sensibel und die Regeln streng sind.
Google besitzt in München jetzt einen Palast, den “Postpalast”. Früher war der Komplex in Bahnhofsnähe das Paketzustellzentrum, zuletzt Ort für Kongresse – oder auch mal die Meisterfeier des FC Bayern. Bald sollen hier auf 41.000 Quadratmetern Arbeitsplätze für Google-Mitarbeiter aus aller Welt entstehen, die an Datensicherheit und Anwendungen wie dem Webbrowser Chrome arbeiten. Im neuen Jahrzehnt wird die Isar-Metropole mehr denn je Googles Zentrum für Datenschutz. Schon heute arbeiten viele der 1.000 Mitarbeiter in der nur wenige hundert Meter entfernten Erika-Mann-Straße an diesen Themen.
Im Mai 2019 hat Google hier sein Safety Engineering Center, kurz GSEC, eröffnet. “Wir bauen in München Produkte und Services für Google im Bereich Datenschutz. Und zwar für Nutzer weltweit”, sagt Wieland Holfelder, Entwicklungschef in München. Auf das Konto seines Kollegen Stephan Micklitz, weltweit verantwortlich für Sicherheit und Datenschutz, geht die Entwicklung des “Google Konto” als zentrale Anlaufstelle für den Datenschutz. Er ist sich sicher, dass ein Tool, das auf dem in Sachen Datenschutz besonders kritischen deutschen Markt funktioniert, auch gut für den Rest der Welt ist. Markus TrantowLink